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bringen, ebenso die Schulamtskandidaten ihre Prüfungszeugnisse. Diejenigen, welche nicht mehr im Besitze ihres Losungsscheines sein sollten, haben sich vor der Musterung beim Oberamt ein Duplikat gegen Bezahlung von 50 --Z ausfiellen zu kaffen.

Sämtliche Gestellungspflichtige werden hiemit aufgefordert, zur Vermeidung der gesetzlichen Strafen, Zwangsmittel und Rechtsnachteile an den vorgenannten Tagen in den Musterungsstationen (Musterungslokal je im Rathaus) rechtzeitig sich einzufinden, auch wenn sie keine spezielle Vorladung erhalten haben sollten. Unpünktliches Erscheinen kann den Verlust der Vor­teile der Losung, böswilliges oder wiederholtes Nicht­erscheinen die sofortige Einstellung beim Truppenteil zur Folge haben. Unterlassene Anmeldung zur Stammrolle entbindet nicht von der Gestellungspflicht.

4. Die Ortsvorsteher haben sämtliche Pflichtigen, über deren Militäroerhältnis die Stammrollen noch keine Entscheidung enthalten, insoweit zur Muste­rung vorzuladen, als sie in der Gemeinde zur Zeit ihren Aufenthalt haben. Die Ab­wesenden sind im Bezirke des Aufenthaltsorts ge- stellungspflichtig. Bei denjenigen, welche sich vor der Musterung zu Hause einfinden, um an derselben teil­zunehmen, haben sich die Ortsvorsteher zu vergewissern, ob nicht eine Scheinverziehung vorliegt, d. h. ob die Pflichtigen nach der Musterung nicht wieder dahin zurückzukehren beabsichtigen, wo sie vorher waren. Solche diirfen nicht zur Musterung vorgelade« Werden, sondern sind in den Bezirk ihres Aufenthalts­orts zu verweisen. Im Anstandsfalle ist beim Oberamt Bescheid einzuholen.

Formulare zu Vorladungen sind den Orts- Vorstehern zugegangen. Die Eröffnungsurkunde« sind dem Oberamt spätestens bis 20. März d. I. dorzulegen.

5. Die Gemeindebehörden können von der Ge­stellung nicht entbinden. Wer durch Krankheit ver­hindert ist, zu erscheinen, hat ein ärztliches Zeugnis einzureichen, welches von der Gemeindebehörde be­glaubigt sein muß, wenn der betreffende Arzt nicht amtlich angestellt ist.

Gemütskranke, Blödsinnige, Krüppel u. s. w. dürfen auf Grund eines derartigen Zeugnisses von der Gestellung durch das Oberamt befreit werden-

6. Die Militärpflichtigen haben mit rein­gewaschenem Körper und reiner Wäsche zu erscheinen. Diejenigen, welche an Schwerhörigkeit zu leiden behaupten, haben das Innere des Ohrs gründlich zu reinigen, um eine Untersuchung zu ermöglichen; auch haben sie, wenn möglich, amtlich beglaubigte Zeugnisse ihrer Lehrer, Geistlichen rc. rc. beizubringen, des­gleichen solche, welche stottern oder schwachsinnig oder stumm oder taub sind. Wer an Epilepsie zu leiden behauptet, hat auf eigene Kosten drei glaub­hafte Zeugen zu stellen oder ein Zeugnis eines be­amteten Arztes beizubringen.

7. Die Ortsvorsteher haben sich mit den Stammrollen von 1893, 94 und 95 zu der bezeichnet«» Zeit im Musterungslokal zur Musterung einzufinden, bei der Losung dagegen nicht. Die Stammrollen werden bei der Musterung ergänzt; die Losnummern sind auf Grund der Losungsscheine, wenn diese vom Oberamt den Ortsvorstehern behufs Ausfolge an die Pflichtigen zugesendet werden, einzutragen.

