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Berlin, 30. Januar. Der Kaiser hat an seinem Geburtstage dem Grafen Herbert Bismarck, der bisher Oberstlieutenant L la suite der Annes war, den Charakter als Oberst verliehen.

Berlin, 30. Jan. Die vorzeitige Veröffent­lichung der letzten kaiserlichen Erlasse imVorwärts" soll gegenwärtig die politische Behörden eifrigst be­schäftigen. Die Untersuchung ist bisher ergebnislos geblieben. Der Kaiser hat von dem unliebsamen Er­eignis Kenntnis erlangt und den Wunsch ausgesprochen, daß die Schuldigen ermittelt würden.

Ausland.

Paris, 29. Jan. DerFigaro" sagt, die Botschaft Faures sei sympatisch und herzlich auf­zunehmen. DiePetit Republique" bezeichnet die Botschaft als die eines redlichen Mannes. Das Siöcle" äußert sich: Faure spreche mit geziemender Achtung von der Macht, Größe und Herrlichkeit Frankreichs.Estafette" schreibt: Die Botschaft sei von einer merkwürdigen constitutionellen Correctheit. Voltaire": Es ist das Werk voller guten Absichten.

Soleil" meint, daß man überhaupt von solchen banalen färb- und geschmacklosen Dokumenten nichts sagen könne; es sei eine Zusammenstellung alter in republikanischen Blättern abgedroschenen Redeweisen.

Libre Parole" : Die Botschaft habe keinen mata- moresken Charakter.Autoritö": Die Botschaft sei ein Stück hohler Deklamation, welche der unfähige Faure nicht selbst redigiert habe, sondern durch proble­matische Rethoriker seiner Suite habe redigieren lassen.

Mailand, 28. Jan. Gestern gelang es der Polizei, den Verfertiger desSprenggefäßes, das vor einigen Tagen in der Via Borgonuvo gefunden wurde, zuverhaften. ES ist ein junger Mechaniker namens ArturoMilani, der einstweilen beharrlich leugnet, doch soll die Haussuchung erdrückendes Be- weiSmaterial erbracht haben.

Tagesneuigkeilen.

* Calw, 29. Jan. Die Aufführungen der Glocke" von A. Romberg durch den hiesigen ev. Kirchengesangverein hatte eine außerordentlich zahlreiche Zuhörerschaft angclockt. Schon der allge­mein bekannte Text von Schiller macht dieses Werk interessant. Obgleich die Komposition moderner Art und daher nicht jedermann zusagt, auch manche schwache Stellen aufweist, was sich besonders bei einigen Chören bemerkbar macht, so ist doch zweifellos zuzugeben, daß Musik und Text sich im allgemeinen voll entsprechen und zu einem harmonischen Ganzen sich vereinigen. Die Partie des Meisters ist überaus glücklich getroffen und ebenso verschiedene Duette, Quartette, Soli und Chöre. Wie verkörpert zieht das menschliche Leben mit seinen wechselvollen Schicksalen, seinem Leid und Freud, in seiner alltäglichen Ruhe und in seiner wild aufgeregten Leidenschaft, an dem Zuhörer vorüber mit

einer Natürlichkeit die notwendig das Gefühl mächtig erregen muß. Der Vortrag fand denn auch eine sehr gute Aufnahme und war von lebhaftem Beifall be­gleitet.

Calw, 30. Jan. Nachdem wir in vorletzter Nacht die größte Kälte in diesem Winter21° K zu verspüren hatten, zeigt heute das Thermometer einen geringeren Kältegrad. Seit Tagesanbruch schneit es wieder ununterbrochen fort, so daß die Bahn­schlitten bereits wieder in Thätigkeit gesetzt werden. Der strenge Winter hatte ein rasches Schwinden der Vorräte an Brennmaterial zur Folge, Mildthätigkeit gegen Bedürftige ist jetzt mehr wie je angezeigt, daher ergeht auch heute wieder die Bitte um Gaben zu Holz für Arme.

Neuenbürg, 29. Jan. Der Wahlkampf hat nunmehr seinen Höhepunkt erreicht. Gestern Abend fand unter großem Zudrang der Wähler eine Wählerversammlung im Bären statt, in der unser bish. Abg. Commerell über seine Thätigkeit im Landtag berichtete und sein Programm entwickelte. Die Ausführungen des Kandidaten fanden reichen Beifall und lebhafte Zustimmung.

Stuttgart, 28. Jan. Seine Majestät der König ist heute abend mit dem Schnellzuge 9 Uhr 22 Min. nebst Gefolge von Berlin wieder hier eingetroffen.

