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bin, wie dieses Buch, jetzt habe ich auch gar keine Ruhe mehr. Ich kann nimmer getrost beten, alles Zutrauen ist mir genommen, ich traue Gott und Menschen nicht mehr. Ich habe diesen meinen Zu­stand einem Pfarrer geklagt, dieser glaubt mir auch nichts. Er hat es dem Aktuar gemeldet. Dieser sagt nur, ich könne meine Geständnisse zurücknehmen, aber dann werde ich wieder behandelt wie vorher, und müsse in diesem Zimmer bleiben bis zum Dezem­ber, wo das Schwurgericht ist, und dann komme ich um den Kopf. Wem soll ich jetzt meinen Jammer klagen? Gott hört mich nicht, und die Menschen glau­ben mir nichts. Ich habe zwar keine Angst vor dem Tod, aber wenn nur meine Eltern meine Unschuld wüßten, und es nimmer so lang wäre, wenn ich nur heute noch gerichtet würde. Ich meine, ich habe keine Verantwortung, wenn ich mich selbst ermorde. Das ist mein täglicher Gedanke, ich habe es auch schon versucht, aber bis jetzt ist es noch nicht geraten. Ich weiß nicht, will es Gott nicht haben, oder wo der Fehler steckt. Ich glaub es nicht, daß einem Men­schen schon so Unrecht geschehen ist, wie mir; ich habe am Anfang immer viel gebetet, aber jetzt, da ich sehe, daß cs immer schlechter.kommt, bin ich nahe an der Verzweiflung. Heute Nacht werde ich, so Gott will, meinem Leben ein Ende machen. Ich wünsche nur, daß meine Unschuld nach meinem Tode an den Tag kommt. Mein Blut wird schon gerochen werden. Aber das ist kein Gespaß, mein Lieber Freund, so mit dem Tode kämpfen wie ich. Hüte dich vor dem Menschen und bleib immer für dich allein. Ich habe diesen Menschen (Eckstein) für meinen besten Kame­raden gehalten, und nun wird er mein Mörder. Joh. Schaber hier vom 3. Juli bis 37. August (1859) wo ich meinem Leben ein Ende gemacht habe. Lebet alle wohl. Gott helfe mir und nehme meinen Geist von mir im Frieden; denn ich will viel lieber tot sein, denn leben. Ach wie gerne wollte ich meinen Kopf dargeben, wenn es nur nimmer so lang wäre bis zum nächsten Dezember, so wollte ich es gern er­warten. Aber vorher 5 Monate hierliegen (im Unter­suchungsgefängnis) und dann weiß Gott wie lange ins Zuchthaus. Ach es ist keine Kleinigkeit, sich selbst entleiben, wenn nur diese Stunde vorbei wäre. Jetzt bin ich 22 Jahre alt, das einzige Kind meiner Eltern. Mein Vater ist Gemeinderat, ich habe eine Bekannt­schaft, die hoch schwanger ist und soll mich jetzt selbst unschuldig ermorden. Das habe ich in meinem Leben nicht geglaubt, daß man einem Menschen so unrecht thun könne. Ich habe mich wieder getröstet und will nun die Sache mit Geduld erwarten. Gott kann ja die verkehrtesten Sachen ans Licht bringen, nur Geduld. Ich werde nun vor dem Schwurgericht mein Geständnis widerrufen, entweder muß sich dann die Wahrheit Herausstellen oder ich will dann un­schuldig sterben. Jetzt bin ich schon 2 Monate immer allein in dieser Jammerhöhle und muß noch 3 Monate warten. Wenn Gott meine Unschuld an den Tag

bringen würde, so könnte ich eine aberteuerliche Ge­schichte von meinem Leben erzählen." Die Verlesung dieser und anderer Untersuchungsprotokolle währte bis 13°/« Uhr. Fortsetzung 3'/- Uhr.

