Beilage znm Enzthäler Nro. 3L.
Miszellen.
Schwester Rose.
(Fortsezung )
Auf seinem Wege durch die Straßen begegnete der Hauptagent Lomaque einigen Freunden von der Polizei und wurde aufgchalten, so daß die Procedur, als er beim Revolutions-Tribunal ankam, eben beginnen sollte. DaS Hauptmöbel in der Justiz-Halle bestand aus einem langen plumpen Tisch mit grünem Wollen- zcug bedeckt. Am oberen Ende desselben saßen der Präsident und sein Gerichtshof, die Hüte auf den Kopsen, und binler ihnen befand sich eine Anzahl Pa> tristen, die dienstlich in verschiedener Weise bei den Proeeduren, die eben stattfinden sollten, betheiligt waren. Vor der Vorderseite de« Tisches befand sich ein abgespcrrter Plaz für das Publikum, und über diesem Plaze war eine Galerie, die mcistentheils von Frauen eingenominen wurde, die hier saßen, und sich so ruhig mit Nähereien beschäftigten, als ob sie zu Hause wären. Parallel mit dem Tische, aber am entferntesten von der großen Eingangsthüre, war eine andere, mit einem Gitter umgebene Plattform, auf welcher sich sezt die Gefangenen, von der Wache gehütet, versammelten, um auf ihren Prozeß zu warten. Freundlich schien die Sonne durch ein hohes Fenster und die Halle durchdrang das Gemurmel der mit einander sich unterhaltenden Anwesenden, als Lomaque eintrat. Er war hier wie im Gefängnisse ein privilegirter Mann, und war durch eine geheime Thüre cingetrcten, so daß er bei der Plattform vorbei- und um sie herumgehcn mußte, ehe er auf einen Plaz hinter dem Stuhle des Präsidenten gelangen konnte. Trudaine stand mit seiner Schwester ganz am Ende der Gruppe und nickte bedeutungsvoll, als ihn Lomaque auf einen Augenblick ansah. Er hatte auf dem Wege nach dem Tribunal Gelegenheit gefunden, das Papier, welches ihm der Hauptpolizeiagent in die Cravatte gesteckt, durchzulescn. Es enthielt folgende Zeilen: --So eben habe ich auf das Bestimmteste erfahren, wer der Bürger und die Bürgerin Dubais eigentlich sind. Sie haben keine andere Wahl, als Alles offen zu gestehen. Hierdurch werden Sie einen gewissen Bürger, der eine höhere Stellung cinnimmt, in die Sache mitverwickcln und es ihm, wenn er sein eigenes Leben liebt, zur Pflicht machen, Ihr Leben und das Ihrer Schwester zu retten.«
Angekommcn hinter dem Stuhle des Präsidenten, fand Lomaque seine beiden treuen Untergebenen, Ma- gloire und Picard, die sich unter den versammelten patriotischen Beamten befanden, um Zeugniß abzulegen. Nicht weit von ihnen, gegen die Wand gelehnt, von Niemanden angeredet und zu Keinem sprechend, stand der Intendant Danville. Zweifel und Ungewißheit waren in jedem Zuge seines Antlizcs zu lesen, und der finstere Unmuth seines unruhigen Geistes offenbarte sich in jeder unbedeutenden Bewegung, selbst in der Art und Weise, wie er von Zeit zu Zeit mit dem Taschcn- tuche über seine Stirn fuhr, auf welcher sich bereits starker Schweiß ansammelte.
«Ruhe!« rief der Gerichtsbote, ein Mann mit einer rauhen, heiseren Stimme in Stulpenstiefeln, einen mächtigen Säbel an seiner Seite und einen gewaltigen Stock in seiner Hand. --Ruhe für den Bürger-Präsidenten!-- wiederholte er und schlug mit seinem Stocke auf den Tisch.
Der Präsident erhob sich, erklärte, daß die Sizung des Tages begonnen habe, und ließ sich wieder nieder. Die momentane Ruhe, welche jezt eintrat, wurde durch eine plözliche Verwirrung unter den Gefangenen auf der Plattform unterbrochen. Zwei von der Wache sprangen unter sie. Man hörte das dumpfe Geräusch eines schweren Falles und einen Schrei des EntsezcnS von einigen weiblichen Gefangenen und dann trat wieder Todtenstille ein, die unterbrochen wurde von einem der Wachthabenden, der, ein blutiges Messer in seiner Hand, durch die Halle ging und dasselbe auf den Tisch niederlegte.
«Bürger-Präsident", sagte er, „ich habe zu berichten, daß einer der Gefangenen sich so eben erstochen hat."
Die weiblichen Zuschauer stiesten den unwilligen Ausruf aus: „Ist des Alle«!" und beschäftigten sich wieder mit der Arbeit. Selbstmord in der Justiz-Halle war unter der Schreckensherrschaft ein gewöbnliche- Ereigniß.
«Name?-- fragte der Präsident, ergriff ruhig seine Feder und schlug ein Buch auf.
„Martignö", antwortete der buckelige Gcfängniß- wärtcr, indem er vorwärts an den Tisch trat.
--Beschreibung der Person?"
»Erropalistischcr Wagensabrikant bei dem Tyrannen Capet.«
»Anklage?"
«Der Verschwörung im Gesängniffe."
Der Präsident nickte mit dem Kopfe und trug in das Buch ein: «Martignö, Wagenfabrikant. Angeklagt der Verschwörung im Gefängnisse, dem Laufe des Gesezes durch Selbstmord vorgcgriffen. Oie Tbat angenommen als hinreichendes Bekenntniß der Schuld. Güter zu confiscircn. t. Thermidor, im zweiten Jahre der Republick.«
.-Nuhig!» rief der Mann mit dem Stocke, als der Präsident auf das, was er geschrieben, etwas Sand streute, das Buch zu machte und dem Gefanqnißwärtcr ein Zeichen gab, den Leichnam fortzuichaff.n.
»Liegen diesen Morgen speeielle Fälle vor?" nahm der Präsident wieder das Wort und sah hinter sich aus die dort versammelte Gruppe.
»Ein einziger", sagte Lomaque, indem er sich an den Stuhl des Präsidenten drängte. „Würde es Ihnen paffend sepn, Bürger, die Sache Louis Trudaines und Rose Danvillcs zuerst vorzunehmen? Zwei meiner Leute werden hier als Zeugen zurückgchalten und ihre Zeit ist kostbar für die Rcpublik."
Dcr Präsident machte in einem Namensverzeich- niffe, das vor ihm lag, bei dem Namen Trudaine und Rose Danville die Ziffern eins und zwei und händigte sie dem Ausrufer ein.