Schaukel, die auf dem Rasenplatz vor dem Hause an- gebrachtWar, und neben der ein Wiegcnpfcrd stand, das in mehrjährigen Diensten den Kopf eingebüßt, in seiner Brauchbarkeit aber dadurch nichts verloren hatte, beurkundete, daß die engern Räume des evangelischen Pfarrhauses auch durch kleine Bewohner belebt war.
An einem schönen Wintermorgen des Jahres 1814 verließ der Pfarrer des evangelischen Ortsthcils seine Wohnung, um eine Runde durch das Dorf zu machen. Er war nicht weit gekommen, so traf er auf eine Gruppe von Knaben, die mit hölzernen Säbeln, papierne Tscha- ko's auf dem Kopf, ein militärisches Spiel aufführten. Sie mochten den Scherz rer Wirklichkeit zu nahe ge. bracht haben, denn einer der Kleineren aus der Ge- sellschaft lies laut weinend, mit blutender Nase, an dem Pfarrer vorüber nach Haus, um wahrscheinlich der Mutter sein Leid zu klagen. „Warum gicngt ihr nicht in die Schule?" redete sie der Pfarrer unwillig! an. Einige der Knaben schienen betroffen, einer der größeren aber versetzte keck: „wir mögen nicht!" Der Pfarrer öffnete den Mund zu einer scharfen Rede; aber die Knaben schienen nicht Willens, dieselbe zu erwarten, sondern liefen schnell davon, kletterten über den Zaun eines benachbarten Gartens, wo ihnen zu folgen ihm schlecht angestandcn wäre, und bald hatte die commandirende Stimme des erwähnten frechen Knaben sie alle wieder zum Spiel versammelt. Seufzend ging der Geistliche weiter, einem kleinen Gebäude von düsterem Aussehen zu, dessen staubbedeckte Fenster in allen Regenbogenfarben, die veralteter Schmutz mit Regenwasser verbunden darauf hervorgebracht, schimmerten. Schon von ferne scholl ihm aus den, unfreiwillig und unregelmäßig an den Scheiben entstandenen Oeffnungcn ein verworrener Lärm streitender Stimmen entgegen, und das Gesicht des Geistlichen drückte noch mehr Bekümmerniß aus, als er vor sich hinmurmelte: „kein Wunder, daß die Knaben diese Schule wie ein Gefängniß scheuen; erbarme sich Gott der armen Kinder!" Eben betrat er die Hausschwclle, da ward die Thüre von innen aufgerissen, und heraus stürzte ein kleiner Knabe heulend und mit den ungewaschenen Händen die Thräncn aus dem Gesichte wischend, was eine seltsame, tragikomische Bemalung gab. Er wollte eben, ohne in der Eile den Pfarrer zu bemerken, an ihm vorüber stürzen, als er sich von dessen Händen gehalten fühlte; erstaunt blickte er auf, und stand, als er den Pfarrer erkannte, mit geöffnetem Munde still.
Mit einer Miene, in der Unwille und Mitleid sich mischten, frug der Pfarrer: „nun Kleiner, warum verläßt du die Schule außer der Zeit?" „Der Schulmeister hat mich geschlagen!" rief der Knabe, und schien Willens, ein <la. oapo anzustimmen. Der ernste Ton, in dem der Pfarrer weiter fuhr, schnitt dieß aber ab; „warum? du wirst's verdient haben? was hast du ge- than?" Der Kleine wollte nicht mit der Sprache heraus. Endlich begriff der Pfarrer aus der unzusammenhängenden Erzählung Folgendes: der Schulmeister habe geschlafen, und da hätten ihm die größeren Knaben mit Kreide Figuren auf den Rücken gemalt. Bon dem allgemeinen Gelächter erweckt und aufmerksam gemacht.
