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Position u.Mein Schätzelein" von Attenhofer, ein ziemlich schweres, aber sehr entsprechendes Liedchen, fanden sehr dankbare Aufnahme. Die sechsalt­niederländische Volkslieder" von Kremser kamen wie­derholt zur schönsten Geltung; sie gehören zum Besten auf dem Gebiete des Männergesangs. Unter lautloser Stille wurden sie von dem Publikum angehört und aufs lebhafteste applaudiert. Auch dis übrigen Nummern des Programms, auf die wir nicht näher «ingehen wollen, wurden mit großem Beifall ausge­nommen. So gestaltete sich die Aufführung zu einer wohlgelungenen Leistung sowohl des Gesamtchors als auch der einzelnen Sänger, welche im Sologesang so Treffliches leisteten und dadurch zum harmonischen Einklang des Ganzen aufs wirksamste beitrugen.

):( Liebenzell, 20. Nov. In der Nacht von vergangenem Freitag auf Samstag wurde im hiesigen Gasthof z. Ochsen ein Einbruchsdieb­stahl verübt, bei dem eine größere Summe Geldes entwendet worden ist. Ein nicht gut verschlossener Fensterladen des zu ebener Erde gelegenen Wirtschafts­zimmers ermöglichte das Einsteigen des Diebs, der eine Scheibe eindrückte, um von außen her den inneren Fensterriegel zu öffnen. Dabei wurde, wie es scheint, das Klirren herabfallender Glasscherben durch vor­gängiges Aufkleben eines Blattes Papier auf die Scheibe vermieden. Der That verdächtig sind zwei unbekannte Männer, die am Abend vorher in der Wirtschaft verkehrten und sich durch ihr Benehmen auffällig machten. Möchte es gelingen, die frechen Räuber ausfindig zu machen! Das gestrige Ernte - und Herb st dankfest erinnerte uns daran, wie auch für Liebenzell und seine zugehörigen Dörfer der Jahr­gang 1893 trotz dürftigem Futterertrag dennoch in mehrfacher Hinsicht ein gesegneter Jahrgang war, be­sonders durch das viele Obst, das wir haben ernten dürfen. Am Nachmittag des Festes hielt Hr. Mis­sionar Graf aus Kamerun in hiesiger Kirche einen Missionsvortrag, in welchem er Mitteilungen machte über seine Erlebnisse und seine Arbeit in der dortigen deutschen Kolonie während eines 2'/-jährigen Aufent­halts. Missionar Graf steht zu der hiesigen Gemeinde dadurch in einer besonderen Beziehung, daß er in den 80er Jahren in einer hiesigen Mühle die Müllerei erlernte und auch später vom Missionshause in Basel aus öfters seine Ferien hier zubrachte.

Aus Anlaß der Jagden im Schönbuch sind von Sr. Maj. dem deutschen Kaiser zahlreiche Dekorationen und Geschenke verliehen worden. Hr. Forstmeister Hopfengärtner in Wildberg erhielt den Kronenorden dritter Klaffe.

Stuttgart, 17. Nov. Am letzten Sonntag kam es in einem Eisenbahnzuge auf der Strecke Waib­lingen-Stuttgart zu einem Wortstreit zwischen einigen Paffagieren, welcher leider hier in Stuttgart noch ein sehr unliebsames Nachspiel hatte. Ein am Streit be­teiligter junger Mann wurde hier am Bahnhof von einem Studenten verfolgt, in der Friedrichsstraße ge­

stellt, zur Zurücknahme einer im Wagen gethanen Aeußerung ersucht, und als er dieses ablehnte, mit einem Instrument wahrscheinlich einem Schlagring im Gesicht schwer verletzt; der Verletzte ist arbeits­unfähig und befindet sich in ärztlicher Behandlung. Der Thäter wurde noch am gleichen Tage ermittelt und sieht seiner Bestrafung entgegen, da die Unter­suchung eingeleitct ist.

Fellbach, 16. Nov. Der hiesige Geschäfts­mann S., der sich vor zwei Wochen unter Zurück­lassung von Weib und Kind und unter Mitnahme von Wein- und Biergeld heimlich von Hause ent­fernt hat, ist bis jetzt weder zurückgekehrt, noch hat er seinen Aufenthaltsort mitgeteilt. Von dem vor zwei Jahren verschwundenen Werkführer T. konnte man bis jetzt ebenfalls keine Spur finden.

Reutlingen, 17. Nov. Gestern früh wurde Diemer unter starker Bedeckung zu der Leiche der Frau Bertsch geführt. Derselbe schrack beim Anblick derselben wohl zusammen, faßte sich aber dann rasch wieder, und gab auf die offizielle Frage des Amts­richters, ob das die Frau sei, die er niedergeschlagen habe, die ruhige AntwortJa". Von Reue ist nicht viel an ihm zu bemerken.

