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können; die Lehrer, Geistlichen und andere geeignete Personen wären gewiß bereit, ihre Unterstützung einer solchen gemeinnützigen Einrichtung angedeihen zu lassen; die Mühe ist ja nicht übergroß. An einem bestimmten Schultage ließen sich die Beiträge der Schulkinder ohne großen Zeitverlust eintragen. Die gesammelten Gelder würden von der Oberamtssparkasse angenommen und entsprechend verzinst. Möge die gegebene Anregung in weiteren Kreisen besprochen und zu einem günstigen Resultat führen!
Calw. Egsdt. Die Einwohnerschaft der hiesigen Stadt und der Umgebung wird hiemit darauf aufmerksam gemacht, daß der Experimental-Physiker
G. Dähne die Absicht hat, Ende November oder Anfangs Dezember zwei Vortragsabende in Calw abzuhalten. Die vorzügliche Darstellungsweise physikalischer Versuche durch H. Dähne braucht hier kaum besonders hervorgehoben zu werden, da der Experimentator von seinem im Jahr 1886 im Georgenäum abgehaltenen Vortrag her noch in bester Erinnerung steht. Doch wollen wir nicht unerwähnt lassen, daß
H. Dähne dasselbe Programm, welches er hier aus
zuführen gedenkt, erst in jüngster Zeit in Stuttgart einem zahlreichen Zuhörerkreis von Fachmännern und Laien, Herren und Damen, vorgeführt hat, die ihrer hohen Befriedigung über das Geschaute und Gehörte in allen Zeitungen lebhaften Ausdruck verliehen haben. Hr. Dähne ist mit bestem Erfolge bemüht, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung durch leichtfaßliche Vortragsweise und, was die Hauptsache ist, durch unmittelbare sinnliche Anschauung den weitesten Kreisen zugänglich zu machen. Daher wird es ihm sicher auch diesmal an einem dankbaren Publikum nicht fehlen. Wird doch Herrn Dähne von Universitätslehrern sowohl, wie von den Lehrern der Physik in mittleren und kleinen Städten ausdrücklich bestätigt, daß auch alle diejenigen Zuhörer uud Zuhörerinnen, die keinerlei physikalischen Kenntnisse besitzen, schon durch den Glanz der vorgeführten Versuche zu ungeteiltem und außerordentlichem Beifall hingerissen werden. U.
Stuttgart, 13. Nov. Hopfenmarktbericht. Der Verkehr des heutigen Marktes gestaltete sich etwas lebhafter als in der Vorwoche. Nachdem auch in der abgelaufenen am Weltmärkte keine Preissteigerung eintrat, entschloß sich ein größerer Teil der Eigner zum Nachgeben und es wurden alsdann 50 Ballen zu folgenden Preisen abgesetzt: geringe Qualität zu 180—205, mittlere Qualität zu
^ 210—220, prima Qualität zu 225—230.
Stuttgart, 14. Novbr. I. Kais. H. die Frau Herzogin Albrecht ist heute früh 4 Uhr von einem Prinzen entbunden worden. Mutter und Kind befinden sich wohl. An der Freude, in welche das Königliche Haus durch die Geburt eines württembergischen Prinzen versetzt worden ist, nimmt das gesamte Land innigen Anteil.
Backnang, 10. Nov. Eine nach Oehringen gefallene Erbschaft von 100000 Franks, welche den
Erben, den dort wohnhaften Taglöhner Frönzler, wie schon gemeldet, nicht mehr unter den Lebenden antraf, fällt nun dessen zwei Kindern zu, von denen ein Sohn mit seiner Familie hier wohnhaft ist. Derselbe hat sich auf die sehr willkommene Nachricht hin sofort ein geräumiges neues Wohnhaus erworben.
Paris, 13. Nov. Der vorbereitende Gesamtausschuß für die Weltausstellung 1 900 hat den Beschluß des Unterausschusses, die Ausstellung in Paris selbst abzuhalten, bestätigt.