In Heilbronn hielt die Volkspartei am Freitag abend eine Versammlung zu Gunsten der Kandidatur Betz; der Kandidat selbst hielt sich von der Versammlung fern. Als Redner traten auf Rechtsanwalt Rosengart und Oberreallehrer Seybold. Letzterer bezeichnete die Umgestaltung der Verfassung als die hohe Aufgabe, die in erster Linie dem näch­sten Landtag gegeben sei. Die Volkspartei wolle deshalb nicht einen Mann in den Landtag schicken, der in erster Linie darauf sehe, für Heilbronn etwas herauszuschlagen, sondern einen solchen, der ein Herz für das Ganze habe. Eine Politik, die nur für den Bezirk etwas herausschlagen wolle, sei eine Bettel­mannspolitik. Rechtsanwalt Nosengart fügte hinzu, so weit es sich im Landtag um die Interessen der Stadt Heilbronn handle (Eisenbahnwünsche rc.), dürfe man überzeugt sein, daß Herr Betz in der Vertretung derselben keinem der anderen Kandidaten nachstehen werde. St.-Anz.

Im ultram. Ipf wird den kathol. Wählern in rührend einfältiger Weise folgende Warnung vor­gehalten :

Willst du gut wählen, so wähle keinen Zwittermann". Was ist denn das? fragst du. Von so einemZwitterding" habe ich noch nie ge­hört. Gemach! Hast du noch nie etwas vom Geschlechts der Maulesel gelesen oder gehört ? Wenn nicht, so wisse, daß das ein Mittelding ist zwischen Pferd und Esel, nicht Pferd, nicht Esel, kurz ein Ding, das zwar noch recht rüstig und ausdauernd

sein soll, im übrigen aber zum Aussterben ver­urteilt ist. Ein Zwitterding natürlich nicht ge­rade so eines wir Habens ja in unserem Falle mit Menschen zu thun sind nun ja auch jene katholisch-demokratischen Landtags - kandidaten. Sie sind nicht Zentrumsmann, sind nicht Demokrat, sie haben einen Fleck vom. Zentrumsprogramm, und einen Fleck vom demo­kratischen Programm, sind im übrigen zwar sehr zäh und ausdauernd, aber nach allgemeiner An­nahme verurteilt zum baldigen Verschwinden. Und das ist dann kein Schaden. Was meinst du nun zu diesenZwitterkandidaten" ? Damit du dich nicht in der Uebereilungverhauest", höre zuvor, was der Herr über solche zweifelhafte Gestalten urteilt. (!!) Er sagt: Niemand kann zwei Herren dienen : Gott und dem Mamon. (!!) Hörst du wohl?^ Niemand, also auch dieseZwittergestalten" nicht. Warum nicht? Höre wiederum, der Herr sagt: Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut". (!!) Da nun dieseZwittermänner" nicht für Aufhebung der die Rechte der Kirche schädigenden Gesetze sind vielmehr sogar bezüglich der Schule neue Gesetze planen, welche dem Willen Christi, des göttlichen Kinderfreundes, selbst entgegentreten (!!), meine ich,, wenn du diesenZwittermännern" deine Stimme nicht giebst, dann wählest dugut".

Pforzheim, 29. Januar. Gestern Mittag verübten fünf junge Arbeiter in einer Wirtschaft der Mittelstadt fortwährend Ruhestörung und Unfug, wo­rauf der Wirt, um die Ruhe wieder herzustellen,, die weitere Abgabe von Bier verweigerte. Schnell entschlossen verfügten sich die betr. Bürschchen in eine andere Wirtschaft, holten dort Bier, kehrten damit in die erstere Wirtschaft zurück und tranken dort das Bier um den Wirt zu hänseln, verübten weitere Ruhestörung indem sie sich an dem Personal des Wirts vergriffen und dasselbe mißhandelten, wobei dem Wirt, welcher seinen Leuten zu Hilfe eilte, von einem der Raudaubrüder von Hasloch der linke Zeigfinger bis auf den Knochen durchbissen wurde. Sämtliche 5 Uebelthäter mußten verhaftet werden und haben sich wegen Ruhestörung, Hausfriedensbruch und Körperverletzung zu verantworten.

Karlsruhe, 29. Jan. Nach einer Mit­teilung derBadischen Presse" wurde die Schiffbrücke bei Maxau wegen starken Eisganges abgefahren.

Karlsruhe, 29. Jan. DemBadischen Be­obachter" zufolge hat eine hier stattgehabte Versamm­lung von Vertretern der größeren badischen Städte mit Ausnahme von Pforzheim beschlossen, für den 80. Geburtstag des Fürsten Bismarck eine Ehrung, in der Weise zu veranstalten, daß die größten Städte Badens denselben zum Ehrenbürger ernennen und ihm ein auf gemeinschaftliche Kosten hergestelltes Ehren­bürger-Diplom überreichen lassen wollen. Die Bürger-

wie wenn er kam eS that ihr weh, unendlich weh im Herzen, und Thränen traten in ihr« Augen.

