Beilage zu Nr. 114 -es „Eiythäler."
Dienstag, den 28. September 1875.
Miszellen.
SLraßburg.
(Am Jahrestag der Capitulation, 28.Sept. 1870.)
Straßburg, du Stadt am Rheine,
Wie lang' lagst du im Bann!
Du Wunderschöne, du Feine,
Dein Ehrentag bricht an.
Dem Reich warst du entrissen Durch Arglist und Verrath;
Es mahnt, uns das Gewissen,
Zu sühnen die schnöde Lhat.
Du stand'st im Wittwenschleier Betrübt und ungeehrt;
Jetzt kommt ein alter Freier,
Der wirbt Dich mit dem Schwert.
Er wird dich wohl erwerben Mit seiner tapfern Hand,
Und müßt' auch roth sich färben Dein Schleier und dein Gewand.
Er kommt um dich zu minnen Mit scharfem Schwertesstreich;
Er wird dich neu gewinnen Dem neu erstand'nen Reich.
Dann wirst in neuem Glanze Du strahlend wieder sein Eine Blume in dem Kranze Der Deutschen Stadt' am Rhein.
(Aus Kriegspoesie 1870/71.)
Der Kmmeiffer von Straszburg.
Historische Novelle von Emilie Heinrichs.
(Fortsetzung).
„Ihr habt ein Herz von Stein, Obrecht," bemerkte der Stadtschreiber scheinbar gleich' giltig, „doch möcht Ihr in Eurem Sinne wohl Recht haben. Nun also, Adrian Dörnach befindet sich nicht mehr in Straßburg —"
„Ah," unterbrach ihn der Prätor mit enttäuschter Miene, „„die Nachricht konnte mir ein Jeder bringen."
„Ich versprach Euch Wahrheit, was hättet Ihr davon, wenn ich Euch täuschte? —- Er ist allerdings leicht verwundet worden in jener Nacht, doch nicht so sehr, um nicht in den nächsten Tagen verkleidet die Stadt verlassen zu können. So viel ich erfahren, hat er sich nach der Schweiz gewandt."
„Verwünscht," sprach Obrecht finster, „viel hätte ich darum gegeben, diesen Burschen an Frankreich ausliefern zu können. Vielleicht hat man Euch absichtlich getäuscht, Günzer, — Ihr seid dort nicht sehr beliebt."
„Glaubt Ihr, ich wäre so einfältig gewesen, selber dorthin zu gehen?" lächelte der Stadtschreiber, „meine Schwester, die Bürgermeisterin von Hagenau, welche augenblicklich bei meiner Mutter zum Besuch anwesend, war immer sehr wohl gelitten bei der Frau Ammeisterin und hat, ohne
es selber zu ahnen, mein Werkzeug abgegeben. Sie hat ihr im Vertrauen eine Warnung zukommen lassen und sich dadurch gleiches Vertrauen erworben. Pah, mein Herr Prätor," setzte er finster hinzu, „mir liegt ebensoviel daran als Euch, diesen Nebenbuhler abzufangen und hätte nicht übel Lust, ihn nach dem Kloster La Trappe zu bringen."
„Ein köstlicher Gedanke," nickte Obrecht, „sucht ihn zu verwirklichen, Günzer, Frankreichs König wird sich dankbar dafür beweisen."
„Will's versuchen," meinte Günzer achselzuckend, „wenn der Bursche noch in Straßdurgs Mauern weilt, soll er mir so leicht nicht entkommen. Gott befohlen, Herr Prätor!"
Er ging. Obrecht blickte ihm finster nach.
„Herr Prätor!" wiederholte dieser langsam, „in diesem Worte liegt sein ganzer Haß. Wir müssen dem Stadtschreiber, um ihn ungefährlich zu machen, ein höheres Amt geben und sollte S. Majestät, der allerchristlichste König, ein neues erst für ihn schaffen müssen. Im Uebrigen werde ich ihn doch ein wenig überwachen lassen."
Als der Herr Prätor am folgenden Tage diesen klugen Gedanken zur Ausführung bringen wollte, traf ihn die Nachricht, daß der Stadtschreiber Günzer seit vierundzwanzig Stunden spurlos verschwunden sei, wie ein Donnerschlag.
