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der Nähe weder Schreien noch sonst etwas gehört worben ist und der Verkehr dort zu dieser Zeit noch sehr lebhaft war.
Eßlingen, 19. Oktbr. Eine unangenehme Entdeckung machten heute früh die Herren Gebrüder Lindauer. Denselben war in vergangener Nacht aus ihren Stallungen ein Stier im Wert von ca. 309 ^ gestohlen worden. Von den Dieben fehlt bis jetzt jede Spur.
Heubach, 18. Okt. Der betreffende Knabe, über den schon zweimal berichtet wurde, ist gestern in Lautern abermals verhaftet worden. Dort hatte er dem Besitzer der Leinmühle 100 ^ während des Vormittagsgottesvienstes gestohlen und seinen schlechten Anzug mit dem des Knechtes vertauscht. Wie sich herausstellt, ist er von Leinzell, O. A. Gmünd, wo gleich nach der Konfirmation zwei Bürschchen davongelaufen sind und sich, wie es scheint, mit Stehlen beschäftigen. Auch soll der Junge nicht erst zwölf Jahre zählen, sondern fünfzehn. Diese Ausrede hat er nur genommen, um sich vor Strafe zu schützen. Don den 100 ^ hat er bei Festnahme nur noch 30 gehabt, umsomehr wird vermutet, daß er befreundete Helfer hat.
Aalen, 18. Okt. Der laufende Monat hat uns eine Reihe schöner Tage gebracht, eine wahre Wohlthat für die Landwirtschaft. Im Laufe der letzten Monate tauchte auf dem benachbarten Aalbuch wieder eine größere Anzahl von Hirschen auf, von i denen mehrere geschaffen wurden; es scheint nicht, als ! ob das edle Wild aus einem Parke entkommen wäre. Auch eine seit vielen Jahren bei uns verschollene Vogelort hat sich wieder, wie es scheint, in mehreren Stücken eingestellt, die größte unserer Eulengattung, der Uhu. In der letzten Zeit wurde in der Nähe ein prachtvolles, ausgewachsenes Stück dieses bei uns seltenen Vogels geschaffen. Früher horstete der Uhu vorzugsweise auf den Felsen des Rosensteins; gegenwärtig scheint er sich wieder auf den felsigen Höhen des Langerts einnisten zu wollen.
Großbottwar, 18. Oktbr. Auf gestern nachmittag hatten etliche Mitglieder der sog. Stuttgarter Friedensgessllschaft eine öffentliche Versammlung in die hiesige Bahnhofsrestauration zur Verbreitung der Idee einer friedlichen, politischen Verständigung unter den Nationen zusammenberufen. Den Vorsitz in der meist von Neugierigen besuchten Versammlung führte ein hiesiges eifriges Mitglied der radikalen Volkspartei, Schullehrer Jett er. Als Redner des Tags traten auf ein Herr Ad. Hart- mann uud Max Hausmeister aus Stuttgart. Herr Hartmann las einen Vortrag über die „Geschichte der Friedensbewegung" vor. Im Eingang des Vortrags wies dieser Redner hin auf diese in der ganzen Welt verbreiteten Ideen als des Pflicht- ziels der ganzen denkenden und fühlenden Menschheit zur Verwirklichung deS edlen Werkes des Völkerfriedens: die Errichtung eines internationalen Volkstribunals und politischen Schiedsgerichts unter den Nationen auf parlamentarischer Grundlage und dadurch Vermeidung der Opferung so vieler Millionen
von Menschen und Geldmittel. Er griff zurück auf die Raubfehden im Mittelalter, auf die Gewalt- thätigkeiten der Ritterschaft bis herauf zu den letzten Kriegen in Europa, welche ingesamt ihren Ursprung in der Ruhmsucht und im Eigensinn einzelner Machthaber haben sollten. Die Idee der internationalen Friedensverständigung gehe bis auf das Jahr 1335 zurück und habe dieser Gedanke schon Könige (Heinrich IV. von Frankreich), Philosophen (Kant, Leibnitz, Rousseau u. a.) beherrscht. Ueberall, insbesondere in dem friedliebenden Frankreich und Oesterreich-Ungarn, aber fast gar nicht in Deutschland — eine Wirkung des Militärstaats und der Gedankenlosigkeit der Massen, besonders der Gebildeten — seien Friedensgesellschaften entstanden und zähle man heute 311 solcher Vereinigungen, deren Ziel sei Einführung eines ständigen internationalen Friedensschiedsgerichts unter den Völkern frei von jeder Utopie. Bei künftigen Wahlen solle diese Forderung an jeden Abgeordneten gestellt werden. — Herr Max Hausmeister sprach nach diesen Auslassungen über die