daß die Landwirtschaft keine neue Lasten tragen könne, seine Partei sei daher gegen den Gesetzentwurf. Ioest (Soz.) lehnt das Gesetz ab wegen der strengen Controll- vorschriften, abgesehen von anderen Bedenken. Pfarrer Colbus (Elf.) ist ebenfalls gegen die Vorlage. Die Vorlage geht alsdrmn an die Steuerkommission. Montag 1 Uhr: Interpellation Auer und Genossen über Notslandshilfe. Erste Lesung der Vorlagen betreff. Waarenbezeichnungen, Abzahlungsgeschäfte und Jnva- lidenfondsgesetz.
Berlin, 19. Jan. Die Budgetkommission des Reichstags nahm heute den Antrag Moeller und Singer an, wonach im nächsten Etat die mittleren und unteren Postbeamten, soweit es möglich sei, nach den Dienstaltersstufen besoldet werden sollen. Hierauf fand eine längere Debatte über die Sonntagsruhe der Beamten statt. Der Regierungskommissar erklärte das Unterlassen der Paketbeförderung an Sonntagen für undurchführbar.
Berlin. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht ein Gesetz, betr. die Gewährung von Unterstützungen an Invalide aus dem Kriege von 1870 und deren Hinterbliebene.
Berlin, 19. Jan. Die Anarchisten berufen eine neue Versammlung ein, um gegen die gestrigen Angriffe der Polizei auf die aus der Versammlung der Arbeitslosen kommenden Personen zu protestieren. (Einzelne Blätter bringen starke Schilderungen von dem Vorgehen der Polizei auch gegen unbeteiligte Personen. Der „Vorwärts" sagt, die Arbeitslosen oder die Arbeiter hätten die Polizei nicht provoziert; sie seien musterhaft ruhig gewesen. Er verlangt zu wissen, welche Befehle die Polizei hatte. Die Schuldigen müßten ermittelt und zur Strafe gezogen werden. Die von anarchistischer Seite arrangierte Versammlung konnte, wie berichtet, nicht stattfinden, weil der Einberufer der Versammlung des Morgens verhaftet worden war und die polizeiliche Erlaubnis zur Abhaltung ins Gefängnis mitgenommen hatte. Ungefähr 2000 Personen hatten sich im Saal der Brauerei Friedrichshain eingefunden. Mit Bekanntgabe des Zwischenfalles erging an die Versammelten die Aufforderung, das Lokal ruhig zu verlassen und sich sofort zu zerstreuen. Letzteres scheint nicht schnell genug von Statten gegangen zu sein, denn die zahlreich aufgebotene Schutzmannschaft in Zivil und Uniform sah sich veranlaßt, nachzuhelfen und da sie stellenweise Widerstand begegnete, thätlich einzugreifen. Die uniformierten Beamten hieben auf die Menge mit flacher Klinge ein, Zivilbeamte mit Stöcken und Gummischläuchen.) Der „Vorwärts" giebt folgende Beschreibung: Die Anwesenden verließen in Ruhe das Lokal. Als der Menschenknäuel sich langsam die enge Straße „Am Friedrichshain" nach dem Königsthor zu bewegte, wurde er auf Befehl des kommandierenden Polizeihauptmanns, ohne daß eine Aufforderung zum schnelleren Gehen erfolgte, von der Schutzmannschaft regelrecht attaquiert. In ihrer Angst wußten die Gehetzten weder vor noch rückwärts zu kommen. Hageldicht sausten die Schläge der Säbel und —
Gummischläuche der Polizisten auf die Wehrlosen nieder. Wem es gelang, die Parkanlagen zu erreichen, wurde auch dort von entgegenkommenden Schutzleuten mißhandelt oder von den „Berittenen" über Stock und Stein gehetzt. Das Gros der Arbeitslosen, das mittlerweile die Ecke der Friedenstraße erreichte, wurde von einem Haufen von Zivilbeamten und Zuträgern der Kriminalpolizei in Empfang genommen und mit Stöcken und Gummischläuchen in einer Weise bearbeitet, die jeder Beschreibung spottet. In allen möglichen Verkleidungen hatten sie sich, wie Augenzeugen berichten, zwischen die Schar der Arbeitslosen gedrängt. Hüte, Mützen und abgerissene Kleiderfetzen bedeckten die Straße. Viele Mißhandelte mußten sich in ärztliche Behandlung begeben. Verhaftungen sind wenig vorgenommen worden, da sich selten jemand zur Wehr setzte. Auch die konservativen Blätter berichten in tadelnder Weise: Der „Reichsbote" sagt: Die Anwesenden verließen durchaus ruhig und still das Lokal und wir haben auch nicht bemerkt, daß ein Arbeitsloser auf der Straße irgend eine Ungehörig- keit begangen hätte. Bezüglich der nachfolgenden Szenen sagt das Blatt, daß dabei das Publikum nach untrüglicher Beobachtung des Berichterstatters lediglich der leidende Teil gewesen sei.
