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jahenden und die verneinenden Stimmen beider Kammern zusammengezählt, und nach der Mehrheit sämmtlicher Stimmen wird alsdann der Ständebeschluß abgefaßt. Würde in diesem Falle Stimmengleichheit eintreten, so hat der Präsident der 2. Kammer die Entscheidung.
Ludwigsburg, 13. Nov. Der Unteroffizier Hoppe vom Dragoner-Regiment Königin Olga, welcher vor 14 Tagen als Kasinorechnungsführer eine Summe von ca. 600 ^ unterschlug und damit entfloh, ist nach hier gelangter Nachricht in Königsberg festgenommen worden. Ein vor seiner Flucht hier gekaufter Anzug, der in seinem Signalement genau bezeichnet werden konnte, hat zu seiner Ermittlung geführt.
Schwaikheim, 14. Nov. Gestern Abend ereignete sich auf dem hiesigen Bahnhofe ein bedauerlicher Unglücksfall. Der Bauer Friedrich Schwarz begleitete seinen Schwager, der auf der Kirchweihe hier war und mit dem letzten Zuge um halb 11 Uhr abreiste. Schwarz übergab seinem Schwager ein Packet durch das Wagenfenster, geriet dabei unter die Räder, sodaß der ganze Zug über ihn hinweg- ging und er in gräßlicher Weise verstümmelt wurde.
Tübingen, 14. Nov. Gestern mittag, als der Sruttgarter Zug auf dem Bahnhof einfuhr, ereignete sich ein schweres Unglück. Ein Mann stieg aus so lange der Zug noch in Bewegung war und kam unter einen Wagen, wobei ihm rin Fuß abgefahren wurde. Der Verletzte wurde sofort in die chirurgische Klimk verbracht.
Balingen, 15. Nov. Als am letzten Samstag der um 8 Uhr abends von hier abfahrende Güter zug auf der Station Bisingen angslangt war und die Lokomotive Rangiennanöver ausführte, kamen die stehen gebliebenen 20 Wagen plötzlich, ehe das Zugpersonal es recht merkte, rückwärts in Bewegung und fuhren in rasendem Laufe Balingen zu. Es wurden nun Alarmsignale gegeben, damit die auf dem Balinger Bahnhofe stehenden Wagen noch rechtzeitig weggeschafft werden könnten; ein Zug war glücklicherweise nicht unterwegs, sonst wäre unabsehbares Unglück geschehen. Unterhalb des Bahnhofes kamen die Wagen bei der ziemlich starken Steigung in ein langsameres Tempo, wodurch es möglich war, den Zug zum Halten zu bringen. Schaden entstand nicht.
ck. Ebingen, 13. Nov. Der Ortsverein deS evangelischen Bundes veranstaltete heute eine Lutherfeier; welche um 3 Uhr in der dichtbesetzten Turnhalle begann, mit dem Gesang: „Ein feste Burg", in würdiger Weise begleitet von dem Posaunenchor. Dann hielt Stadtpfarrer Keller eine warme Begrüßungsansprache, in welcher er aus- führte, wie unsere Zeit schnell lebe und schnell vergesse und deshalb eS ein Bedürfnis sei, uns, waS wir dem Gottesmann Luther verdanken, nicht nur an Jubiläen, sondern öfters wieder ins Gedächtnis zu rufen. Nach dem erhebenden Gesang des Kirchenchors begann Professor vr. Hie brr von Stuttgart seine Festrede über das Thema: „Luther als deutscher Mann", und legte in feurigen, begeisterten Worten aus, daß Luther wie kein 2. nach ihm mit dem deutschen Volk tief empfunden und seinen Charakter verstanden Hobe, daß er uns die deutsche Sprache, deutsches Kirchenlied, deutsches evang. Pfarrhaus und vor allem die deutsche Bibel gegeben habe, und er
uns trotz den Verleumdungen von kath. Seite groß in seinem Denken und Thun und verchrungswürdig dastehe. O berlehrer Streich trug hierauf ein schönes, das Leben Luthers beschreibendes selbstversaßtes Gedicht vor. Pfarrer Stapf von Truchtelfingen führte in seinem ansprechenden Schlußwort einige Beispiele, an, in welcher Weise von kath. Zeitungen über unsern Luther geschrieben werde, wie wir doch gut im Frieden Zusammenleben könnten und wollten; stets aber eingedenk bleiben sollen des Segens, den wir Luther verdanken. Nachdem noch Stadtpfarrer Keller den verehrten Rednern, dem Kirchen- und Posaumnchor gedankt und die Versammlung den letzten Vers unseres Lutherliedes gesungen hatte, schloß die Feier, welche als eine äußerst gelungene bezeichnet werden kann.
