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Schimmeln bespannten Galawagen folgte die Zaren- wittwe mit der Braut. Militär begleitete den Zug. Eine zahlreiche Menschenmenge brachte stürmische Hurrahrufe dar. Die hohen Herrschaften dankten lebhaft. In der Kapelle des Winterpalais war die Geistlichkeit sowie die Großwürdenträger versammelt, welche den Brautzug an der Thüre empfingen, die Zarenwittwe führte die Braut. Der Zar wurde begleitet von drei Generaladjutanten, sowie vom Oberhofmarschall Grafen Woronzow Daschkow, sodann folgten die fürstlichen Gäste und die Mitglieder der Zarenfamilie. Nach dem Gottesdienst fand der Ring­wechsel statt, bei welchem der Beichtvater der Braut assistirte. Bei der darauf folgenden Einsegnung hielten die Könige von Dänemark und Griechenland die Kronen über die Neuvermählten. Nachdem noch ein Gebet für die Gesundheit des Zarenpaares ge­sprochen war, fand eine Gratulationskour statt, hier­auf begaben sich die Neuvermählten in ihre Apparte­ments, woselbst das Diplomatische Korps und die Minister ihre Glückwünsche darbrachten. Bei der darauf folgenden Fahrt nach der Kasankathedrale brach die Menge in einen unbeschreiblichen Jubel aus, das Zarenpaar war sichtlich gerührt von der Huldig­ung der Bevölkerung. Nach dem Gottesdienste in der Kasankathedrale fuhr das Paar nach dem Anitsch- kowpalais.

Rom, 27. Nov. Neue Erderschütterungen find in Reggio und Melazzo verspürt worden. Unter der Bevölkerung herrscht fortwährend eine unbeschreib­liche Panik. Wegen des schlechten Wetters kann das Volk sich nicht mehr auf dem Felde aufhalten. Daher hat die Polizei gestattet, die alten Wohnungen wieder zu beziehen.

London, 28. November. Ueber die Ein­nahme von Port Arthur durch die Japaner wird weiter berichtet: Die Japaner haben bei ihrem Einzuge zahlreiche Leichen aus ihren Reihen Gefallener vorgefunden, welche von den Chinesen verstümmelt waren.

London, 29. November. Das Berl.jTagebl.* meldet aus London, daß nach Meldungen aus Odessa der Gesundheitszustand des Großfürsten Georg sich derart verschlimmert hat, daß man das Schlimmste befürchtet (s. vorst).

London, 29. November. Nach einer Meldung aus Shanghai ist der Korrespondent des Bureau Reuter, der seinen Beruf zu ernst genommen hatte, in Port Arthur von den Japanern gefangen genommen worden. Es sind Unterhandlungen ein­geleitet, um denselben wieder in Freiheit zu setzen.

London, 29. November. Die Chinesen boten 40 Millionen Pfund Sterling Kriegs­entschädigung, die Japaner verlangen jedoch -SO Millionen, sowie Rückerstattung aller Kriegs­unkosten.

(Eingesandt.)

Wie in der Anzeige bemerkt ist, wird bei der am nächsten Sonntag stattfindenden Aufführung deS EliaS, die Orchesterpartie (Streichinstrumente) wieder von der rühmlichst bekannten Prem'schen Militärkapelle übernommen. Nach ihren, auch hier gehörten Leistungen ist es nicht nötig etwas zu ihrem Lob beizufügen. Was die auswärtigen Solisten betrifft, die bei dieser Aufführung mitzuwirken die Güte haben, sei erwähnt, daß Frl. Fanny Müller aus Stuttgart (Sopran) auch schon bei dortigen Aufführungen des Vereins für klassische Kirchenmusik als Solistin aufgetreten ist. Die schöne, volltönende Stimme der hier wohlbekannten und stets gern gehörten Frau Bauinspektor Bareiß-Stälin aus Ludwigsburg eignet sich in besonderer Weise zu der Partie desEngels* welchem Mendelssohn so schöne Arien zugeteilt hat. Herr Rechtsanwalt H. Faißtaus Stuttgart (Baß), welcher sich schon letztes Jahr bei der Aufführung desIsrael* so vorteilhaft einführte, ist durch seine kräftige, wohl­geschulte Stimme bei lebensvollem Vortrag im höch­sten Grad befähigt, die Heldengestalt des Elias meister­haft darzustellen. Sei es, daß der Prophet im Feuer hervorbricht (man denke an die markerschütternde Jammer-Arie), sei es daß Elias lebensmüde um sein Ende fleht stets wird er den Zuhörer durch seinen wirkungsvollen Vortrag fesseln und mit sich reißen. Mendelssohn hat in diesem Werke dem Chor eine sehr große Aufgabe gestellt. Die Mitglieder desselben haben keine Mühe gescheut, sich mit Eifer und Liebe in den Geist dieses Oratoriums einzuleben; mögen sie durch eine gelungene Aufführung für ihren hingebenden Fleiß belohnt werden.

