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Miszellen.
Der verhängnißvolle Brief.
(Fortsetzung.)
In dem Comptoir, wo Waldncr bis jetzt Unterkunft gesunden, war zur Zeit Alles in größter Aufregung. Das gesammte Personal hatte sich in der Kaffe um den Herrn Buchhalter Mccrmann versammelt. Zu diesem war nämlich der Briefträger Meusel, der auch für dies Haus die Briefe brachte, gleich nach beendigtem Verhör gegangen und hatte ihm lang und breit den Verlauf der Verhandlung mitgetheilt, und daß Waldner schließlich der Unterschlagung des Briefes verdächtig — nach Meusel'S Meinung schon vollständig überführt — im Arresthause eingesperrt worden sei. Der Mann, welcher die Schwächen und Talente des Herrn Meermann wohl genau kannte, hatte ganz richtig geschloffen, daß er an ihm und seiner Redseligkeit gewichtige Vcrtheidigcr haben werde. Und er hatte sich auch durchaus nicht geirrt! Nachdem der Herr Buchhalter die wichtige, höchst merkwürdige Nachricht empfangen, der alte Meusel sich wieder entfernt hatte, berief er das gesammte Comptoirpersonal um sich und theilte diesem in breiter kräftiger und gar wohlgesctzter Rede das Vorgefallcne mit, wobei er nicht unterließ, seine eigene unmaßgebliche Meinung dahin auszusprechen, daß eS nunmehr gar keinem Zweifel unterliege, daß Waldner den Brief behalten. Besonders und am lautesten sprächen hierfür die in seinem Besitz gewesenen vielen Goldstücke, deren Erwerb er auf eine so unwahrscheinliche Weise angegeben. Die Versuchung sei aber auch für ihn, den armen, bis über die Ohren im Vorschuß steckenden Mann gar zu groß gewesen, als daß er ihr siegreich habe widerstehen können, und er deßhalb wohl in etwas zu entschuldigen sein dürfte. Unbegreiflich bleibe cS nur immer, daß er nach begangener That selbst den wirklichen Eigenthümer des Geldes, die Gerichte auf die Spur des Verbrechens gebracht, und nachdem er diese Unklugheit einmal begangen, noch die weitere begehe, Alles, sogar das Allerwahrscheinlichste zu leugnen. Er habe sogar angegeben, so schloß er seine Rede mit schlecht verhehltem spöttischen Lächeln, daß er die Banknoten nicht gezählt, nicht einmal näher angesehen, den Brief, nicht einmal die Unterschrift desselben, den Namen des Schreibers und Absenders gelesen. Und dies sei doch etwas gar zu stark, gar zu unglaublich und müsse ihn überführen, ihm den Hals brechen.
Das Comptoirpcrsonal nickte der Rede des Gewaltigen Beifall und Zustimmung zu; es war da Keiner, der cs gewagt hätte, nur entfernt anderer Meinung als der Herr Buchhalter zu sein, obschon einige der Herren im Herzen, aber ganz insgeheim, nicht so vollständig von der Schuld ihres armen Collegcn überzeugt sein mochten als der Mann, der sich stets den Freund des Unglücklichen genannt und, wenn auch mit etwas stark hervortrctender Protectormiene, als solcher gederdet hatte.
Noch lange hätte Herr Meermann zur Erbauung seiner Collcgen — vielleicht auch zu ihrer Langeweile — fortgcredet, moralisirt und gesprochen, wenn er nicht
plötzlich durch einen Diener zu dem Herrn Principal deschieden worden wäre- Es sei ein Brief von Waldner aus dem Arresthanse angclangt, hieß es, und der Principal wünsche sich über den Inhalt desselben mit dem Herrn Buchhalter zu besprechen.
Mit recht vergnügtem Schmunzeln, so er mühsam unter einer ernsten, theilnehmenden Miene zu verbergen suchte, eilte Herr Meermann in die Wohnung seines Chefs. Wie mag er sich innerlich gefreut haben! erwartete ihn doch neues und sicher wichtiges und interessantes Material zu neuen Reden und Vorträgen heute Abend im Club und in seinem Stammgasthofel
Wir wollen zur Ehre des sonst ganz wackern Mannes gerne annehmen, daß die Triebfeder seines derartigen Denkens und Handelns mehr eine Schwäche für seine Rednergelüste, denn wirkliche Freude an dem Unglück seines College» und Freundes war.
Nachdem Frau Waldner sich in etwas von dem furchtbaren Schlage, der sie betroffen, erholt, die weinenden Kinder so gut sie vermochte beruhigt, hatte sie mit diesen den schweren Gang nach dem Arresthaufe, zum Vater anzetrcten. Eine mitleidige Seele im Hause hatte es gerne übernommen, über den kleinen Säugling bis zur Zurückkunft der Mutter zu wachen. An dem fatalen Orte angckommen, bedeutete sie der Schließer und Verwalter achselzuckend, daß er ohne vorherige Erlaubniß des Herrn Untersuchungsrichters Niemanden zu irgend einem der Gefangenen lassen könne. Als er aber vernommen, daß eine solche Erlaubniß für Frau Waldncr sicher anlangcn würde, führte er die Familie in ein kleines Zimmerchen, daselbst die Ankunst des Gerichisboten abzuwarten. Die nackten, kahlen Wände, die ärmliche Ausstattung des Gemaches und mehr noch das stark vergitterte Fenster, die dumpfe, kalte Lust, die den Raum erfüllte, waren wohl geeignet, an den Ort, wo man sich befinde, zu mahnen und auf einen Besuch der Gefängnisse selbst vorzubereiten. DaS Hirz der armen Frau zog sich unter dem Einflüsse des traurigen Aufenthalts krampfhaft zusammen, und auch die Kinder, die nicht wußten, um was es sich handelte, die die Größe ihres Unglücks auch nicht wohl fassen konnten, drängten sich ängstlich und furchtsam an die leise weinende Mutter heran. Minuten um Minuten vergingen, die der Wartenden Ewigkeiten blinkten, und noch immer wollte der Gerichtsdiener nicht kommen. Endlich, wohl nach einer Stunde peinlichsten, trostlosen Wartens, erschien der alte Diener mit fast glühendem Gesicht. Er hatte den Herrn Richter erst mit vieler Mühe, nach langem Laufen und Suchen treffen und sprechen können und dieser ihm denn auch sofort den schriftlichen Befehl zum Einlaß der Frau Waldner in die Zelle ihres Mannes ausgestellt. Jedoch hatte er die Bedingung daran knüpfen müssen, daß die Unterredung der beiden Gatten nur vor einem Zeugen stattfindcn dürfe. So schonend als möglich theilte der Mann dieses Frau Waldner mit und forderte sie dann auf, ihm und dem Schließer zu folgen.
(Fortsetzung folgt.)
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