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dieselbe anschließen, wodurch sich die in einem Sterbefall auszubezahlende Summe später noch beträchtlich erhöhen würde.
Altensteig, 30. März. Der gestrige Markt war im Verhältnis zu unseren sonstigen Jahrmärkten nur mittelmäßig befahren. Sowohl Fettvieh als auch Zugochsen und Jungvieh waren in bescheidener Anzahl beigetrieben. Viele Kühe waren von israelitischen Händlern aufgestellt, die beinahe alle verkauft wurden. Von diesen Händlern wurden auch manche Einkäufe in guten Milchkühen gemacht, die sehr begehrt und auch zu hohen Preisen Absatz fanden. Schönes Jungvieh, das aber nur in geringer Anzahl beigetrieben war, wurde sehr begehrt und zu guten Preisen schnell verkauft. Auswärtige Käufer namentlich norddeutsche Händler, die besonders Liebhaber von Zugochsen sind, fehlten auf dem gestrigen Markt. So blieb der Handel anfangs flau; erst später entwickelte sich im Kauf und Verkauf von Zugochsen unter den Bauern hiesiger Gegmd regeres Leben bei den seitherigen Preisen. Stark befahren war der Schweinemarkt, und wurden die meisten beigetriebenen Tiere zu guten Preisen abgesetzt. Milchschweine galten 25 bis 35 pro Paar, Läufer 50 bis 75 Der Krämermarkt blieb im allgemeinen zurück gegen die sonstigen Jahrmärkte, so daß manche Geschäftsleute über geringen Absatz an Waren und unbedeutende Einnahmen klagten.
X. Herrenberg, 30. März. Der gestrige Vieh markt war befahren mit 24 Ochsen und Stieren, 103 Kühen, 334 Stück Jungvieh, außerdem mit 273 Milchschweinen und 238 Läufern. Gegen letzten Markt waren 97 Stück Vieh weniger aufgestellt. Der Verkauf des Viehs gieng beim Vorhandensein vieler Käufer bei teilweise steigenden Preisen gut von statten; Fettvieh und Milchkühe waren gesucht, aber wenig zu Markt gebracht, Preise hiefür daher sehr gut, im übrigen gegen letzten Markt gleichbleibend. Preise für das Paar Milchschweine 30-38 für das Paar Läufer 45—100 Der Verkauf von Milchschweinen und Läufern gieng flau.
Stuttgart, 31. März. Der BürgerauS- schuß, welcher sich lange Jahre hindurch gegen die Herabsetzung der Bürgerrechtsgebühr von 10 auf 5 sträubte, hat dieselbe heute mit 16 gegen 4 Stimmen beschlossen. Das Projekt des großen Rathauses genehmigte der Bürgerausschuß mit allen gegen zwei Stimmen.
Tübingen, 30. März. (Schwurgericht.) Ein sehr interessanter Fall stand gestern auf der Tagesordnung. Auf der Anklagebank saßen wegen Urkundenfälschung und Betrugs der Bauer Joh. Gottfried Sattler von Unterjesingen und seine Ehefrau Wilhelminr, welch letztere der Mittäterschaft bezw. der Beihilfe angeklagt ist. Sattler hat es in drei verschiedenen Fällen zu Wege gebracht; Geldbeträge von 500, 800 und 1000 welche in der „Tübinger Chronik* zum Verleihen ausgeschrieben waren, auf Grund gefälschter Pfandscheine zu erschwindeln. Bei seinen Vermögensoerhältnissen war natürlich eine Rück- j zahlung undenkbar. Daß ihm dies auch vollständig fern gelegen, geht daraus hervor, daß er sich in allen drei Fällen jedesmal eines anderen Namens bediente. Bei aller Plumpheit ist es Sattler doch gelungen, drei seiner Opfer, worunter eine Witwe, um genannte Beträge zu prellen. Was die Anfertigung der Pfandscheine betrifft, so schrieb dieselben der Angeklagte selbst und zwar auf die plumpste Art und Weise, während er die Auszüge aus dem Unterpfandsbuch von seiner Frau schreiben ließ. Als Unterschriften deS Gemeinderats von Entringen, von wo aus die Schriftstücke ausgestellt waren» dienten ihm ganz beliebige Namen und die Unterschrift des Schultheißen von dort setzte er gleichfalls mit eigener Hand unter die betr. Papiere. Einen Kautschuk-Stempel mit der Bezeichnung „Gemeinde Entringen" ließ sich unter dem Vorgeben, er sei der Gemeindepfleger von Entringen in Tübingen von einem Graveur anfertigen. Ganz unglaublich klingt es, daß dieser Mensch so lange Zeit sein unsauberes Geschäft unentdenkt betreiben konnte. Wenn z. B. die Geprellten, die natürlich keinen Zins erhielten, sich brieflich an ihren vermeintlichen Schuldner wendeten, so kam der Brief als „unbestellbar" zurück. Schließlich kam man dem Schwindler doch auf die Spur, und sowohl er wie sein« Ehefrau wurden in Hast genommen. Bei der gestrigen Hauptverhandlung wurde nun Sattler zu der Zuchthausstrafe von drei Jahren, drei Monaten,
sowie fünfjährigem Ehrenverlust, die Frau des Sattler zu einem Jahre Gefängnis verurteilt.
