Berlage znm Enzthäler Nro.
3 «.
Miszellen.
Schwester Rose.
(Fortsezung.)
Trudaine blickte die Schwester mit bcsorgtem Auge an.
»Den Diener entlasten —" wiederholte er in leisem Tone, „um mich von ihm aus Rache gleich den ersten Abend, wo er in seine Sektion gebt, denunciren zu lasten. Du vergißt, dag Diener und Herren iezt gleich sind. Ich darf mir nicht anmaßen, einen Diener zu halten. Ich babe einen Bürger, der bei mir wohnt und meine häuslichen Angelegenheiten besorgt und dem ich, ans Erkenntlichkeit dafür, Geld gebe. Nein, nein! wenn ich etwas tdun kann, so muß ich versuchen, ob ich ihn nicht auf etwas ertappe» kann, das mich warnt. Doch wir beschäftigen uns schon wieder mit diesem traurigen Gegenstand — wollen wir nicht zu einem anderen Thema übergehen? Du findest auf jenem Tische in der Ecke dort ein Buch — sage mir, was Du davon hältst."
Das Buch war ein Exemplar von CorneilleS Cid. Nose war ganz entzückt darüber.
„Ich fand es gestern in einem Buchladcn", sagte ihr Bruder, und kaufte cs für Dich als Geschenk. Corneille ist keiner von den Schriftstellern, die einen selbst in diesen Zeiten in Gefahr bringen können. Erinnerst Du Dich noch, wie Du einst sagtest, daß Du Dich eigentlich schämtest, nur wenig mit unserem größten dramatischen Dichter bekannt zu seyn?"
Nose erinnert sich dessen wohl und ein heiteres Lächeln, wie einst in vergangenen Tagen, -flog über ihr A.ntltz.
„Bor jedem Akte befinden sich auch einige gute Kupferstiche", fuhr Trudaine fort, indem er ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Illustrationen lenkte, dann verließ erste plözlich, als er sah, daß sie dieselben mit großem Interesse betrachtete.
Er ging zum Fenster — er horchte — zog darauf die Vorhänge bei Seite und blickte hierhin und dorthin die Straße entlang. Keine lebende Seele war zu sehen.
„Ich muß mich geirrt haben", dachte er, indem er rasch zu seiner Schwester zurückkehne, „in der That, ich bildete mir ein, ich sey heute auf meinem Spaziergang« von einem Spion verfolgt worden."
„Ich bin neugierig", fragte Nose, immer noch mit dem Buche beschäfiigt, "ich bin neugierig, ob mir mein Mann erlauben wird, mit Dir den Cid zu sehen, wenn er das nächste Mal aufgeführt wird?«
„Nein!" rief eine Stimme an der Thür; »nein, selbst wenn Du ihn auf Deinen Knien darum bätest!"
Rose wandte sich mit einem Schrei des Entsezens um. Ihr Mann stand auf der Schwelle, seinen Hut auf dem Kopfe und seine Hände in den Taschen und sah sie mit finsterem Blicke an. Der Diener Trudaines meldete ihn mit frechem Lächeln während der kurzen Pause, die nun folgte, an.
„Bürger-Intendant Danville, um die Bürgerin, seine Frau, zu besuchen«, sagte der Schnrke, indem er sich vor seinem Herrn in höhnischer Weise verbeugte.
Rose blickte auf ihren Bruder, dann ging sie einige: Schritte der Thüre zu.
„Ist rieß eine Ueberraschung»,^sagte sie mit matter Stimme; »hat sich irgend etwas ereignet? Wir — wir erwarteten Dich nicht —"
Ihre Stimme versagte ihr, als sie ihren Mann näher kommen sah, todtendleichvor unterdrücktem Aerger.
«Wie kannst Du es nach Dem, was ich Dir ge« gesagt habe, wagen, hierher zu gehen?" fragte er in rauhem Tone.
Sie fuhr bei seiner Stimme vor Schreck so zusammen, als ob er sie direkt mißhandelt hätte. Ihrem Bruder stieg das Blut ins Gesicht, aber er beherrschte sich, ergriff ihre Hand und sühne sie schweigend nach einem Stuhle.
„Ich verbiete es Dir, Dich in diesem Zimmer »ie- derzusczen", sagte Danville, indem er vorschritt; „ich befehle Dir, mit mir nach Hause zu kommen! Hörst Du? Ich befehle es Dir."
Er trat ihr näher, als er aber den Blick gewahrte, den Trudaine auf ihn richtete, blieb er stehen.
Rose sprang auf und stellte sich zwischen Beide.
„O, Karl! Karl!" rief sie ihrem Manne zu, „sep heute Abend freundlich gegen Louis, und sep es auch wieder gegen mich — ich habe ein großes Recht darauf, Dich darum zu bitten, obgleich Du cs nicht ahnst."
Er wandte sich von ihr und lachte verächtlich. Sie versuchte noch eininal zu sprechen, doch Trudaine berührte ihren Arm und sah sie mit einem warnenden Blicke an.
„Zeichen!" rief Danville aus, „geheime Zeichen zwischen Euch Beiden!"
Sein Auge fiel, währendes seine Frau verdächtig anbliatc, auf Trudaines Geschenk, das sie noch unbewußt in der Hand hielt.
„Was ist das für ein Buch?" fragte er.
„Nur ein Stück von Corneille", antwortete Rose; „Louis hat es mir zum Geschenk gemacht."
Auf diese Erklärung ging DanvilleS unterdrückter Aerger in eine völlige Wuth über.
„Gib cs ihm zurück!" rief er, außer sich vor Zorn „Du sollst von ihm keine Geschenke annehmen. Das Gift de« Hausspions steckt Alles an, was er berührt. Gib es ihm zurück!"
Sie zögerte.
„Du willst nicht?"
Er riß ihr das Buch mit einem Fluche aus der Hand, warf es auf den Boden und sezte seinen Fuß darauf.
»O, Louis ! Louis! um Gotteswillen, bleib' ruhig!"
Trudaine war vorgetreten, als das Buch zu Boden fiel. In demselben Augenblicke schlang seine Schwester, ihren Arm um ihn. Er blieb stehen und die Zornes- gluth auf seinem Gesicht verwandelte sich in geisterhafte Blässe.
»Rein, nein, Louis!" sagte sie, indem sie ihn fester umschlang; »gedenke der Geduld, die Du seit fünf Jahren geübt. Nein — nein!"
Er machte sich sanft aus ihren Armen loS.
„Du hast recht, Theuerste, besorge nicht«, cS ist Alles vorüber!«