Künzelsau, 15. Nov. Gestern vormittag gab es auf der Station Waldenburg einen kleinen Zusammenstoß, der jedoch glücklicherweise ziemlich gelinde verlief. Als nämlich der um 10 Uhr 30 Min. hier abgehende Zug auf gedachter Station einfuhr, stieß er mit einem Leiterwagen zusammen, der zu nahe am Bahngeleise stand. An einem Personen­wagen wurde der Auftritt beschädigt und an dem Leiterwagen die Leitern teilweise weggeriffen. Per­sonenbeschädigungen kamen nicht vor.

Hannover, 17. Nov. Durch das heute ver­kündete Urteil im Wucherprozeß wurden die An- geklagten Guhl, Schwietzer und Krain frei­gesprochen, die Angeklagten Hirsch zu 2, Holl- mann zu 2'/- Jahren Gefängnis, je 3000 ^ Geldstrafe und je 5 Jahre Ehrverlust verurteilt. Ferner wurde die sofortige Verhaftung der letzten beiden beschlossen.

Berlin. Die Eröffnung des Reichs­tags im Weißen Saale vollzog sich in Anwesenheit von etwa 150 Abgeordneten in der üblichen Form unter Mitwirkung der Schloßgarde und des Pagen­korps. Die Verlesung der Thronrede wurde schweigend angehört; nur am Ende wurde der von der fried­lichen Lage handelnde Passus mit lautem Beifall be­grüßt. Präsident v. Levetzow eröffnet« die erste Sitzung um 2'/, Uhr und teilte die eingegangenen Vorlagen mit, unter denen die Handelsverträge, der Etat und eine Novelle zur Konkursordnung sind. Der Namensaufruf ergab die Anwesenheit von 215 Mit­gliedern. Das Haus war also beschlußfähig. Morgen 12 Uhr ist Wahl des Präsidiums.

Berlin, 17. Nov. Bei der Beeidigung der

neueingestellten Rekruten in Berlin sprach der Kaiser folgende Worte:Ihr habt soeben vor Gottes Ant­litz mir Treue geschworen und seid hierdurch in dem­selben Augenblick meine Soldaten und meine Kame­raden geworden. Ihr habt die Ehre, zu meiner Garde zu gehören, und in und um meinen Wohnort, meiner Hauptstadt zu stehen, Ihr seid berufen, mich in erster Linie vor dem äußeren und inneren Feind zu schützen. Seid treu und vergeht nicht, daß Euere Ehre die meinige ist." Die durch den Spielerprozeß kompromittierten Offiziere sollten bekannt­lich nach den Mitteilungen eines hiesigen Blattes zu­nächst nur ehrengerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Diese Meldung trifft, wie das er­wähnte Blatt jetzt ergänzend mitteilt, nicht ganz zu, gegen die betreffenden Offiziere soll nach Befund auch auf gerichtlichem Wege vorgegangen werden.

Berlin, 17. November. Bei der gestrigen Rekrutenvereidigung fügte der Kaiser, wie jetzt be­kannt wird, seiner Ansprache noch folgendes zu:Ich gebrauche christliche Soldaten, die ihr Vaterunser beten. Der Soldat soll nicht eigenen Willen haben, sondern Ihr habt alle nur einen Willen und das ist mein Wille. Es giebt nur ein Gesetz und das ist mein Gesetz.

Berlin, 17. Nov. Das Zentrum brachte den Antrag auf Außerkraftsetzung des Jesuiten- gesetzes wieder ein. Die freisinnige Volkspartei brachte den Antrag wegen Entschädigung un­schuldig Verurteilter wieder ein. Der Aus­schuß des deutschen Handelstages beschloß gestern die Berufung einer Plenarversammlung des Handelstages zum Dezember, um zu den vorgelegten Handels­verträgen Stellung zu nehmen.

Basel, 17. Nov. Von einem Zweikampf deutscher Offiziere berichten dieBasler Nach­richten": Heute früh fand bei St. Ludwig nahe der Landesgrenze ein Pistolen-Duell zwischen zwei deutschen Offizieren statt. Nach üblichem Kugelwechsel fuhren diese mit ihren Mietfuhrwerken wieder nach Basel zurück, wo sie abends vorher mit ihren Sekundanten und Aerzten in zwei hiesigen Gasthöfen gewohnt hatten. In größter Eile reisten sie mit dem nächsten Eisen-- bahnzug wieder ab. Wie man uns mitteilt, sollen Verwundungen vorgekommen aber nicht schwer sein.

Graz, 17. November. Graf Alexander Hartenau, der frühere Fürst von Bul­garien, ist heute Mittag gestorben. Kaiser Franz Josef und die Erzherzöge hatten sich heute Vormittag nach dem Zustand des Kranken erkundigt. Die Gräfin Hartenau, die erst vom Wochenbett aufgestanden war sie wurde am 24. Oktober von einer Tochter entbunden, brach über der Leiche ihres Gatten bewußtlos zusammen. Man fürchtet, daß sie geisteskrank werden könnte.

Rom, 15. Nov. Daß Schweine keineswegs ganz harmlose Haustiere sind, beweist ein neulicher Vorfall in Tripi, einer Ortschaft in der Provinz Mes-

Mit schweren, müden Schritten ging er hinaus. Gerdinger machte eine Be­wegung, als wenn er ihm Nacheilen und ihn zurückhalten wollte, aber auf halbem Wege blieb er wieder stehen.