In der Abendsitzung wurde der Be­richt des Gerichtsaktuars Bücher über die Rauferei bei Happenbach und die dabei erfolgte Tötung des Föll, sowie weitere Berichte Wuchers an den Kriminal­senat zu Eßlingen verlesen, woraufhin Eckstein und Schaber an diesem wegen im Komplott verübten Mords an das Schwurgericht Ludwigsburg verwiesen wurden. In dem Vorverhör vor dem Präsidenten des Schwur­gerichts widerrief Schaber seine vor Bücher gemachten Geständnisse, erklärte, er sei unschuldig am Tode Fölls, durch die Drohung BucherS, ihn an die Wand anschließen zu lassen, sei er zu einem falschen Ge­ständnis gezwungen worden. Dem Offizialverteidiger Becher wollte Schaber die Verteidigung entziehen, da dieser, (Becher) ihn für schuldig hielt. Der Schwur- gerichtspräsident lehnt aber dieses Gesuch ab, außer wenn Schaber auf eigene Kosten einen anderen Ver­teidigeraufstelle. Die damaligen Geschworenen sprachen Eckstein und Schaber des gemeinschaftlich verübten Mordes an Föll schuldig, worauf der Schwurgerichts­hof die Angeklagten zum Tode verurteilte, sie aber der Gnade des Königs empfahl, weil die Mordthat in der Grenze zwischen Mord und Tötung" stehe. Schaber seinerseits reichte «in Gnadengesuch nicht ein, wohl aber ein Gesuch um Wiederaufnahme des Ver­fahrens, das aber abgewiesen wurde. Wie bereits mitgeteilt, wurden Eckstein und Schaber erst nach 12jährigem Aufenthalt im Zuchthaus zur Auswande­rung nach Amerika begnadigt. Im Februar 1866 reichte Schaber wiederholt ein Gesuch um Wieder­aufnahme des Verfahrens ein, wurde jedoch abge­wiesen. Auf Antrag des Verteidigers Conr. Hauß- mann wurde heute festgestellt, daß Schaber am 17. Sept. 1864 im hiesigen Zuchthaus eine Ordnungsstrafe von 6 Tagen Dunkelarrest mit Anschließung an die Wand und 3 Kostschmälerungen erhielt wegen heimlicher An­fertigung eines Bittgesuchs an den König, versuchter Absendung desselben durch einen Mitgefangenen und darin enthaltener ehrenrühriger Bezichte gegen Bücher. Im Jahre 1866 reichte Eckstein ebenfalls an den Kgl. Kafsationshof ein Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens ein, widerrief darin seine früheren An­gaben und erhob ebenfalls Beschwerde gegen Bücher, der ihn zu falschen Aussagen gezwungen habe. Dieses Gesuch Eckstein's wurde auch abgewiesen. Noch wur­den die Anklagesachen gegen die damaligen Zeugen Klemm und Werber erwähnt. Schluß Abends 6 Uhr.

Stuttgart, 26. Oktober. Strafsache gegen Eichhoff und Agster. Der Vorsitzende verliest heute zunächst die von der Carle vor dem Schwur­gericht Ludwigsburg über die Vorgänge vom 26. Juni 1858 gemachten Zeugenaussagen, in denen sie die ihr in der Voruntersuchung von Bücher angeblich abge­zwungenen Angaben widerruft. Sodann beginnt das

