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Formulare zu WahlProtokollen sind in der A. Oelschläger'schen Buchruckerei hier zu haben. Calw, den 29. November 1894.
K. Oberamt.
Noelter.
Bekanntmachung.
Nachdem in Möttlingen die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen ist, werden folgende Maßnahmen, zunächst bis zum 14. Dezember d. I. einschließlich angeordnet.
Es ist verboten:
1) Das Treiben von Rindvieh, Schweinen und Schafen außerhalb der Feldmarkgrenzen in den Gemeinden Möttlingen, Simmozheim, Neuhengstett und Unterhaugstett.
2) Die Weggabe von Magermilch aus Sammelmolkereien in den genannten Gemeinden mit Ausnahme solcher Milch, welche zuvor auf mindestens 100 ° 6. erhitzt worden ist.
Die Schultheißenämter haben vorstehende Maßregeln in den betr. Gemeinden auf ortsübliche Weise zur öffentlichen Kenntnis zu bringen und dabei darauf hinzuweisen, daß die Unterlassung oder Verspätung der Anzeige von Seuchenausbrüchen und die Zuwiderhandlung gegen die ergangenen Anordnungen nicht nur Bestrafung, sondern auch den Verlust der Entschädigung für an Biaul- und Klauenseuche gefallenes Rindvieh nach sich zieht.
Ueber den Vollzug dieser Anordnung ist sofort Anzeige hieher zu machen.
Calw, den 30. November 1894.
K. Oberamt.
I. V.:
Amtm. Gsttert.
Bekanntmachung.
Da die Maul- und Klauenseuche in Oberhaugstett noch nicht erloschen ist, so bleiben die am 17. November d. I. über die Gemeinden Oberhaugstett, Liebelsberg und Martinsmoos verhängten Sperrmaßregeln bis auf weiteres noch in Kraft.
Bezüglich der Gemeinde Neubulach s. besonderen Erlaß vom 23. d. M.
Calw, den 30. November 1894.
K. Oberamt.
I V.: Amtm. Gottert.
Tagesneuigkeiten
* Calw, 30. November. Gestern wurde die für die hiesige Feuerwehr bestimmte Spritze von Landesfeuerlöschinspektor Herrn Kleber einer eingehenden Besichtigung unterworfen. Die Probe entsprach vollständig den gestellten Bedingungen. Zu der Hebung hatte die 7. Kompagnie, der die neue Spritze übergeben wurde, auszurücken. Die alte Spritze soll ausrangiert und wahrscheinlich verkauft werden.
Stuttgart, 29. Nov. Gestern abend nach 10 Uhr ist in der Glaserwerkstätte in einem Hinterhaus der Heusteigstraße ein gefährlicher Brand ausgebrochen, welcher auch für die Nachbarhäuser gefährlich zu werden drohte. Die Berufsfeuerwache war kaum von einem Kaminbrand in der Gartenstraße eingerückt, als sie in die Heusteigstraße gerufen wurde. Dieselbe hat nach 1'/-stündiger angestrengter Thätigkeit auch dieses Feuer gelöscht und auf seinen Herd beschränkt.
Heilbronn, 28. Nov. Die Spaltung in der hiesigen sozialdem. Partei hat sich nunmehr auch äußerlich vollzogen, indem gestern abend im Gasthaus zur Rose die Gründung eines sozialdem. Verein beschlossen wurde. Eingeschriebene Mitglieder zählt der neue Verein etwa 31. Auch weiblichen Personen von über 18 Jahren steht der Eintritt in den Verein offen.
München, 28. November. In einem Beleidigungsprozeß Neheis-Fischer hatte heute die Distanzfahrt Mailand-München ein gerichtliches Nachspiel. Fischer, der bekannte Distanzfahrer hatte Reheis, welcher als zweiter eintraf, beschuldigt, er habe sich eine lange Strecke mit Stricken ziehen lassen und habe ferner einen näheren Weg eingeschlagen. Aus diesem Grunde strengte Reheis die Beleidigungsklage an. — Fischer hielt in der heutigen Verhandlung seine Behauptungen nicht aufrecht. Es kam ein Vergleich zu Stande, nach welchem die Gerichtskosten zur Hälfte auf beide Parteien entfallen.
Varzin, 27. Nov. Fürst Bismarck setzte heute früh telegraphisch das deutsche Kaiserpaar von dem Tode seiner Gemahlin in Kenntnis, worauf der Kaiser an den Fürsten Bismarck ein herzliches Condo- lenztelegramm abgehen ließ. Die Beisetzung wird voraussichtlich auf dem Gute Schönhausen erfolgen. Bismarck soll durch den ihn getroffenen Verlust schwer niedergebeugt sein. Herbert Bismarck telegraphirte den Tod seiner Mutter an das auswärtige Amt, worauf der Reichskanzler condolirte. Die Fürstin soll an der Wassersucht gelitten haben. Viele Berliner Abendblätter widmen der Verstorbenen warme Nachrufe.