Vom Bodensee, 13. Nov. Gestern vormittag erlitt das württembergische Dampfboot „Möm- pelgard", welches den Kurs von Rorschach nach Friedrichshafen ausführen sollte» einen mißlichen Unfall. Beim Verlassen des Hafens in Rorschach wurde die Verpackung des Mannlochs am Kessel defekt und und mußte der Dampfer deshalb seine Fahrt einstellen. Da die Entleerung des Dampfkessels längere Zeit beanspruchte, fiel der Kurs nach Friedrichshofen ganz aus und wurden die Passagiere mit der Nordostbahn über Romanshorn befördert.
Neuwied, 14. Nov. Gestern Morgen von 8'/- Uhr an brachte, wie der Neuw. Ztg. zu entnehmen, dis Kapelle des Jnf.-Regts. v. Göden aus Koblenz dem Neuvermählten Erbprinzlichen Paar ein Morgenständchen vor dem Schlosse. Unter den oorgetragenen Musikstücken befand sich auch der im Verlags des Herrn Fritz Bertram hier erschienene Fefimarsch: „Am Neckar, am Rhein." Am Tage zuvor hatte die Kapelle der Bonner Königshusaren dem gefeierten Pcare eine musikalische Huldigung dargebracht. — Die gesammte fürstliche Familie besuchte nebst Gefolge heute Vormittag den Hauptgottesdienst in der cpang. Kirche. Pfarrer Lohmann, der s. Z. den Erbprinzen Friedrich getauft und kon- firmirt hat, predigte über das Schriftwort; „Die Liebe glaubt Alles, sie hofft Alles, sie duldet Alles!" Am Schluß der Predigt wandte sich der Pfarrer mit Segenswünschen an die hohen Neuvermählten. — Nachmittags von 5'/- Uhr ab fand in der mit Grün und Wappenschildern geschmückten Wagenhalle eine Aufführung lebender Bilder statt. Hiezu waren zahlreiche Einladungen ergangen. Beim Erscheinen der fürstlichen Familie und deren hohen Gäste erhoben sich die Anwesenden, während die Musik der Ouvertüre „Die Weihe des Hauses" von Beethoven spielte. Hierauf begann die Aufführung. Eine Dame, welche die Geschichte darstellie, sprach einen Prolog und dann zu jedem der gestellten Bilder den erklärenden Text. Die Bedeutung der Bilder war folgende: 1. Bild: Krönung Kaiser Barbarossas durch den Erzbischof Arnold von Köln, Grafen zu Wied, im Aachener Dom. 1152. 2. Bild: Herzog Ernst von Schwaben auf einer Nheinfahrt. 1030. 3. Bild: Graf Eberhard von Württemberg und die Könige von Heimsen. 1367. 4. Bild: Heimführung der
Gräfin Walburgis von Bentheim durch den Grafen Hermann I. zu Wied. 1576. 5. Bild: Einzug
Wilhelms III von Oranien als Statthalter der vereinigten Niederlande in Amsterdam. 1672. 6.
(Schluß-) Bild: Huldigung der Kinder an das hohe Neuvermählte Paar. Di« Bilder waren prachtvoll und ihre Wirkung großartig; sie wurden mit lebhaftem Beifall ausgenommen. Nach vem 3. Bilde trat eine größere Pause ein, während der di« Besucher an den Buffets eine Erfrischung zu sich nahmen. Nach beendigter Aufführung wurden die Herren und Damen, die in den lebenden Bildern mitgewirkt hatten, in ihren Kostümen den Herrschaften vorgestellt.
