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Ulm, 23. Aug. Die steckbrieflich verfolgten Flüchtlinge Bemsel und Renz, welche jüngst aus dem Kriminalgefängnis hier ausbrachen, scheinen sich der Gegend von Heidenheim zugewendet zu haben. Bemsel verdingte sich bei einem Bauern bei Heidenheim als Arbeiter über die Erntezeit und kundschaftete in dieser Stellung den Ort aus, wo der Bauer sein Geld aufbewahrte. Renz drang hierauf, während die Leute auf dem Felde arbeiteten, in das Haus ein und stahl 400 Nachdem der Anschlag gelungen, ergriffen die Gauner wieder die Flucht.
Ravensburg, 24. August. Gestern abend 8 Uhr gewahrte man auf der Höhe südöstlich von der Stadt einen bedeutenden Brand. Bald brachte ein Feuerleiter die Nachricht, daß das Oekonomiegebäude des Bauers Georg Fuchs in Hinzistobel — 3 Kilometer von hier und zur Stadtgemeinde gehörig — in Flammen stehe. Ein Teil der Feuerwehr rückte sofort ab und es gelang ihr trotz des Wassermangels, der auf dieser Höhe herrscht, wenigstens das Wohnhaus, das freilich stark beschädigt wurde, zu retten. Ebenso wurde das Vieh gerettet. Die reichgefüllte Scheuer und die Stallungen liegen in Trümmern, aus denen das Feuer heute noch hervorschlägt. Es wird Brandstiftung vermutet. Der Beschädigte ist nur ungenügend versichert.
Friedrichshafen. Dienstag abenv wurde der Dieb, der aus der Villa Seefeld bei Ror- schach Schmucksachen I. K. H. der Prinzessin Cathe- rina von Württemberg entwendet hat, in Bischofszell dingfest gemacht. Es ist dies ein gewisser Leichenbacher aus Mörschwyl. Gestern nachmittag wurden in einem vernähten Teil seiner Beinkleider Schmucksachen, bestehend in einem goldenen, mit 6 Diamanten versehenen Portemonnaie und einem herzförmigen Rubin, gefunden. Der Wachtmeister von Bischofszell, der den glücklichen Fang that, erhält eine Belohnung von 1000 Franken.
Vi klingen, 24. Aug. Von den hier einquartierten Mannschaften wurden etwa 120 Mann abkommandiert, um in der Donaueschinger Gegend das Manöverterrain zu säubern, d. h. denjenigen Güterbesitzern bei Einheimsung ihrer Ernte behilflich zu sein, welchen es bei der seitherigen ungünstigen Witterung nicht möglich gewesen war, einzuernten und welche das Geschäft in wenigen Tagen nicht selbst beendigen können. Diese rücksichtsvolle Vorkehrung findet allgemeine Anerkennung.
— In München siegte bei dem Revancherennen Cody-Fischer über 1500 Meter (3 Runden) Cody ohne Pferdewechsel. Cody brauchte 2 Minut. 7 Sek., Fischer 2 Min. 14 Sek. Bei einem weiteren Renne» über 4000 Meter gewann Cody gegen 3 Fahrer, trotzdem er einmal stürzte, bei einmaligem Pferdewechsel einen glänzenden Sieg. Er brauchte 5 Min. 41 Sek., gegen 6 Min. 22 Sek. seiner Gegner.
Frankfurt, 27. Aug. Bei dem heutigen 2 Stunden-Rennen auf der Bahn des Bicycleklubs hat Lehr eine Leistung geliefert, wie sie wohl in der Geschichte des Radsports einzig dasteht. Der bestehende Record war 69,659 Kilometer, Lehr fuhr im schärfsten Renntempo 79,477 Kilometer, hat also den Record um 10 Kilometer verbessert. Fr. Opel als Zweiter brachte es auf 76,173, der kleine Fr. Ver- Heyen als Dritter auf 73 Kilometer. Hofmann - München platzte in der ersten Viertelstunde die Pneumatik. Ein neues Rad zu besteigen lehnte er ab.
Straßburg, 27. Aug. Gestern ließ die Polizei durch den Wasenmeister über 12 500 Pfund faules Ochsenfleisch in Vierteln, im Werte von über 8000 vergraben, welches aus Australien eingeführt worden war. Das Fleisch war erst nach Stuttgart, dann nach Frankfurt gesandt worden. In diesen Städten schon hatte man die Annahme des Fleisches, weil es faul war, verweigert, aber dasselbe dem Lieferanten wieder zur Verfügung gestellt, anstatt das Fleisch gleich zu vernichten.
Mühlhausen, 27. Aug. Bei den hohen, stets sich noch steigernden Fleischpreisen und dem herrschenden Mangel an Rindvieh zum Schlachten werden sehr große Mengen Schweine, namentlich aus Ungarn, hier eingeführt. Im letzten Jahre wurden 19 677 Schweine im hiesigen Schlachthause abgeschlachtet, die ein Gewicht von 1 624 047 Kilogramm darstellen. Bemerkenswert ist es, daß der Verbrauch des stets sehr teueren Kalb- und Hammelfleisches in den letzten 14 Jahren kein wesentlicher Unterschied aufweist.