Zeugenverhör. Geladen sind für heute 11 Personen,, Leute mit ergrautem Haar, die mehr oder weniger an den Vorgängen der Jahre 1858 und 1859 be­teiligt waren. Zeuge Steinhauer Johann Kleiner von Happenbach beginnt seine Aussagen mit der ErklärungAelles weiß i nimme". Mit Bezug auf Bücher stellt der Vorsitzende die Fragen:Haben Sie die Aussagen von Bücher freiwillig gemacht oder nicht?" Zeuge:Freiwillig, Bücher hat mich streng aber recht behandelt." Vorsitzender:Ist Ihnen etwas zu Ohren gekommen über Drohungen Buchers gegen andere Personen, die damals vernommen wur­den?" Zeuge:Nein." Der nächste Zeuge ist Korb­macher Wilh. Moser von Happenbach. Vorsitzender: Schaber hat gesagt, Bücher habe ihn behandelt wie eine Sau? Hat er ihn geplagt oder drangsaliert?" Zeuge:Darüber kann ich nichts bezeugen, von anderer Seite weiß ich auch nichts." Vorsitzender:Können Sie selbst sich über den Untersuchungsrichter beklagen, daß er über das hinausgegangen ist, was ihm zusteht?" Zeuge:In dieser Richtung kann ich nichts sagen." Verteidiger vr. Schicki er:Hat Bücher Sie nicht Lugenbeutel, Heuchler und Anderes geheißen?" Zeuget Das kann wohl sein, aber ich erinnere mich nicht." Verteidiger vr. Schickler:Haben Sie nicht immer Angst vor dem Sitzen gehabt?" Der Zeuge giebt darauf keine bestimmte Antwort. Er habe geglaubt,. daß Alles so sein müsse. Der Verteidiger K. Hauß- mann bittet zu konstatieren, daß der Zeuge nach den Akten von Bücher mit Titeln wie schamloser Lügner belegt wurde, nachdem er bereits wahrheitsgemäße Angaben gemacht hatte. Es folgt die Zeugen­vernehmung des Methodistenpredigers Friedrich Klemm aus Nagold. Vorsitzender:Hat Bücher Ihnen ge­droht, wenn Sie das oder das nicht sagen, haben Sie längere Haft zu erwarten?" Zeuge:Ich kann mich nicht erinnern." Vorsitzender:Man muß sich eines derartigen Unrechts, daS im Menschen sitzen bleibt, erinnern. Hat Bücher also eine Pression auf Sie ausgeübt?" Zeuge:Nein," Die Vernehmung des Klemm wird um 1'/- Uhr abgebrochen und die Verhandlung auf 3.30 Nachm, vertagt. Die Nach­mittagsverhandlung beginnt mit der weiteren Ver­nehmung desselben Zeugen. Angeklagter Agster: Haben Sie nach dem Erscheinen der Schaber'schen Brochüre mit Bücher gesprochen?" Zeuge:Nein, ich habe aber von Nagold aus an Bücher geschrieben, er möge der Sache ein Ende machen in seinem und meinem Interesse, trotzdem ich wußte, daß ich nichts zu befürchten habe." Verteidiger Haußmann: Haben Sie nicht versucht, Bücher in Stuttgart per­sönlich zu sprechen?" Auge:Ich war im Justiz­gebäude in Stuttgart und habe einen Gerichtsdiener gefragt, wo die Familie Bücher wohne, habe aber Bücher in seiner Wohnung nicht getroffen. Ich wollte die Tagwacht-Artikel benutzen, um einen Gegenartikel zu machen." Der Brief Klemm's an Bücher, der vom 19. August 1892 datiert ist, wird verlesen.

allen Kammerjungfer «lar sie so emgeschüchtert, daß sie nicht daran dachte, ihr Zimmer noch einmal zu verlassen. Sie hatte schon in der Pension des Fräulein Sorau keine rosigen Tage cehabt, seitdem die Nachrichten von ihrem Vater aus­geblieben waren, ober hier schienen ihr, nach dem unfreundlichen Empfange zu urteilen, noch härtere Prüfungen bevorzustehen. Sie hoffte zwar, daß ihr Vater noch am Leben sein möchte, aber das Ausbleiben aller Nachrichten von ihm beunruhigte sie doch schmerzlich.