Gin Mahnwort.
Der Sommer geht zu Ende, und bald kehrt der Winter ein mit seinen kurzen, trüben Tagen und langen Abenden und Nächten. Der Mensch muß sich bald wieder mehr an die Stube gewöhnen, die Spaziergänge beschränken sich zumeist auf den Sonntag; bieten doch die kurzen Tage nicht einmal Zeit genug, die Tagesarbeit zu vollenden, geschweige zu einem Spaziergang in frischer, freier Luft. Die sitzende, hockende Lebensweise gewinnt wieder die Oberhand. Die körperlichen Gebrechen, als z. B. Atemnot, Brustbeklemmungen und Brustschmerzen, schlechte Verdauung, Hämorrhoidalbeschwerden, Schwindelanfälle u. s. w., welche im Sommer durch Spaziergänge, Spiele und Baden so ziemlich beseitigt waren, gewinnen nun bald neue Nahrung, und hohläugig, mit blassen Wangen, krummen Rücken, flacher Brust legt so mancher sein Winterkleid ab.
Daher ist es unsere Pflicht, immer und immer wieder auf die Stätten zu verweisen, wo der Mensch auf's neue aufatmet, neue Kräfte und neuen Mut zur Ausübung seines Berufes sammelt, wo die Schaffensfreudigkeit immer wieder beseelt wird, es ist der Turnplatz! Alt und jung kann nicht genug an das Wort Schiller's, welches der große Dichter auf dem Sterbebette aussprach: „Sorget für eure Gesundheit; denn ohne sie vermag man nichts" erinnert werden.
Der Turnplatz allein ist die Stätte, wo den hereinbrechenden Schäden, die jeder Beruf mit sich bringt, ein notwendiges Gegengewicht geboten wird. Durch die Leibesübungen, durch das Turnen wird der Umlauf des Blutes befördert, die Atemthätigkeit erhöht, und der Stoffwechsel beschleunigt, und die Kraftleistungen des ganzen Organismus werden dadurch wiederum erhöht; auch die Körperwärme, die allen Stubenhockern sogar im Schlafrock am Ofen fehlt, wird vermehrt.
Gerade die Heranwachsende Jugend in ihrer Entwickelung kann nicht genug auf den Turnplatz verwiesen werden.
Wir sind verpflichtet, unserer Schuljugend, die unter der Last geistiger Anstrengungen oft zusammenbrechen möchte, einen starken Träger des Geistes zu geben; wons saua in corpore sano — nur in einem gesunden Leibe wohnt eine gesunde Seele!
Karl Schulze sagt: „Der Stadtjugend verleiht
das Turnen statt der welken stählerne Muskeln, statt der Vogel- Männerbrüste, während der unbeholfenen,. schwerfälligen Dorfjugend die Ungeschicklichkeit, Plumpheit und Ungeschlachtheit benommen wird."
Noch mehr als der männlichen fehlt der weiblichen Schuljugend, besonders in den höheren und mittleren Ständen, eine genügende Muskelbewegung. Die Mädchen sitzen nicht nur täglich 5 bis. 6 Stunden bei vorgeneigter Haltung in der Schule. Nein, auch zu Hause verbringen sie die meiste freie Zeit in sitzender, oft kläglicher Stellung. Sowie die Schularbeiten beendet sind, wird das Stick- oder Häkelmuster ergriffen, und nachher womöglich noch eine Klavierstunde abgesessen. Die unangenehmen Folgen zeigen sich dann bald. Blutarmut, Bleichsucht, Schwächezustände, Anhäufung von venösem Blut und sonstige, hier nicht zu bezeichnende Leiden gehören heutzutage leider nicht zu den Seltenheiten bei unseren Mädchen. Kann sich bei einem Mädchen der Oberkörper entwickeln, welches die meiste Zeit in gebückter Stellung verharrt, stets mit gesenktem Kopfe und vorgeneigten Schultern emhergeht? — Die meisten Mütter der sogenannten besseren Stände erziehen gutgeartete, gebildete und kluge, aber vielfach kranke Töchter. Aus diesem Grunde müßte aller Orten hinreichend auch für die Einführung des Mädchenturnens Sorge getragen werden; denn: „Wo schwächliche Mädchen, da kranke Mütter, da ein siechendes späteres Geschlecht!"
