Die Besatzungsfrage
Die französische« Kabinettsverhandlnnge«.
TU. Genf, 17. Aug. In einer Pariser Meldung eines meist gut informierten Genfer Blattes werden einige nähere Mitteilungen über die letzten Pariser Kabinettsverhaiidlun- gen über die Herabsetzung der Nheinlandtrnppcn veröffentlicht. Dem Pariser Kabinett sollen in der letzten Sitzung drei Vorschläge Vorgelegen haben, znnächst der von General Gnillcaunrat eingereichte Bericht des französischen Generalstabes, in dem eine Herabsetzung der französischen Okkupationstruppen um zwei Bataillone mit insgesamt 1ÜÜ0 bis 1200 Mann vorgeschlagen wird. Ein zweiter Vorschlag des Außenministers Briand soll dagegen eine Trnppcnherabsetz- ung von 6000 Mann gefordert haben. Dieser Vorschlag Bri- ands soll nach den Darlegungen des Blattes zu stürmischen Auseinandersetzungen in der Kabinettösitzung geführt haben, svdaß die Sitzung ergebnislos abgebrochen werden mußte. Nach der Mitteilung des Blattes soll der Vorschlag BriandS auf Herabsetzung der Truppen um eine Zahl von MM Mann mit einem Vorschlag des englischen Anbenministcrinms übereinsttmmen.
London wartet aus die französische Entscheidung.
TU. London, 17. Aug. Wie der diplomatische Korrespondent des „Daily Telegraph" berichtet, hatten die amtlichen Kreise Londons gestern abend noch keine Informationen über eine Beschlußfassung des französischen Kabinetts in der Frage der Besatzungsverminderung.
v. Kardorffs Rede bet der Berfassnngsfeier wird nach dem diplomatischen Korrespondenten in englischen Kreisen als unzeitgemäß bezeichnet. Trotzdem wird zugegeben, daß einige der von ihm vorgebrachten Beschwerden bezüglich der Locarno-Hoffnungen Deutschlands nicht unbegründet seien. Man würde deshalb die Beseitigung der deutschen Beschwerden englischerseits nur begrüßen.
Deutschlands Beziehungen zu Litauen
TU. Berlin, 17. Aug. Die Morgcnblätter geben eine Unterredung des Sonderberichterstatters einer der Wtlhelm- srraße nahestehenden Korrespondenz mit Ministerpräsident Woldemaras wieder. Woldemaras betonte, daß Litauens Außenpolitik mit allen Nachbarn gute Beziehungen gewinnen wolle. In Bezug auf Deutschland sei diese Politik schon immer eingeschlagen worden. Was die Memelfrage anlange, gäbe es kein Hindernis für den normalen Verlauf der Wahlen. Der Kriegszustand tm Memelgebiet habe nur formale Bedeutung insofern, als das litauische Gesetz zum Schutz des Staates nur im Kriegsfall oder während der Dauer des Kriegszustandes angewendet werden könne. Was nun die Durchführung der Wahlvorbereitungen im Memelland im Hinblick auf den Kriegszustand betreffe, so würbe der Kriegszustand in keiner Weise die Versammlungsfreiheit hindern. Zur Zeit des Kriegszustandes sei allerdings bke Genehmigung einer jeden Versammlung seitens der Kommandantur vorgeschriebe». Es seien aber schon im Februar Anweisungen gegeben worben, die Genehmigung der Wahlversammlungen im Memellande wie eine Registrierung zu behandeln. Im übrigen sei ihm auch bis jetzt noch kein einziger Fall bekannt, wo eine Versammlung verboten worden sei. Die Zensur schade im allgemeinen mehr als sie nütze und es seien auch Mißgriffe vorgekommen. Manches wäre
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(52 Fortsetzung.)
Aller Augen ruhten auf der taufrischen, fesselnden Erscheinung, von der ein Hauch geistiger Vornehmheit auszugehen schien, und allgemeiner, stürmischer Beifall lohnte ihn für den Vortrag einiger berühmter, vaterländischer Gedichte.
„Das war wirklich ein Genuß, Fräulein," sagte der Bräu- tigam, als Anatol, den Blick bescheiden gesenkt, sich wieder neben Cyrillo niederletzte, „Sie werden berühmt werden, die ganze Welt wird einst Ihren Namen nennen."
Ein elementarer Schmerz stieg in Anatols Brust empor — diese Huldigung ihm, dem Namenlosen, dem Ausgestoßenen — dem verfolgten Flüchtling!
