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Heidenheim, 19. August. In der württ. Kattunmanufaktur hier ereignete sich gestern rin schrecklicher Unglücksfall. Infolge der Explosion «ine» Gasmotors wurde ein 19jährigrr Kaufmann, der einzige Sohn der Verwalterswitwe Fürst, am Kopfe so fürchterlich verstümmelt, daß er seinen Verletzungen erlag.
Vom bad. Schwarzwald, 16. Aug. Fast überall findet man unter den Imkern die Ansicht verbreitet, daß der Bienenstich nicht lebensgefährlich sei und häufig werden deshalb die nötigen Vorsichtsmaßregeln in der Nähe des Bienenhauses außer Acht gelassen. Ein Geistlicher im badischen Schwarzwald mußte kürzlich diese Unvorsichtigkeit mit dem Tode büßen. Er hatte die gewöhnliche Vorsicht, Korb und Schutzhandschuhe zu nehmen, außer acht gelassen, eine Biene st ach ihn derart in eine Halsader, daß der sehr kräftige Mann eine Stunde später in seinem Gartenhäuschen als Leiche aufgefunden wurde.
Wertheim, 14. Aug. Der gestrige Viehmarkt war in Folge der drängenden Erntearbeiten mit nur 500 St. befahren. Fast alles wurde bei seitherigen Preisen umgesetzt. Ochsen wurden bis 60 Karolin, Kühe bis 600 das Stück verkauft. Noch Jungvieh war starker Begehr, doch ist dasselbe sehr theuer. Gegenüber den jüngsten schlechten Würzburger und Schweinfurther Märkten ist die feste Haltung des hiesigen hervorzuheben. Auf dem Schweinemarkte wurden die meist von Händlern aus dem Hohen- lohe'schen zugebrachten Tiere sehr rasch abgesetzt. Ferkel wurden bis 58 -A, Läufer bis 90 ^ das Paar bezahlt, fette Tiere zu 43 ^ der Ztr. lebend verkauft.
München, 16. Aug. Der große Wettkampf zwischen dem amerikanischen Reiter Cody und dem Radfahrer Josef Fischer nahm gestern abend von 4—6 Uhr bei vorzüglichem Wetter und bei einer zahllosen Menschenmasse auf dem Rennplatz des Velocipedklubs seinen Anfang. Cody benützte 10 Pferde, von denen er eines jedesmal circa 3 Almuten ritt, so daß er etwa 40maligen Pferdewechsel mit einem jeweiligen durchschnittlichen Aufenthalt von 10 Sekunden vornahm. Der Pferdewechsel wurde von Cody geradezu bewunderungswert ausgeführt. Fischer wechselte bei der 115. Runde seine Maschine, bei der 132. Runde stürzten Fischers Schrittmacher und Fischer selbst über sie hin, jedoch ohne Verletzungen oder nennenwerten Aufenthalt. Nach zweistündigem Rennen hatte Fischer 151, Cody 139 Runden zurückgelcgt. Fischers Rennbahnrunde beträgt 500, Codys 494 Meter. Cody ritt einmal eine Runde mit einem prächtigen Fuchsen in 35 Sekunden, wobei er von den Radfahrern unerreicht blieb. Die Entscheidung wird von der dritten Stunde des dritten Renntages, also mit Sonntag, erwartet. Cody hofft sicher zu
siegen. Die Kraftmessung beider Renner bietet eine brillante Ansicht. Das Offizierskorps der hiesigen Garnison war nahezu gar nicht vertreten.
Ems, 16. Aug. Ein russischer Badegast, der eben im Begriffe stand, mit seiner Familie abzureisen, ward am Billetschalter des Bahnhofes von einem Taschendiebe um 3000 ^ bestohlen. Der Dieb, der mit dem Raube in den eben abfahrenden Schnellzug nach Niederlahnstein gestiegen war, wurde dort auf telegraphische Anordnung verhaftet. Ein Genosse des Diebes verschwand unter dem zurückgebliebenen Publikum ; da er erkannt worden war, ist seine Ermittelung zu erwarten. Der Bestohlene hatte das Geld lose in der Brusttasche des Rockes getragen.
Aus dem Münsterlande, 17. Aug. Ein Landmann in der Nähe von Rinkerode las, wie der Magdb. Ztg. geschrieben wird, vor Kurzem in seinem Kreisblatte folgende Anzeige: „Für 5 M. erhält jeder Landwirt eine Anweisung, sein Heu innerhalb 12 Stunden gut und schnell zu trocknen. Auch bei Regenwetter kann das Verfahren angewandt werden. Gegen Einsendung des obigen Betrages an M. Zomali, postlagernd Pest, wird Anweisung erteilt." Der Landmann, der sich über die vielen Regentage geärgert haben mochte, sandte 5 M. ein. Nach einiger Zeit erhielt er aus Pest einen umfangreichen Brief. Er öffnete ihn und entnahm ihm einen großen Bogen Strohpapier, dem ein weißes gedrucktes Zettelchen entfiel mit den lakonischen Worten: Setze demen Backofen gut in Brand und breite das Heu auf dem Gewölbe gut auseinander, jedoch nicht zu dick, und nach 12 Stunden wird es trocken sein." Man kann sich das lange Gesicht des Bauern denken, als er den Schwindel erkannte.
