«Wenn ich den Herrn nicht störe,« sagte er bescheiden, »so nehm ich das gerne an. Die alten Knochen, die nun schon fünf und stebenziz Jahre ausgehalten haben, wollen doch nicht mehr rccht.«
»Jhr habt wohl die Meisten, die hier schlafen, persönlich gekannt?« fragte ich den Todtengräber, um ein Gespräch einzuleiten.
»Allerdings,« vcrsezte er; »ich bereite den Leuten seit mehr als fünfzig Jahren die Ruhestätten. Manches müde Haupt habe ich da zur Ruhe gelegt; manches stürmisch schlagende Herz zugcdeckt; manchen Kummer zur Ruhe gebracht, aber auch manche geknickte Blume. Lieber Gott,« fuhr er fort, »es wird Einem das Amt oft schwer, und es sollte ein Todtengräber eigentlich kein Herz haben, er wäre besser dran. — Auf manches Grab,« fuhr er nach einem längeren Sinnen wieder fort, »habe ich Blumen gepflanzt, wenn es sie verdiente und wenn keine liebevolle Hand es lhat oder zu lhun da war. Dort liegt Eine,« sagte er mit wehmüthigem Ausdruck, »der habe ich das weiße Roscnbäumchen gepflanzt. Eine unbekannte — vielleicht unbekannte — Hand sczte dann den Kran; von Monatrosen drum herum, und ich pflege das Grab mit Sorgfalt.«
»Aber warum haben die beiden nächsten Gräber keinen Schmuck?« fragte ich.
«Weil sie ihn nicht verdienten, Herr!« erwiderte er rasch. »Weil sie an dem Tode der unter Blumen ruhenden Blume die Ursache waren! Doch ich sehe schon,« fuhr er fort, «ich werde Ihnen die Geschichte erzählen müssen; obgleich es eine einfache Geschichte ist, wie sie sich leider gar oft wiederholt in der Welt; aber zum Herzen redet sie doch.« —
Die Sonne war tiefer hinabgesunken. Der Himmel glühte in Purpur und Golde. Im Dorfe war's todtsttlle geworden. Ueber dem Thale lag eine eigne Stimmung, die nicht verfehlte, meine Seele zu ergreifen.
»Es sind fezt zwölf Jahre her, daß ich die drei Gräber grub,« begann der greise Todtengräber; »allein so oft die Gemeinde sich hier um ein Grab versammelt, ruhen die Blicke vieler Leute mit. großer Theilnahnie auf den drei Gräbern und doch treten sie nur an das eine, an das nämlich, das mit Rosen bepflanzt ist, und beten leise. Die Stelle neben demselben ist bestellt — aber die Zeit ist um.»
»Wie so?« fragte ich.
»Hören Sie erst die Geschichte!« sagte der Alte, mein Verlangen zur Geduld verweisend. »Es kann Ihnen wohl kaum, wenn Sie in das Dorf hereiugin- gen, das große, schöne Bauernhaus entgangen sepn, welches links vom Eingänge liegt. Es ist das größte und schönste Haus im Dorfe. Hof und Scheune, Stallungen und Schoppen, Alles ist prächtig und neu. Die Mauern schließen es sammt Garten und Hofraum ein. In dem Hause wohnte der reichste Bauer unsres Dorfes, der alte Riedel mit seiner Frau und seinem Sohne, und die Waise einer armen, entfernten Verwandten war seit etwa vier Jahren in's Haus gekommen, um das Gnadenbrod zu essen und die alte Riedelin in ihrem schweren Hauswesen und im Regieren des Gesindes zu unterstüzcn. Das Gnadenbrod ist ein rauh t und bitter Gebäcke. I
»Der Riedel und seine Frau waren stolze Leute. Sie hatten Alles im Ueberfluß. Ihre Ernten waren reich; ihr Vichstand zahlreich. Kein Unglück suchte sie heim. Geld genug gibt Muth genug — oft mehr als gut ist, nämlich Uebermuth. Das Mädchen mußte tüchtig arbeiten und wurde wenig beachtet.
»Paul,« sagte der Alte zu seinem Sohne, »ich will Alles neu bauen und zugleich mir eine Aufenthalts- Wohnung bauen im Hause. Dann übergebe ich Dir Alles- Du kannst dann heirathen und ich Ln Frieden leben.«
»Das Erste geschah. Wie schön und zweckmäßig er Alles neubaute, können Sie selbst sehen. Als dann nun Alles fertig war, kam's an die Heirath Pauls, und da gab'S denn Händel, die den Frieden der Familie heillos störten. Die Alten hingen an ihrem Reichihum mit ganzer Seele. Daß ihr Sohn nur eine reiche Erbin heirathen würde, hielten sie für längst ausgemacht; denn zu dem Gedanken kamen sie gar nicht, daß Paul aus der Art schlagen und eine Arme freien könnte. Paul war indessen ein seltsamer Bursch. Das kann ich Ihnen sagen, lieber Herr, ein schönerer, als er, lebte nicht im Thüringer Walde. Wenn ich hinzuseze, kein braverer, gesitteterer, so Hab' ich nur gesagt, was wahr und aller Welt bekannt war. Wenn er hätte freien wollen, so war ihm keine Thüre verschlossen weit und breit, denn Riedels Wohlstand war im Lande überall bekannt und der Ruf seines braven — die Mädchen sezten hinzu: seines bildschönen Sohnes nicht minder; aber es war eine absonderliche Sache, daß er keinem Mädchen vorzugsweise freundlich und hold gewesen war bisher, weder einer aus dem Dorfe, noch von draußen her. —
.,Als die Neubauten fertig waren, sagte der Riedel zu seiner Frau:
„Nun Hab' ich's doch dem Paul gesagt, er solle sich nach einer zu ihm passenden Frau umsehen; aber dem liegt das fern. Er macht keine Anstalten. Ich werde ihm freien müssen. Es ist ein kurioser Bub."
„Das konnte nun der alte Riedel bleiben lassen aus zweien Gründen. Erstens war der Paul keiner von Denen, die sich eine Frau freien lassen. Dazu war er zu selbstständig und fest. Und wenn ihm das gefreite Mädchen auch wirklich gefallen hätte, würde er sie nicht genommen haben. Ich meine, damit hätte er Recht gehabt. Solche gemachte Heirathen taugen in der Regel nichts. Hat sich da nicht das Herz zum Herzen gefunden von selbst, ober daß ich es richtiger sage: hat sie Gott nicht zusammengeführt in rechter Liebe, so gibt's keinen Einklang und meine reiche Erfahrung sagt's, daß all' das eheliche Unglück und Ka- zengebisse, das den Leuten daö Leben zur Hölle macht, aus solchen Freiereien stammt, die Eigennu; oder Ehrgeiz gemacht hat. So ist's! — Der zweite Grund aber war, daß Paul Eine still im Herzen trug und von ihr im Herzen getragen wurde. Das ahnete aber Niemand."
„Ich hab's vorhin erwähnt, daß seit etwa vier bis fünf Jahren die nachgelassene Tochter einer ent- : sernten Verwandten, die als Wittwc gestorben war, I in Riedels Haus gekommen war und darin ihr Stück-