Nein, nein," sprach sie zu sich selbst,der liebe Gott wird meinen Vater nicht haben sterben lassen, ich wäre ja sonst ganz verlassen ganz verlassen? Nicht doch!" Sie schüttelte den Kopf, der Gedanke an ihren Reisegefährten tauchte plötzlich in ihr auf. Er war so gut und lieb gewesen und hatte ihr versprochen, sie hier aufzusuchen; nein, er würde sie gewiß nicht vergessen, wie sie ja auch seiner nicht vergessen hatte. Ohne daß sie selbst recht wußte, weshalb, machte der Gedanke an ihren Reisegefährten, trotzdem sie dessen Namen gar nicht kannte, sie beinahe heiter. Ihr fiel ein, daß das Trauerjahr fett dem Tode ihrer unvergeßlichen Mutter bereits verstrichen sei, und daß eS das Schicksal hcrausfordern hieße, wenn sie noch länger ihre Trauerkleidung trüge, da sie zuversichtlich glaubte, daß ihr Vater in Amerika nicht gestorben sei. Fast unwillkürlich, mehr als ob sie sich mit etwas beschäftigen wollte, als aus Eitelkeit, zog sie ihr graues Kleid aus und legte dafür ein Helles Satmkleid an, das sie aus dem Koffer genommen und dessen Fallen sie vorher sorg­sam geglättet batte. Ferner entnahm sie einem Kästchen ein schwarzes Sammetband, an dem ein goldenes Medaillon mit dem Bilde ihrer Eltern hing, und band etz um den Hals.

So geputzt trat sie in Dorothea's Zimmer, als dieselbe sie später dorthin ge­rufen hatte, um den Thee mit ihr gemeinschaftlich zu nehmen.

Warum haben Sie sich ein so hübsches Kleid angezogen?" fragte Dorothea mit rauhem Tone und ließ ihre finsteren Blicke über die liebliche Gestalt Angelika's gleten.

O, dieses Kleid ist noch nicht mein schönstes," antwortete die Letztere,mein

Konsirmationskleid ist von schwarzer Seide und reich mit Schmelz- und Perlenbesatz garnirt; das ist prächtig, in habe eS noch von meinem guten Vater kurz vor seiner Abreise nach Amerika erhallen."

Das wird Ihnen hier ganz überflüssig sein, da Sie nie Jemand zu sehen bekommen werden," antwortete die alte Jungfer.

Niemand?" erwiderte Angelika, die sich zu Dorothea an den Theetisch gesetzt hatte,ich glaube doch' Sie stockte plötzlich.

Was glauben Sie?"

Dorothea hielt mit dem Einschenken des Thees ein und sah Angelika mit dem Forscherblick eines Großinquisitors prüfend an.

Daß mein Reisegefährte mich besuchen wird, um sich nach meinem Ergehen hier zu erkundigen," antwortete Angelika mit kindlicher Offenheit.

Die alte Kammerjungser setzte die Theekanne so heftig auf den Tisch, daß das ganze Service klirrte.

Geben Sie sich doch nicht so albernen Erwartungen hin." schalt sie in beinahe keifendem Tone,Ihre Frau Großtante war direkt empört, von mir zu erfahren, daß Sie mit einem Manne auf der Eisenbahn gesprochen haben, und wenn der Mensch es wagen sollte, sich vor unserer Thür sehen zu lassen, würden ihm gewiß sehr unsanft die Wege gezeigt werden."

Ist es denn etwas BöseS, mit einem guten Menschen zu sprechen?" fragte Angelika naiv verwundert.

Woher wissen Sie denn, daß es ein guter Mensch war?"

Ach." lächelte Angelika, mit dem Ausdruck vollster Überzeugung.daS lag ja schon in seinen Augen."

Dorothea schlug die Hände zusammen.

Lassen Sie doch Ihre Voraussetzungen," fuhr sie das junge Mädchen hitzig an,die noch alberner und unpassender sind als Ihre Erwartungen. Gehorchen Sie einfach dem, was ich Ihnen sage, damit Sie nicht mit Schimpf und Schande wieder aus dem Hause gejagt werden." (Forts, folgt.)