Eßlingen, 31. März. Heute früh ist der 31 Jahre alte Wilhelm Vogelfang von Ulm, der von Stuttgart aus wegen schweren Diebstahls verfolgt war, hier fest genommen worden.
Ravensburg, 30. März. (Schwurgericht.) Unter ungewöhnlich großem Zudrang kam heute als 4. Fall zur Verhandlung die Anklages. gegen die 6b I. a. Bauernwilwe Josepha Feßler von Badstuben, Gde. Waldburg, zuletzt in Weingarten wohnhaft, wegen zweier Verbrechen des versuchten Giftmords. Die Angekl. ist beschuldigt, sie habe in der Zeit vom 9.—14. Nov. 1897 zu Badstuben ihren Sohn Josef Feßler und dessen Ehefrau Marie, geb. Bitsch, mit welchen sie in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebte, vorsätzlich und mit Ueberlegung zu töten versucht, indem sie dem für denselben zum Trinken bestimmten Kaffee wiederholt Phosphor beimischte. Diese Anklage hat schon am 10. Jan. d. I. das Schwurgericht beschäftigt. Die Verhandlung mußte damals, wie erwähnt, nach Schluß der Beweisaufnahme vertagt werden, weil hinsichtlich der Schwiegertochter der Angekl. als Folge der Phosphorvergiftung noch ein tödlicher Ausgang zu befürchten war. Diese schlimmste Folge ist glücklicherweise nicht eingetreten, die junge Frau hat sich vielmehr nach operativem Eingriffe inzwischen soweit erholt, daß sie demnächst für geheilt betrachtet werden kann. Im Uebrigen entrollte auch die heutige Verhandlung wieder dasselbe unschöne Bild wie am 10. Jan. Die Angekl. hält an ihrer früheren Verteidigung fest. Der I. St A. Friker gab der Anklage eine eingehende überzeugende Begründung und stellte zum Schluß an die Geschworenen den Antrag, die Angekl. des versuchten Mords schuldig zu sprechen. Der Verteidiger, R.A. Grasrlli, suchte in längerer Ausführung den Geschworenen die Ueber- zeugung beizubringrn, daß ein Beweis für die Schuld der Angekl. nicht erbracht sei und bat um Freisprechung. Die Geschworenen sprachen jedoch die Angekl. nach einflündiger Beratung zweier Verbrechen des versuchten Mords in rechtlich einer Handlung verübt schuldig, worauf dieselbe zu der Zuchthausstrafe von 8 Iahren und zum Verlust der bürgerl. Ehrenrechte auf weitere 8 Jahre verurteilt wurde Die Angekl. nahm die Verkündigung des Urteils ohne sichtlichen Eindruck entgegen.
München, 30. März. Hier haben seit 14 Jagen 1500 Schreiner die Arbeit niedergelegt, da sie neunstündige Arbeitszeit und Lohnerhöhung für Arbeiten über Land wollen. Nachdem bis letzten Montag der Streik nicht beigelegt war, wurden die sämtlichen hiesigen Schreinereien gesperrt. Die Tapezierer streiken ebenfalls. In der gegenwärtigen Zeit ist der Schreinerstreik von desto größerer Bedeutung, als dadurch die in engerer Verbindung stehenden Handwerksleute, wie Schlosser, Maurer rc., ebenfalls brotlos werden.
Augsburg, 29. März. Gestern Nacht wurde ein Mann erstochen, der einem andern aufgelauert hatte. Nach kurzem Raufen zog der Bedrohte sein Messer und stach de» Angreifer ins Herz. Der Getötete ist Vater von 10 Kindern. ES spielten sich herzzerreißende Szenen ab, als die Familienmitglieder ihren toten Vater fanden.
Hanau, 30. März. Bei der Beerdigung eines Sozialdemokraten am letzten Samstag trug einer der sozialdemokratischen Führer einen Kranz mit knallroter Schleife voraus. Als auf wiederholte Aufforderung des Geistlichen die Demonstration nicht eingestellt wurde, lehnte der Geistliche sein ferneres Geleit ab und trat am Nürnbergerthore aus dem Leichenkondukte aus.
