Indem er dicß sagte, drängte er fie sanft von sich und nahm schweigend daS Buch vom Boden auf.
„Auch daS kann Sie nicht beleidigen?» fragte Danville mit frechem Hohngelächter. »Sie besizen ein bewunderungswürdiges Temperament — jeder andere Mann würde mich herausgefordert haben!»
Trudaine wandte sich um und blickte ihn fest an; dann zog er sein Taschentuch hervor und wischte das beschmuzte Buch damit ab.
«Wenn ich den Fleck Ihres Blutes leben so leicht aus meinem Gewissen vertilgen könnte, wie ich den Schmuzflcck Ihres Stiesels von dem Buche abwische", sagte er ruhig, »so würde Ihre lezte Stunde geschlagen haben. Schrei nicht, Rose», fuhr er fort, indem er sich wieder zu seiner Schwester wandte; „ich werde für Dein Buch Sorge tragen, bis Du cS Dir selbst ausheben kannst.»
„Das wollen Sie thun! Das wollen Sie thun!» schrie Danville, dessen Wuth fich immer höher steigerte und ihn alle seine Verschmiztheit vergessen ließ. »Sprechen Sie nicht so vertrauensvoll von der Zukunft — Sie können nicht wissen, was Ihnen beschiedcn ist. Legen Sie Ihrer Zunge Zügel an, wenn Sie sich in meiner Gegenwart befinden; eS könnte ein Tag kommen, wo Sie meiner Hülse bedürfen — meiner Hülfe, hören Sie?»
Trudaine wandte sich vor» seiner Schwester ab, gleichsam, als ob er es in dem Augenblicke, wo diese Worte gesprochen wurden, vermeiden wollte, ihr ins Gesicht zu sehen.
»Der Mensch, der mir heute folgte, war ein Spion — ein Spion Danvilles!» Dieser Gedanke flog ihm durch den Kopf, aber er behielt ihn für sich. Es trat eine augenblickliche Ruhe ein und durch die stille Nacht vernahm man aus der Ferne das Rollen von Rädern. Das Geräusch kam immer näher und näher, endlich hörte er unter dem Fenster auf.
Danville eilte an dasselbe und sah rasch hinaus.
»Ich habe meine Rückkehr nicht ohne Grund beeilt. Ich möchte um keinen Preis diese Verhaftung versäuint haben", dachte er und sah mit forschendem Blicke in die Nacht hinaus.
Der Himmel war mit fchwarzen Wolken bedeckt so daß kein Stern zu sehen war. In der Dunkelheit konnte Danville weder den Wagen noch die Personen, die aus demselben stiegen, erkennen^ Er trat deßhalb wieder vom Fenster zurück und wandte sich dem Innern des Zimmers zu. Seine Frau war aus einen Stuhl hingefunken; ihr Bruder hatte das Buch, »reiches er aufzuheben versprochen, in einen Schrank geschloffen. Bei der Todtenstille vernahm man deutlich leise hcrauf- steigcnde Tritte auf der Treppe. Endlich wurde die Thüre leise geöffnet.
»Bürger Danville, Hell und Bruderschaft k" sagte Lomaque, wie er in der Thür erschien, gefolgt von seinen Agenten. »Bürger Louis Trudaine?» fuhr er fragend fort, indem er mit der üblichen Formel begann.
Rose sprang von ihrem Stuhle auf, aber ihres Bruders Hand ruhte auf ihren Lippen, ehe sie sprechen konnte.
„Mein Name ifl Louis Trudaine», antwortete er.
„Karl rief fie, indem fie fich von ihm loSmachte und sich an ihren Mann wandte, „wer sind diese Männer? Was wollen sie hier?"
Er gab ihr keine Antwort.
„LouiS Trudaine", sagte Lomaque, indem er langsam den Bef. hl aus seiner Tasche zog, „im Namen der Republik verhafte ich Sie."
„Rose, koinm zurück!" schrie Trudaine.
Es war zu spät; sie hatte sich von ihm losgcriffen und im Uebcrmaßc ihres Schreckens den Arm ihre- Mannes ergriffen.
„R.tte ihn!" rief sic, rette ihn, bei Allem, was Dir heilig ist! Du bist der Vorgesezte dieses ManneS, Karl; befiehl ihm, das Zimmer zu verlassen!"
Danville machte auf rohe Weise seinen Arm von ihrer Hand los.
„Lomaque thut leine Pflicht. Ja", fügte scr mit einem teuflischen Triumphblicke auf Trudaine shrnzuh „ja, er thut seine Pflicht. Sehen Sie mich an, weun cs Ihnen beliebt. Ihre Blicke werden mich nicht bewegen. Ich denuncirte Sic! Ich gebe sogar zu, daß ich mich dessen rühme. Ich habe mich von einem Feinde und den Staat von einem schlechten Bürger befreit. Erinnern Sie sich Ihrer geheimen Besuche im Hause der Clerp-Straßel"
Seine Frau stieß einen Schrei des Entsezens aus. Sie ergriff abermals mit thren beiden schwachen und zitternden Händen seinen Arm, und es schien, als wenn plözkich die Kraft eines Mannes in ihnen wäre.
«Komm hierher! komm hierher! ich muß und will mit Dir sprechen!"
Sie zog ihn mit Gewalt einiqe Schritte zurück nach einer leeren Stelle des Zimmers, — erhob sich mit geisterbleichein Antliz und wildem Blicke aus den Fußspizcn und ^legte ihre Lippen an das Ohr ihres Mannes.
In diesem Augenblicke rief ihr Trüdainczu: »Rose, wenn Du sprichst, bin ich verloren I»
Bei dem Klang seiner Stimme hielt sic inne, ließ den Arm ihres Mannes loS und blickte schaudernd auf s ihren Bruder.
«Rose», fuhr er fort, »Du hast mir ein Versprechen gegeben und Dein Versprechen muß Dir 'heilig sepn. Wenn Dir Deine Ehre lieb ist, wenn Du »iich> liebst, sokomm hierher - komm bierhcr und sep ruhig.»
Er streckte ihr seine Hand entgegen. Sic stürzte zu ihm, legte ihr Haupt an seine Brust und brach in einen Thränenstrom aus.
Danville wandte sich barsch an die Polizciagenten. „Schaffen Sie Ihren Gefangenen fort«, sagte er. „Sic haben nun hier Ihre Pflicht gethan.»
„Erst zur Hälfte", entgcgnetc ihm Lomaque, indem er ihn aufmerksam ansah. „Rose Danville —"
„Meine Frau?" rief der Andere aus. „Was ist's mit meiner Frau?
„Rose Danville", fuhr der unerschütterliche Lomaque fort, „Sie sind in die Verhaftung LouiS Tru- daines eingcschloffen."
(Fortftzung folgt.)