Beilage zum Gnzthäler Nro. TS.
Miszellen.
Schwester Rose.
(Fortsczung.)
Hier brachen die Zeilen kurz ab. Lomaque seufzte, während er sie zuiammenlcgte und in seine Tasche steckte. Ein sehr seltener Ausdruck von Gefühl kam über ihn. Er lehnte sich rückwärts in seinen Stuhl und trommelte mit seinen Fingern ungeduldig auf den Tisch. Plözlich vernahm er ein schwaches Herumtappen vor der Thür deS Zimmers und acht oder zehn Männer, offenbar sehr vertraut mit der neuen französischen Inquisition, traten ruhig ein und stellten sich gegen die Wand in Reih und Glied. Lomaque winkte Zweien von ihnen.
»Picard und Magloire, sezen Sie sich an dieß Pult nieder; ich bedarf Ihrer, wenn die Uebrigen gegangen find."
Indem er dieß sagte, übergab Lomaque den andern im Zimmer wartenden Männern gewisse versiegelte, mit Aufschriften versehene Papiere, die sie schweigend im Empfang nahmen, sich verbeugten und dann gingen. Unkundige Zuschauer hätten sie vielleicht für Handlung«- diener gehalten, denen der Prinzipal Frachtzettel aus- handigte. Wer auch sollte sich haben denken können, daß sie Denunciationen, BerhaftSbcfehle, ja TodeSur- theile erhielten — also Vorrath verurtheilten Menschen- fleischcS für die Alles verschlingende Guillotine!
„Nun-, sagte Lomaque, indem er sich an die beiden Männer am Pult wandte, als die Thüre geschlossen war, »haben Sie die Ihnen ausgetragene Notizen gesammelt?"
Beide autworteten bejahend.
»Picard, Sie haben die ersten Details in der Sache gegen Trudaine; Sie müssen zu lesen anfangen. Ich habe die Berichte eingcsandt; doch wir wollen noch einmal zum Beweise von Anfang übergehen, damit wir überzeugt sind, daß nichts ausgelassen ist. Sind Verbesserungen nöthig, so ist es noch Zeit, sie zu machen. Lesen Sie, Picard, und verlieren Sie so wenig Zeit wie möglich.«
Auf diese Weise ermahnt, zog Picard einen langen Streifen Papier aus seiner Tasche und las von demselben Folgendes ab:
»Genaue BcwciSzusammenstellung in Bezug auf Louis Trudaine» auf Denunciation des Bürgers Intendanten Danville im Verdacht der Feindseligkeit gegen die geheiligte Sache der Freiheit und der Unzufriedenheit über die Souverametät des Volkes, l) Dieß vedächtige Individuum ist unter geheime Beaufsichtigung gestellt worden und in Folge dessen haben sich folgende Tbatsachen ergeben: Man bat den Betreffenden zwei Mal zur Nachtzeit von seinem Hause nach einem Hause in der E lerp-Straße gehen sehen. In der ersten Nacht hatte er Geld bei sich — in der zweiten Papiere. Er kehrte ohne beides zurück. Diese Einzelnheiten hat man durch einen Bürger erfahren, den Trudaine zur Besorgung seines Haushalts angenommen (durch einen
. . .. -U-I—
jener Leute, die man in den Tagen der Tyrannei Die« ner nannte). Dieser Mann ist ein guter Patriot, dem man eS dreist anvertrauen kann, TrudaineS Handlungen zu überwachen. 2) Die Bewohner des Hause« in der Clerp-Straße sind zahlreich und in einzelnen Fällen der Regierung so genau bekannt, wie man es nur im« mer wünschen kann. Es ist schwierig, über die Person oder Personen, welchen Trudaine seine Besuche macht, sichere Auskunft zu erhalten, ohne zu einer Verhaftung zu schreiten. 3) Bei diesem vorläufigen Standpunkt des Verfahrens scheint eine Verhaftung noch zu früh, da sie die Enthüllung der Verschwörung hindern und dem Schuldigen Anlaß zur Flucht geben könnte. Demzufolge ist Befehl erlassen worden, wachsam zu sepn und auf gelegene Zeit zu warten. 4) Bürger-Znten« dank Danville verließ auf kurze Zeit Paris. Der Dienst, Trudaine zu überwachen, ist darauf dem Unterzeichneten entzogen und seinem Kameraden Magloire anvertraut worden. Gezeichnet: Picard. Gcgcnge- zeichnct: Lomaque.«
Nachdem der Polizeiagent so weit gelesen hatte- legte er seine Papiere auf den Schreibtisch, wartete einen Augenblick auf weitere Befehle und verließ, ater keine erhielt, das Zimmer. Der trübe und besorgte Ausdruck auf dem Anilizc Lomaqucs änderte sich nicht. Er fuhr fori, ungeduldig mit seinen Fingern auf den Schreibtisch zu trommeln und blickte nicht eher auf den zweiten Polizeiagenten, bis er ihm befahl, seinen Be« richt zu lesen. Magloire zog einige Papierstreifen, aufs Haar denen PicardS ähnlich, hervor und las auf denselben in raschem, geschäftsmäßigem und unverändertem Tone:
»In Sachen gegen Trudaine. Fortgesezte BeweiS- zusammcnstellung. Bürger-Agent Magloire, beauftragt die Ueberwachung TrudaineS fortzusezen, berichtet die Entdeckung weiterer Thatsachen von Bedeutung. 1) Anzeichen machen es wahrscheinlich, daß Trudaine eine, dritten Besuch im Hause der Clerp-Straße beabsichtigte Es wurden geeignete Maßregeln ergriffen, ihn scharf zu beobachten, und das Resultat war, daß noch eine andere Person entdeckt wurde, die in die unterstellte Verschwörung verwickelt ist. Diese Person ist die Schwester TrudaineS, die Frau des Bürger-Intendanten Danville."
»Armes, verlorenes Geschöpf! — ach, arme-, verlorenes Geschöpf!« murmelte Lomaque für sich, indem er wieder seufzte und sich unruhig von einer Seite zur anderen in seinem alten, mit schäbigem Leder überzo« genen Armstuhl bewegte. Magloire war nicht daran gewöhnt, von seinem sonst unerschütterlichen Vorge- sczten Seufzer, Unterbrechungen und Ausdrücke des Bedauern- zu hören Er blickte daher von seinen Papieren mit höchster Verwunderung auf.
»Fahren Sie fort, Magloire!" rief Lomaque mit einem plözlichessAusbruche von Reizbarkeit. »Warum, zum Teufel, fahren Sie nicht fort?"
„Stets bereit, Bürger«, entgegnete Magloire dienst- ergeben und fuhr fort: