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Die giltigen Stimmzettel sind von den Wahlvorstehern versiegelt aufzubewahren.

3) Das Ergebnis der Wahl ist in oller Bälde nach deren Beendigung am 14. Febr. durch Extraboten oder durch Vermittlung der nächst­gelegenen Telegraphen- bezw. Telephon- station dem Oberamt anzuzeigen, so daß die Anzeige spätestens bis abends N Nhr beim Lberamt einkommt. Dieselbe muß stets den Namen der betreffenden Gemeinde enthalten.

Den Extraboten können auch die Wahl­akten mitgegeben werden.

Calw, den 4. Febr. 1895.

K. Oberamt.

Voelter.

Deutsches Reich.

Berlin, 1. Febr. Deutscher Reichstag. (Beratung der Gewerbeordnung (Wandergewerbe) mit Anträgen Gröber u. Gen.) Abg. Strombeck (Centr.) erklärt, daß das Centrum bezüglich des An­trages Gröber geteilter Meinung sei, er, Redner be­kämpfe diesen Antrag. Eine mäßige Beschränkung des Hausierhandels begrüße er mit Freuden; aber in den Mitteln dazu dürfe man nicht zu weit gehen. Redner geht sodann detailliert auf den Gröber'schen Antrag ein, zerpflückt dessen Vor- und Nachteile und kommt zu dem Schluß, daß die letzteren bedeutend überwiegen. Durch die Annahme dieses Antrages werde der Bureaukratie ein zu weiter Spielraum ge­geben, so daß viele Existenzen in Gefahr schweben. Abg. Hasse (natl.) plaidiert dafür, daß das Hausieren mit Nahrungsmitteln auf Märkten ortspolizeilich ver­boten werden dürfe. Abg. Hitze (Centr.) hofft auf die Unterstützung der Konservativen, da ja der Hausier­handel nur auf das vorhandene Bedürfnis beschränkt werden soll. Handelsminister ».Berlepsch bezeichnet den Gröber'schen Antrag als sehr unklar. Der Minister ist der Ansicht, daß ein unordentlicher Hausierer eben so viel wert sei als ein unordentlicher Kaufmann. Abg. Schmidt-Berlin (Soz.) glaubt, diese Vorlage würde ebensowenig ihren Zweck erfüllen, wie die Handwerkerkammern, weil die sozialpolitische Frage sich auf der Grundlage der gegenwärtigen Ge­sellschaftsordnung überhaupt nicht ausreichend lösen ließe. Sodann verbreitet sich Redner über den Ar­tikel der Vorlage betr. die Schauspielunternehmer in sarkastischer Weise und tritt gegen die Beschränkung des Hausierhandels ein. Abg. Gräfe (Antis.) will den Hausierhandel noch schärfer geregelt wissen. Abg. Meyer-Halle (fr. Vg.) macht Ausstellungen an den Einzelheiten der Vorlage. Noch einem Schlußworte des Abg. Schwarze (Centr.) wird die Vorlage mit dem Antrags Gröber einer Commission überwiesen. Nächste Sitzung: Dienstag 1 Uhr. Bericht der Geschäfts­ordnungs-Commission über die Priorität der Initiativ­anträge, Wahlprüfungen, Antrag Pachnicke betr. die Volksvertretung in einzelnen Staaten. Antrag Ancker Aenderung der Wahlkreise.

Berlin, 1. Februar. In der Reichstags­

kommission zur Beratung der Umsturzvorlage wurde heute der vom Centrum gestellte Antrag beraten. In den Kreis der Vergehen, deren Anpreisung im Z lila der Regierungsvorlage mit Strafe bedroht wird, wird auch der Zweikampf ausgenommen. Dieser Antrag wurde mit 14 gegen 13 Stimmen angenommen. Dafür stimmten Centrum, Freisinnige, Sozialdemo­kraten, dagegen Konservative, Nationalliberale. Dar­auf wird auch ein Antrag des Centrums entsprechend dem Z 205 (Ausführungen des Zweikampfes) in den Z 111 a ausgenommen, ebenso der Z 258 (Erpressung) Z 305 (Zerstörung von Brücken) Z 317 (Zerstörung von Telegraphenanstaltcn) Z 321 (Vernichtung' von Wasserbauten) bei der Eesamtabstimmung über Z 111a behalten sich die Abgg. v. Stumm, v. Hommcrstein Ennecerus die entgiltige Entscheidung für die 2. Lesung vor. Darauf wird ß 111 a mit 19 gegen 6 Stimmen angenommen. Dagegen stimmten Freisinnige, Sozial­demokraten.

Tagesnelligkeitkn.

