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der Luiken, der sonst den Markt beherrscht, nur schwach vertreten; schöne Waare ist kaum zu finden (35 -H). Unter den Birnen sind verschiedene Sorten von Bergamott, vielfach in vortrefflicher Reife, angcboten. Quitten sind eben daran, die Goldfarbe zu gewinnen. An Fischen und Wild (Reh ziemlich zahlreich; Hasen zu mäßigen Preisen) reichliche Auswahl. Der Blumen- markt sieht durch Massen von Chrysanthemum fast bunter aus als im Frühjahr. (Schw. M.)
Trochtelfingen, 10. Nov. Im schönen Saale des ncuerbauten Gasthauses z. Rößle hier fand heute'cine Plenarversammlung der 2. landwirtschaftlichen Bezirksstelle statt, wozu sich zahlreiche Zuhörer eingefunden hatten. Nach Begrüßung dsr Anwesenden durch den Vorsitzenden, Hrn. Oberamtmann Dr. Bahlmann von Gammertingcn, erteilte dieser das Wort dem Landespomologcn Hrn. Deigendesch zu dem angelündigten Vortrog über Obstbaumzucht. In belehrenden Worten zeigte er, wie die Bäume gepflanzt, gewartet und gepflegt weiden sollen, welche Arten am besten für uns taugen, sprach sodann über die Schädlinge und Feinde des Obstbaues und schloß mit der Mahnung an Alle, den Obstbau zu pflegen und zu hegen, getreu dem Sprichwort: Auf leeren Raum pflanz' einen Baum und pflege sein, er bringt dir's ein. Auch über die gegenwärtig so sehr in Verbreitung stehende Zibebenmost- bereitung gab er lehrreiche Winke. Die Debatte hierüber war sehr lebhaft und beteiligten sich besonders daran die Herren Lehrer Schienle und Hag, beide bekannt als tüchtige Pomologen. Letzterer demonstrierte sä oculvs, indem er Proben von Beeren- und Zibeben- weinen kosten ließ, welche trefflich mundeten. Den zweiten Vortrag hatte Hr. Stadttierarzt Deubel von (Jämmerlingen übernommen und sprach über Viehzucht. Der Herr Redner teilte mit, daß laut Beschluß der 2. Bezirksstelle im nächsten Jahre im Gammer- tingen ein landwirtschaftliches Fest abgehalten werden soll, wozu schon seitens des Staates und des Amts- verbandes Geldmittel zur Prämierung bewilligt worden seien. Leider, führte der Redner aus, sei unsere schon bestanden gewesene Zuchtviehgenossenschaft wieder aus dem Leim gegangen, cs werde aber beabsichtigt, dieselbe wieder zu errichten. Um nun bei dem Feste konkurrieren zu können, forderte Redner auf, sich jetzt schon daran zu begeben, schönes Vieh heranzuziehen, und gab verschiedene Ratschläge und Winke über die Behandlung und Aufzucht der Kälber. ES sei die richtige Aufzucht des Jungviehs im eigenen Interesse jedes Landwirtes gelegen. Körnerbau rentiere sich nicht mehr, und deshalb sei Viehzucht die einzige ergiebige Quelle des Landwirts. Man sah wohl, genannter Herr Redner hatte sich gut vorbereitet und fand auch dieser Vortrag, der sehr lehrreich war, ungeteilten Beifall. Als dritter Punkt der Tagesordnung war eine Besprechung über Hagelversicherungen angesetzt und hatte der Herr Vorsitzende hierzu das Referat selbst übernommen. Seitens der Hagel-
versicherungsgesellschast Borussia ist an die Zentralstelle im Laufe dieses Sommers das Ansuchen gestellt worden, die Landwirte zu bewegen, bei der Borussia zu versichern, sozusagen einen Zwang auf sie auszuüben. Die im diesseitigen Bezirke am stärksten vertretenen Versicherungen sind nun die Magdeburger- und die Allgemeine Norddeutsche Hagelversicherungsgesellschaft; letztere wohl am meisten und ist man mit solcher auch recht zufrieden. Herr Redner verglich nun die Statuten, Bedingungen und Prämiensätze der genannten drei Versicherungen miteinander, bei welchem Vergleich die Norddeutsche wohl am besten wegkam, und forderte sodann die Landwirte auf, sich hierüber auszusprechcn. Die Debatte war sehr lebhaft und kam man zum Schluffe darauf zurück, eine Zwangshagelversicherung wäre wohl sehr gut, es müßte aber zuerst ein Fond gesammelt werden, wobei die Staatsregierung zu ersuchen wäre, auch ihrerseits durch Bewilligung größerer Posten beizutragen. Mit Aufnahme mehrerer neuer Mitglieder schloß die sehr lehrreiche und interessante Versammlung.