Solingen, 16. Aug. Großes Unheil hat in Solingen eine „Wahrsagerin" angerichtet. Einer Ehefrau, die sich von ihr weissagen ließ, hatte sie so viel thörichtes Zeug in den Kopf gesetzt, daß die Aermste in geistige Umnachtung fiel und — starb. Der Fall hat aber noch ein weiteres beklagenswertes Nachspiel gehabt. Der Mann jener Unglücklichen nahm sich deren trauriges Ende so zu Herzen, daß er trübsinnig wurde. Vorgestern brachte man ihn nach Bonn in eine Irrenanstalt. Gegen die „Seherin" und deren Mann, der ihr bei ihrem Firlefanz Hilfe leisten mußte, schwebt eine Anklage wegen Betruges.
Beuthen, 18. Aug. Wegen sozialistischer Ruhestörungen in Bielschowitz werden fortwährend neue Verhaftungen vorgenommen. Bis jetzt sind 24 Personen verhaftet. Ihre Aburteilung soll im September in einer außerordentlichen Schwurgerichtsperiode erfolgen.
Chemnitz, 16. August. Die Auflösung der hiesigen sozialdemokratischen Parteiorganisation durch die Polizeibehörde, da sie, einen Verein darstellend.
sich weigerte, dem Vereinsgesetz nachzukommen, wurde vom Ministerium in letzter Instanz bestätigt; die Sozialdemokraten befürchten ein ähnliches Vorgehen in den übrigen Landesteilen.
Berlin, 16. Aug. Das „Kleine Journal" meldet: Ein Gauner, welcher am 1. August auf dem Bahnhof in Zürich den Koffer des Führers einer Londoner Rundreisegesellschaft stahl, wurde im hiesigen Stangeschen Rundreisebureau verhaftet, als er dort das gestohlene Rundreisebillet zu verwerten versuchte.
Berlin, 17. Aug. Infolge der Cholerafälle: in der Danziger Gegend ordnete der Kaiser sofort nach seiner Ankunft in Kiel telegraphisch einschneidende: Modifikationen der geplanten Kaisermanöver der Armee und Flotte an, soweit dieselben in der Danziger Gegend stattfinden sollten.
Berlin, 17. Aug. Zu den Revolverattentaten des Anarchisten Scheven wird neuerdings gemeldet, man glaube, unter den verhafteten Anarchisten (von 40 Festgenommen sind 5, nachdem sie photographiert und anthropometrisch gemessen waren, wieder entlassen worden) befänden sich Anhänger der Propaganda der That. Bei den Haussuchungen sind Werkzeuge gefunden worden, aus denen sich schließen läßt, daß eine öffentliche Demonstration beabsichtigt war.
Berlin, 17. Aug. Zu den Verhaftungen der Anarchisten wird weiter gemeldet, im Osten Berlin's seien gefüllte Bomben und bei einem Mechaniker Schriftstücke gefunden worden, aus denen zu ersehen sei, daß die Berliner Anarchisten mit den Genossen in Frankreich in engster Verbindung stehen^ Die behördlichen Vorsichtsmaßregeln deuten darauf hin, daß die Polizei von einer beabsichtigten Ver» Wendung von Sprengstoffen unterrichtet war.
Berlin, 18. August. Zu den gemeldeten Anarchistenverhaftungen wird weiter bekannt, daß beim Durchsuchen der Wohnungen hiesiger Anarchisten der Polizei Sammellisten in die Hände gefallen seien. Der Ertrag sollte zur Unterstützung bestrafter Anarchisten dienen. Die in der Nacht zum Dienstag in der Wohnung des verhafteten Scheve vorgenommene Haussuchung hat ergeben, daß unter seinem Bett in einer Kiste zwei Granaten verpackt waren, deren eine mit Sprengstoff gefüllt und mit einem Zünder versehen war, während die zweite ungeladen war. Ferner wurden im Ofen Fläschchen entdeckt, die Chemikalien zur Bereitung von Zündstoffen enthielten. Die polizeiliche Untersuchung wird streng geheimgehalten.