Calw, 4. Febr. Ter erste Wahlgang hat in unserem Bezirk wie in noch 26 anderen die Ent­scheidung nicht gebracht. Das Ergebnis der Wahl ist, wie schon berichtet, Stichwahl zwischen Stadt- jchulrheiß Haffner und Adlerwirt Dingler. Gegenüber der Wahl im Jahr 1889 war die Wahl­beteiligung (Wahlberechtigte 4967, Abstimmende 3863 77,75°/») diesmal eine stärkere, indem Heuer 800 Stimmen mehr abgegeben wurden. Die sozialdemo­kratischen Stimmen sind im Vergleich zu der letzten Reichstagswahl im Jahr 1893 um 15 zurückgegangen; in Calw selbst wurden 11 Stimmen weniger für Protz abgegeben. Dagegen erhielten die Sozialdemo­kraten in Dcckenpfronn und auffallenderweise auch in Stammheim einen erheblichen Stimmenzuwachs. Adler­wirt Dingler, der erst in den letzten Tagen vor der Wahl öffentlich als Kandidat hervortrat, vereinigte infolge einer schon längst im stillen planmäßig vor­bereiteten Agitation eine große Anzahl von Stimmen auf sich. Den Ausschlag zu Gunsten Dingler's gaben namentlich die Gäuorte Althengstett, Deckenpfronn und Gechingen, sowie Untcrreichenbach, Hirsau und einige Waldorte. Die Wähler der Stadt Calw haben durch ihre Abstimmung ihrem Stadtschultheißen ein glänzendes Zeugnis ausgestellt; 428 Wähler haben sich für denselben ausgesprochen, gewiß eine rühmende Anerkennung für besten ersprießliche und tüchtige Wirksamkeit sowohl in der Stadt als im Landtag. Aber auch andere Orte wie Agenbach, Bergorte, Emberg, Holzbronn, Möttlingcn, Sommcn- hardt und besonders Liebclsberg blieben der deutschen Sache treu, während andere Orte wie Schmieh, Zwerenberg, Breitenberg, Dachtel, Monakam, Neu­weiler, Oberkollbach, Würzbach u. a. eine starke Schwenkung nach links machten. Seit einem Viertel­jahrhundert hat die deutsche Partei gleich im ersten Wahlgang gesiegt; zum erstenmal kommt in unserem Bezirk die Volkspartei in eine Stichwahl. Der Um­

schwung der Stimmung scheint von dem von der Volkspartei verbreiteten Flugblatt, das durch seine Verdrehungen des wirklichen Thatbestands die Wähler überrumpelte, herzurührcn. Den Aufklärungen Haffner's wird es sicher gelingen, diese wirklich grundlosen Angriffe zu widerlegen und durch wahrheitsvolle und ehrliche Darstellung eine andere Meinung der Wähler herbeizuführen. Ein offener, heißer Wahl­kampf wird in nächster Zeit unfern Bezirk durch­loben. Für die Stichwahl gilt nun in verstärktem Maße: Jeder prüfe! Jeder wähle!

Calw, 4. Febr. Das Eisfest, das am Samstag abend auf der Nagold in Scene gesetzt wurde, war trefflich arrangiert und befriedigte da­her allgemein. Die Nagold war rechts und links mit vielfarbigen Lampions flankiert, die im Verein mit Pyramiden und Reihen von Lichtchen die Bahn fast taghell erleuchteten. Bei den Klängen der Stadtmusik gab sich Alt und Jung stundenlang dem schönen Vergnügen des Eislaufs hin. Auch für Restauration war gesorgt. Das Abbrennen von Feuerwerk und bengalisches Licht brachten namentlich der Jugend noch weitere Genüsse.

Das Ergebnis der Landtagswahl stellt sich nun wie folgt zusammen. Gewählt sind 7 Kandidaten der Deutschen Partei, 1 Mit­glied der Landespartei, 17 von der Volks­partei und 16 Kandidaten vom Zentrum. Stich­wahlen haben 26 stattzufinden.

Reutlingen, 31. Jan. Gestern nachmittag kurz vor 12 Uhr Hatto Herr Regierungspräsident v. Luz, als er das Gesellschaftshaus desMuseums" am Karlsplatz verlosten wollte, das Mißgeschick, aus den unteren Stufen des Eingangs auszugleiten und sich einen Bruch des rechten Fußes am Gelenk zuzu­ziehen. Mit Hilfe herbeigeeilter Polizeimannschaften wurde der Verletzte bald auf einem Schlitten nach Hause gebracht. Der Unfall des in allen Kreisen der Bevölkerung hochverehrten Herrn Präsidenten erregt allgemeine Teilnahme.

Heilbronn, 2. Febr. Das Ergebnis un­serer Wahl ist eine Stichwahl zwischen Hegelmaier und Kaufmann Betz, dem Kandidaten der Volkspartei. Von 5600 Wählern stimmten 4027, also etwa 72°/» ab. Anfangs glaubte man, es werde sich um eine Stichwahl zwischen Hegelmaier und Hauck handeln, aber der letztere hatte im Handwerkerstand und bei den Weingärtnern wenig Anhang. Die letztem traten fast geschloffen für Hegelmaier ein, ebenso stimmten für ihn die große Zahl der Handwerker und teilweise auch der Beamtenstand. Hegelmaier ist Betz um 335 Stimmen voraus. Bei der Stichwahl werden wohl die Sozialdemokraten großenteils für Betz, die Anhänger Haucks in der Mehrzahl ihre Stimme für den Oberbürgermeister abgcbcn, so daß die Wahl des letzteren wahrscheinlich ist.

