Beilage zum GnzthSler Nr. ».

Samstag den ä. Januar 1862.

Miszellen.

Gellert's lezte Weihnachten.

(Von Berthold Auerbach.)

Es war am 22- Dezember 1768; eS hatte drei Uhr geschlagen, eben verhallte der lezte Ton der Glocke von der Nikolaikirche in Leipzig, da kam in einem Pelz gehüllt ein Mann äußerst milden AntlizeS aus dem Thore der Universttüt. Auf seinen Mienen lag eine Heiterkeit, denn er hatte in hundert heitere Gesichter gesehen; ihm nach drängte sich ein großer Trupp Stu­denten, aber sie hielten an und ließen den Mann vor- angehen;^die Begegnenden auf der Straßr grüßten, und einige Studenten, die vordrängten und an ihm vorbei nach Hause eilten, grüßten ebenfalls ehrerbietig. Der Mann dankte fast überrascht, wie ablehnend, und doch wußte er'S und konntelfich'S nicht verhehlen, daß er einer der Gelicbtesten nicht nur der guten Stadt Leipzig, sondern weit und breit in allen Landen war- Es war Christian Fürchtegott Geliert, der Dichter der Fabeln und Oden und Lieder, der eben aus seinem Colleg kam-

Wenn wir heuie die Vorträge über Moral lesen, die erst nach dem Tode Gellert's im Druck erschienen sind, so gewinnen wir nur einen sehr unvollständigen Begriff von jener mächtigen Wirkung, die sie unmittel­bar aus dem Munde Gellert's übten. Schon seine Stimme und der rührende Vortrag, mit dem er die Lehren gab, bewirkten einen tiefen Eindruck im Gcmüthe der Zuhörer, uud Rabener hatte Recht, wenn er dem Freunde schrieb, daß «die menschenfreundliche Stimme" Gellert's zu seinen Worten gehörte. Vor allem aber war es die liebenswürdige und reine Persönlichkeit Gellert's, die erweckend und erbaulich auf die jungen Gcmütber wirkte. Geliert selber war das beste Bei- spiel reiner Sittenlehre, und bas Beste, was der Leh- rer seinen Schülern gebe» kann, ist der Glaube an die SiegeSmacht und den Bestand der ewigen Sitlengeseze. Seine Lehren wurden zum Leben, weil sein Leben selber eine Lehre war. Mancher Sieg über die Noth deS Lebens, über Versuchungen aller Art, ja manche Er­hebung zu Edelsinn und reinem Thun hatte in jenem Hörsaale zu Füßen Gellerts Wurzeln gefaßt.

Es war, als ob Geliert fühlte, daß er diese Vor­lesungen zum lezten Male halten werde, daß diese Worte, die er so oft und eindringlich gesprochen, nim­mer wieder aus seinem Munde tönen würden; eine eigene Wrbmuth, aber auch eine eigene Kraft war in seinen Darlegungen.

Er hatte heute so nachdenklich Bescheidenheit und Demuth empfohlen, und cS schien ihm fast zuwider, daß man ihn wegen dieser Tugend jezt auf Schritt und- Tritt in Versuchung brachte; denn er hörte mehrmals Das ist Gellcrt!

Was ist Ruhm und Ehre? Ein Purpurkleid, kein wärmendes, deckendes, und jezt buchstäblich fror den Dahinwandelnden das HerzIim Leibe, denn er bekannte vor sich, daß er noch nichts gethan, nichts, was ihm das Gefühl wahrer Genugthuung geben könne. Die

Menschen ehrten und liebten ihu^aber was half da» Alles? sein innerstes Herz konnte sich nicht daran sätti­gen, er verdiente vor sich den Lobpreis nicht; und w», wo zeigt sich denn sichtbar die Wandlung der Gemüther die er bewirken möchte? Wieder wollie ihn der Geist trösten und ihm sagen- manches Samenkorn wird verweht, manches fällt auf den Felsen und manches auf fruchtbaren Boden und wird siebenfach vermehrt. Seine innerste Seele hörte den Trost nicht, denn sein Leib war krank und schwer belastet von Jugend auf und in lezter Zeit noch mehr als je. Und es gibt Zu- stände Ut.sereS Leibes, wo die erhabensten Worte, dir hellsten Freudenklänge nur dumvk, kalt und schwer in die Seele dringen. Es gehört zu den herbsten Erfahr­ungen des Lebens, wenn man erkennt, wie wenig eigent­lich ein Mensch;dem andern sepn kann. Wie jubelvoll ist jener jugendliche Fropmuth, der da glaubt, durch einen Gedanken, hinübergeleitet in das Herz des An­dern, diesen nun zu bestimmen, daß er anders werde, daß er dem nachlcbe, was er als das Wahre erkennen muß, und abthue alle bisherige Täuschung und umkehre von aller Jrrbahn. Da gehen die Jünglinge hin! Fol­gen ihnen deine Worte nach ? Wo gehen sic hin? Was denken sit jezt? Wie werden sie leben? Mein Herz drängt sich ihnen nach, aber es kann nicht^mit ihnen sepn. O wie glückselig waren jene Sendboten de- Geistes, die einem Jünglinge, einem Manne das Wort des Geistes zuriefen und er mußte seinen bisherigen Weg verlassen und war von Stund' an ein Anderer. Verzeih' o Gott, daß ich es ihnen gleich thun möchte; ich bin zu schwach und niedrig, und doch, mir ist's, als müsse es Worte geben, ungehörte, u »gekannte, wo sind sie, die die Seele unmittelbar fassen?

In solcherlei schweren Gedanken ging Geliert da­hin bis vor das Thor hinaus nach dem Rosenthale. Nur ein schmaler Fußsteig war gebahnt, aber die Be­gegnenden wichen ihm gerne aus und traten in den Schnee, um ihm den gebahnten Weg frei zu lassen; aber in sich war er traurig und es war ihm, «als ob jeder Baum ihm etwas vorzuwerfen hätte."

Wie alle Männer wahrhaft reinen und nur dem Guten dienenden StrebenS, so war Gellert nicht nur weit entfernt, sich an bereits Vollbrachtem genügen zu taffen; ja mitten im Drange, zu wirken, vergaß er es fast, daß er je schon etwas gewirkt, und so war er im besten Sinne des Wortes bescheiden, er begann mit jedem neuen Tage neu sein Thun, als ob er jezt zum ersten Male etwas zu leisten hätte. Und doch hätte er glücklich sepn dürfen im Gedanken, wie seine Hellen Stunden fortleuchteten, während sein eigenes Leben oft verdüstert war. Denn wie die Sonne, die am Sommer­tage scheint, als fest gesogene Wärme im Weine lebt, und wer weißt an welchem Orte, in welcher Winter­nacht rin Menschenherz erwärmt, so auch der Sonnen­blick im Leben eine« Mannes, dem es zum Berufe ge­worden, das im Geiste Empfangene für Andere festzu­halten. Ja, «S ist hier noch weit mehr; denn der Labe­trunk, der hier geboten wird, mindert sich nicht durch Taufende, die sich sein erfreuen.