Was könnte ich ihm zum Tröste sagen! Geh' hin, armer Freund, deinen Kummer kann dir Keiner tragen helfen!"

Hl.

Wie rin Träumender schlich Martin durch die nächsten Straßen. Es waren nicht die Straßen, die zum Bahnhof führten,> er hatte wohl überhaupt kein be­stimmtes Ziel, denn mehr als einmal änderte er achtlos die Richtung seines Weges. Die Vorübergehenden schauten ihm mitleidig nach, denn er sah au» wie ein Schwer­kranker, der Mühe hat, sich auf den Füßen zu erhallen. Plötzlich fuhr er zusammen und hob die Augen vom Boden, denn ein heitere» Lachen und Plaudern wohlbe­kannter Stimmen war aus nächster Näh« an sein Ohr geschlagen. Aus einer Wein­stube traten mehrere junge Künstler, die zu Lorenz Gerdinger» Freunden und darum auch zu Martins näheren Bekannten zählten. Mitten in seiner düsteren, verzweifelten Stimmung kam dem Maler der Gedanke, daß e» eine Pflicht der Höflichkeit sein möchte, auch ihnen rin Wort de« Abschied» zu sagen. Jene waren seiner bereit» ansichtig geworden, und wie er sich näherte, wurden rasch einige flüsternde Be­merkungen zwischen ihnen auSgetaufcht, die wohl eine bestimmte Verabredung dar­stellen mußten; denn in dem nächsten Augenblick, in welchem Martin grüßend den Hut zog, machten sie wie auf rin Commando Kehrt und traten wieder in dir Weinstube zurück. Dir kränkende Absicht dies«» Vorgänge» war so unverkennbar, daß ihnen der junge Mann ganz bestürzt nachschaute, unfähig, sogleich ein« Er­klärung für ihr Verhalten zu finden. Dann aber lachte er bitter auf und setzte seinen Weg fort, von jetzt ab ängstlich die brlrbtm Straßen vermeidend und jedem Be­gegnenden schon von weitem au» dem Wege gehend. E» war ihm mit einemmal, al» müßte ihm jeder seine Schande von der Stirn ablesen können, und gleich einem Verbrecher fühlte er da» Bedürfnis, vor dem Anblick de» Menschen zu fliehe». Wir

lange dieses plan- und ziellose Umherschweisen währte, dafür fehlte ihm selber jegliche Empfindung. In halber Betäubung wandelte er dahin, und er fühlte etwa» wie eine Regung de» Erstaunens, als er sich plötzlich in einer Vorstadtstraße vor dem Schaufenster einer Waffenhandlung fand, das ihn mit unwiderstehlicher Gewalt an sich gezogen hatte. Gerade vor ihm lag ein einfacher, roh gearbeiteter Revolver mit einem Lauf von blauem Stahl und einem plumpen, braunen, hölzernen Kolben. Noch nie, soweit er zurückdenken konnte, hatte Martin einen Gegenstand mib gleicher Aufmerksamkeit und gleichem Interesse bettachtet. Er hatte bis zu diesem Augenblick durchaus nicht die Absicht gehabt sich zu töten, wenigsten» war er sich eine» solchen Gedankens nicht klar bewußt geworden, aber r» trieb ihn unwieder- stehlich an, in den Laden zu treten und sich in den Besitz der Waffe zu bringen. Zögernd brachte er sein Anliegen vor. und er fühlte, wie ihm das Blut heiß in die Wangen stieg, als ihn der Verkäufer mit einem mißtrauischen Blick prüfend ansah. Der Preis de» Revolvers, so geringfügig er auch an und für sich war, verschlang den größten Teil seiner Baarschaft, und doch erfüllte es ihn mit Freude, daß dieselbe wenigstens für den Ankauf ausreichte. Er ließ sich den Gebrauch der Waffe zeigen, denn er hatte noch nie eine Pistole in der Hand gehabt; dann entfernte er sich so eilig, al» fürchte er, sein Schatz könnte ihm wieder entrissen werden. Erst als er da» kleine Gehölz außer der Stadt erreicht hatte, verlangsamte er seine Schritte und ließ sich auf einer schattigen Bank abseits vom Wege nieder. Er hatte die Über­zeugung, ganz allem zu sein. ES war Nachmittag geworden, ein schwüler, gewitter­schwerer Nachmittag, welcher nicht darnach angethan war, Spaziergänger herauS- zulocken und Mattin wußte, daß sich um diese Zeit überhaupt nur selten jemand hierher verirrte. Die Unruhe und die innere Zerrissenheit, welche ihn seit Wochen bis zum Wahnsinn gepeinigt hatten, waren seltsamerweise jetzt von ihm gewichen. E» schien fast, als hätte ihm der Besitz der Waffe, die er in einer Brusttasche seine»- Rocke» verborgen hatte, die verlorene Ruhe mit einemmal zurückgegeben.

(Fortsetzung folgt.)