Ziele der Friede nsgesell- schaften. Er schiebt auch jede Schuld des Ausbruchs der Kriege auf die Machthaber und deren unheilvolle Politik und führte Beispiele an, wie Friedrich den Großen, Napoleon I., Nikolaus I. u. a. Sein ganzes Gift aber hatte Fürst Bismarck über sich ausgießen zu lassen als dem Sündenbock und Urheber alles Uebels seit 40 Jahren, welcher Rußland im Krimkrieg in die Hände gearbeitet, Oesterreich uns entfremdet und dadurch die heutige Deutschen- hetzs in Böhmen heraufbeschworen, der den Krieg von 1866 verschuldet und im Jahr 1870 das ganze Unheil, das den friedfertigen Franzosen geschehen,' verursacht habe. Doch verschweigt Herr Hausmeister im weiteren Verlauf seiner Friedensapostelrede nicht, daß eine Abrüstung unter den jetzigen politischen Verhältnissen eine Thorheit wäre. Als nachahmungswerte Beispiele internationaler Friedenspolitik führt dieser Redner an die Haltung Englands zu Amerika, welch' ersteres als ein Musterstaat internationalen friedlichen Abkommens zu nennen sei. In 10-20 Jahren werden sich, so sagt Max Hausmeister, alle Nationen auf dem internationalen Friedenskongreß die Hände bieten. Eine deutsche Marino sei völlig wertlos und es genügten 2 Armeekorps zur Stütze der Neutralität Belgiens und Hollands. Diese abenteuerliche Seepolitik sei verwerflich, unsere Kolonien sollen sich unter den Schutz Englands begeben (!) und die ganze heutige Politik sei eine Schraube ohne Ende. — In diesem Tone, welcher alle frühere und heutige deutsche Reichspolitik verdammte, predigte der Friedensapostel Max Hausmeister, so daß das Ganze mehr einer radikal-demokratisch-republikanischen Wahlrede gleichkam, anstatt daß den Zuhörern ein Bild versöhnender Friedenspolitik geboten wurde ohne gehässige Ausfälle gegen die Gefühle Andersdenkender. Es war mehr eine Hetz- als eine Friedensversammlung. Herr Stadtpfarrer Umfried-Stuttgart wird mit derartigen Aposteln für seine edlen Ideen keine Anhänger gewinnen.
Neckarsulm, 19. Okt. Am Sonntagnacht
Reise, um meine Seele von den furchtbaren Eindrücken der letzten Zeit zu befreien."
„Dieser Ansicht bin ich auch. Aber Sie dürfen jetzt Berlin nicht verlassen. Die Untersuchung gegen Fräulein von Helden ist in vollem Gange. Ich bin schon durch den Untersuchungsrichter vernommen worden. . . ."
„Ich ebenfalls, entgegnete Frau von Oettekint, tief aufseufzend, indem sie den Kopf sinken ließ und mit unheimlich glühenden Augen zu Boden starrte.
Der Arzt beobachtete sie mit scharfem Blick. Er schien in ihrer Seele, in ihrem Herzen zu lesen und was er da sah, bestätigte nur die Vermutung, welche er gleich am ersten Morgen nach jener Unglücksnacht gesagt hatte.
„Wird Cläre verurteilt werden?" fragte Frau von Oettekint nach einer Weile.
Der Arzt zuckte mit den Achseln. „Ich vermag den Fall nicht ganz zu überblicken," entgegnete er. „Ich kenne nicht alle Einzelheiten, doch scheint mir Fräulein Cläre's Schuld klar erwiesen."
Ein Zittern durchlief den Körper der Frau von Oettekints. Da richtete sich der kleine Kurt in seinem Bette auf und sagte bittend: „Weßhalb kommt Tante Cläre nicht wieder zurück? Ich will zu Tante Cläre, sie war stets so lieb und gut zu uns . . ."
Frau von Oettekint fuhr empor und warf mit einer stolzen, energischen Bewegung das Haupt in den Nacken. Die Worte ihres Knaben riefen ihr die Erinnerung an die Kränkungen zurück, denen sie nach ihrer Ansicht durch Cläre auSgesetzt gewesen war, an die Gefahr, durch ihre Stiefschwester nicht nur die Liebe ihres Gatten, sondern auch die ihrer Kinder zu verlieren.
„Schweig I" rief sie dem Knaben rauh und heftig zu. „Hab' ich Dir nicht
wurde bei Raufhändeln einer der Beteiligten in den Kopf gestochen. Montag früh erfolgte die Verhaftung eines der That verdächtigen Fabrikarbeiters durch den Stationskommandanten.
Nürnberg, 18. Oktober. In der heutigen Schlußsitzung des Ausschusses des 13. deutschen Bundesschieß en s wurde ein Defizit von etwas über 100000 ^ festgestellt. Vom Garantiefonds wurden 35 pCt. ein gefordert.
