243
MisMen.
Verbrechen und Kinderliebe.
(Forlsezung.)
Der arme Mensch bebte und zitterte am ganzen Leibe, als er am ersten Morgen, da er das Zuchthaus betrat, in den Ardeitesaal geführt wurde, um dort mit mehr als dreißig Änderen Wolle zu kra'-en. Der verbissene Grimm, der sich in Aller Mienen nur zu deutlich zeigte, die Aufseher mit ihren finsteren Stirnen, mit ihren rohen Flüchen, womit sie tue Jaulen zur Arbeit «»spornte«, die Soldaten mit ihren geladenen Flinten vor den Thüren: — das Alles erschreckte ihn auf's Höchste. Wie sehnte er sich zurück nach seinem einsamen Stadigefäng- niß, wo doch der freundliche Ortspredigcr ihn besucht, ihm eine Bibel, geschichtliche Bücher und Reisebei'chlei- dungen, um die er gebeten, gegeben hatte. Doch er mußte sich darein finden, ihm stand »och Schlimmeres bevor.
Abends g Uhr wurden die Gefangenen — je zwanzig in ei wn Saal — geführt, in welchem oben an den Wanden kleine runde, vergitterte Fenster wäre». Hier standen die Bettstellen mit Matratzen und wollenen Decken — das war ganz einladend; hier brannte eine Lampe, die von der Decke bcö Saalev herabhtug. Run hieß cs: „A'.sgekleidet!" Alle folgten dem Befehle, j der stieg in da- ihm angewiesene Bett, der Aufseher nahm die Lampe herunter, trug fie hinaus und veriegeitc und verschloß die Ttzsrc mit mehr als einem Schloß und Riegel. Nun war «S stockfinster.
Anton — er war nun 18 Jahre alt — dachte an Eltern und Geschwister, dachte an des Schneiders liebes Löchtcrchen, er weinie, er schluchzte laut.
Was flennst du, Bursche ?« herrschte ihm sein Nebenmann zu. »Wisse, Thranen laß den allen Weibern, die gehören hier nicht her."
„Ach Go:t " seufzte Anton.
„Daß ihn der Schwarze bole." fluchte ein Dritter, „der hat noch viel zu lernen!«
--Hör', Blonder," Hub Der, welcher zuerst gesprochen, ein ältlicher Mann, wieder an, „v>r scheint noch viel von dem Pfaffenschnack in den Gliedern zu sizen, was du dir hier abgewöhncn mußt. Hier läßt man sich nicht detböreu.»
Ainvn hatte von all' diesen Worten nur wenig vee- uommeu. Sie hatten nicht rermoch!, ihn in seinen Gedanken zu störe». Er sattele feine Hände - das sah z-var Niemand in der Dunkelheit — und sprach ziemlich laut:
«Vater im Himmel, vergib mir!"
»Was plärrt die Kanaille?" fragte barsch der Alte herüber.
«Oer Hallunke betet, ich glaub'S gar, pfui Teufel!« erwiderte der Andere.
Das machte Anton aufmerksamer auf die Unterredung der Anderen, und er hörte jezt zu, als der Alle fortfuhr.
„Will dir etwas sagen, Blonder, hörst du mich?"
«Ja," cntgeguete Anton.
«Nun denn, hier wird nicht gebetet, nur geflucht,« sagte der Alte.
«Warum denn das?" fragte Anton erstaunt.
„Weil," erwiedcrte der Alte, «wir hier vernünftige Leute find, die an all' das Gcschwäze von Gott" — dabei spuckte er vernehmlich aus — „nicht glauben. ES gibt keinen Gott« — abermals spie er auS — «der Teufel weiß cS, es gibt keinen. Aber einen g'bt's, der ist unser, das ist der Schwarze, der will uns wohl- Sieh', der regiert die Welt und sorgt insonderheit für unS, lein Reich vollendet sich mit raschen Schritten. Glaub' es nur, der wird die Reichen bald arm, die sogenannten Guten, die uns hier ciniperrten, weil wir von ihrem Ueberfluß nahmen, da fie uns nicht gutwillig abgebea wollten, auch ein Tröpfchen Blut dabei nicht scheuten, alsbald verderben, und dann hat unsere Stunde geschlagen. Willst du also Den anrufcn. so magst du es thun, es ist gerade nicht nöihig, aber schaden kann'S nicht. Allein dein Lästern hier, was du Beten — verfluchtet Schnickschnack — nennst, das verbitten wir uns."
Auto» wußte nicht zu «»Worten, so gänzlich bestürzt war er über das, waS er börte.
«Laß die Kröte, AltbanS," sprach der Andere dazwischen» „muß sich erst besinnen und einige Vorlesungen bei dir hören, dann wird er schon klug werden!"
klug! das klang dem Anton lieblich, allerdings klug zu werden, darnach hatte er immer gestrebt. — Die Unterredung hatte für diese Nacht ein Ende, denn bald schnarchte der Alte und auch der andere lästerliche Burscht schwieg.
Anton wachte noch lange, wiewohl er nun, anS Furcht vor seinen Schlaigcnoffen, die lauten Ausbrüche seiner Unruhe und Bnrübniß unterdrückte.
Er hatte indeß noch kein volles Jahr im Zuchthause zugebracht, so war er ein Verehrer der vermeintlichen Klugheit des AithanS geworden, er glaubte an keinen Gott mehr, nur an ein Fatum, einen Teufel, er sah alle guten Menschen für die eigentlichen Verbrecher, sich selbst aber unv seine Mttgenoffen für unschuldig Leidende an, er tröstete sich aber auch damit, die Herrschaft in der Welt, wie sie sezl stalifindc, tey bald zu Ende, dann schlage für ihn, für alle Gefangenen die Erlösungsstunde. Der wahnwizigc, alberne Glaube an Gott sep an allem llebel schuld. -
Nach zwei Jahren wurde Anion seiner Haft entlassen. Man sollte »leinen. Gottlob! nun konnte er doch wieder ein oidentlicher Mensch werden! Welch'eine Täuschung, ein entlassener Züchtling ist unglücklicher kenn je zuvor! Der Leib zum Theil siech, dem Einfluß freier Luft meist ganz entwöhnt, die krafie .rmattei, die Kleider noth- dürilig unterhalten, die Taschen leer, zwar nicht ganz, aber doch nur eine sehr geringe Baarschaft enthaltend, die höchstens für zwei bis drei Tage reicht, kein Paß, keine andere Lcgiiimalion — ach, die deutlichste ist die schlotternde Gestalt, der unsichere Gang, das scheue, tückische Auge, die rohe, lästerliche Zunge. Und ein sol- chrr Mensch nun wird hinauSgelassen, hina .Sgestoßca in die Welt, die er selber vcrfluchi, wie fie ihn flicht. Nirgends öffnet sich ihm eine Thüre, nirgends bietet man ihm Arbeit, nicht einmal wie einem Bettler begegnet man ihm; dem reicht man noch ein Stück Brod, einen Trunk — dem entlassenen Züchtling keines von Beiden. Wie ein scheues Wild irrt er umher, gehezt von der Polizei, gemieden von allen übrigen Menschen. Nur Eins ist es, waS auch diesen Armen mehr und mehr sich zuwendet, es ist da- herzliche Erbarmen der christ-