Varzin, 28. November. Die Stimmung des Fürsten Bismarck ist geradezu trostlos. Der Fürst verbrachte die letzte Nacht schlaflos und antwortete auf Fragen gar nicht oder nur mit einer Handbewegung. Man. befürchtet, daß das traurige Ereignis auf den Gesundheitszustand des Fürsten ungünstig einwirken wird. Die Aerzte suchen Bismarck zu überreden, möglichst bald Varzin zu verlassen. Die Einbalsamirung der Leiche ist bereits erfolgt, die Sektion auf Wunsch des Fürsten unterblieben.
Varzin, 29. November. Die Beisetzung der Fürstin Bismarck hat heute nachmittag im engsten Familienkreise stattgefunden. Das Gartenhaus, worin der Sarg bis zur Ueberführung nach Schönhausen aufgestellt war, war unter Oberleitung
des Försters Westphal in eine Leichenkapelle umgewandelt. Pastor Schumann aus Wussow vollzog, die kirchliche Handlung. Es sind bereits an 800 Beileidstelegramme eingegangen.
Berlin, 28. November. Der Bundesrat wird sich bereits in seiner morgigen Plenarsitzung mit der Umsturzvorlage beschäftigen. Die Vorlage soll in den Ausschüssen mehrfache Abänderungen erfahren haben. Der Entwurf soll am 5. Dezember gleichzeitig mit der Uebergabe an den Reichstag veröffentlicht werden.
Berlin, 28. November. Der „Reichsanzeiger" macht bekannt, daß der Verkehr der Fernsprechlinie Berlin - Wien am 1. Dezember eröffnet wird. Das Gespräch von drei Minuten kostet 3 Mark.
Berlin, 28. Novbr. Im heutigen „Vorwärts" befindet sich der erste Abschnitt der Entgegnung Bebels auf Vollmars Angriffe. Derselbe besteht in Re- kapitulirung und Glossirung der letzteren, sowie in auszugsweiser Wiedergabe Bebel günstiger sozialdemokratischer Preßstimmen. Bebel geht hierbei gerade nicht sanft vor, nennt die Auslassung Vollmars „lächerliche Tiraden und eines Klosterschülers würdig." Bebel kommt zu dem Schluß, daß die Tragig der Vollmar'schen Vorwürfe nicht ernst zu nehmen sei, höchstens komisch wirke. — Aus Anlaß dieses Zwistes im Parteilager tritt die sozialdemokratische Reichstags- Fraktion am 4. Dezember, nachmittags, zu einer Fraktions-Sitzung zusammen.
Berlin, 30. Nov. Der Kaiser nahm gestern Nachmittag im neuen Palast die Meldungen der Herren entgegen, welche den Prinzen Heinrich nach Petersburg zu den dortigen Fürstlichkeiten begleitet hatten.
Berlin, 30. Novbr. Nach telegraphischen Meldungen, welche dem „Lokalanz." über Wien und Paris zugehen, soll der russische Großfürst-Thronfolger Georg in AbaSz Tuman gestorben sein. In der hiesigen russischen Botschaft war bis zur späten Nachtstunde nichts über ein solches Ereignis bekannt.
— In Basel starb vor zwei Wochen ein reicher Basler ohne Leibeserben. Der Verstorbene versteuerte bei Lebzeiten zwei Millionen Franken;, nun hat aber die Vermögensaufnahme ergeben, daß das Vermögen mehr als fünf Millionen Franken beträgt. Das macht für den Staat eine Nachsteuer von mehreren hunderttausend Franken aus, die er gerade jetzt sehr gut gebrauchen kann.
Petersburg, 25. Nov. Seit früher Morgenstunde hatte sich auf dem Newskiprospekt eine vieltausendköpfige Menschenmenge angesammelt, um die Auffahrt der hohen Herschaften anzusehen. Die Truppen bildeten vom Palais des Großfürsten Sergius bis zum Winterpalais Spalier. Die Stadt ist vollständig ohne Schmuck. Gegen 11'/- Uhr fuhr der Zar mit glänzender Suite nach dem Winterpalais;, er trug die Husarenuniform. In einem mit vier
sollte, schritt jetzt so rasch vorwärts, daß Angelika fast Mühe hatte, an seiner Seite zu bleiben. Nun, da sie einmal auf dem Wege waren, hatte er keine Veranlassung mehr, den Zurückhaltenden zu spielen.