Gmünd, 31. Jan. In der Nacht vom Mitt­woch auf Donnerstag entfemte sich im Dorfe Rech-

s-

»Verzechen Sie nur einige Minuten, ich muß mich umkleiden; dann bin ich sofort zu ihren Diensten. Bitte, es sich bequem zu machen."

Graf Günther blickte sich um in dem ziemlich großen Partcrrezimmer. das sehr einfach eingerichtet war im Verhältnis zu den übrigen Räumen des Schlaffes und zu der verschwenderischen Pracht der kleinen Gartenhäuschen. Ein großer Ar­beitstisch war beladen mit Schriften und Zeichnungen, Bauplänen und vielen an­deren Dingen, die zeugten, daß hier ernstlich gearbeitet wurde.

Mit einem beinahe unbehaglichen Gefühl sah Günther Schönburg auf die Rechnungibücher, die aufgeschlagen da lagen. Zahlen flößten ihm stets ein gelindes Grauen ein, er hatte das Rechnen nie geliebt und hatte bisher auch ohne zu rechnen ganz gut gelebt.

»Wissen Sie, Doktor, langweile mich rasend in meiner Klausur. Muß Zer­streuung haben," begann der Graf und warf sich gähnend in das Sofa.

.Reiten Sie meinetwegen in die Nachbarschaft, machen Sie Besuche, meine ärztliche Erlaubnis sollen Sie haben," erwiderte durch die halbgeöffnete Thür des nebenan liegenden Zimmers Doktor Justus.

Möchte morgen noch Fslden, den Damen meine Aufwartung machen. Die schöne Gertrud kenne ich aus der Hauptstadt. Hochmütig wie Läufer ist sie, reizt mich durch ihre Kälte pah werd' sie schon erwärmen wäre das erste Mal, daß ein Weib mir widerstände."

Günther hatte cs nur halblaut vor sich hin gemurmelt mit einsm Lächeln der Befriedigung auf den Lippen und mit halbgesenkten, müden Augenlidern. Doktor JustuS hörte eS deutlich, aber er antwortete nicht.

Es zuckte in seinem Gesicht wie ein Wetterleuchten; dunkle Röte schoß in feine Schläfe, seine Brust atmete tief und schwer. Es kämpfte in ihm eine Gewalt gegen die andere. ES war die Gewalt der Liebe, die um jeden Preis sich in den Besitz der Geliebten setzen will, und die dagegen ankämpfende Gewalt vorsichtiger Uederlegung, kalter, ruhiger Erwägung, die dazu gehört, das Glück zu einem dauernden

zu gestalten, zu einem fürs ganze Leben, das erst durch Prüfungen gegangen und sich stark und fest erwiesen für alle Zeiten durch bewährte Treue.

.Gertrud, Du magst wählen zwischen ihm und wir," flüsterte er leise in sich hinein mit einem stolzen Aufleuchten in den Augen. Dann fügte er beinahe zag­haft hinzu:Zwischen ihm. dem Grafen, und mir, dem Arzt, und liebst Du mich mehr als ihn. seinen erhofften Reichtum, seine Schönheit, seine Jugend, dann dann sollst Du ein beneidenswertes Glück finden Du und ich!"

Doktor Justus beugte sein Haupt tief auf die Brust, in der es noch immer wogte und kämpfte. Er fühlte, daß er viel wogte, daß er ein großes, in diesem Augenblicke heiß begehrtes Glück auf die Wageschale legte, die sein Lebensglück ab­wägen sollte, die aber vielleicht emporschnellte und das, was ihm jetzt alles war, zu einem Nichts werden ließ bei seiner gewagten Probe auf Echtheit.

Noch bedurfte er einer Minute, sich zu sammeln, dann trat er aus seinem Schlafzimmer hinaus. Einen langen, forschenden Blick heftete er auf den jungen Grafen, den er jetzt als einen Nebenbuhler zu betrachten hatte. Er verhehlte sich nicht, daß jener Vorzüge genug besaß, um ein junges, stolzes Weib zu blenden. Günthers elegante, schlanke, schmiegsame Gestalt erhob sich plötzlich vom Sofa; rasch trat er ru dem Arzte, den er um Kopfeslänge überragte, und sichtlich erregt sprach er: »Kommen Sie, Doktor, wollen ein Glas Sekt trinken; der Gedanke an die schöne Gertrud hat meine Lebensgeister geweckt. Seit ich sie hier im Parke sah und ungesehen sie beobachtete, ihre schmachtenden Blicke erhaschte mit meinem scharfen Krimstccher seitdem, Doktor, bin ich verliebt wie noch nie in meinem Leben."

»Es scheint so", entgegnet« trocken Doktor Justus.

»Es rst so," entgegnete Günther bestimmt.Morgen gehe ich nach Felde»,, mache meine Aufwartung, hoffe, daß eine glückliche Zeit beginnt."

(Fortsetzung folgt.)

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