Rosa wußte, daß er Gertrud suchen ging, und «ine ahnungsvolle Bangigkeit beschlich sie.Eie wird ihn niemals glücklich machen," flüsterten die feinen roten Lippen, und sie wußte nicht, ob sie der Schwester grollen sollte, daß sie zu stolz war, den Mann zu lieben, dem ihr ganzes Sinnen und Denken gehörte, oder ob fi, jubeln sollte, daß Gertrud ihn ihr nicht rauben wollte.

Komm, Liebling, Du sollst nicht so lang« stehen." unterbrach die Baronin den Gedankengang des jungen Mädchens. Rosa legt« den Kopf an die Brust der Mutter und unterdrückte das leis« Beben, welches durch ihre zart« Gestalt ging. Ei« verbarg ihr thränenfeuchteS Auge einige Minuten, und dann lächelte sie wieder, al» die Mutter besorgt ihr Besicht emporhob.

Ich fürchte mich vor dem Gewitter," meinte sie, und leise Röte zog über ihre Schläfen; sie mußte die kleine Lüge gebrauchen, um ihrer Mutter keinen Blick zu gestatten in ihr armes, pochendes Herz.

Wo nur Gertrud bleibt!" begann wieder ängstlich die Baronin und ver­folgte mit Besorgnis den dunklen Wolkenring, der sich immer enger zusammenzog über Felden. Nur ein winziger Heller Fleck leuchtete noch darüber, wir ein mildes, blaue» Auge, das sich langsam zögernd schließt.

Als JustuS in scharfem Trabe dm Wald erreicht hätte, mäßigte er dm Lauf de» DferdeS und blickte forschend umher. Er wollte, er mußte sie heut« sehen, di« ihn floh, well sie ihn nicht lieben wollte und doch die Gewellt der Liebe empfand, wmn sie chm gegmüber stand.

Ein heftiger Sturmwind erhob sich plötzlich, und wie ein wild empörte», wogendes Meer rauschte «S über dem Haupte des einsamen Reiters. Das Blätter­werk erzitterte um ihn her, tiefe Dämmerung lagerte sich über den Wald, von grellen Blitzen unterbrochen. Langgezogmer Donner ertönte grollend über di« sturm­gepeitschten, grünen Wogm; krachende Aste stürzten herab und streiften JustuS' Pferd, das zitternd stillstand und nicht well« wollte, als fürchte e», d« nächste

Schritt müsse ins Verderben führen. Prasselnd schlugen die Hagelkörner durch das Laubwerk; Blitz auf Blitz zuckte, dm Aufruhr in der Natur unaufhörlich be­leuchtend. Dem Hagel folgte ein wolkenbruchartigrr Regen, von Blitz und Dann« beständig begleitet.

Gertrud, wo ist Gertrud jetzt!" Das waren die Gedanken des Arztes, als er von seinem Pferde stieg, den Zügel in die Hand nahm und daS Tier vorwärts führte. Er achtete nicht auf Sturm und Blitz, er Hütte den Donner kaum; die Sorge um sie trieb ihn unaufhaltsam vorwärts. Er hoffte, sie unter dm vor­springenden Felsen zu finden, dir einigermaßen Schutz boten vor der Gewalt der entfesselten Elemente. Er hatte die erste Gruppe erreicht, sie war nicht da; ver­geben« rief er, er hörte nichts als Sturm und Donner, er sah nichts von einem mensch­lichen Wesen, das hier Schutz gesucht.

Justus verschmähte eL, unter den Felsen zu bleiben, sich zu bergen vor der Gewalt des Gewitters; er dachte an ihre Angst, wenn sie im Walde sich allein befand.

Er strebte vorwärts. Die Äst« schlugen um ihn und sein Pferd, daß sich dasselbe bäumte und zu scheuen begann. Mit fester, sicherer Hand aber hielt eS Justus und beschwichtigte seine Angst, dann band er dm Zügel um einen starken Baumstamm und überließ das Tier, welche« ihn im raschen Vorwättskommen be­hinderte. seinem Schicksal.

Behender eilte er nun weiter, der nächsten Felspartie zu, die eine Art Grotte bildete und ein Liebling? platz der Waldbesucher war.

Vielleicht hatte daS Gewitter Gertrud hier überrascht. Die Hoffnung gab ihm neue Kraft, anzukämpfen gegen den Sturm, der ihm Haar und Bart zerzaust« und ihm den Wem zu beengen drohte; Blitze blendeten ihm die Augen, so daß er oft taumelnd gegm einen Baumstamm stieß, oder niedrige Äste ihm ins Gesicht schlugen, ehe er sie mit seinem starken Arm zurückzuhalten vermochte.

(Fortsetzung folgt.)