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Rom, 8. April. Die italienischen Blätter begrüßen Kaiser Wilhelm auf das herzlichste. Riforma preist das Ereignis als ein neues Friedenspfand, was selbst die Franzosen anerkennen müßten.
Tagesneuigkeiten.
Stuttgart, 6. April. Die Königin von Sachsen ist gestern Abend mit dem Orientexpreßzug abgereist, um sich nach Baden-Baden zu begeben.
Stuttgart, 6. April. In Degerloch hat sich ein Arbeiter-Ehepaar nebst zwei Knaben durch Kohlenoxydgas das Leben genommen. Wie es heißt, war der Mann längere Zeit beschäftigungslos und mit seiner Familie hierdurch in arge Bedrängnis geraten.
T Tübingen, 9. April. Entgegen der früheren Notiz, daß das Gnadengesuch des Bäckergesellen Adolf Pius Diemer von Neckarsulm verworfen worden, erfahren wir heute aus ganz zuverlässiger Quelle, daß Se. Maj. der König die erkannte Todesstrafe in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe umzuwandeln geruht habe. Wie man annimmt, dürfte der Umstand wohl von Einfluß gewesen sein, daß der seither noch nicht bestrafte Diemer zur Zeit der Verübung des schrecklichen Verbrechens die Grenze der Strafmündigkeit (d. i. das Alter von 18 Jahren) erst 4 Monate und 28 Tage überschritten hatte. Wenn D. die That 5 Monat früher verübt hätte, so wäre nach den Bestimmungen des St.-G.-B. weder auf Todesstrafe noch auf Zuchthausstrafe zu erkennen gewesen, sondern nur auf Gefängnisstrafe bis zu 15 Jahren.
Strümpfelbach, 6. April. Seit gestern stehen hier die Kirschenbäume in prächtigster Blüte.
Aalen, 6. April. Zu den vielen ehrenden Zeugnissen, welche der hiesigen Firma I. Ostertag für die Vorzüglichkeit ihrer feuer- und diebessicheren Kassenfchränke zur Seite stehen, gesellte sich dieser Tage noch ein weiteres. In der Nacht vom Ostersamstag auf den Ostersonntag d. I. wurde nämlich in dem Komptoir des Herrn Bildhauer Scheuerte in Waldstetten OA. Gmünd an einem Ostertag'schen Stehpult-Kassenschrank ein überaus raffinierter Einbruchsversuch ausgeführt, dem der Schrank vollständigen Widerstand leistete. Der Besitzer des Schranks schrieb hierüber unter anderem an Herrn Ostertag: »Die Einbrecher bearbeiteten den Schrank, wie aus den sichtbaren, zahlreichen und wuchtigen Hieben hervorging, zunächst eingehend mit Meiseln, Brecheisen rc. und stürzten solchen hernach nach allen Seiten um, mußten aber schließlich unverrichteter Sache wieder abziehen, so daß ich vor größerem Schaden bewahrt blieb. Ich werde nicht verfehlen, Ihr Fabrikat als wirklich zweckentsprechend, allenthalben auf das Beste zu empfehlen.
Schiltach, 6. April. Auf der unter badischer Verwaltung stehenden Station Schiltach ist am
5. April der Personenzug 428, Hausach ab 9.13, Schiltach an 9.45 Abends, an der Einfahrtsweiche entgleist. Drei Reisende sind leicht verletzt, ein Personenwagen wurde zertrümmert. Der Frühzug 417 Schiltach-Hausach am 6. April mußte ausfallen.
Freiburg, 6. April. Kaum glaublich, aber wahr! Ein Postbediensteter hatte dieser Tage an einen hiesigen Herrn eine Postzahlung abzuliefern. Als der betreffende Herr das Formular unterschrieben, gab er solches mit den Worten zurück: „Ich verzichte auf den Betrag und schenke Ihnen die ganze Summe", wofür sich der Bedienstete höflichst bedankte und ging. Wie hoch wohl der Betrag gewesen sein mag? so wird sich der Leser fragen! Im Ganzen war es 1, sage in Worten ein Pfennig, der seitens der Steuerbehörde, nachdem diese an den Adressaten 26 Pfennig abzusenden und 20 Pfennig Frankatur und 5 Pfennig Zustellgebühr in Abzug gebracht hatte, noch auszuzahlen war.
Hamburg, 8. April. Rechtsanwalt Dr. William Goldschmidt ist entflohen. Derselbe hat 300,000 ^ unterschlagen, was großes Aufsehen hervorgerufen hat.