Berlin, 20. Jan. Der „Vorwärts" teilt mit: Die Sozialdemokraten brachten im Reichstag eine Notstandsinterpellation ein und wollen die Vorkommnisse des 18. Jan. bei der Versammlung der Arbeitslosen in Berlin zur Sprache bringen. Am Montag finden in Berlin 5 Versammlungen von Arbeitslosen statt, bei denen fünf sozialdemokratische Berliner Reichstagsabgeordnete referieren werden.
Berlin, 18. Jan. Aus dem Entwurf zur Abänderung der Gerichtsverfassung und Strafprozeßordnung sind folgende Bestimmungen hervorzuheben: Die Berufung gegen Urteile der Strafkammer erfolgt an das Oberlandesgericht. Das Verfahren in der Berufungsinstanz ist ein mündliches. Unschuldig Verurteilte können, wenn sie im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen werden, Ersatz für den Verlust beanspruchen, den sie durch die Strafvollstreckung an ihrem Vermögen erlitten haben. Der Antrag ist an die Staatsanwaltschaft des freisprechenden Gerichts zu stellen. Ueber den Antrag entscheidet die oberste Behörde der Landesjustizverwaltung oder, wenn das Reichsgericht in erster und letzter Instanz erkannt hat, der Reichskanzler. Die Beeidigung eines Zeugen erfolgt nach Abschluß seiner Vernehmung. Im Vorverfahren kann die Beeidigung unterbleiben, wenn Bedenken gegen deren Zulässigkeit obwalten. Die Zuständigkeit der Schöffengerichte und Strafkammern wird erweitert; die Wertgrenze der den Schöffengerichten überwiesenen Strafthaten wird überall von 25 auf 100 ^ erhöht.
Tayes-Aeuitzkeiten.
* Calw, 21. Jan. Im Saale des Geor- genäums hielt am Freitag abend Hr. Dekan Braun einen Vortrag über „1 793, das Jahr des Königsmords in der französ. Revolution."
Die französische Revolution, führte der geehrte Redner aus, werde von einigen verabscheut, von andern bewundert; besonders in Deutschland habe man sich anfangs ein ideales Bild von der revolutionären Bewegung gemacht, später aber seien die meisten Bewunderer ernüchtert worden. Für Württemberg habe die Revolution den Verlust der Grafschaft Mömpel» gard, welches Ländchen 400 Jahre unserem Vaterlande zugehörte, und in recht guten Verhältnissen sich befand, zur Folge gehabt. Es sei beinahe unbegreiflich, daß eine so reichbegabte Nation aus den jammervollen Zuständen sich nicht auf friedlichem Wege herausarbeiten konnte und daß der heillose Gang der Dinge gerade die Besseren des Volks von dem Schauplatz einer wirksamen Thätigkeit weggesegt habe, während die scheußlichsten Kreaturen eine zeitlang das größte Unheil anrichten durften. Einer starken Hand hätte es bedurft, um der schon lange gärenden Aufregung unter dem Volk Herr zu werden. Dazu habe aber der damalige König Ludwig XVI., ein Mann, der das beste Herz, aber einen schwachen Kopf hatte, nicht die nötige Energie besessen. Mit der Erklärung des 3ten Standes, er allein stelle die wirkliche Nationalversammlung vor, mit dem Bastillensturm, den verschiedenen grundstürzenden Beschlüssen, der Einziehung aller Kirchengüter und dem Föderativfest sei der Anfang zur blutigen Revolution eingeleitet worden. Nachdem der Jakobinerklub, dessen Mitglieder die rote Mütze der Galeerensträflinge als Kennzeichen an- nahmen, die Oberhand gewann, und die legislative Versammlung, bei deren Wahl von 7 Mill. Wählern nur 6'/-> Mill. abstimmten, zum größten Teil aus den wütendsten Republikanern bestand, nachdem auch Mirabeau, eine kräftige Stütze des Throns, mit den Worten: Ich nehme die Monarchie mit ins Grab und Frankreich stirbt an innerer Fäulnis, gestorben war, sei der unheilvolle Geist ohne Aufhalt auf die abschüssigste Bahn geraten, denn die Girondisten mußten der Bergpartei weichen. Die Nationalversammlung suspendierte die königliche Gewalt; die von den Jakobinern herbeigerufenen Marseiller, eine Bande des verworfensten Pöbels, vollführte die grauenvollen Septembermorde; der Pöbel raste und wollte seine Opfer haben. Am 21. Jan. 1793 bestieg der unglückliche König, der an allem Unglück Schuld sein mußte, das Blutgerüste. Die Radikalen erschienen aber bald zu milde; unter der Schreckensherrschaft, eines Robespierre, Danton und Marat wurde alles schonungslos niedergeworfen, was ihren stürmischen Lauf zu hemmen wagte; Tausende von unschuldigen Menschen wurden erbarmungslos niedergeschlachtet. Die Königin Marie Antoinette starb unter dem Fallbeil am 16. Oktober 1793. Die Wirkungen der Revolution auf geistigem wie auf materiellem Gebiet, waren überaus traurig und machten sich Jahre lang geltend. Redner schloß seinen höchst anregenden Vortrag mit dem Wunsche, es möchte unserem Deutschland, wenn je eine derartige Bewegung sich geltend machen wolle, nicht an Männern fehlen, die auf ftied- lichem Wege bestehende Mißstände beseitigen werden.