Berlin, 18. Aug. Bei bedecktem Himmel fand heute morgen auf dem Hempelhofer Felde die große Herbstparade der Berliner und Potsdamer Garnison statt, welcher das Kaiserpaar, zahlreiche Fürstlichkeiten und viele fremdländische Offiziere,
nicht auf dem holperigen, scharfkantigen Steg, und wer ihn betrat, mußte wohl dann und wann einen Sprung nicht scheuen; aber mein Auge hing voll Entzücken an der Gestalt deS jungen Mädchen», die jetzt in ihrem lichten, schlichten Kleide, den breiten Eommerhut auf dem lose wallenden, dunklen Haar, mit sicherer Anmut den Steg beschritt. Bedächtig folgte der» Vater. Ich grüßte — und freundlich grüßte ihr Blick und Lächeln zurück. Ich reichte ihr di« Hand zur Hilfe entgegen; leichtfüßig sprang sie ins Boot. Ich hätte diese Hand schon jetzt für immer und ewig halten mögen. Es war ja sehr unverständig von mir. Nicht bloß in dem Sinne, wie gestern der Kapitän zu mir geredet, nein, auch sonst noch. Ich kannte sie nicht, gar nicht. Ich wußte nur, daß sie schön sei, jung, begehrenswert. Aber von ihrem Herzen, ihrer Seele, ihrem Gemüt, ihrem Denken, Fühlen und Wollen wußte ich nichts, gar nichts. Und doch mußte meine Seele ihr zufliegen; doch war ich an jenem Morgen so unendlich, so über dir Maßen glücklich darüber, daß ich neben ihr sitzen konnte.
Die Pinaß schoß durch« Wasser, da» blaue. Gurgelnd und spülend und spielend rauschten die Wellen heran, flössen hin um dm Bug und zogen sich längs der Bordwand hm. Die Schraube stampfte, die Maschine stöhnte in gemessenem Tackt. Zur Linkm »änderte da» Ufer au» in all seinem wechselnden Reiz von Berg und tiefem, grünem, stromdurchrauschtem Thal, von grüner Flur und trotzigem Fel». — E» war wie immer — ich hatte die Fahrt schon oft gemacht — und doch so ganz, ganz anders! Es ereignete sich nicht»; wir liefen nicht auf, es sprang kein Rohr; kein Hai schwamm längseitS; e« galt keine Lebensrettung, keine Heldenthat — und doch war's der inholtreichste Morgen meines Leben» bi» zur Stunde.
Die alte, alte Geschichte!
Wir glücklich und harmlos wie die Kinder. Alles, was gut, was fröhlich, was herzlich in mir war, war aufgewacht; so mochte ich ihr wohl als ein guter Kamerad erscheinen, und ihr Helles Lachen drang mir gar lieblich und freundlich ins Herz. Ich erzählte ihr, während die Tropensonne aufs Schutzsegel herabbrannte, dar über uns ausgespannt war, von den Schneestürmen der Heimat, von Eislauf und weißer Weihnacht, von Hellem Schlittengrläut und von Schlittenrecht kam e» wir über die Lippen.
Da sah sie mich mit ihren großen Augen m dem süßen, sonnigen Gesicht verändert und gar ernsthaft an. „Dann möchte ich bei Ihnen nicht im Schlitten fahren!" sagte sie einfach. Ich wurde rot bis an die Stirn und wußte keine Worte zu finden.
„In England ist'» nicht besser mit dem Mistelzweig am Weihnachtsabend," warf ich verlegen »in, um nur etwas zu sagen.
„Nein, da» ist etwas ganz andere«," gab sie eifrig zurück, „dg kann ich mich hüten und wen ich nicht mag, von dem lasse ich mich nicht führen, und ich habe mich nie unter den Mistelzweig führen lassen!" setzte sie energisch hinzu, und warf mit kolzer Kopfbewegung die Locken zurück.
„Und wen eine deutsche Lady nicht mag, von dem läßt sie sich auch nicht fahren!' warf der Vater lachend ein. „Deine Beweisführung stimmt nicht."
Carmen blickte in das schäumend vorbeirauschende Wasser und sagte nichts. Es wurde still im Boot. Nur die spülenden Seen sangen ihr ewiges, immer neues Lied vom Kommen und Gehen, Scheiden und Meiden, Wechseln und Werden. Hin und wieder eine Frage und eine Antwort darauf» ein Hindeuten auf eine Palmschlucht oder einen brausenden Gießbach, der aus der Höhe versprühend inS Meer stürzte; aber alle» blieb still. Wohl redete der Vater allerlei Gute» und Kluges, wie ein verständiger Mann spricht, und ich stand ihm wieder Rede, wie sich's gehört; aber waS er sagte und was ich sagte, klang mir fremd, als wären e» zwei mir Unbekannte, die sich unterhielten. Da tauchte, als wir das Waldvorgebirge umfahren hatten, die Hauptstadt vor uns auf, auch nur ein kleines Nest, über dem einzig Kirche und Wohnung des Gouverneurs stattlich aufragten. DaS Boot fuhr nun langsam hinein zwischen die Menge von Fischerbooten, die hier zerstreut zu Anker lagen; nun legten wir an der Brücke an; nun machten wir fest. Ich war hinau»- gesprungen und reichte Carmen wieder die Hand zum Aussteigen. Sie sah mich einen Augenblick an und legte die ihre hinein. Der Vater sprach hinauf auf die Brücke zu einem Bekannten.
(Fortsetzung folgt.)