— Die Stellung des Fürsten Bismarck nach der „Versöhnung". Die „Hamb. Nachr." schreiben: Es wird nicht an Stimmen fehlen, welche die diesmalige Steigerung der Friedrichsruher Geburtstagsfreude auf den Besuch des Fürsten Bismarck beim Kaiser in Berlin und dessen Erwiderung zurückführen. Uns, denen die hohe Ehre und historische Aufgabe zugefallen ist, die Bismarck'sche Politik nach der Entlassung des Fürsten publizistisch zu vertreten und die wir uns im gewissen Sinne als das Organ des großen Staatsmannes betrachten dürfen, uns steht es nicht an, in der Stimmung des heutigen Tages ein Urteil über diese Auffassung abzugeben; wenn sie aber bis zu einem gewissen Maße berechtigt sein sollte, so begnügen wir uns, die Entschuldigung der Thatsache in der menschlichen Natur zu suchen und in Auffassungen, die gut gemeint sind, aber nicht überall zutreffen. Ohne Zweifel ist durch bekannte Vorgänge manches aus der Situation beseitigt worden, was von vielen deutschen Patrioten schmerzlich empfunden wurde. Das ist immerhin ein Gewinn; aber politisch hat sich dadurch doch kaum etwas geändert, und die Politik des neuen Kurses ist dadurch nicht besser geworden. Wohl ist der Fürst durch die kaiserlichen Gnadenbeweise in eine Lage gebracht worden, die er seinerseits nicht gut angreifen kann, ohne sich der üblen Nachrede auszusetzen, daß mit ihm kein Auskommen sei. Aber diese Situation erstreckt sich nur auf das persönliche Gebiet, nicht auf das Recht des Fürsten zur freien Meinungsäußerung etwa über den Caprivismus, und wir glauben auch nicht, daß er der Mann danach ist, sich von der Ausübung dieses Rechtes, das für ihn Pflicht gegen das Vaterland ist, dadurch abhalten zu lassen, daß man ihm „Unversöhntheit" da vorwirft, wo er lediglich das Interesse des Landes
im Auge hat. Auch aus den letzten Reden des alten Kanzlers klingt nichts hervor, was auf den Entschluß zu einer derartigen Abdikation hinwiese.
Berlin, 6. April. Die „Nordd. Allg. Ztg." sagt zu der Meldung einzelner Blätter, daß die kaiserliche Familie auf den Besuch von Wilhelmshöhe verzichtet habe und am 25. d. M. nach dem Neuen Palais in Potsdam übersiedle, der Tag der Ueber- siedlung nach Potsdam sei noch unbestimmt und der Aufenthalt in Wilhelmshöhe überhaupt noch nicht beschlossen gewesen.
Wien, 7. April. Die hiesigen Bauarbeiter wollen bei Nichtbewilligung ihrer Forderungen in den allgemeinen Streik eintreten, der 50,000 Arbeiter umsaffen soll.
— A u s A b b a z i a schreibt man: Aus Zeug, wo das Kaiserpaar am Freitag weilte, wird berichtet, daß die dortige Bevölkerung entzückt sei über die Liebenswürdigkeit und Mildthätigkeit der Kaiserin Augusta Viktoria. Die Kaiserin beschenkte 50 arme Kinder. Ein kleines nett gekleidetes Mädchen fiel der Kaiserin besonders auf. Sie hob das Kind auf, herzte und küßte es und ließ eS reich beschenken. Auf der Rückfahrt wurde die Insel Veglia umschifft. Die Bewohner von Baska feuerten, als die „Christabel" vorüberfuhr, Böllerschüsse ab. Das Kaiserpaar ließ sich vom Kapitän Prossen, der als Führer und Doll- metsch diente, alles Bemerkenswerte an diesem Teil der kroatischen Küste erklären. Die ungarisch-kroatische Schiffahrtsgesellschaft stellte dem Kaiser auf dessen Ansuchen zwei ihrer tüchtigsten und erfahrensten Kapitäne, und zwar den schon genannten Prossen für die „Christabel" und Kapitän Akacic für das Schulschiff „Moltke" zur Verfügung. — Der Besuch der Kaiserin in Wilhelmshöhe bei Kassel ist endgültig aufgegeben. Die Kaiserin wird mit den Prinzen von Abbazia direkt nach dem Palais übersiedeln.
Men tone, 8. April. General Gurko hat die Villa Riquet auf zwei Monate gemietet.
Newyork, 6. April. Auf der Grenze des Territoriums Oklahoma kam es zu einem blutigen Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und Ansiedlern einerseits und Indianern andererseits. Es gab 48 Tote, davon 22 Indianer, 14 Soldaten und 12 Ansiedler.
Rermischtes.
Aufruf an alle Veteranen von 1870/71. Wir werden um Aufnahme des Nachstehenden gebeten: „24 Jahre sind dahin geschwunden, seit die tapferen deutschen Heere den frevelhaften Angriff Napoleons auf unser liebes Heimatland siegreich zurückgewiesen und auf blutgetränkten Schlachtfeldern die Einigung der deutschen Nation erkämpften. Die ruhmreichen Führer, welche uns und unsere Kameraden von Sieg zu Sieg führten, deckt zumeist schon die kühle Erde, aber noch Tausende und Tausende der Soldaten, die das ausführten, was jene klug ersannen.
er sich in jeder Minute näher fühlte, beschäftigten; denn als er bereits die größte Strecke des Wegs zurückgelegt hatte, wurde sein Pferd plötzlich angehalten, und zugleich rief ihm eine Stimme zu:
„Hollah, Herr, Sie dürfen hier nicht weiter reiten!"