Doch wie auch alle Gäste für die junge Deklamatorin schwärmten — Herr Benno Zipfel, der Ortsvorstand, wurde nicht davon berührt, seine plumpe Seele hatte kein Verständnis für di« Kunst; unablässig fixierte er mit den dreieckigen, grünlichen Augen die Gesichter. Plötzlich schnellte er auf, und alle blickten verwundert dem kleinen, mageren Manne nach, wie er an den Gästen vorüber davonschoß, als ob Dantes ganze Hölle hinter ihm her wäre.
Herr Zipfel lief schnurrstracks über die Straße in sein Bureau.
Zur Unterstützung des Gedächtnisses hatte Herr Zipfel di« Wände des Gemeindebureaus mit all den Steckbriefen beklebt, die ihm seit einer Reihe von Jahren durch die Dresdner Amtszeitung vor seinen beutegierigen Blick gekommen. Er überflog hastig diejenigen der letzten Jahre, dann las er sie langsam Stück für Stück noch einmal durch.
„Ah — hier — das stimmt — ei herrchee — un wie!" flüsterte er, teuflich vergnügt mit dem Finger auf einen Ausschnitt tippend. „Dippchen, nehmen Sie die Handschellen un gommen Sie mit."
Beide schritten über die Straße In das Hochzeitshaus: unterwegs erteilte der Vorstand seinem Untergebenen die nötigen Verhaltungsmaßregeln.
Plötzlich trat der Vorstand mitten unter die Tanzenden. Einigemal wurde er beinahe umgerissen, allein im Amtsfanatismus arbeitete der kleine Mann sich, trotz zahlreicher,
aber einfacher gewesen, wenn sich die deutsche Presse im Me- mellanbe tm staatlichen Sinne geneigter gezeigt hätte. Auf die Krage, ob die litauische Regierung gewillt sei, die Schaf- fung eines den Wünschen der Memelländer entsprechenden Direktoriums zu unterstützen, erklärte Woldemaras, daß es sich hier um eine Frage der Zukunft handle. Das Direktorium werde selbstverständlich dem Wahlergebnis entsprechen müssen. Jedenfalls werde die Frage in parlamentarischer Form gelöst werden.
Die Korrespondenz bemerkt hierzu n. a.: Deutscherseits werde man angesichts dieser Darstellungen Woldemaras fcst- stellen, daß er sich dabei auf eine Anzahl von Beschwerde- Punkten beschränkte, ohne einige sehr wichtige von ihnen zu berühren. Wenn er in Bezug ans den Kriegszustand Erklärungen abgibt, die diesen als harmlos und unschädlich für die Freiheit der Bevölkerung im Memelgebiet hinstellt, so mag vielleicht in Bezug auf die Versammlungsfreiheit.ein tragbarer Zustand eingetrctcn sein, jedenfalls aber nicht hinsichtlich der Pressefreiheit. Zu dem Fortbestehen der Zensur zur Unterdrückung von Wahlaufrufen kommt die Behandlung der Sprachenfrage. Die Lehrerkündiguugen trotz bestehenden Lehrermangels widersprechen dem Begriff der Kultnrauto- nvmie und die Behandlung der Beamten- und Optantcnfrage stellen weitere, keineswegs abgestellte Beschwcrdcpunkte der Bevölkerung dar. Erst wenn Woldemaras seine in Gens abgegeben Erklärungenswahr mache, werde sich die wünschenswerte Ausgestaltung der beiderseitigen Beziehungen unschwer ergeben.
Das deutsche Eigentum in Amerika
Beschleunigte Verabschiedung der Freigabe-Bill.
TU. Berlin, 17. Ang. Der „Tägl. Rundschau" wird auS Washington von gut informierter Seite gekabelt: Es verlautet bestimmt, daß die Rückgabe-Bill des deutschen Eigentums bei der kommenden Session des Kongresses den Vorrang vor anderen Vorlagen haben wird, besonders vor der SteuererinüßigungS-Bill. Eingeweihte Kreise in Washington wollen missen, baß die amerikanische Regierung der deutschen Regierung bindende Zusagen in dieser Hinsicht gemacht hat und daß als Gegenleistung dafür die deutschen Interessenten davon absehen werden, eine Untersuchung bezüglich der Verwaltung des beschlagnahmten Eigentums zu verlangen. jls In Regierungskreiscn werden die Anssichten, die Freigabe-Bill endlich durchznbringen, optimistisch beurteilt; wenn man auch die parlamentarischen Schwierigkeiten nicht unterschätzt.
Nachspiel zum Kapp-Putsch
Das Reichswehrministerinm beschlagnahmt die Pensionen von Ehrhardt und Lüttwitz.