München, 19. Okt. Der Abg. Grillenberger, welcher heute morgen in der Kammer der Abgg. noch eine fast einflündige Rede gehalten hatte, wurde heute nachmittag gegen 3 Uhr auf dem Nachhausewegs vom Mittagessen in der Neuhauserstraße vomSchlagsgerührtund bewußtlos ins Krankenhaus verbracht.
München, 19. Okt. Der Abg. Grillenberger ist heute abend 6'/- Uhr dem ihn heute nachmittag betroffenen Schlaganfalle erlegen.
Darm stadt, 19. Okt. Wie die Neuen Hess. Volksblätter melden, werde» sich der Kaiser und die Kaiserin von Rußland morgen zum Besuch des deutschen Kaiserpaares nach Wiesbaden begeben.
Wiesbaden, 19. Okt. Der Kaiser empfing heute Vormittag das Offizierkorps des Füsilierregiments v. Gersdorff 1. Hess. Nr. 80, zu dessen Chef bekanntlich die Kaiserin Friedrich ernannt worden ist. Der Kommandeuer des Regiments Oberst Lölhöffel von Löwensprung stellte die Offiziere vor. Die Kaiserin unternahm heute Vormittag mit den kaiserlichen Prinzen eine Spazierfahrt und gedenkt heute Nachmittag die Wohlthätigkeits-Anstallen zu besuchen.
Wiesbaden, 19. Okt. Der Kaiser von Rußland hat sich für morgen, Mittwoch, zum Besuch beim Kaiser angesagt.
Leipzig, 19. Okt. Heute mittag wurde die sächsisch-thüring. Gewerbeausstellung im Beisein des Staatsministers v. Metzsch, der Vertreter der staatl. und städt. Behörden, sowie zahlreicher geladener Ehrengäste feierlich geschlossen. Der Stadtrat Bodcl gab hiebei der Ueberzeugung Ausdruck, daß die Garantiefondszeichner zur Deckung der Kosten wahrscheinlich nicht oder nur ganz wenig herangezogen zu werden brauchen.
Lyck, 15. Okt. Wegen einer höchst eigenartigen Urkundenfälschung wurde von der hiesigen Strafkammer ein Arbeiter zu drei Tagen Gefängnis verurteilt. Seine Frau war im April d. I. von Zwillingen entbunden worden. Mutter und Kinder starben im Monat Mai und zwar die Mutter am 18., das erste Kind am 19. und das zweit« am 30. Der Angeklagte hatte nun schon am 19. auch den Tod des zweiten Kindes beim Standesamt angezeigt, weil er mit Sicherheit voraussah, daß es sterben würde.
Uermischtes.
— Nachdem dem Schloßbrunnen Gerolstein auf der Fachausstellung Düsseldorf die
verboten, von Tante zu sprechen? Hab' ich Dir nicht gesagt, daß sie sehr, sehr bös gegen Euch gewesen ist? Daß durch ihre Schuld die arme kleine Emmy sterben mußte und Du selbst schwer krank geworden bist?"
Ein trotziger Zug machte sich auf dem Antlitz des Knaben bemerkbar.
„Ich glaub' es aber nicht, Mama," entgegnete er, „Tante Cläre hat es nicht gethan, Tante Cläre war viel zu gut.... ich weiß, wer es gethan hat.. ." „Willst Du wohl schweigen, Du unartiger Junge!"
Frau von Oettekint's Gesicht nahm einen furchtbaren Ausdruck an. Die Zornader schwoll auf ihrer Stirn an; sie erhob die Hand, um den Knaben zu schlagen, der sich fest in die Kissen drückte.
Doktor Mittenzweig ergriff ihre emporgehobene Hand. „Ich bitte Sie, gnädige Frau — lassen Sie sich durch die thörichten Reden des Kindes nicht erregen. Kommen Sie — lassen Sie uns in ihr Zimmer treten. Ich möchte noch einige Worte mit Ihnen sprechen, die dieser junge Naseweiß nicht zu hören braucht."
Mit diesen Worten gab er dem Knaben einen leichten Streich auf die Wangen und drohte ihm init dem Finger.
„Immer hübsch und artig Deiner Mutter gegenüber, mein Söhnchen. Und geduldig im Bett bleiben, bis ich Dir erlaube, aufzustehen."
„Ich würde schon geduldig sein," versetzte der Junge trotzig, „wenn Tante Cläre hier wäre."
„ Still jetzt von Tante Cläre und glaube, was Deine Mama Dir gesagt hat." Der Junge schwieg. Aber daß ihn auch die Worte des Doktors nicht überzeugt hatten, bewies sein trotziges Gesichtchen, mit dem er sich wieder niederlegte.
(Fortsetzung folgt.)