Die Ortsvorsteher sind dafür verantwortlich, daß die Pflichtigen bei der Musterung vollzählig und

rechtzeitig sich einfinden. Denselben ist zu bedeuten, daß alles Lärmen und jede Störung der Verhand­lungen strenge bestraft werden wird. Auch haben die Ortsvorsteher darauf zu sehen, daß die Militär­pflichtigen sich in den Ortschaften ruhig und anständig aufführen, und ist gegen jeden Unfug nachdrücklichst einzuschreiten.

8. An- und Abmeldungen von Pflichtigen sind alsbald dem Oberamt anzuzeigen, bei Anmeldungen unter Anschluß der Losungsscheine.

9. Anträge auf Zurückstellung oder Befreiung vom Militärdienst sind spätestens im Musterungs- termin womöglich aber 10 Tage zuvor einzureichen und wird Hiewegen auf die oberamtl. Bekanntmachung vom 28. Febr. d. I., Wochenbl. Nr. 2^ verwiesen. Die Verhandlungen hierüber, sowie über die Classi- fikation der Mannschaften der Reserve rc. finden je am Ende der Musterung bezüglich der Angehörigen derjenigen Gemeinden statt, von welcher am betreffen­den Tage die Militärpflichtigen sich stellen mußten.

Calw, 9. März 1895.

K. Oberamt.

D o e l t e r.

Tagesneuihkeilen.

* Calw. Gestern mittag fand im Vereins­haus eine zweite Aufführung vonJephthas Tochter" von Schletterer durch den Schülerchor des Herrn Schullehrers Roos statt. Damit hat der Chor sich selbst auch das letzte Lied gesungen, indem der Gründer und langjährige Leiter desselben den Dirigentenstab niedergelegt und dasChörle" aufge­löst hat. Dieser Schritt des Hrn. Roos wird wohl allgemein mit Bedauern ausgenommen werden. Denn Hr. Roos hat es verstanden, schon den kleinen Mäd­chen auf die leichteste Art Kenntnis der Noten bei- zubringen und ihnen Lust und Liebe zum Gesang ein­zupflanzen. Inmitten der fröhlichen Kinderschaar hat er wie ein Vater die Schülerinnen zu sich herange­zogen und als ein liebevoller Freund unter denselben sich bewegt. Der Chor hat sich öfters bei Konferenzen, beim Gottesdienst, ja auch auswärts hören lassen und wir dürfen es kecklich und ohne Uebertreibung sagen, immer schöne Leistungen geboten. Die von dem Leiter veranstalteten Konzerte erfreuten sich stets eines zahl­reichen Besuches und einer ungeteilten Anerkennung Mit großer Befriedigung kann Hr. Roos auf seine zwar mühevolle, aber doch auch wieder schöne und wirkungsvolle Thätigkeit zurückblicken, denn gewiß werden ihm mit uns alle Freunde eines frischen, fröhliche» und frommen Gesangs für seine uneigen­nützige und erfolgreiche Wirksamkeit dankbar sein und dem Chor ein gutes Andenken bewahren.

Cannstatt, 6. März. Der Gesundheits­zustand in hiesiger Stadt ist infolge des strengen und langanhaltenden Winters ein sehr schlechter. Die Aerzte haben alle Hände voll zu thun, hauptsächlich mit den nach vielen Hunderten zählenden Jnfluenzakranken. Die Ortskrankenkaffe allein hatte im Monat Februar 530 Kranke, worunter etwa 400 Jnfluenzakranke. In der ganzen Stadt dürfte die Zahl auf das doppelte steigen. Die Kaffe hat außer Arzt und Apotheker-

Fenstern mit den spiegelblanken, kleinen Scheiben prangten in bunten irdenen Töpfen rotblühende Fuchsien, Balsaminen und Geranium, bei dem Krämer waren im Schaufenster di« Öldiuckbilder des Kaisers und der Kaiserin ausgestellt worden, und dir jungen Dirnen mit den bauschigen, gestärkten Röcken, hatten die Sonntags­schürzen vorgebunden und trugen die Haare in vielsträhnigen, von Fett glänzenden, festen Flechten.