TU Berlin, 17. Ang. Wie eine Berliner Korrespondenz mitteilt, hat bas Reichswehrministerium an Kapitän Ehrhardt unter dem 12. August 1927 ein Schreiben gerichtet, in dem mitgeteilt wird, baß der Nelchsfiskus die ihm aus dem Kapp-Putsch erwachsenen Vcrmögensschäden mit den Pen- sionöansprttchen von Ehrhardt und General Lüttwitz aufrech- net. In dem Schreiben werden die von Lüttwitz eigenmächtig und rechtswidrig veranlaßten Verfügungen über Besoldungserhöhungen angeführt. Durch die Auszahlung der er-
beleidigender Tritte aus die Lieblingszehen, bis zu den Musikanten ins Nebenzimmer durch.
„Heren Se auf! Sofort Ruhe!" gebot er streng.
Bei dem jähen Verstummen der Musik hielten die Paare mitten im Tanz inne.
„Es tut mir sehre leid. Sie im scheensten Verknigen steren zu missen, meine Herrschaften, allein unter Sie befindet sich ä entsprungner Verbrecher, ä ferchterlicher Merderl"
Alle stoben erschrocken auseinander. Der Vorstand sprang jetzt mit einem Satz auf Cyrillo zu. packte ihn am Aermel und rief so laut er konnte:
„Ich erkläre Sie für verhaftet — Sie sind Anatol Wangerin!"
Cyrillo starrte Herrn Zipfel und dann sämtliche Anwesende mit nichtssagenden Blicken an.
„Anatol Wangerin? Wer ist denn das?"
„Ich gann Sie's sagen, ich weeß es noch," rief von hinten einer, „der hat seinen Vatter vergiftet."
„Dippchen, fesseln Sie den Gefangeneni" kommandierte der Vorstand. Der Gemeindediener trat mit den Ketten heran.
„Was wollen Sie denn von mir? O Gott, o Gott, lassen Sie mich doch los!" jammerte Cyrillo, „ich heiße doch nicht Wangerin — von dem Manne habe ich ja noch niemals etwas gehört oder gesehen — ich heiße Tarnacki."
„Sie haben kein Recht» meinen Bruder zu verhaften!" rief Anatol, „augenblicklich nehmen sie die Fesseln fort, damit er die Hände frei behält, um seinen Paß vorzuzeigsn, seinen unantastbaren, von der Mainzer Behörde abgestempelten Paßl Der wird wohl alle Steckbriefe über den Haufen werfenl"
„Jawohl, mein Paß, mein Paß," wimmerte Cyrillo, „daran dachte ich ja gar nicht."
Er entnahm das Papier seiner Brusttasche.
Der Vorstand wollte eigensinnig den Paß nicht ansehen, aber Anatol las den Inhalt laut vor und zeigte ihn dann den Anwesenden, die insgesamt befriedigt nickten.
„Awwer wie gann solch junges Frauenzimmer sich so dreist vordrängen," schrie Herr Zipfel erbost, „das is Beamtenbeleidigung, das wissen Sie wohl noch nich, meine kutste Mamsell!"
„Es handelt sich um meinen Bruder, mein Herr!"
„Ach, Bruder, Bruder — wer sind Sie denn? Irgend- een mitgeloofenes Frauenzimmer, aber nich seine Schwester — zeigen Se doch mal Ihren Paß, sonst verhaft ich Ihnen!"
höhte» Gebührnisse sollen dem Reich 6,8 Millionen Goldmark Schaden erwachsen sein. Der Rechtsbeistand des Kapitäns Ehrhardt, Rechtsanwalt Bloch, will jetzt gegen den Reichs- wehrininister die FeftstellungSklage einrcichcn. Ehrhardt bestreitet es entschieden, am Kapp-Putsch in führender Stellung teilgenoinmen zu haben. Ehrhardt beruft sich darauf, daß er seine sich auf 12 900 Mark belaufenden Pensionsansprüche noch nicht angefordert habe, was er jetzt aber nach dem Schreiben des Neichswehrmiuisters zu tun gedenke.
Arbeilerunruhen in Rußland
TU. Warschau, 17. Aug. Nach einer Meldung ans Moskau kam es in Tula unter den Arbeitern der dortigen metallurgischen Fabriken wegen der ab 15. August geltenden Lohnvermiuderungen zu schweren blutigen Ausschreitungen. Es wurde versucht, den Aufstand durch starke Abteilungen Miliz zu unterdrücken, wobei cs zu schweren Znsammen- stvsMc kam. 15 Personen wurden getötet und 13 Personen schwer verletzt.
In Kizyl Arwad ist der bekannte Führer der turkestan!» schen Aufständischen, Tatsch-Muradvm, hingerichtet worden. Nach der Hinrichtung kam es zu einem Ucberfall der Aufständischen auf eine Sowjetabteilniig, der große Verluste zu- gefügt wurden.
Die Lage in China
Der Rücktritt Tschiangkaischeks.