Dresden, 27. August. Eine eifersüchtige Plätterin schleuderte gestern auf der Straße ihrem früheren Geliebten, einem Hausdiener, ein Glas mit Schwefelsäure ins Gesicht. Der Mann ist sofort erblindet. Um die That sicher ausführen zu können, hatte sich das Mädchen in Männerkleider gesteckt.
Halle a. d. S., 27. August. In die kgl. Augenklinik wurde gestern ein Herr aus Cöthen gebracht, der auf der Hühnerjagd schwere Verletzungen erlitten hatte. Ein unglücklicher Schütze hatte durch einen vorzeitig abgegebenen Schuß auf Rebhühner außer dem erwähnten Herrn noch einen zweiten getroffen. Der Zustand des Schwerverletzten, der nicht weniger als 31 Schrotkörner in die linke Kopfseite und in die Brust erhalten hat, ist bedenklich, da anscheinend auch die Lunge gelitten hat.
Berlin, 27. August. Reichskanzler Graf Caprivi ist heute nach Karlsbad abgereist und wird in der ersten Woche des Oktober nach Berlin zurückkehren.
Berlin, 27. August. Das „Berl. Tagebl." giebt in seiner heutigen Nummer, wie es sagt auf Grund authentischer Information, ein Bild von dem gegenwärtigen Stande der anarchistischen Bewegung in Berlin. Danach stehe fest, daß die
Berliner Anarchisten keine Beziehungen zu den ausländischen haben und daß bei den verhafteten Anarchisten - Schäme und Dräger keine Bomben, sondern gewöhnliche Granatenhülsen ohne Ladung gefunden wurden. Ferner hätten überhaupt keine Massenverhaftungen von Anarchisten stattgefunden, nur Schäme und Dräger seien wegen thätlicher Angriffe auf die Polizei verhaftet worden. So ungefährlich aber auch der gegenwärtige Stand der anarchistischen Bewegung in- Berlin erscheine, so könne doch täglich ein Umschlag eintreten, trotz aller Wachsamkeit der Polizei.
Berlin, 27. Aug. Eine auf gestern von den Anarchisten nach Rixdorf einberufene Volksversammlung wurde polizeilich ausgelöst, als der Vorsitzende der Versammlung, ein antisemitischer Anarchist, bei der Besprechung des Themas: „Der Boykott als berechtigtes Kampfmittel gegen Juden und Unternehmer" die extremsten Anschauungen über die Juden aussprach. Nächsten Sonntag soll die Versammlung ihre Fortsetzung erhalten.
Berlin, 27. August. Das „Berl. Tagebl." meldet aus Rom, Crispi sei am Samstag, als er sich anschickte, sein Haus zu verlassen, in seiner Kurzsichtigkeit über einen kleinen Tisch gestolpert und habe sich im Falle am Kopfe leicht verletzt.
Berlin, 28. Aug. Die Besichtigung der 5. Division durch den Kaiser mit großer Suite hat vormittags auf dem Tempelhofer Felde bei günstiger Witterung stattgefunden.
Berlin, 28. Aug. Wie der „Lokalanz." mitteilt, sind die in Danzig und Umgebung für Mitte September befohlenen Flottenmanöver wegen Choleragefahr nach Swinemünde verlegt worden.
Berlin, 28. Aug. Von angeblicher dem Reichskanzler nahestehender Seite wird einem Berichterstatter mitgeteilt, Caprivi habe in vertraulichem Kreise geäußert, Miguel sei unter allen Umständen, im Amte zu erhalten. Miguels Arbeitskraft und Genialität seien im Interesse des Vaterlandes als unentbehrlich zu betrachten.
Berlin, 28. Aug. Den „Berliner Neuesten Nachrichten" zufolge werden zur Zeit bei von auswärts nach Berlin zugezogenen Arbeitern amtlicherseits Erhebungen darüber angestellt, was dieselben veranlaßt hat, ihre Heimat zu verlassen und nach Berlin zu ziehen. Ferner soll ermittelt werden, welchen Einfluß der Zuzug ländlicher Arbeitskräfte auf die Erwerbsverhältnisse der Berliner Arbeiterschaft ausübt.
Berlin, 28. Aug. Die Nordd. Allg. sagt zur Meldung eines drohenden Aufstandes in Kamerun, daß ein von dort eingetroffenes amtliches Telegramm die Uebertreibungen in Abrede stellt und es als unwahr bezeichnet, daß irgend ein Beunruhigungsgrund vorhanden ist.