Marbach, 11. Nov. Das Schillerfest, welches gestern hier abgehalten wurde, nahm einen sehr schönen Verlauf. Das Geburtsfcst des Dichters wurde in der Frühe durch die Schillerglocke eingeläutet, die auch mittags wiederum eine halbe Stunde ertönte. Abends 6 Uhr versammelte sich der Liederkranz vor dem festlich beleuchteten Schillerhause und sang drei Lieder: „O Schutzgeist alles Schönen" von Mozart, „Sanktus" von Schubert und „Stumm schläft der Sänger" von Silcher. Um 8 Uhr fand alsdann das Festbankett im Gasthof zur Post statt. Eröffnet wurde dasselbe durch den Gesang des Liederkranzes unter Leitung seines Dirigenten des Herrn Kollaborator Brauer mit dem Chor „An die Freude". Der Vorstand des Schillervereins Herr Stadtschultheiß Haffner hielt hierauf eine längere Rede über das zu errichtende Schillermuseum und brachte eine Anzahl Briefe und Telegramme zur Verlesung, darunter auch ein Schreiben aus dem Kabinett des Königs. Mit einem begeistert aufgenommencn Hoch auf Seine Majestät den König, der die Anregung zur Gründung des Schwäbischen SchillervercinS gegeben hat, schloß der Redner. Es folgten noch eine Reihe von Reden, Deklamationen und Gesangsvorträgen, welche sämtliche mit großem Beifall ausgenommen wurden. — Zu der im K. Hoftheater in Stuttgart stattfindenden Aufführung des Wilhelm Teil, deren Ertrag auf Befehl S. M. des Königs für den Schwäbischen Schillerverein bestimmt ist, haben sich von hier gegen ISO Personen angesagt. Ein Extrazug wird die Theaterbesucher wieder hierher zurückbringen.
Giengen a. B. 11. Nov. Am letzten Dienstag Abend kam ein etwa 12jähr. Knabe in eine hies. Wirtschaft um zu übernachten. Derselbe gab an, in Paffau Zigeunern entlaufen und unbehelligt bis hierher gekommen zu sein. Das Bürschchen war ordentlich gekleidet, hat ziemlich gute Schulkenntnisse, be
hauptet aber, weder seinen Namen noch seine HeimaL: zu kennen. Am Mittwoch wurde der Knabe vor daS Oberamt Heidenheim geführt und dort vernommen,, jedoch ohne Erfolg. Gestern nun wurde der Knabe- als der Sohn eines Eisenbahnbeamten in Gundelfingen erkannt und seinen Eltern zugeführt. Die von ihm vorgebrachte abenteuerliche Zigeunergeschichte ist gänzlich aus der Luft gegriffen. Als der Knabe auf dem Rathause hier seinem Vater gegenübergestellt : wurde, hatte er die Stirne, zu erklären: „Ich kenne. Sie nicht. Sie sind gar nicht mein Vater!"
Ravensburg, S. Nov. Zufuhr 500 Sack,' Mostobst, Preise für Aepfel und Birnen 4 ^ 50 bis 5 ^ 50 -iz per Ztr.
T Pforzheim. Im nahen Orte We iß enstein ist in der Nacht zum letzten Sonntag der 46 Jahre alte verheiratete Goldarbeiter Ulrich Bronnen von dort vor dem Gasthaus z. Lamm von dem 21 Jahre alten Goldarbeiter Gustav Seifert, ebenfalls von Weißenstein, mittelst eines Stellmessers derart in den Unterleib gestochen worden, daß er nach 24 Stunden seinen Geist aufgab. Der ruchlose Thäter wurde bald nach der That verhaftet. Der Verschiedene,. der die Feldzüge 1866, 70 und 71 mitgemacht, war, am Samstag mit 3 anderen Veteranen in Dillsteirr in der Linde.
Ludwigshafen, 11. Nov. Der vorige Woche verstorbene Kommerziemat Adolph Jacquet, kaufmännischer Direktor der Waggonfabrik Ludwigshafen, hat, wie sich jetzt herausstellt, zum Nachteil dieser Fabrik 800,000 unterschlagen. Der Tod Jacquets erfolgte durch Selbstmord mittelst Erschießens. Die Geschäftsbücher befinden sich in vollständig vernachlässigtem, unordentlichem Zustande. Das Vorkommnis erregt großes Aufsehen. Die Ludwigshafener Waggonfabrik wird wahrscheinlich liquidieren.
Berlin. Der Kaiser, Prinz Heinrich und Großfürst Wladimir von Rußland begeberr sich am Donnerstag zur Jagd nach Letzlingen.
Stettin, 11. Nov. Gegen den verantwortlichen Redakteur des hiesigen sozialdemokratischen Volksblattes ist Anklage wegen Majestätsbeleidigung erhoben worden, weil derselbe den Artikel des Vorwärts, , „Sedan und kein Ende" zum Abdruck gebracht hat.
London, 11. November. Zwischen hier und Aberdeen stieß ein Expreßzug mit einem Güterzug zusammen. Fast sämtliche Reisenden wurden verletzt. Vier derselben sind bereits ihren Wunden erlegen.
Paris, 12. Nov. Der Kriegsminister begab sich gestern nach Port Venedre, um der Ankunft der aus Madagaskar heimkehrenden Soldaten beizuwohnen.
