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Sieges zu entwinden und durch Schaffung eines weiteren Kleinstaates seinen eigenen Einfluß im Bunde zu verstärken. Das aber konnte Bismarck, konnte der König von Preußen nicht dulden. So kam cs zur Entscheidung durch Waffengewalt, zum Krieg zwischen Oesterreich und Preußen. Bei diesem Waffengange hatte Oesterreich, außer den süddeutschen Staaten, auf seiner Seite Hannover und Sachsen, Hessen und Nassau, die, trotz ihrer geographischen Lage, aus angeblicher Bundestreue, in Wahrheit in mißverstandenem eigenem Interesse es mit Habsburg hielten. Ein Feldzug von 7 Wochen mit den Truppen, deren Haltung über alles Lob erhaben war, genügte, um Preußens militärische Uebermacht aller Welt kund zu thun. Jetzt auf einmal gingen vielen die Augen auf über die wahren Ziele Bismarck'scher Politik, und während in Böhmen noch die Kanonen donnerten, zogen die Berliner zu Tausenden vor das Palais des Grafen Bismarck, um ihm, den erst noch Bestgehaßten, begeisterte Huldigungen darzubringen. Vergessen waren die Verfassungskämpfe der letztvergangenen Jahre, beschämt dachte man an die Beifallsbezeugungen, die man eben noch einem exaltierten Menschen gespendet hatte, der gegen Bismarck die Mörderhand erhoben hatte. That sich doch vor den geblendeten Augen plötzlich ver Blick auf in eine glänzende Zukunft der preußischen Monarchie. Grollend standen noch die Südstaaten zur Seite, aber auch hier wurde mancher von den besten Männern stutzig, als das Verhalten des „Stockpreußen" Bismarck bei den Friedensverhandlungen bekannt wurde. Dieser verlangte von Oesterreich gar nichts als sein Ausscheiden aus dem deutschen Bund; Gebietserwerbungen forderte er nur in Norddeutschland, soweit sie im Interesse des Zusammenhangs und der Einheit des Königreichs Preußen erforderlich waren, nämlich Hannover, Kurhessen, Nassau und die freie Stadt Frankfurt. Die Kleinstaaten nördlich des Mains hatten sich mit Preußen zum norddeutschen Bund zusammenzuschließen. Die süddeutschen Staaten, die vom Sieger alles zu befürchten hatten, kamen mit der Leistung mäßiger Kriegsentschädigungen ohne jeden Gebietsverlust davon und bewahrten ihre Unabhängigkeit. Der naheliegenden Gefahr, daß aus dem den preußischen Waffen erlegenen Süddeutschlanv ein neuer Rheinbund erwachse, beugte Bismarck durch den Abschluß eines Schutz- und Trutzbündnisses gegen auswärtige Feinde zwischen Preußen und den Südstaaten vor. Damit war das vorläufige Ziel der Bismarck'schen Politik erreicht. Preußens führende Stellung in Deutschland war gesichert, Preußens Heer erfüllte mit seinem Waffenruhm die Welt. Aber noch sollte das Schwert nicht endgiltig mit der Pflugschar vertauscht werden dürfen, noch galt es Gewehr bei Fuß stehen zu bleiben. Das wußte niemand besser als Bismarck, der allein dem listigen Imperator an der Seine in die Karten sah. Schon im Jahre 1862 hatte die kaiserliche Regierung in Frankreich der preußischen Vorschläge gemacht, die einem Mann von geringerem Nationalgcsühl, als Bismarck es war, sehr einleuchtend erschienen wären. Nach diesen Vorschlägen erklärte Frankreich sich bereit, Preußen in Norddeutschland freie Hand zu lassen und ihm gegen Oesterreich beizustehcn, falls — ihm Preußen die Abtretung deS Gebiets zwischen Mosel und Rhein zusichere. Solche Pläne wagte die französische Regierung vor dem mächtigen Manne u enthüllen, der es bei anderer Gelegenheit aus- prach, daß mit seinem Willen kein Dorf, kein Kleefeld