Berlin, 31. März. Reichstag. Vor Eintritt in die Tagesordnung erklärt Liebermann von Sonnenberg (Antis.) mit Rücksicht auf die Aeußer- ung AhlwardtS, daß er niemals in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der konserv. Partei gestanden habe und daß in den deutsch-sozialen Blättern bezüglich der Vorfälle in Hörde nichts anderes gestanden habe, als was gestern der RegierungSkommiffär mitgeteilt habe. — Die 3. Beratung deS Etats wird beim Etat des ReichSjustizamtS fortgesetzt. Lieber (Ztr.) zieht nach einer Erklärung deS preuß. Justizministers im Abg. Haus seine frühere Behauptung zurück, wonach Erzbischof Melchers im Gefängnis mit Strohflechten beschäftigt worden sein soll. Allerdings sei eS er
staunlich, daß eine solche Richtigstellung erst jetzt vor Kurzem erfolgt sei. Es sei übrigens festgest, llt worden, daß die Behandlung des Erzbischofs im zweiten Teil seiner Haft weniger rücksichtsvoll gewesen sei und daß er mit gemeinen Verbrechern habe verkehren müssen. StaatSsekr. Nieberding meint, daß der Vorredner ihm das vorher hätte mittcilen sollen. Weitere Erklärungen müsse er dem preuß. Justizminister Vorbehalten. Lieber (Ztr.) geht auf die Einzelheiten des Prozesses Röckerath ein, indem die von ihm gemachten Mitteilungen über die zweite Hälfte der Haft des Erzbischofs zur Sprache kamen. Staatssekretär Nie. berding wiederholt, daß ihm diese Dinge unbekannt seien. Schmidt-Frankfurt (Soz.) berichtet über einige Fälle von Strafvollstreckungen. Staatssekretär PodbielSki widerlegt eine frühere Behauptung WurmS, daß unter dem Staatssekretär v. Stephan das Briefgeheimnis gegenüber von Sozialdemokraten verletzt worden sei, aus Grund von Aktenmaterial, das er dem Hause vorlegt. Auf eine Anregung von Müller-Sagan (Frf. Volksp.) bemerkt Staatssekretär Podbielski, an Postgehilfen sei zur Zeit kein Bedarf. Die Postassistenten ständen besser als alle ähnliche Beamtenklafscn. Bei den kleinen Postämtern seien mitunter ja viele Dienststunden nötig, aber die Arbeit sei doch keine anstrengende. Rickert (Frs. Ver.) > beantragt, die Eingaben vorläufig abzusetzen. Der Antrag wird angenommen. Bebel (Soz) bemerkt, daß immer noch nicht widerlegt sei, daß die Vermutung, es würden Briefe von Sozialdemokraten auf der Post geöffnet eine berechtigte gewesen sei. — StaatSsekr. Podbielski hält derartiges in der Postverwaltung für unmöglich — Bebel erklärt, er könnte aus eigener Erfahrung Beispiel« von unterdrückten Briefsendungen geben. Singer (Soz.) bringt zur Sprache, daß in Hamburg Unterbeamte wegen Teilnahme an einer Versammlung entlassen worden seien. Staatssekretär von Podbielski: Jede direkte oder indirekte Beteiligung von Postbeamten an den Bestrebungen der Sozialdemokratie halte ich für unvereinbar mit ihrem Diensteid (Lebhaftes Bravo rechts) und werde unnachfichtlich dagegen disziplinarisch Vorgehen. Auf eine Anregung v. Kardorffs (ReichSp ) bemerkt StaatSsekr. v. Podbielski: Die Ausdehnung des Fernsprcchwesens auf das flache Land werde nach Möglichkeit gefördert.
— Die Flensburger Genossenschaftsbäckerei, eine sozialdemokratische Gründung ist verkracht. Das von den Arbeitern eingezahlte Kapital ist verloren gegangen. Das sozialdemokratische Parteiorgan in Kiel klagt darüber, daß so mancher Genosse, der seine sauer ersparten Arbeitergroschen geopfert hat, nun um eine bittere Erfahrung reicher sei, zumal in diesen Tagen vom Konkursverwalter noch 75 Prozent Nachschuß gerichtlich eingetrieben werden. Das Blatt richtet aus diesem Anlaß die ernste Mahnung an die Arbeiter, sich von allen unvorsichtigen Gründungen fernzuhalten.
London, 30. März. Die „Times" melden aus Hongkong: Zu Ehren des Prinzen Heinrich und der Offiziere des deutschen Geschwaders wurde gestern von der Bürgerschaft ein glänzendes Ballfest veranstaltet. Bei dem Mahle brachte General Black einen Trinkspruch auf Ihre Majestät die Königin Viktoria und Seine Majestät den Kaiser Wilhelm aus. Der Oberrichter toastete auf den Prinzen Heinrich, welcher mit einem Hoch auf die Kolonieen dankte.
Vermischtes.
Hans Wachenhusen, der eben verstorbene weitbekannte Kriegsberichterstatter, hatte nach seiner Heimkehr vom russisch-türkischen Kriegsschauplatz auf einer Fahrt durch Süddeutschland einen überaus gesprächigen Herrn zum Reisegefährten, der sich ihm als Reisender für «ine Thüringer Wurstfabrik vorstellte. Gemütlich bemerkte Wachenhusen darauf: „Dann sind wir ja gewissermaßen Kollegen; ich reise auch in Schlachtartikeln".
— Arbeiter-Einwanderung. Sehrgesteigert hat sich in letzter Zeit die Einwanderung der Italiener. Letzter Tage kamen von Bregenz nach Konstanz regelmäßig Trupps in Stärke von 400 Mann, sodaß jeweils noch ein österreichisches Extraschiff in der Frühe hier ankam. Im ganzen dürften Heuer zu Schiff von Bregenz hier über 10000 italienische Arbeiter durchgerrist sein. Die meisten finden an den Hafenbauten in Kehl und Mannheim Beschäftigung.