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»Meinen Sie," unterbrach ihn der General, "daß er in offenem Gerichtshöfe erklärte, er habe absichtlich den Mann denuncirt, rer deßhalb vor Gericht stand, Weil er seine Mutter gerettet?»
»Ja, Ließ meine ich,» sagte Lomaque. (Alle An- wesenden drückten auf diese Antwort ihren Abscheu und ihre Entrüstung aus.) »Die Berichte des Tribunals find noch vorhanden, um die Wahrheit dessen, was ich sage, zu beweisen," fuhr er fort- »Was das glückliche Entrinnen des Bürgers Trudaine und der Frau Dan- Ville's von der Guillotine anbctriffl, lo war es das Werk politischer Verhältnisse, wie dieß hier lebende Personen beweisen können, wenn es nöthig erscheint; auch half eine kleine List von meiner Seile dazu, deren näherer Erwähnung es hier nicht bedarf. Und was endlich die Verborgenheit zanbetrifft, in welcher Tru- daine und seine Schwester, nachdem sie dem Tode glücklich entronnen, lebten, so erlaübe ich mir, Sie davon zu unterrichten, daß diese Verborgenheit von dem Augenblick aufhörte, wo wir von dem Kenntniß erhielten, was hier Vorgehen sollte; und daß sie bis auf diese Stunde nur als eine natürliche Vorsichtsmaßregel voin Bürger Trudaine beobachtet wurde. Aus gleichem Beweggründe haben wir eS auch vermieden, seine Schwester der Erschütterung und der Gefahr, hier gegenwärtig zu sepn, auSzusezcn. Welcher Mann von einem Funken Gefühl würde es gewagt haben, sie hierher zu führen, um solch' «inen Gatten wie diesen, wiederzusehen?»
Er sah sich um und deutete beim Schluß seiner Worte aus Danville. Bevor noch irgend einer im Zimmer eine Splbe sprechen konnte, lenkte der tiefe Klageruf: »Meine Gebieterin! meine theure, theure Gebieterin!» Aller Auge» auf den alten Dubois und dann auf Madame Danville.
Sie hatte sich gegen die Wand gelehnt, ehe Loma- que zu sprechen begann, doch jezt stand sie vollkommen aufrecht. Sie sprach weder ein Wort, noch bewegte fie sich. Sie zitterte so wenig, daß sich nicht einmal eins der leichten Bänder, die von ihrem in Unordnung gerathenen Kopspu; herabhingcn, bewegte. Der alte Dubois hatte sich auf seine Kniee an ihrer Seite niedergelassen, küßte ihre kalte rechte Hand und bemühte sich, sie in der seinigen zu erwärmen während er den trauern- den Ausruf: „O meine Gebieterin, meine theure Ge- bicterin!" wiederholte; doch sic schien nicht zu wissen, daß er sich in ihrer Nähe befinde. Nur als ihr Sohn einige Schritte gegen sie vortrat, schien sie Plözlich aus ihrem dumpfen Scclenschmerze zu erwachen. Sie er- hob langsam die eine Hand, die sic noch frei hakte, und winkte ihm zu, zurückzubleiben. Er gehorchte und versuchte zu sprechen. Sic winkte ihm wieder mit der Hand zu, und die entsezliche Ruhe auf ihrem Antliz begann zu weichen. Sie bewegte die Lippen ein wenig — fie sprach:
„Sie werden mich, Herr, zum lezten Male dadurch verpflichten, daß Sie schweigen. Sie und ich haben künftig nichts mit einander zu reden. Ich bin die Tochter eines edlen Geschlechts und die Wittwe eines Ehrenmannes. Sie sind ein Verräther und ein falscher Zeuge; eine Kreatur, von welcher sich alle aufrichtigen Männer und Frauen mit Verachtung abwcnden. Ich verläugne Sie- Oeffentlich — in Gegenwart dieser Herrn erkläre ich — ich habe keinen Sohn."
Sie wandte ihm den Rücken zu und, indem fie sich mit der formellen Etiquette der vergangenen Zeiten vor den übrigen Personen im Zimmer verbeugte, ging sie langsam und fest der Lhüre zu. Hier hielt sic an und sah sich um, doch gerade jezt verließ sie die erkünstelte Seelenstärke. Mit einem schwachen, unterdrü- ten Schrei griff sic nach der Hand des alten Dieners, der ihr noch immer treu zur Seite geblieben war; er fing sie in seinen Armen auf und ihr Haupt sank auf seine Schulter.
»Helft ihm!» rief der General den in der Nähe der Thüre stehenden Dienern zu. »Helft ihm, sie in das nächste Zimmer zu führen!»
Der alte Mann blickte argwöhnisch von seiner Herrin auf die Personen, die ihm bcistehen sollten. Mit einem plözlichcn Anfall von Eifersucht wies er sie zurück. »Nach Hause», ries er, „nach Hause soll fie gebracht werden, und ich werde für sie sorgen. Fort, Ihr da! — Niemand soll ihr Haupt halten außer Dubois. Die Treppe hinab! die Treppe hinab nach ihrem Wagen! Sie hat jezt Armand mehr, außer mir, und ich sage, sic soll nach Hause gebracht werden.»
Als die Thüre geschlossen war, trat General Ber- thelin zu Trudaine, der sich von dem Augenblicke an, in welchem Lomaque im Gesellschaftszimmer erschienen war, schweigend fern gehalten hatte.
„Ich muß Sie um Verzeihung bitten," sagte der alte Soldat, „daß ich Sie auch nur einen Augenblick in ungerechtem Verdacht gehabt habe. Meiner Tochter wegen bedaure ich es schmerzlich, daß wir uns nicht schon längst sahen; doch danke ich Ihnen nichtsdestoweniger auch dafür, daß Sie noch in der eilsten Stunde hergekommen sind.«
Während er dieß sprach, nahte sich ihm einer seiner Freunde, klopfte ihm ans die Schulter und sagte:
»Berthelin, darf sich denn dieser Schuft nun entfernen ?»
Der General wandte sich sofort um und bedeutete Danville mit verächtlichem Blicke, daß er ihm zur Thür« folgen solle. Als sie entfernt genug waren, um nicht gehört werden zu können, sagte er zu ihm:
»Von Ihrem Schwager sind sie als ein Schurke hingestellt und von ihrer Mutter als Lügner verläugnet worden. Diese haben ihre Pflicht gegen sic erfüllt, und es bleibt mir nur noch übrig, die meinige zu erfüllen. Wenn ein Mann unter falschen Vorwänden in das Haus eines andern kommt und den Ruf seiner Tochter blosstellt, so haben wir alte Soldaten ein kehr einfaches Mittel ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist jezt gerade drei Uhr; um fünf Uhr finden Sie mich und einen meiner Freunde —"
Er hielt einen Augenblick innc, sah sich vorsichtig um, flüsterte dann noch einige Worte Danville ins Ohr, riß die Thüre auf und deutete die Treppe hinab.
(Fortsezung folgt.)
Neuenbürg.
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R r a uz
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