Kandwirlschaftl. Serirltsoereiri.

Mit dem 1. Januar 1895 beginnt ein neues Abonnement auf das landw. Wochenblatt. Da dessen kostenfreier Bezug mit dem Eintritt in den landw. Verein verbunden ist, und zum Zweck der Fertig­stellung der Postlisten die Mitgliederliste spätestens bis 10. Dez. d. I. nach Stuttgart eingeschickt wer­den muß, so werden diejenigen, welche dem landw. Verein beitreten wollen, gebeten, sich spätestens bis 8. Dez. mündlich oder schriftlich bei dem Unter­zeichneten anzumelden. Spätere Meldungen würden erst vom 1. Juli 1895 ab zum Bezug des landw. Wochenblatts berechtigen.

Auch der Austritt aus dem Verein kann nur durch direkte Abmeldung bis zum 8. Dez. erfolgen. Wer diesen Termin versäumt, erhält sein Blatt in unveränderter Weise zugeschickt und hat seinen Jahres­beitrag für das Jahr 1895 fortzuentrichten.

Die Herren Ortsoorsteher werden freundlich ersucht, ebenfalls bis zum 8. Dez. dem Unterzeichneten anzuzeigen, welche Mitglieder wegen Todes oder Wegzugs zu streichen sind, oder im Versäumungsfall für einen Ersatzmann sorgen zu wollen.

Calw, den 29. Nov. 1894.

Vereinssckretär:

Ansel.

Gottesdienste

am 1. Advent, 2. Dezember.

Vom Turm-, 91. Der Kirchenchor singt:Tochter Zion freue dich.' Predigtlied: 93. 9'/« Uhr Beichte in der Sakristei. 9 V» Uhr Vorm.-Predigt: Hr. Deka« Braun. Feier des heiligen Abendmahls. 3 Uhr Nachm.- Predigt: Hr. Stadtpfarrer Schmid. Das Vormittags­und Nachmittagsopfer ist für den Gustav-Adolf-Verein bestimmt.

Mittwoch, 5. Dezember.

10 Uhr: Betstunde im Vereinshaus.

Reklameteil.

Der Localpatriotismus auf industriellem Gebiet.

Trotz aller Aufklärungen durch die berufensten Persönlichkeiten ist der größere Teil des Publikums immer noch der irrigen Ansicht, daß Cacao und Cho- colade nur Luxusgetränke sind. Thatsächlich zählen dieselben aber zu unseren wertvollsten Nähr- und Ge­nußmitteln, die längst verdient hätten, allgemein als tägliches Getränk an Stelle des aufregenden TheeS und Caffees zu treten, welche jedes Nährgehalts ent­behren. Dabei ist der Preis für Cacao und Choco- lade nicht höher, wie derjenige für Thee und Caffee, denn eine Tasse guter Cacao und Chocolade stellt sich auf nur 56 Pfennige, doch sicherlich ein Preis, der auch für den weniger Bemittelten zu erschwingen ist. Bet Vertrauensartikeln, zu denen Cacao und Chocolade in erster Linie gehören, ist die Bezugs­quelle von größter Wichtigkeit. Man lasse sich nicht durch pomphafte Reclamen zum Bezug von aus­ländischen Fabrikaten bestimmen, sondern halte sich an, guten einheimischen Erzeugnissen. Wer vorurteils­frei an die Prüfung der Cacao- und Chocolade- Fabrikate der Firma E. O. Moser L Cie. in Stuttgart herantritt und dieselben mit andern Fabri­katen vergleicht, mutz zu der Erkenntnis kommen, daß die Moser'schen Erzeugnisse von hervorragender Güte sind. Diese wird erreicht durch mehr als vierzig­jährige Erfahrung in der Fabrikation, Verarbeitung nur erster, direkt bezogener Rohmaterialien und Ver­wendung der neuesten Maschinen, auf welche ge­wichtigen Umstände auch die allgemeine Verbreitung uud Beliebtheit der Moser'schen Fabrikate zurück­zuführen ist. Jeder kann, mögen seine Verhältnisse auch noch so bescheiden sein, zur Stärkung der In­dustrie seines Heimatlandes beitragen, wenn er einen gewissen Stolz varein setzt, nur einheimische Erzeug­nisse zu konsumieren. Dieser Appell sei namentlich an unsere Hausfrauen gerichtet, bei denen ein etwas größerer Localpatriotismus auf dem gedachten Gebiet dringend in ihrem eigenen Interesse zu wünschen wäre, denn das Geld, das den heimatlichen Boden verläßt, kann im Lande nicht mehr circuliren und wirkt nicht wieder befruchtend auf Geschäft und Familie. Hie­durch wird aber die Steuer- und Kaufkraft der Ein­zelnen gemindert und die volle Entfaltung der ein­schlägigen heimatlichen Arbeitskräfte erschwert.