Angelika war in der Stadt fremd; !eS hatte also keine Gefahr, daß sie mit unverhülltem Kopfe neben ihm ging. Außer den Bewohnern des „toten HauseS' kannten nur zwei Männer, Gerhard und der Sanitätsrat, das junge Mädchen, und Jordan wußte wohl, daß eine Begegnung mit diesen Beiden nicht zu fürchten war.
Der Gefahr einer Begegnung waren sie überhaupt kaum zwei Minuten lang ausgesezt, denn sehr bald verließen die beiden Wanderer das Trottoir des .Hauptwegs' und bogen in eine kurze, schmale Gaffe, ein, welche, den Weg hinter der Dreßler'schen Parkmauer im rechten Winkel durchschneidend, zwischen Zäunen und parzellnten Bauplätzen in die Unterstadt und nach dem Hafen hinabführte. Diele Gegend war schon bei Tage öde, bei Nacht aber vollständig menschenleer. Angelika mußte sich natürlich ganz der Leitung Jordans überlaffen; in ihrer Hast, vorwärts zu kommen und rechtzeitig das Ziel zu erreichen, achtete sie überhaupt nicht auf den Weg, den Jordan sie führte.
Man erreichte jetzt das Niveau der Unterstadt. Links lag der Teil derselben, wo bei Tage eine ameisenartige Geschäftigkeit herrschte. Jetzt ruhte das merkantile Leben und nächtliche Dunkelheit hatte sich über die Steinquadern der breiten User- quais und über die majestätische Wasserfläche deS Flusses gebreitet, auf welcher sich der Mastenwald erbob, dessen mit Flaggen aller Herren Länder bewimpelte Spitzen man bei Tageslicht vom Drcßlcr'ichen Pavillon aus erblicken konnte.
Nicht hierher, sondern nach der anderen Seite lenkte Jordan seine Schritte. Rechts erhob sich em Mall, das letzte Überbleibsel mittelalterlicher Festungswerke, den man in eine P'vmenake umgewandelt hatte und dessen oberes Glac'.S m>t einer doppelten Reih« von Lindenbäumen bepflanzt war. Die hölzernen Pallisaden. welche früher den Fuß des Walles geschirmt, waren längst verschwunden, und offen führte ein planirter breiter Weg zu der Höhe des Walles der rechts zum Terrain
der Oberstadt emporstieg, während links sein untermauerter Teil steil in den Fluß hinabfisl, dessen Wogen an der Wallmauer entlang, hier nicht mehr von den Bollwerken eingeengt, sich in reißenden Strudeln dem Meere zuwälzten.
Nur in weiter Ferne schimmerte am äußersten Horizont ein Stern so glänzend und blendend, daß die tief und scheinbar in seiner Nähe stehenden anderen in ihrem Glanze verblaßten. ES war das Licht eines Leuchtturm-, der einige Meilen von der Stadt wie ein riesiger Wächter die dort beginnende Strandgegend beherrschte und seinen Schein bis weit in das offene Meer hinauswarf.
„Hier hinauf?' fragte Angelika, als Jordan sich dem Wall zuwandte, dessen eckige, langgestreckte Konturen ihm im Dunkeln die Form eines ungeheuren Sarges gaben.
„Ja," antwortete er kurz, .wir müssen den Wall übersteigen, auf seiner anderen Seite liegt der Kaiserquai.*
Es waren die ersten Worte, welche auf dem ganzen Wege bis hierher zwischen Beiden gesprochen wurden. Angelika verdoppelte ihre Schritte, da sie vernahm, , daß sie nun gleich am Ziele wären. Oben auf dem Glacis angekommen, ging Jordan nicht unter dem Laubdach der Bäume fort, sondern mehr links, wo der Kiesweg der Promenade von einem Rasenansatz begrenzt wurde, der sich bogenförmig auf die Mauer hinabwölbte.
Jordan, der bis jetzt, ohne rechts und links zu sehen, die ihm wohlbekannten Gaffen, Plätze und Wege passirt war. wandte sich mehrere Male seitwärts, als wollte er das unter dem Baumdach der Linden herrschende Dunkel mit den Blicken durchdringen. Nichts rührte sich. Plötzlich stand er still.
„Da," sagte er und streckte den Arm aus, „da ist die grüne Signallaterne am Bugspriet und die rote am Fockmast des Delphins."
„Wo?" sagte Angelika, die ebenfalls ihre Schritte anhielt.
Sie strengte ihre Augen an, da sie nichts sah.
„Dort," wiederholte er, „dicht über dem Wall," sezte dann aber hinzu: „Ach^-