Das Gerücht chon einem Selbstmorde, welches blitzartig schnell die Stadt durchlief, verwarf er mit einem verächtlichen Achselzucken; für einen solchen Thoren mochte er den Mann doch nicht halten, da Obrecht ihn stets so kaltblütig befunden und ihn nach dem eigenen Charakter beurtheilte, welcher jedes Mittel zum Zweck für erlaubt hielt und das Gewissen nur bei Schwächlingen kannte.
Sein erster Gedanke war aneineUeber- listung und folgerecht knüpfte er an sein Verschwinden den Namen Katharina Dietrich.
„Der Thor!" lachte er, „er rennt in sein eigenes Verderben, mag er sich den Kopf an jenen Klostermauern zerschellen."
Damit war die Sache für den Herrn Prätor abgethan, er hatte den Stadtschreiber nicht mehr zu fürchten und gönnte ihm den Untergang.
Frau Günzer wußte nichts von dem Verbleib des Sohnes, der ihr nur das viele Geld eingehändigt und dabei gesagt hatte, daß er hinausginge, um seinen Verrath durch eine gute Handlung zu sühnen.
Die arme Frau wurde allgemein bemitleidet, man trug ihr die That des Sohnes nicht nach und verehrte sie fast wie eine Heilige, als es bekannt wurde, daß sie das Geld dem Rathe der Stadt zur Verkeilung an die Armen übergeben habe.
Als der Prätor solches erfuhr, stutzte er und sandte heimlich einen Courier nach
dem Kloner bei Epinal, um der Aebtissin ein Schreiben von ihm zu überbringen, worin er ihr die größte Wachsamkeit hinsichtlich der jungen Novize anempfahl.
Ebenso sehr schien er jetzt auch davon überzeugt zu sein, daß Günzer ihn über Adrian Dörnach getäuscht habe und erbost darüber, so plump überlistet worden zu sein, schwur er, Alles aufzubieten, um seiner habhaft zu werden.
Die Familie des Ammeisters schwebte in nicht geringer Sorge; einestheils über das Loos des Vaters, der dort in Paris der Willkür königlicher Gewalt rücksichtslos preisgegeben war, anderntheils auch über Adrian's Schicksal, das mit dem ihrigen so eng verknüpft die ganze Familie gefährden konnte.
War doch Niemand in dieser Zeit roher Willkür seiner Freiheit, seines Lebens sicher, da Gesetz und Recht mit Füßen getreten wurde, nur der Mächtige triumphirte.
Adrian Dörnach befand sich noch im Hause des Doktors Dietrich, wohin er heimlich gebracht worden war. Er ging seiner Genesung mit schnellen Schritten entgegen und bestand jetzt selber darauf, die Stadt in irgend einer Verkleidung zu verlaßen, um die Familie des unglücklichen Ammeisters nicht weiter zu gefährden.
An einem Nachmittag trat er seinen Weg als elsässischer Bauer verkleidet an und hatte das Thor glücklich und unbemerkt erreicht, als ein französischer Soldat ihm im Vorbeigehen einen so unsanften Stoß gab, daß er strauchelte und sein breit- krämpiger Hut, der das ganze Gesicht verbarg, ihm vom Kopfe flog.
Das blasse Gesicht, sowie die schwarze Binde um die Stirn mochten für einen Landmann auffällig genug erscheinen; der wachthabende Corpora!, welcher anfangs über jpinen Unfall gelacht, wurde jetzt aufmerksam und rief ihm ein barsches „Halt!" zu,
Adrian erschrack, an Flucht war nicht zu denken, sie hätte seine Lage nur verschlimmern können.
Er faßte sich schnell und trat auf einen Wink des Corporals in die Wache.
„Ihr seid kein Bauer!" fuhr ihn dieser hier an.
„Verzeiht, Herr!" erwiderte Adrian so unbefangen als möglich in deutscher Sprache, „ich verstehe Euch nicht."
Ein Dolmetscher war sogleich bei der Hand, der ihn scharf inquirirte und schließlich trotz aller Protestation zum Herrn Prätor zu bringen befahl.
Der arme junge Mann hatte Mühe, sich aufrecht zu erhalten.
„Wir haben Befehl, all' dergleichen verdächtiges Gesindel vor den Herr Prätor zu führen," wandte sich der Dolmetscher, ein geborener Straßburger, an den Corpora!, „vielleicht sangen wir auf diese Weise doch endlich den Vogel, den wir suchen."
Adrian war völlig vernichtet, er errieth instinktartig, daß man ihn damit meinte
Bis zur einbrechenden Dämmerung