von deutschem Gebiete in fremde Hände fallen iolle. Und jetzt wäre es unmittelbar nach dem Frieden von Nickolsburg um ein Haar zum Krieg zwischen Preußen und Frankreich gekommen, weil Napoleon von Preußen eine Belohnung verlangte. Wofür? Dafür, daß Frankreich sich in die deutschen Angelegenheiten erst beim Friedensschlüsse mischte und nicht schon früher. Welche Belohnung? Abtretung von Rheinhessen und der Rheinpfatz, eines der schönsten Gebiete desjenigen Landes, dessen Regierung eben noch die Hilfe Frankreichs gegen Preußen angerufen hatte. Welche demütigende Lehre für den bairischen Minister von der Pfordten mußte es sein, als ihm Bismarck auseinandersetzte, wessen sich Baiern von der Freundschaft Frankreichs zu versehen hätte. Wider Willen aber hat Napoleon damals, wie anno 70, der deutschen Sache selbst Len größten Dienst geleistet, denn das Heraustreten solcher Pläne beförderte den engeren Anschluß des deutschen Südens an den Norden aufs beste. Noch einigemal gelang es Bismarck den Vergrößerungsgelüsten des welschen Nachbarn auf diplomatischem Wege entgegenzutreten, bis in den Julitagen des I. 1870 zene blutige Herausforderung des preußischen Königs und mit ihm des ganzen deutschen Volks den großen
Krieg entzündete, der Deutschlands Einheit, hoffentlich für immer, geschmiedet hat. Rache für Sadowa! riefen die französischen Zeitungen Tag für Tag nach der Schlacht von Königgrätz, wo doch ganz andere Leute besiegt worden waren, als die Franzosen. Eroberung des linken Rheinufers oder doch wenigstens tiefe Demütigung Preußens, falls dieses schwach genug wäre, dem Waffengange auszuweichen, war das höchste Ziel der auswärtigen Politik des französischen Kabinets seit 1866. Daß diese durch zahlreiche Dokumente unwiderleglich bewiesenen Absichten und Pläne zum Kriege zwischen Frankreich und Preußen treiben mußten, das, sollte man meinen, müßte heute jeder Deutsche felsenfest überzeugt sein. Was haben wir statt dessen noch im Jahre der silbernen Jubelfeier der Schlacht von Sedan erlebt? Daß Leute, die sich Deutsche nennen, in ihrem blinden Haß gegen den Gründer des Reichs, den „Depeschenfälscher" Bismarck für den Krieg verantwortlich machten, den Krieg, bei dessen Ausbruch kein Deutscher auch nur einen Augenblick über den wahren Urheber im Zweifel war. Es liegt mir ferne diese hundertmal widerlegte, tausendmal wiederholte Lüge heute vor Ihnen abermals im Einzelnen zu widerlegen; wir alle aber haben das Gefühl, daß es eine Schmach für den deutschen Namen selbst ist, daß derartige Verleumdungen heute in unserem Volke ein Echo finden. Auf dem blutgetränkten Boden Frankreichs nun, mitten unter den stolzesten Erinnerungen dieses stolzen Landes, im Schlosse zu Versailles, wo die Herrscher Frankreichs so oft schon ihre Triumphe über das besiegte und zertretene Deutschland gefeiert hatten, sah Bismarck all sein Streben und Wirken aufs herrlichste belohnt. Welche Gefühle müssen die Brust dieses einzigen Mannes durchstürmt haben, als am 18. Jan. 1871 sein geliebter Herr und König unter den begeisterten Zurufen der Fürsten und Herren des neuen Reichs zum Kaiser gekrönt wurde. Auf- gerichtet war das deutsche Reich, dem nun auch kein Glied mehr fehlte, und, was mehr noch war, es war gegründet auf einen Felsengrund, der, wir hoffen und wünschen es, auch den stärksten Stürmen Stand halten wird. Dieser Felsen, auf den Bismarck cs gestellt hat, ist die freiwillige Reichstreue der deutschen Fürsten. Und an diesem Grundsatz