Sie können bei ihrer kleinen Figur die Laterne wohl noch nicht sehen. Ich habe einen weitumfassenden Gesichtskreis.*

Angelika trat noch einen Schritt vorwärts und bog sich vor, als wollte sie die glückverheißende Laterne auch erschauen.

In demselben Augenblick erhielt sie von Jordan einen furchtbaren Stoß. Sie taumelte, breitete die Arme aus, als wollte sie sich halten, aber es war kein Halt möglich. Ihr Fuß glitt über die Rasenwölbung, ihre kleine Gestalt verschwand, Die Gewalt des Luftdrucks im Hinabstürzen raubte ihr sogleich dermaßen die Be- sinnuna, daß sie keinen Schrei mehr auszustoßen vermochte. Ndr ein Aufschlagen des Körpers auf das Wasser, ein gurgelnder Laut in den Strudeln des Stroms 2>ann wieder nächtliche, tiefe Stille.

Als die Unthat geschehen, stand Jordan einen Augenblick wie gelähmt. Ein Schauer rieselte ihm durch die Adern.

Ein sanfter Luftzug sezte dis Blätter der Linden in Bewegung, daß es wie ein leises Flüstern klang, und Jordan kam es vor, als hätte er noch nie ein solches 'Blätterrauschen gehört.

Wie von Furien gepeitscht, eilte er nach Hause. Er hemmte den flüchtigen Lauf erst, als er aus der schmalen Seitengasse wieder auf das Trottoir deS Haupt­wegs trat. Niemand war in der Nähe, nur aus einiger Entfernung tönte der Schall von Schritten, der aber schwächer wurde und bald ganz verhallte.

Joidan zog den Schlüssel destoten Hauses' aus der Tasche und stand in wenigen Augenblicken vor dem gewaltigen Thorweg.

Von h-n Kirchthürmen der Stadt schlug es Mitternacht.

Kaum dreimersel^DNenden waren vergangen, seitdem er ungesehen das HauS verlassen und eS^etztMLAmbemerkt wieder betrat; was war aber in dieser kurzen Leit geschehen!?

Jordan fand die Lampe auf dem Pulte ebenso herabgeschraubt, wie er sie vorher hingestellt hatte. Er löschte sie ganz aus.

Niemand soll ahnen, wer es gethan, wenn cs überhaupt bekannt wird.* Mit diesem Gedanken warf er sich angekleidet auf sein Lager.

Die Prätendentin der Millionererbschaft war für immer verschwunden und mit ihr die Angst vor der Entdeckung seiner Unterschleife.

Das mußte Jordan beruhigt schlafen lassen, aber der Schlaf floh seine Augen. Bis zum ersten Morgengrauen faßte und verwarf er fortwährend Pläne, auf welche Weise er unter den jetzt so veränderten Verhältnissen sein Benehmen für den nächsten Tag einrichten sollte.

XVI.

Als die Bewohner der demtoten Hause' gegenüberliegenden Gebäude sich am nächsten Morgen aus ihrer Nachtruhe erhoben, wartete ihrer eine große Über­raschung. Sämmtliche Fenster des Dreßler'schen Hauses, die seit einem Jahrzehnt geschlossen gewesen waren, standen offen, geschäftigte Hände waren mit Besen und Tüchern bemüht. Staub und Spinnengewebe von den Fensterrahmen und Gesimsen zu entfernen und den blind gewordenen Scheiben neuen Glanz zu verleihen.

Jordan hatte in aller Frühe dem Dienstpersonal den von der gnädigen Frau erhaltenen Befehl mitgeteilt, daß alle Räume des Hauses gelüftet und renovirt werden sollten, um sie wieder ihren ursprünglichen Wohnzwecken dienstbar machen zu lassen.

Diese Arbeit war sogleich in Angriff genommen worden und hatte die Auf­merksamkeit aller Vorübergehenden erregt.

Wie ein Lauffeuer durchflog es die Stadt:DaStote Haus" ist aus seiner unheimlichen Ruhe erwacht, hinter seinen allen Mauern regt sich neues Leben!'

Nur wenige Stunden waren vergangen, als das angefangene Reinigungswerk an den Fenstern des Dreßler'schen Hause- wieder eingestellt wurde. Die Diener verschwanden, aber die Fenster blieben offen stehen. (Forts, folgt.)