Tll London, 17. Aug. Wie die „Times" über den Rücktritt Tschiangkaischeks aus Schanghai ergänzend zu berichten wissen, hat die Kuomintang Tschiangkaischek seiner Stellung enthoben. Diese Entscheidung ist auf einer in Nanking ab- gchaltenen militärischen Konfcrenz gefallen. Die kürzltchen Niederlagen Tschiangkaischeks habe» dem Kantvnflügel der Nationalisten die Möglichkeit gegeben, in dem zum Befehls- bereich Tschiangkaischeks gehörenden Ningpoabschnitt wieder die Oberherrschaft zu erlangen. Damit war das Schicksal Tschiangkaischeks in die Hand der Kantonesen gegeben worden, die seine Absetzung vom Oberbefehl beschlossen und ihm ein kleineres Kommando au der Ostfront anboten. Dieses hat Tschiangkaischek jedoch abgclchnt und sich nach Schanghai begeben. Von dort aus ist Tschiangkaischek an Bord eines chinesischen Dampfers abgcrcist, und zwar angeblich nach Ningpv. Man glaubt allgemein, daß er sich nach Amerika begeben wird, wohin seine Frau bereits vor einer Woche abgereist ist.
Die Nationalisten beabsichtigen ein neues Einkommen- steucrsystem einzuführen, das die Einkommen bis zu 2M0 abgabenfrei läßt und für die höheren Einkommen eine progressive Steigerung vorsieht. In Kürze soll die Abschaffung >von 12 Zollstationen innerhalb des Gebietes der Nationalisten als erster Schritt für die Abschaffung der Transite beS sogenannten Likinzolles erfolgen.
Schanghai und Wnsang cholerainfiziert.
Nach einer Meldung des britischen Botschafters in Tokio berichtet das japanische Regierungsblatt, baß Schanghai und Wusang vom 8. August an als chvlerainftziert bezeichnet werden.
Anatol fühlte bei dieser unerwarteten Wendung, daß ihn
hier nur die äußerste Kaltblütigkeit retten konnte; sobald er auch nur mit der Wimper zuckte, war er verloren.
„Ist hinter mir vielleicht auch ein Steckbrief erlassen worden, könnt' ich den einmal sehen? Wir werden Beschwerde einreichen, sowohl bei unserer Heimatsbehörde, wie beim Polizeidirektor in Dresden! In unseren Effekten befindet sich übrigens auch ein Ausweis über mich; wollen Sie so freundlich sein und mit mir auf mein Zimmer kommen, ich könnt« ihnen sonst unterdessen entspringen. Sie scheinen m allen Menschen nur Verbrecher zu sehen!"
Anatol machte Miene, voranzugehen. Sämtliche Männer waren empört über Zipfels Handlungsweise der verehrten, jungen Künstlerin gegenüber und hätten am liebsten das Uebermaß ihrer Körperkräfte auf ihn abgeladen.
Hatte die kuragierte und bestimmte Sprache Anatols, und ganz besonders die unangenehme Drohung, die Beschwerde an den Polizeidirektor, Herrn Zipfel schon sowieso vollständig stutzig gemacht und ihn zögern lassen, ob er mitgehen sollte, um sich noch einmal zu blamieren, so reizten jetzt di« empörten Reden seiner Landsleute seinen Widerspruch.
„Nee, nu jeh ich krade nich," dachte er.
„Se genn'n jetzt weiter danzen, 's Berher is zu Cnd«. Gommen Se, Dippchen, mir ha'm keene Zeit, hier 'rumzustehn."
Zipfel und Dippchen gingen. Dippchen stolz und gerade, süßeste Schadenfreude im vorsichtig gesenkten Blick, Zipfel krumm, mit verzerrtem Gesicht — kleiner denn je —- iy Wahrheit nur noch ein Zipfel.
Vierzehn Tage später wurden im Hof vor dem Korbwagen die wohlgenährten Braunen eingeschirrt. Zwei Mägde trugen aus dem Hause einen hübschen, dunklen Lederkoffer herbei und stellten ihn hinten auf den Wagen.
Jetzt trat Anatol, sich die Handschuhe anziehend, in den Hof hinaus. „Fräulein Priska" sah sehr schick aus in dem nagelneuen, modernen, nebelgrauen Reisekleide nebst anliegendem Sommerjackett und rundem, silbergrauem Stroh- Hütchen mit wehendem, blauem Schleier.
Cyrillo kam jetzt ebenfalls, der Schwester Handtasche, seinen Tornister und Regenschirm bringend und die Gegenstände auf den Koffer legend, lieber dem Arm trug er einen gelblichen Ueberzieher, den er früher nicht besessen.
(Fortsetzung folgt.).