„2) Durch die Wachsamkeit des vorher erwähnten Bürger-Patrioten ist man zu der Gewißheit gelangt, daß die Frau DanvilleS im Hause TrudaincS a» den geheimen Plänen ihres Bruders bctheiligt ist. Die Unterredung der beiden verdächtigen Personen findet geheim statt, ihre Unterhaltung führen fle in leisem Tone. ES konnte nur wenig vernommen werden, aber dieß Wenige reicht hin, um zu beweisen, daß TrudaincS Schwester vollkommen von seiner Abficht unterrichtet war, zum dritten Male nach dem Hause der Clerp- Straße zu gehen. ES ist ferner entdeckt, daß sie seine Rückkehr erwartete und daß fie dann allein nach ihrem Hause zurückging. 3) Inzwischen find die schärfsten Maßregeln ergriffen worden, um das Haus in der Clery-Straße zu überwachen. Es ist entdeckt worden, daß Trudaine einen Mann und eine Frau besucht, die dem Befizer und den Bewohnern deS Hauses unter dem Namen DuboiS bekannt find. Sic wohnen im vierten Stockwerke. Zur Zeit der Entdeckung war es nicht möglich, in das Zimmer einzudringen oder den Bürger und die Bürgerin Dubois zu sehen, ohne eine unerwünschte Störung im Hause und in der Nachbarschaft hervor» zurufeu- Ein Polizei-Agent wurde zur Bewachung des PlazeS zurückgelaffeo, während ein Haussuchungs- und VerhaftSbefchl besorgt wurde. Die Ausfertigung dessen wurde zufällig- verzögert. Als man den Befehl endlich hatte, ergab es sich, daß Mann und Frau verschwunden waren. Man hat bis jezt keine Spuren von ihnen auffinden können."
4) Der Befizer des Hauses ist sofort verhaftet worden, desgleichen der Polizeiagent, dem die Bewachung deS Gebäudes übertragen war. Der Hausbe- fizer behauptet, er wisse nichts von den Einwohnern. Indessen ist Verdacht vorhanden, daß er bestochen worden, wie auch ferner, daß die Papiere, welche Trudaine dem Bürger uad der Bürgerin Dubois einhändigte, falsche Pässe find. Mit diesen, sowie mit Geld versehen, ist es immerhin möglich, daß eS Beiden bereits geglückt ist, aus Frankreich zu entfliehen. Es find geeignete Maßregeln ergriffen worden, um fie sestzunch- men, im Fall fie nicht schon über die Gränze hinaus find. Einen weiteren Bericht in Bezug auf Beide hat man noch nicht erhalten 5) Trudaine und seine Schwester werden sorgfältig überwacht und der Unterzeichnete ist stets weiterer Befehle gewärtig. Gezeichnet: Ma- gloire. Gegengezeichnet: Lomaque."
Nachdem Mazloire seine Notizen gelesen hatte, legte er fie auf den Schreibtisch. Er war offenbar ein begünstigter Mann im Bureau und nahm sich in dieser seiner Stellung etwas heraus; denn statt schweigend, wie sein Vorgänger Picard, das Zimmer zu verlassen, wagte er es, eine Bemerkung zu machen.
»Wenn Bürger Danville nach Paris zurückkehrk«, begann er, »wird er im höchsten Grade darüber erstaunt sepn, daß er beim Denunciren des Bruders seiner Frau, unbewußt auch diese selbst denuncirt bat."