festzuhalten war seit 71 das eifrigste Bestreben des ersten Kanzlers des deutschen Reichs. Treue um Treue war sein Wahlspruch. Wie hat er es verstanden, Fürsten und Völker in alle dem zu schützen, wo sie, unbeschadet der Einheit, verlangen konnten, daß altbewährte Rechte und Institutionen bestehen blieben. Darum fühlen sich auch am heutigen Tage, alle, die nicht untergegangen sind in den Sonderinteressen der Parteiungen, alle, die es der Mühe wert halten stolz zu sein auf den Namen Deutsche, Norddeutsche und Süddeutsche, Protestanten und Katholiken, von Herzen gedrungen, ihre Huldigung darzubringen dem Begründer und Festiger der deutschen Einheit. Und in diesem Gefühle unauslöschlicher Verehrung wissen wir uns eins, mit den Fürsten aller deutschen Stämme, die, den Kaiser an der Spitze, heute Gott dafür danken, daß er uns den Mann, um den uns alle Nationen der Erde beneiden, bis zu dieser Stunde erhalten hat. Oft schon hat Fürst Bismarck bitter den Undank derer erfahren, für die er sein Leben und seine Kraft eingesetzt hat, oft schon aber hat er auch erleben dürfen, daß die Treue noch kein leerer Schall ist in deutschen Landen. Gerade das letzte Jahrzehnt seines Lebens, das ihm so vieles Leid, so viele Kränkungen brachte, hat ihm auch wieder gezeigt, wie tief die Liebe und Verehrung zu ihm wurzelt in dem Herzen des deutschen Volkes. Deshalb haben wir auch allen Grund zu hoffen, daß der Freudenruf, der heute in allen deutschen Gauen ertönt darüber, daß wir den Begründer des Reichs noch unter uns haben, auch dem Auslande an die Ohren schallt. Möge er den Feinden des Reichs das Bewußtsein schärfen, daß ihr Jubel über den kläglichen Beschluß des Reichstags noch zu früh ist, daß die Schöpfung des Fürsten Bismarck noch lange nicht zusammenbricht! Mögen mit uns alle wahrhaft deutschen Männer sich in dieser Stunde das Versprechen geben, daß sie sich die Liebe, zu dieser Schöpfung und ihremSchöpfer nicht aus den Herzen reißen lassen und so stimmen Sie denn alle mit mir ein in eine begeisterte Huldigung für den Mann, der, seit kurzem auch seiner treuen Lebensgefährtin beraubt, wohl in wehmütigen Erinnerungen versunken, heute seine Geburtstagsfeier begeht, stimmen Sie ein in den Ruf: Fürst Bismarck, der Deutscheste der Deutschen, lebe hoch! Langanhaltender begeisterter Beifall folgte dieser Rede. Als weiterer Redner trat Hr. Rektor vr. Weizsäcker auf. Derselbe betonte das innige Verhältnis zwischen dem Kaiser und dem Fürsten
und brachte in erhebenden Worten ein Hoch auf der» Kaiser und auf unfern geliebten König aus, das von der Versammlung stürmisch erwidert wurde. Ebenso fand ein Toast von Hrn. Fabrikant E. Staelin auf das deutsche Vaterland und von Oberamtsarzt vr. Müller auf das deutsche Heer lebhafte Zustimmung. Der Gesang „Die Wacht am Rhein" und ein von Hrn. Rektor vr. Müller verfaßtes Festgedicht „Geisterstimmen", das eines rauschenden Beifalls sich erfreute, brachte die Begeisterung, die auch in einem Huldigungstclegramm an den Fürsten ihren Ausdruck fand, auf ihre Höhe. Nach weiteren Vorträgen des Liederkranzes und der Stadlkapelle ergriff Hr. Prof. Haug noch einmal das Wort, um einen Toast auf die deutsche Jugend auszubringen. Der Vorsitzcnve nahm zum Schluß noch Veranlassung den Rednern und deir Sängern für ihre freundliche Mitwirkung warme Worte des Dankes auszusprechen. Das Fest dauerte bis nach Mitternacht; auf seinen schönen Verlauf dürfen die Veranstalter mit großer Genugthuung zurückblicken.