Dernburg war unangenehm aus seinen Träumen aufgeweckt und wollte den Störer unwillig anfahren, als dieser die Mütze vom Kopfe riß und ausrief: „Ah, Sie sind's, Herr Landrat! Wollen gewiß nach Garkau zur Braut?"
„Nun freilich, Meier! entgegnete Dernburg, der jetzt trotz der Dämmerung einen Taglöhner detz Gutes erkannte, mit dem er bisweilen gesprochen hatte. „Aber was fällt Euch ein, daß ihr mir den Weg verlegen wollt?"
„Ei, Herr," sagte der Mann, „haben Sie denn die Tafel nicht gesehen, die zehn Minuten von hier aufgerichtet ist, und auf der geschrieben steht, daß man auf dem Wege nicht weiter reiten oder fahren soll, weil die Brücke, die links vom Sternbusch über den Bach führt, neu gelegt wird? Sie war gar zu morsch geworden," fügte er erläuternd hinzu.
Dernburg mußte gestehen, daß er die Warnung übersehen hatte, und erkundigte sich bei Meier, wie denn nun weiter zu kommen sei. Vom Umkehren bis zur de- zeichneten Stelle, was dieser riet, um von dort aus einen anderen Weg einzuschlagen, wollte er nichts wissen, da ihn das wenigstens eine halbe Stunde aushalten würde, während die eigentliche Entfernung höchstens noch den dritten Teil betrug. Er einigte sich endlich mit dem Manne dahin, daß dieser versprach, da» Pferd nach Garkau zu bringen, indem er selbst einen chm bekannten Pfad einschlug, um sein Ziel zu Fuß zu erreichen.
ES war ein wenig betretener Weg, den er schwerlich gekannt haben würde, wenn Eveljne ihm denselben nicht einmal zufällig gewiesen hätte; so aber wußte er, daß er auf diesem Wege bi» an die Hinterseite des Hauses gelangen konnte.
Allerdings hatte er in der Dunkelheit mit verschiedenen Hindernissen zu kämpfen und stolperte häufig genug über Baumwurzrl» oder wilde« Gestrüpp, doch gelangt«
er glücklich bis an die Grenze des Gehölzes, wo dasselbe in den eigentlichen Park überging, und die durch ein hier errichtetes Gartenhäuschen bezeichnet war.
Dasselbe diente zur Aufbewahrung von Gartengerätschaften, und daß es außerdem selten oder nie benutzt wurde, zeigte» die Fenster, die er nicht anders als mit dichten Läden versehen kannte. Weil er nie wahrgenommen, daß ein Fuß es betreten hatte, mußte eS ihm auffallen, daß in diesem Augenblick durch den Spalt eines Ladens — die Angel war auSgewichen und derselbe etwas schief gerückt — der Schimmer eines Lichtes hervordrang. Zugleich glaubte er das Geflüster von Stimmen innerhalb des Häuschens zu vernehmen, doch verstummte dies in dem Moment als ein Stein unter seinen Füßen fortrollte und ein leises Geräusch hervorbrachte.
Da es ihm nicht in den Sinn kommen konnte, hier lauschen zu wollen, setzte er seinen kaum unterbrochenen Weg fort; aber schon nach einigen Schritten machte er aus's neue Halt, um etwas vom Boden aufzuheben, des ihm durch die Dunkelheit entgcgenschimmerte.
Es war ein Tuch, das jemand zur Verhüllung von Kopf oder Schultern gedient haben mochte, und da der Gedanke nahe lag, daß es von einer der Personen, die im Gartenhause zu sein schienen, verloren sein könne, trat Dernburg an die Thür desselben zurück, um sie zu öffnen. Zu seinem Erstaunen fand er sie verschlossen;, was ihn aber noch mehr frappierte, war, daß er in demselben Moment einen Laut vernahm, als stieße jemand in Überraschung oder Schreck einen Schrei aus, dem gleich darauf Totenstille folgte.
Da er natürlich nicht daran dachte, sich den Zutritt erzwingen zu wollen, — der Gedanke, daß er etwa Diebe auf einem Einbruch ertappt hätte, konnte ihm nicht kommen, weil es nichts in dem Häuschen gab, was diese hätte reizen können, — wandte er sich kopfschüttelnd ab und setzte seinen Weg fort, nicht aber, ohne daS- gefundene Tuch mit sich zu nehmen.
(Fortsetzung folgt.)