Vermischtes.
sElektrisches.s Herr Staatssekretär vr. von Stephan hat bei der Eröffnung der ersten Wintersitzung des elektrotechnischen Vereins
und in jener Sekunde fühlte ich es auch schon, daß mich ein smchtbares Schicksal «reichen müsse!"
Wieder starrte der unglückliche Mann brütend vor sich in'S Leere.
Ich wagte ihn nicht zu stören. Aber schon nach kurzer Zeit begann er wieder:
Noch heute ist mir's unklar, waS ich im gräßlichen Schrecken jener Sckur.den gethan. Ich rief die Dienstmogd, die Hausleute kamen herbei — ich lief noch einem Arzte — und als ich wiederkehrte. da wurde ich auch schon unter der Anklage verhaftet, mein Weib ermordet zu haben. Marie — so hieß meine Frau — sollte mich selbst als ihren Mörder angegeben haben!"
Er stöhnte dumpf und rang die Hände.
„Erst schien mir's unfaßbar, daß man an mein Verschulden glauben könnte," fuhr Albert Ziethen leise fort. „Ich war ja in Köln gewesen und konnte wem Alibi auf die Minute Nachweisen. Als der Mord geschah, da war ich ja noch im rollenden Eisenbahnwagen — aber die Beamten hielten mich für den Mörder. Der Untersuchungsrichter, vor den ich am nächsten Tage geführt wurde, auch. Er schalt mich einen Lügner, als ich meine Unschuld beteuerte — er wiederholte, daß meine mit zerschnuttertrm Hirnschädel im Krankenhause liegende Frau mich als ihren Mörder mit Bestimmtheit bezeichnet habe.
Ich konnte es nicht glauben. Freilich, wie mein armes Mariechen in ihrer Bewußtlosigkeit sprach — wie das gegen mich sollte zeugen können, das begriff ich nicht — aber eine heiße Sehnsucht kam mich an, zu meinem Weibe geführt zu werden. Ich wußte es ja, daß sie mir in'S Angesicht nicht den öden Wahn behaupten würde — da mußte es Tag werden, wenn ich ihr in die Augen scheute — aber — aber —"
Wieder flockte des unglücklichen Mannes Stimme. Er mußte gewaltsam nach Fassung ringen.
„Umsonst beschwor ich den Richter, mich vor mein Weib treten zu lasten," murmeUe Albert Ziethen endlich mit thränenerstickter Stimme. „Der Untersuchungsrichter wieS mich ad. Was jedem wirklichen Mörder sicherlich die größte Qual ist:
vor sein Opfer treten zu müssen, ich erbat cs, als höchste Vergünstigung. — Ein Wort, ach. ein erbärmliches, einziges Wort mußte ja den Thatbestand erhellen — und der Rechter ließ m ch nicht zu meinem Weibe — er fürchtete eine Verdunkelung, wie er sich ausdrückte — und das ging fünf Tage lang. Auf meinen Knieen beschwor ich ihn, ich weinte, bat und schrie: umsonst, man ließ mich nicht zu meinem Weibe. — Jedes Wort, welches die unter dem Mordftreiche des wirklichen ThäterS langsam Dahinsiechende im öden Fieberwahns vor sich hingelallt hat — cs wurde als Belastungsmoment wider mich sorglich ausgezeichnet — aber mich selbst hielt man in der Zelle eingcsperrt — mich ließ man nicht zu meinem Weibe — wo ein einziges Wo-t die Wahrheit hätte an den Tag bringen müssen! Erst vor meines Weibes Leiche führte man mich — freilich da konnte die arme Marie nimmer sprechen und all meinen Beteuerungen zum Trotz war mein Schicksal entschieden!"
Er faßte plötzlich meine Hand und preßte diese ungestüm.
„Jst's möglch, daß man so ohnmächtig sein muß?" murmelte er. „Sich unschuldig w ssen und es doch keinem Menschen glaubhaft machen können — sich verurteilen lassen müssen. — O, es war mir oft, als ob aus allen Ecken und Enden meiner Zrlle der Wahnsinn an mich herangekrochen käme —"
„Aber das wäre noch nicht das Ärgste!" setzte er ächzend Hinz". Jahre schon weilte ich hier, da gelang es den rastlosen B.mühungen meines guten Bruders Heinrich, die Spur des wahren Mörders ausfindig zu machen und diesen zum Geständnis zu brn gen: es war mein Lehrling August Wilhelm, der hatte sich in seiner Abwesenheit wider mein Weib vergehen wollen — und als die Ärmste ihm gedroht, rs mir zu berichten — da hat der Schändliche aus Furcht vor der zu erwartenden Strafe die Unglückliche hinterrücks niedergeschlagen; so gestand er wenigstens ein. Freilich, dieser Lügner widerrief in einem Atemzuge — jeden Tag wußte er Neues anzugeben — trotzdem hatte das Landgericht Elberfeld die Wiederaufnahme des Verfahrens beschlossen. Von neuem sollte ich vor die Geschworenen treten! O, eine innere Stimme sagte mir, daß ich diesmal meine Unschuld vor aller Welt würde erweisen können!" , (Forts, folgt.)