Stuttgart, 30. März. (Schwurgericht.). Der Prozeß gegen den Bäckergesellen Mannuß ging heute nachmittag 3 Uhr zu Ende. Die Geschworenen sprachen den Angeklagten des Mordes an seiner Geliebten Frau Hipp und des versuchten Totschlags an deren Ehemann Gallus Hipp schuldig, worauf Lrtaats- anwalt Dr. Cleß wie bei der ersten Verhandlung im v. I. Todesstrafe, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und 4 Jahre Gefängnis beantragte. Das Urteil des Gerichts lautete diesem Antrag gemäß. Die Geschworenen empfahlen den Angeklagten der Gnade des Königs.
Stuttgart, 1. April. Das Schwurgericht verurteilte heute die Packersehefrau Luise Feuchter' von Leonberg wegen Meineids zu 6 Monaten Gefängnis. 2 Monate Untersuchungshaft gehen ab. Die Verhandlung, die mit einer Ehebruchs-Affäre in. Zusammenhang steht, geschah unter Ausschluß der Oeffentlichkeit.
Sa lach, 31. März. Heute Nachmittag. '/-4 Uhr brach in der hiesigen Kammgarnspinnerei, von Schachenmayer, Mann u. Cie. Feuer aus„ das so rasch um sich griff, daß bald der ausgedehnte Bau in Flammen stand und völlig niederbrannte.
Ebingen, 1. April. Infolge Blutvergiftung wurde hier ein junges, hoffnungsvolles Leben, der 15jähiige Kaufmannslehrling Friedrich Rieb er, durch den Tod hinweggerafft. Der Betreffende hatte einige Blutgeschwüre (sog. Asien), welche er sich, ohne den Arzt in Anspruch zu nehmen, öffnen, ließ; hiebei oder in der Folge trat Vergiftung hinzu und trotz ärztlicher Kunst mußte er nach großen Leiden gestern Nachmittag sein Leben lassen. Dieser Vorfall mahnt wieder auf's Neue zur Vorsicht in derartigen- Fällen!
München, 2. April. Der gestern abend auf dem Königsplatz veranstaltete Huldigungsakt überragte wohl weit, was künstlerisches Arrangement anbelangt^ alle die übrigen zahlreichen Veranstaltungen des gestrigen Tages. Trotz des strömenden Regens hatten sich wieder Tausende von Personen vor dem Kunstausstellungsgebäude, welches mit Guirlanden geschmückt war, und in dessen Säulenhalle eine mächtige Figur als Symbol der deutschen Einheit thronte, eingefunden. Vor dem Gebäude hatten Fanfarenbläser in alterthümlicher Tracht zu Pferde Aufstellung genommen, während aus 14 Vierfüßen mächtige Flammen emporloderten. Nachdem das Fanfarengeschmetter verklungen war, erscholl aus 600 Kinderkehlen em Beethoven'scher Chor, worauf Staatsanwalt Dr. Birk die Festrede hielt, die in ein Hoch auf den Altreichskanzler ausklang. An diese schloß sich von 800' Männern gesungen der Lachner'sche Frühlingsgruß, an das Vaterland, dem die von allen Anwesenden mitgesungcne „Wacht am Rhein" folgte. Unter dem Klange „Deutschland, Deutschland über Alles" und erneuten Hochrufen auf Bismarck verließ das Publikum den Festplatz. Den Schluß der Feier bildete ein solenner Festcommers im Löwenbräukeller.
Augsburg, 28. März. Ein bedauerlicher Vorfall ereignete sich in den Geschäftsräumen der Engelsapotheke der Herren Gebr. Wolfrum dahier. Arbeiter des Geschäfts zerbrachen am Montag früh im Keller einen Ballon Salpetersäure. Sie wollten hievon nichts merken lassen und streuten, anstatt den Besitzern oder sonstigen Sachverständigen des Geschäftes Mitteilung zu machen, Sägspähne auf die ausgeflossene Salpetersäure, luden sie in einen Korb und schafften sie ins Freie. Durch die Vermengung der Salpetersäure mit den Sägspähnen bildete sich aber Untersalpetersäure, deren Einathmunz sehr schädlich wirkt. Einer der drei Arbeiter erkrankte
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