^ öU'lHölON. ^Nachdruck verboten.>
Vaterlandsverrat.
Novelle von Lothar Brenkendorf.
(Fortsetzung.)
An einer Thür im zweiten Stockwerk stand auf einem Messingschild der Name „Frau Agnes Berger." Hier zog Gottfried Harmening die Glocke, und während zwei oder drei Minuten, welche vergingen, bevor man ihm öffnete, trat er von einem Fuß auf den anderen wie Jemand, der sich in großer Verlegenheit oder Auflegung befindet. Ein Dienstmädchen war es, das den Einlaß Begehrenden mit neugierigen Blicken musterte. Obwohl er Zeit gehabt hatte, sich auf die unvermeidliche Anrede vorzubereiten, geriet der alte Mann doch bedenklich ins Stottern, während er sagte:
„Meine Name ist Müller, und ich möchte sie bitten mich bei Herrn Eugen Valero anzumelden — vorausgesetzt natürlich, daß ich ihn gerade zu Hause treffe."
„Klopfen Sie nur dort an jene Thür," erwiderte das Mädchen, indem es den Eingang fleigab. „Ich glaube, Sie werden von Herrn Valero bereits erwartet."
Gottfried Harmening that, wie sie ihm geheißen, und eine wohlthönende Männerstimme rief „Herein!" Im nächsten Augenblick stand er dem Bewohner des Zimmers gegenüber, der sich bei seinem Eintritt gemächlich aus recht bequemer Lage auf einem Ruhebett erhob. Es war ein schlanker nach neuester Mode gekleideter Herr, den man wohl auf ein Alter von etwa dreißig Jahren schätzen mochte. Sein schönes intelligentes Gesicht war von einem dunklen Vollbart umrahmt, der an den Wangen ziemlich kurz gehalten, am Kinn aber zugespitzt war, wie es eben jetzt in der eleganten Welt die Sitte gebot. Kluge, scharf blickende, ungemein bewegliche Augen blitzten durch die Gläser des goldenen Kneifers, und auf den Lippen des
jungen Mannes lag ein anscheinend stereotypes, halb ironisches und halb verbindliches Lächeln.
Gottfried Harmening war an der Thür stehen geblieben, und in seinem alten Gesicht zuckte es, während er ohne ein Wort hervorzubringen, auf den Anderen starrte. Der aber kam auf ihn zu und streckte ihm vertraulich beide Hände entgegen.
„Willkommen, Vater!" sagte er in einem so leichten und gemütlichen Ton, als wären sie nur wenige Tage oder Wochen von einander getrennt gewesen. „Ich freue mich herzlich, Dich endlich einmal wiederzusehen."
Der ehemalige Gerichtskamlist antwortete nicht sogleich. Seine Brust arbeitete ungestüm und es war, als ob widerstreitende Empfindungen in ihm um die Herrschaft kämpften. Er schlug auch nicht in die dargebotene Reckte seines Sohnrs ein, sondern zerdrückte statt dessen, wohl ohne es zu wissen, die Krämpe seines alten FilzhuteS zwischen den Fingern. Der angebliche Valero wartete ein paar Sekunden lang, dann fuhr er, ohne irgend welche Gekränktheit zu zeigen, in seiner unbefangenen heiteren Weise fort:
„Ist es das Erstaunen über die Veränderung meines äußeren Menschen, welches Dich so stumm macht? Hoffentlich findest Du, daß sie mir nicht zum Nachteil gereicht. Ich wäre untröstlich, wenn Du den gegenteiligen Eindruck hättest."
Gottfried Harmening fchüttelte den Kopf.
„Wohl uns, wenn ich in diesem Augenblick an nichts anderes zu denken brauchte als an Dein Aussehen! Wollte Gott, Ludolf, daß es um Dein Inneres nicht schlechter bestellt wäre als um Dein Gesicht!"
„Um's Himmclswillen, liebster Vater — nur keine Moralpredigten! Du wirst hoffentlich nicht hierher gekommen sein, um mir eine Szene zu machen, denn ich würde es sonst wahrhaftig bereuen müssen, Dich in meinem unwiderstehlichen Antrieb kindlicher Liebe von meiner Rückkehr nach Deutschland benachrichtigt zu haben."
Der Ton, in welchem er das gesagt hatte, war nicht einmal befonders zärtlich.