Köln, 14. Nov. Zur Orientreise des deutschen Kaisers schreibt die „Köln. Ztg.": Sultan Abdul Hamid hat das Beispiel einer großartigen und von Herzen kommenden Gastfreundschaft gegeben, die schwerlich je wird übertroffm werden können. Selbst in den einsamsten und entferntesten Gegenden, die vom Kaiser besucht worden sind, hat der Sultan es verstanden, den Aufenthalt zu erleichtern und bequem zu machen. Diese Aufmerksamkeit beruht auf der berechtigten Ueberzeugung des Sultans, daß der Kaiser sein uneigennützigster Freund ist, daß dem deutschen Reiche nichts lieber sein kann, als eine neue wirtschaftliche Blüte des ausgedehnten Reiches, und daß dem deutschen Reiche nichts näher liegt, als die darauf hinzielenden Werke des Friedens und der wirtschaftlichen Entwicklung mit allem Nachdruck zu unterstützen.
Berlin, 14. Nov. Das Programm für die Rückfahrt des Kaiserpaares ist nunmehr festgestellt. Heute früh um 4 Uhr passirte dis Hohen- zollern Canca, morgen trifft sie in Malta ein, wo Kohlen eingenommen werden, am 17. ds. wird in Cagliari angelegt zur Entgegennahme der Depeschen- Sendungen, am 18. in Port Mahon zu gleichem Zweck und am 19. in Cartagena. Am 20. ds. legt die Hohenzollern in Cadiz an zur abermaligen Erneuerung des Kohlen-Vorrates. Die nächsten Stationen sind: Vigo (22.) Dartmouth (24.) Portsmouths (24.) und Dover (25.) wo überall Depeschen entgegengenommen werden.
Berlin, 14. Nov. Die Vossische Zeitung meldet aus London: Der Afrika-Dampfer Niger brachte nach Liverpool die Meldung, daß in Kamerun Vorbereitungen für einen wichtigen Zug in das Innere unter dem Befehl deS Gouverneurs v. Puttkammer und von Carnap getroffen werden. (Voraussichtlich handelt es sich um die geplante Expedition in das obere Shanga-Gebiet im Südosten Kameruns.)
Genf, 14. Nov. Luccheni hat gegen da« Urteil des Schwurgerichts das Kaffationsbegehren eingereicht.
Paris, 15. Nov. Dem Soir zufolge ist das gestrige Zeugen-Verhör der Generale Zurlinden und Chanoine von größter Wichtigkeit gewesen. Zurlinden soll in ausführlicher Weise dargelegt haben, wie man ouf die Schuld DreyfuS gekommen sei und auch Chanoine soll erklärt haben, daß er nach wie vor von der Schuld Dreyfus Überzeugt sei. Der Inhalt deS geheimen Dossier sei solcher Natur, daß durch die Veröffentlichungen desselben die Beziehungen mit den fremden Mächten cowpromittirt würden. Heute Nachmittag sollen der frühere Präsident der Republik, Casimir Perier, Minister-Präsident Dupuy und Capitän Lebrun Renault vernommen werden.
Paris, 15. Nov. Eine Note der Agentur Havas besagt: Der Kossationshvf, der seine Entscheidung dahin getroffen hatte, daß bis jetzt die Strafe, die Dreyfus verbüßt, keiner Aenderung
wähnte. Jung, schön und mit einer vornehmen Dame verlobt, die ihm Millionen zubrachte — worüber sollte er da auch klagen — ? „Er," sagte sie sich gleich darauf, einem anderen Gedankengang folgend, „dessen Blick heute zum erstenmal auf ihr geruht hatte, trotzdem sie bereits wochenlang unter einem Dache mit ihm lebte. Hochmütiger," flüsterte sie nun zornig. „O, wenn Du eine Ahnung hättest, daß ich Dir verwandt bin — Deine Großmutter auch die meine gewesen ist!"