Königshütte, 28. Aug. Der Sergeant Sigusch wurde vom Kriegsgerichte wegen Soldaten-
TorpedoschulsLiff kommandiert und zugleich Kommandant eines Torpedobotes wurde. Man wollte mir wohl, das fühlte ich. An praktischer Übung hatte es mir vorher nicht gefehlt aus der langen letzten Reise. Nun hatte ich einen Wirkungskreis, der meine ganze Kraft, all mein Sinnen und Denken und meinen ganzen Ehrgeiz in Anspruch nahm und anregte. Wenn ich müde vom Dienst und durchfroren mich spät auf die Koje streckte, dann — ja dann tauchte vor meinem geistigen Auge wohl eine wunderschöne Insel in Tropenglut und Tropenpracht auf. und über die jäh abfallenden Felsen schaute ein wunderschönes Gesicht, umflossen von wogendem, dunklem Lockenhaar; aber ich zwang mich, die Blicke von ihrer Lieblichkeit abzuwenden. Sie kehrten doch immer wieder zu ihr zurück.
Was liebte ich denn an ihr, daß keine andere Frauenliebe in meinem Herzen Platz finden konnte? An dem Mädchen, das ich nicht Jahre, nicht Monate, nicht Wochen — nein, nur Tage hindurch gekannt? Kannte ich sie denn überhaupt?
Ja! Ich hatte ihr in die Augen geschaut und ihre Seele darin erkannt. Ich glaubte an sie, wie man an ein Heiliges glaubt, auch ohne Beweis, weil ohne den Glauben unser Leben nichtig und inhaltslos ist. Der Beweis lag mir im eigenen Herzen. TaS war genug.
Da begegnete mir eines Tages der Kapüän. Er winkte mir über die Straße hinüber. Ich wußte es — ich würde etwas erfahren. Es packte mich wie ein augenblickliches Versagen alles Denkens.
„Haben Sie einige Minuten Zeit," sagte er, „dann begleiten Sie mich ein wenig." Ich ging neben ihm her; äußerlich ruhig — in mir stürmte es, und ich mußte tief Atem holen.
.Ich habe Ihnen einen Gruß zu bringen," begann er gleichmütig. „Sie entsinnen sich, daß ich nach der Ouintus-Bay schrieb. Gestern hatte ich Antwort. Die Tochter schrieb mir, der Vater liege krank. Die Verhältnisse scheinen sehr ungünstig zu sein. Thut mir aufrichtig leid — aber was haben Sie?" unterbrach er sich, „Sie sind ja kreidebleich geworden — fehlt Ihnen etwas?"
Ich stammelte etwas von .vorübergehend' und rieß mich gewaltsam zusammen.
Also meine holde Blume in Angst und Not! Und ich konnte nichts thun — gar nichts! Der Schmerz krampste mir das Herz zusammen. Das Auge des Kapitäns lag prüfend auf mir; ich fühlte es, und das quälte mich erst recht.
Wir standen vor seinem Hause.
„Kommen Sie einen Augenblick mit hinauf," lud er in seiner gemessenen Art ein, .ich möchte Sie noch sprechen."
Mir war gar nicht wohl, wie ich durch die Hausthür schritt. Was sollte es
geben?
„Also ein Gruß für Sie ist auch in dem Brief enthalten," fuhr er droben fort, mir mit dem gleichmütigsten Gesicht der Welt den Zigarrenteller hinhaltend.
Ich weiß nicht, was ich sagte. Ich wünschte mich hinaus; hinaus im kleinsten Bot in den wilden Sturm. Langsam faltete er einen Brief auseinander, der auf seinem Tisch lag.
„Ja, hier steht es: Herrn Lieutenant Leuthold gebe ich seinen Gruß, den Sie uns brachten, ebenso freundlich zurück. Wir haben seiner gern und viel gedacht. Sagen Sie ihm auch, die Rinne, durch die er mit so großer Bravour zu Thal stieg, sei durch die letzten Regengüsse gänzlich ungangbar geworden —"
Er sah auf. Ich biß die Zähne zusammen, um nicht zu stöhnen.
„Was ist denn das für eine Rinne? Sie haben da wohl dem Fräulein zu Ehren den starken Mann gespielt! Sehen Sie, hier ist sie selbst! Ein Prachtmädel geworden, nicht wahr?"
Mit schneller Bewegung hielt er mir eine Photographie hin; da sah das süße Gesicht mich wieder an — und erschüttert bis auf den Grund der Seele sagte ich laut: „Carmen!" Mit übermächtiger Gewalt hatte die Liebe mich wieder gefaßt.
Er legte mir die Hand auf die Schulter: „Also so steht's? Ich habe mich in Ihr Vertrauen gedrängt, aber ich weiß jetzt, was ich längst ahnte, und ich interessiere mich für die Sache, weil ich's mit Ihnen Beiden gut meine. Seien Sie offen gegen mich; was haben Sie für Absichten und Aussichten?"
Ich war wieder Herr meiner selbst. (Forts, folgt.)