habe der Schulmeister in der Zorneswuth den Kleinen, der sich durch besonderes Helles Lachen bemerklich gemacht haben mochte, ergriffen, und tüchtig durchgcprügeti. „Ich habe nichts gethau," versicherte der Knabe mehrmals, und man sah ihm an, daß er die Wahrheit sprach. Der Pfarrer gab ihm eine ernste Ermahnung über die Strafwürdigkeil der Sünde, den Lehrer ausuilachen, entließ ihn dann, und trat selbst in die Schulftube. Der Anblick, der hier sich ihm bot, war ein überaus kläglicher. Der Lehrer, ein alter Manns, in zerlumptem Rock, ungekämmten Haaren, und rothem, widerlich aufgedunsenem Gesicht, fuhr in der engen dunkeln Stube herum, einen dicken Stock in der Hank; die Kinder saßen an ihren Plätzen bald lachend bald weinend, je nachdem der zornentbrannte Mann ihnen Gesicht oder Rücken zeigte. Das Eintreten des Pfarrers machte dem unwürdigen Schauspiel plötzlich ein Ende; in unwilligem strengem Tone wandte er sich an den Lehrer mit der Frage nach dem Grund dieses Unfugs. In einer Mischung von Zorn und Scham stotterte dieser die Erzählung des Spottes, den die Schüler mit ihm getrieben, hervor. «Und Sie schliefen während der Schulzeit?" frug der Pfarrer mit schneidender Betonung.
Beschämt schlug der Mann die Augen nieder. „Es wird gut seyn, wenn Sie sich entfernen; ich werde m Ihrer Gegenwart die Kinder nicht zu der geziemenden Sammlung bringen können!" fuhr der Pfarrer streng fort, und der Lehrer entfernte sich beschämt, um in seiner Stube die zornige Wallung seines Bluts, die er in Gegenwart des Pfarrers nicht äußern durfte, auszu- laffen. Der Pfarrer aber wandte sich nun an die Kinder, die mit flammender Röthe auf den Gesichtern, die Augen niedergeschlagen, so stille, daß man jeden Athem- zug hören könnte, da saßen. Stumm und ernst sah er erst die Gesichter an, auf denen die strafende Sprache des Gewissens mit so leserlichen Zügen geschrieben stand, und hob dann mit einer Stimme, die tiefe, väterliche Bekümmcrniß zeigte, seine Rede an, führte den Kindern in starken Worten die Größe der begangenen Sünde zu Gemüth, und zeigte den Ernst, womit Gott in der heiligen Schrift die Sünde des Ungehorsams, ja des Spottes, gegen Eltern und Lehrer straft.
Seine Rede machte um ffo größeren Eindruck, als sie nicht von Leidenschaft getrübt war, sondern durch den Ernst auch Liebe durchblicken ließ. Keine widersprechende Stimme ließ sich vernehmen. Gesenkte Blicke, und von den Tafeln der Mädchen unterdrückte Thränen zeigten den Eindruck, den die Worte des treuen Seelsorgers machten.
Als er geendet, nahm er den Unterricht auf, und die Aufmerksamkeit der Kinder belohnte ihn für seine Mühe, zeigte aber zugleich, wie auffallend niedrig der Stand der Kenntnißc der Kinder war. Einer der wichtigsten Zweige seines Amtes, der ihm hauptsächlich auf dem Herzen lag, war der Zustand der Schule. Alle seine Bemühungen, diese aus dem Staub, in dem sie darnieder lag, empor zu heben, scheiterten an dem siebenfachen Panzer, den alte Gewohnheit, verbunden mit der Liebe zum Branntwein, um die Seele des alten Mannes gezogen hatte, und auf der andern Seite an der völligen Gleichgültigkeit, welche wie Vorsteher der Gemeinde gegen den Zustand der Schule zeigte», an ihrer entschiedenen Ungeneigtheit, dem Unterricht ihrer Kinder ein Opfer zu bringen, und an den bestehenden Gesetzen, die sie nicht hiezu verpflichteten, sondern den Schuluntericht ihrer Willkür anheimstellten. Die wen ge Zeit, die er von seinen Amtsgeschäften erübrigen konnte, und gewissenhaft der Schule zuwandte, reichte nicht hin, dem Verderben zu steuern.
Bald ward der Unterricht aufs Neue gestört; ferner Trommelschlag donnerte in's Ohr der Kinder, Trom- petenklünge tönten schmetternd dazwischen. Der Pfarrer sah, daß alle Mühe, die Aufmerksamkeit der Kinder ferner zu fesseln, vergeblich war, denn während der Finger die Bücher oder Tafeln durchirrte, streifte der