Droben war das Spiel mit einer schrillen Disharmonie abgebrochen worden — wie Schmerzensschrei aus tiefgequältem Herzen klang der Endaccord. Elinor schloß das Fenster wieder und trat in das Stübchen zurück. Aber nicht um sich zur Ruhe zu begeben, trotzdem Mitternacht längst vorüber war. Sie mußte ja erst die kleine Stickerei für die Cigarrcntasche Graf Rudolfsburg des Jüngeren vollenden. Während sie dann eifrig Stich an Stich reihte, jagten sich die Gedanken wechselvoll in ihrem Hirn. Zuerst dachte sie nur mit Scham und Schmerz daran, welches Elend ihr Vater auch über den Mann gebracht, für den sie jetzt schaffte. Graf Waldemar war zum Krüppel geworden — durch die Hand Erich von Rungens. Sie wußte es erst seit Stunden und es war ihr, als hätte sie nun zu dem Unglücklichen eilen müssen, um auf ihren Knieen abzubitten, was ihm der Vater gethan. Aber Graf Waldemar befand sich ja schon fest längerer Zeit mit seinem ältere» Bruder an der Riviera — weit fort von hier — wo sie bangte und litt. — Ein leises Stöhnen entrang sich der Brust des Mädchens. Selbstquälerisch wiederholte sie sich nun noch einmal die Erzählung Madame Werners. Dann dachte sie wieder an Lieutenant von Hinzow und sein seltsames Spiel von vorhin. „Ob er doch nicht so glücklich ist, wie ich meinte?" fragte sie sich darauf. . .
Es war sonderbar: trotzdem Leonhard noch nicht ein Wort mit der^steuen
Mamsell gewechselt, von deren Pseudonym er keine Ahnung hatte, trotzdem er das junge Mädchen heute eigentlich zum erstenmal wirklich gesehen hatte, fühlte Elinor doch von vornherein ganz besonders für ihn Interesse. Freilich sagte sich das anmutige, im Elternhause durch Liebe verhätschelte Kind, daß dies Interesse nur auf der Empörung beruhe, die sie empfand — ob seiner Nichtachtung der Menschen, welche unter ihm standen. Aber sie dachte doch stets von neuem an ihn, der sie bis heute so ganz übersehen. — Freilich, dis Gräfin hatte es auch einzurichten gewußt, daß er nie mit ihr in den Gemächern des oberen Stockwerks zusamentraf, bis der Zufall heute doch vollbracht hatte, was Clarissa von Rudolfsburg durchaus vermeiden wollte.
„Warum — weshalb?" fragte das Mädchen sich jetzt. „Fürchtete die Gräfin, daß der Neffe eine gewisse Familienähnlichkeit an der „neuen Mamsell" entdecken könnte? — Vielleicht hatte Clarissa von Rudolfsburg auch andere Gründe, das arme geplagte Opfer ihres Hasses nicht mit dem geliebten Neffe» bekannt werden zu lassen. . . ." Elinor seufzte von neuem. Dann aber flüsterte sie, wieder ihren vorigen Gedanken folgend: „Doch, was war es nur, was ihn spielen ließ, wie er vorhin gespielt hat?! Ob er sich mit seiner schönen Braut erzürnte?! Er kam der Gräfin so unerwartet — so erschreckend früh nach Hause. — Aber was kümmert mich alles das," unterbrach sie sich nun wieder zornig — „was geht mich dieser Mann an, der vielleicht außer sich geriete, wenn er wüßte, die Bedienstete seiner Tante sei — eine Cousine von ihm? Ja, was geht er mich an?" rief sie wiederholt, und jetzt klangen ihre Worte laut in das stille Stübchen hinein. Leiser aber und mit blitzenden Augen setzte sie hinzu: „Ich hasse ihn-ja, wahrhaftig, ich hasse ihn!" (Forts, folgt.)
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