Lomaque blickte rasch auf mit jener alten Schwäche in seine» Augen, von welcher dieselben in so befremdender Weise bei gewissen Gelegenheiten befallen wurden. Magloire wußte, was dieß Symptom zu bedeuten habe, und würde in einige Verwirrung gerathen seyn, wenn er nicht Polizeiagent gewesen wäre. Da
er dieß aber war, so trat er schnell einige Schritte vom Tische zurück und schwieg-
„Freund Magloire", sagte Lomaque, indem er ihm freundlich zunickte, »Ihre leztcn Bemerkungen sehen wie ein« verkleidete Frage an mich aus. Ich lege nur Anderen Fragen vor — ich beantworte aber niemals an mich gestellte Fragen- Sie möchten gern wissen, Bürger, welche geheime Beweggründe unser Intendant bei Denunciation des Bruders seiner Frau hatte? Ich denke, Sie werden schon selbst sich daran machen und fie aufftnden. E» wird ein ganz famoses Stück Arbeit für Sie sepn, Freund Magloire, ein famoses Stück Arbeit nach den Dienststunden."
„Roch weitere Befehle?» fragte Magloire mürrisch.
»Keine in Bezug auf die Berichte», cntgcgnete Lomaque. »Ich finde, nachdem ich fic noch einmal gehört, nichts daran zu ändern oder hinzuzufügen. Aber ich habe noch ein kleines Billet für Sic, das unmittelbar besorgt werden muß. Sezcn Sie sich an das andere Pult, Freund Magloire; ich habe Sie sehr gern um mich, wenn Sie nicht den Inquisitor spielen; — bitte, sezen Sie sich.«
Während Lomaque diese höfliche Einladung mit der sanftesten Stimme an den Agenten richtete, zog er ein Taschenbuch hervor und nahm aus demselben ein kleines Papier, welches er aufmerksam durchlas. Es war' überschrieben: „Privatinstrnctionen, betreffend den Intendanten Danville" und lautete also:
»Der Unterzeichnete kann, gestüzt auf langjährige Erfahrung im Hause Danvilles, auf das Bestimmteste versichern, daß die Beweggründe desselben bei der Denunciation seines Schwagers rein persönliche sind und nicht im Entferntesten mit politischen Angelegenheiten in Verbindung stehen. Die Tdatsache», worauf sich diese Angabe stüzt, sind kurz folgende: Louis Trudaine widersczte sich von Anfang an der Berheirathung seiner Schwester mit Danville, weil er gegen des Leztern Charakter und Neigung Mißtrauen hegte Indessen wurde die H irath vollzogen und der Bruder fügte sich darin, den Erfolg abzuwartcn, war aber so vorsichtig, seinen Wohnplaz in der Nähe seiner Schwester zu nehmen, um, wenn nölhig, den Verbrechen, welche ihr Galle begehen, oder den Leiden, die fie zu ertragen haben möchte, Einhalt zu thun. Die Folgen übcrträfen bald seine schlimmsten Erwartungen und nahmen sein Dazwischentreten, auf welches er sich vorbereitet hatte, in Anspruch. Er ist ein Mann von unerschütterlicher Festigkeit, Geduld und Rechtschaffenheit und hat es sich zur Hauptaufgabe «eines Lebens gemacht, seine Schwester zu bcschüzcn und zu trösten. Er gibt seinem Schwager keine Gelegenheit, öffentlich mit ihm in Stre t zu geraden. Er ist weder zu täuschen noch aufzurcizen, noch zu ermüden. Er übertrifft Danville in jeder Weise, im Betragen, sowie in Bezug auf Temperament und geistige Fähigkeit. Unter diesen Umständen ist cs unnötbig zu sagen, daß die Feind- Ichaii seines Schwagers gegen ihn von der unversöhnlichsten Art ist, und eben so unnötbig, auf den eigentlichen Beweggrund der Denunciation hinzudeuten. Mil Bezug auf die verdächtigen Umstände, welche nicht nur Trudaine, sondern auch seiner Schwester zur Last gelegt werden, bedauert der Unterzeichnete nicht im Stande zu sepn, weder eine Aufklärung geben noch eine Vermuthung aufstellen z» können. Bei dem nur vorläufigen Standpunkte, auf welchem diese Angeleg-n- heit steht, scheint fie in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt zu sevn.«
(Fortsczung folgt.)