Beilage zum Enzthälee Ne. 8.

Samstag den 25. Januar 1862.

Miszellen.

Gellert's lezte Weihnachten.

(Fortsezung.)

Der Bauer steckte ein Licht in die Laterne, ging hinab in den Stall, schüttete den Pferden Futter auf und sezte sich dann auf den Futtertrog, und die Hände zwischen die Kniee geklemmt, gesenkten Kopfes, dacht» er immer wieder darüber nach, welch' ein elendes Leben er eigentlich habe- Warum haben's viele Men­schen so gut, so ruhig, und du mußt dich plagen? Was geht's mich an, daß Neid eine Untugend ist? Und ich bin gar nicht neidisch, ich gönne ja Anderen, daß sie es gut haben; nur möchte ich's auch haben: «in ruhiges stilles Leben. Hab' ichs' nicht schlimmer als ein Pferd? Das kriegt zur rechten Zeit sein Futter und hat nicht dafür zu sorgen. Warum hat mein Vater meinen Bruder Pfarrer werden lassen? Der hat seine ruhige Besoldung, fizt in der warmen Stube läßt Gott einen guten Mann sepn, und ich muß mich schinden und plagen.

Seltsam! von dem eigentlich nächsten Gedanken, daß er gerne Ortsrichter geworden wäre, wollte er sich nichts gestehen.

Er saß lange still, dann ging er wiederum^hinauf in die Stube an der Küche vorbei, wo das Feuer lu- stig brannte. Er sezte sich an den Tisch und wartete auf die Morgensuppe. Auf dem Tisch lag ein offenes Buch, die Kinder hatten noch am gestrigen Abend darin gelesen; unwillkürlich nahm er es vor und las darin. Plözlich stand er auf, rieb sich die Augen und las noch­mals. Wie kommt der Spruch gerade jezt? Cr hielt die Hand auf das Buch und so leicht waren ihm die Worte eingegangen, daß er sie mit den Lippen leise vor sich hin sprach und er niste mehrmals, wie wenn er sagen wollte: Wahr ist'S ! Und laut sagte er:Da ist Alles bei einander, kurz und klein." Und noch starrte er drein, da brachte die Frau die dampfende Suppe, er zog die Müze ab, faltete die Hände und sprach laut:

»Genieße, was dir Gott beschieden.

Entbehre gern, was du nicht hast:

Ein jeder Stand hat seinen Frieden,

Ein jeder Stand hat seine Last."

Die Frau sah den Mann verwundert an. Welch ein seltsamer Ausdruck lag i» seinem Gesichte! Und als er sich nicdersezte und, sagte sie:Aber was ist denn das für ein Gebet? Was machst du? Wie kommst du dazu?»

«Das.beste Gebet ist das. das beste, ein wahres GotteSwort. Ja, und so gut hast du dein Lebtag noch keine Suppe gemacht. Du mußt was Besonderes drein gethan haben."

»Zch verstehe dich nicht. Halt, da liegt das Buch, da steht's, und das ist von dem Geliert in Leipzig."

»Was? Geliert in Leipzig? Menschen, die so was so fassen können, die gibt's nicht mehr, die hat's vor tausend Jahren gegeben in heiligen Ländern, bei uns nicht; das ist ein Wort von einem alten Heiligen."

-Und ich sage dir, es ist von dem Geliert, d«» dem dein Bruder erzählt hat; er ist ja sein Lehrer gewesen, und hast du nicht gehört, wie fromm und gut er ist?»

-Jch hätte nicht geglaubt, daß eS noch solch» Men» scheu gibt und noch so nahe bei uns, da in Leipzig."

Ja, aber die vor tausend Jahren gelebt haben, waren doch auch einmal lebendig« Menschen, und über Leipzig ist derselbe Himmel vnd scheint dieselbe Sonne und regiert derselbe Gott, wie über alle andern Städte.»

Ja, ja, an dir hat mein Bruder eine gelehrige Schülerin!"

Warum nicht? Ich habe Alles behalten, was er von dem Professor Geliert erzählt hat.«

Professor?"

Ein Mann, der solch einen stolzen, neumodischen Titel hat, der kann nicht so was machen."

Er bat sich den Titel nicht selber gegeben, und er ist arm genug dabei, und wir hart ist« ihm gegangen l Er hat schon von Kindheit an die Armuth gekannt; sein Vater war ein armer Pastor in Hapnichen von dreizehn Kindern und Geliert hat als kleiner Junge im Amte Abschreiber sepn müssen; wer weiß, ob er sich nicht da seinen kranken Körper geholt -atl Und jezt, da er ein alter Mann ist, will's ihm immer noch nicht besser gehen; er har oft lein Holz und muß frieren- ES geht ihm vielleicht auch wie jenem Studenten, von dem dein Bruder erzählt hat: der ist blutarm und muß doch studiren, und da bleibt er im Winter weit in den Tag hinein mit hunrigem Magen im Bett liegen und hat sein Buch vor sich, und bald thut er die eine Hand herauf, um das Buch zu halten, und wenn die pelzig kalt ist. wieder die andere. Acht es ist gar nicht zu sagen, wie armselig der Mann leben muß, und dein Bruder hat mir auch erzählt, wenn er snur ein paar Thalcr hat, denkt er gar nicht an sich, er sucht immer Einen, der noch ärmer ist als er, und da schenkt er Alles weg und hilft und sorgt. Ach Gott! Und er ist so arm! Wer weißt, ob er in dieser Stunde nicht hun­gert und friert, und er soll auch noch dazu kränklich sepn.»

Frau, dem Mann möcht' ich was Gutes thun wenn ich nur was könnte. Wenn er nur Aecker hätte ich wollte sie ihm acht Tage lang umackern und ansäen und schneiden und einthun und dreschen. Für den möcht' ich was Rechtes thun, so was, daß er'S auch spürt, daß ihm Einer hilft. Aber er hat ein Geschäft, wo ich ihm nicht helfen kann."

So such' ihn roch auf und red' einmal mit ihm, du fährst ja heute mit dem Holz nach Leipzig. Such ihn auf und sag' ihm Dank; das thut ja einem Manne schon wohl. Es kann Jeder zu ihm kommen."

Ja, ja, ich möcht' ihn gern sehen und ihm die Hand geben, aber nicht die leere Hand. Wenn ich nur was hätte!"

Frag' deinen Bruder und laß dir ein Briefchen an ihn mitgcben."

Rein, nein, sage meinem Bruder nichts; aber eS könutedoch sep», daß ich ihm begegne. Gib mir meinen Sonntagsrock, er wird nicht vertragen unter dem Mantel."