Kurt von Waldau hatte eins der Staatsquartiere bei einem der reichsten Bauern erhalten, und er stieß, als er die gute Stube seines Wirts betrat, einen lauten Ruf der Freude beim Erblicken einer Gestalt aus. die sich von dem gerad- lehnigen, mit schwarzem Leder bezogenen Sofa erhob, um ihm mit ausgestreckten Händen entgegen zu kommen.

Hurt!'

Hugo!'

.Wo kommst Du her? Liegt Dein Regiment hier in der Nähe? Wie hast Du mich gesunden? Habt Ihr auch einen Ruhetag?' All diese Fragen überstürzten sich auS dem Munde Kurt von Waldaus und ließen den Kameraden gar nicht zur Antwort kommen, der schon verschiedene Male einen Ansatz zum Sprechen gemacht und der nun, in ein heiteres Lachen ausbrechend, seine Hand auf den Arm des Ge­fährten legte. .Von wo ich komme, Freund Waldau?' rief er endlich in die Pause hinein, die entstand, als der junge Reserveoffizier einmal Atem schöpfte. .Aus meiner Garnison natürlichWas ich hier will? Manövrieren, wie auch Du wahr­scheinlich. Wo ich einquartiert bin? In Ellerstadt. Ob ich einen Ruhetag vor mir habe? Mehr als einen, denn auch das Schlußbiwak ist hier in der Nähe. Und was ich in Herzthol will? Dich mitnehmen, Dich begrüßen und abholen, alter Junge, wenn Tu Dich erst wieder etwas zum Menschen gemacht und Dein ur­sprüngliches Gesicht unter dem Chauffeestaub zum Vorschein gekommen ist.'

.Mich milnehmen und wohin?' fragte Kurt wie in Gedanken verloren und

kosten allein für den verflossenen Monat an Kranken- - geldern beinahe 5000 ^ auszubezahlen gehabt.

Aus der Sitzung der Abgeordneten­kammer vom Freitag sei hier die Rede des Ab­geordneten Schweickhardt wörtlich nachgetragen:

Schweickhardt-Tübingen (Volksp.): Auch er glaube, die Landwirtschaft zu kennen. Ihre Lage sei heute nur in düsteren Farben geschildert worden. Insbesondere sei auch die Unverkäuflichkeit des Ge­treides hervorgehoben und dies darauf zurückgeführt worden, daß die Kunstmüller es vorzögen, auf Kredit auswärts zu kaufen. In Wirklichkeit werde jeder Bauer jederzeit seine Frucht verkaufen können, wenn er ein wahlfähiges Produkt habe. Leider seien aber die reichen Ernten der letzten Jahre vielfach sehr schlecht eingebracht worden. Ja, Gott im Himmel, gegen solche Zufälle können wir die Landwirtschaft nicht schützen. Eine eigentliche Not vermöge er dar­in nicht zu erkennen, daß seit anderthalb Jahren die Früchte bei guten Ernten um so und so viel ab­geschlagen haben. Diese Notstandsklagen seien auch nicht auf unserem schwäbischen Boden gewachsen, sondern importiert worden vom Norden. Wenn die Lärmtrommel nicht so durchs ganze Land gerührt worden wäre, würden die Landwirte sich nicht so viel beklagen. Eigentliche Not habe nur das Jahr 1893 gebracht, und die von ihm geschlagenen Wunden seien noch nicht vernarbt; daher verwechsle mancher Bauer Wirkung und Ursache und glaube, daß dis billigen Fruchtpreise an seiner Lage schuld seien. Seit drei Jahren seien über den ganzen Erdball hin überall große Ernten gemacht worden; das werde sich inner­halb eines Jahrhunderts kaum einmal wiederholen. Der Zustand sei vorübergehend und deshalb zu er­tragen; in einem halben Jahr vielleicht schon werden wir wieder Getreidepreise haben, die es dem Bauern recht gut gestatten, sein Gewerbe mit Vorteil zu be­treiben. Wenn wir nicht etwa dieses Jahr wieder eine gute Ernte bekommen, glaube er nicht, daß wir einen Notstand haben werden. Für den Bauern, der baut, was seine Familie brauche, seien die niederen Preise überhaupt gleichgiltig, denn er habe ja keine Frucht zu verkaufen. (Ruf: aber auch kein Geld, zu kaufen!) Die Landwirtschaft habe überhaupt eine ganz andere Wendung genommen, es werde jetzt mehr Futter gebaut und unsere Kleinbauern haben gern ihre Kräfte, soweit sie disponibel waren, der Industrie zur Verfügung gestellt. (Heiterkeit.) Von Tübingen bis Stuttgart sei fast in jedem Ort eine größere Fabrik und auch in den Seitenthälern der Fils u. s. w. finden die Bauern in sehr lohnender Weise Beschäftigung. Er wünschte, daß dieses Hand in Hand gehen von Landwirtschaft und Industrie noch zunehme. Aber auch für die größeren Bauern sei das Unglück so groß nicht, was mache es denn aus, wenn sie ein paar hundert Mark weniger aus der Frucht lösen? (Redner spricht unter großer Un­aufmerksamkeit des Hauses. Der Präsident bittet um Ruhe.) Dafür haben sie mehr zu verkaufen. Selbst für unsere Großgutsbesitzer, die freilich gegenüber im

starrte einen Augenblick mit einem unnachahmlich geistesabwesenden Gesicht die buntfarbigen Bilder eines Knaben mit einem Schmetterlingsnetz und eines Mädchens mit einer gelbgefleckten Katze an.

»Nach Ellerstädt natürlich! Du glaubst nicht, wie gewaltig ich dort im An­sehen gestiegen, seitdem man erfahren, daß wir Freunde, Duzfreunde sogar sind. Wie ein Abglanz fällt eS von Dir auf mich unscheinbaren, hausbackenen Gesellen, denn alles schwärmt für Dich, sogar die kalte, unnahbare Frau Baronin, die ihre kühle Reserve aufgiedt, wenn das Gespräch auf Dich kommt, und die ganz warm bei der Behauptung wird, Du ständest ihnen so nahe wie ein lieber Sohn, während der joviale Baron Dich -inen Prachtjungen über den andern nennt, Fräulein Erna aber und Fräulein Linda behaupten, über Dein Kegel-, Dein Croquetspiel ginge nichts in der Welt.'

.Und Fräulein Leonore?" fragte Kurt einigermaßen atemlos und sah starr auf den jungen Hauptmann der Artillerie, über dessen Wangen ein feines Rot lief und in dessen Augen es eigentümlich ausflammte, als er zögernd erwiderte: .Sie sagte nichts, Kurt, aber zuweilen pflegt ja ein Schweigen beredter zu sein als viele Worte, und ich meine, Du mußt Dich sehr glücklich fühlen, den Ellerstadts so nahe getreten zu sein.'

.Allerdings, so glücklich, Hugo,' gab der junge Reserve-Offizier mit einem Dehnen seiner schlanken Glieder zu, .daß ich die Ermüdung des heutigen TageS abschütteln und Dir folgen will, selbst auf die Gefahr hin, daß Du mich noch in den Strudel eines Tanzes hinein geleitest.'

Eine halbe Stunde später waren die beiden Offiziere wieder zu Pferde und ritten im Abendgrauen Schloß Ellerstädt zu, dessen hellerleuchtete Fenster wie Sterne aus dem Dunkel zu ihnen herüberflrahlten.

(Fortsetzung folgt.)