WaS nun unsere Jünglinge und Lehrlinge betrifft, so wissen wir alle, daß bei der heutigen Con- kurrenz viel mehr von ihnen in geistiger wie leiblicher Beziehung verlangt wird als früher. Für Vermehrung des allgemeinen Wissens sorgt die Fortbildungsschule; für die Kräftigung des Körpers wird wenig oder gar nichts gethan. Bis in die späte Nacht wird oft in dumpfer Werkstätte, bei schlechter Beleuchtung in den verschiedensten Lagen und Stellungen gearbeitet und zwar entweder ohne oder mit nur einseitiger Muskelanstrengung, und nur einige Teils des Körpers werden geübt, die anderen vernachlässigt. Die Atmungs- organe werden schlaff. Die Atmung ist eine ungenügende, und die Blutcirculation demzufolge eine matte. Wie oft verkrüppeln die Gliedmaßen! Der Rücken wölbt sich auf Kosten der immer mehr zurück- tretenden Brust, und hüstelnde junge Gestalten mit blassen Gesichten und matten Augen sieht man oft genug umherwandeln. Ihr Väter, Meister und Lehrherrn, es ist eine heilige Pflicht, auch für das Gedeihen des Körpers eurer Pfleglinge zu sorgen! Sendet sie zum Turnplatz, wo sie zum schnellen und tiefen Atmen gezwungen werden, wo sich die Glieder recken und strecken, wo wieder ein frischer, freudiger Geist in den Körper einzieht, und die Schaffensfreudigkeit erhöht, sowie die Widerstandsfähigkeit vermehrt wird.. Ja, der Turnunterricht müßte obligatorisch an jeder Fortbildungsschule eingeführt sein.
In unseren Jünglingen und Lehrlingen sehen wir ferner den künftigen Wehrstand heranreifen.. Können ohnmächtige, wenig gestählte Gestalten die Strapazen eines langen Feldzuges ertragen? — Ein
Der mit Giselher Angeredete schüttelte sehr energisch den Kopf und warf einen forschenden Blick auf sein Bild.
„Ich danke dir für deine gute Absicht, Lorenz, aber du weißt selbst, daß ich sie nicht annehmen kann. Schließlich würde ich doch nur mich selbst betrügen, und gerade mit diesem Bilde will ich nicht nur den andern, sondern auch mir volle Klarheit geben über die Grenzen meines Könnens. Keine fremde Hand soll einen Pinselstrich an meiner Kreuztragung gethan haben/
Gerdinger antwortete nicht; er wendete sich von dem Malenden ab und warf sich auf ein Sopha» um dort in einem Buche zu blättern und sich dabei allerlei angenehmen Träumereien hinzugeben. Erst als ei anfing zu dämmern, wurde er wieder auf den Freund aufmerksam. Der hatte seine Thätigkeit endlich eingestellt und schickte sich eben an, seinen Anzug zum Fortgehen zu ordnen. Dabei warf er zaghafte Blicke zu Gerdinger hinüber, und endlich kam es schüchtern über seine Lippen:
„Willst du dir den Christuskopf nicht noch einmal ansrhen, Lorenz? Ich glaub« nun endlich einmal das Rechte getroffen zu haben."
Bereitwillig kam der Angeredrte der Aufforderung nach; aber er fand kein Wort der Anerkennung für die Leistung de» Freundes. Vielmehr erschienen zwei ernste Falten auf seiner Stirn, und wie er nach langer Betrachtung dem Bilde den Rücken kehrte, drückt« seine Miene und sein bedeutsames Schweigen nur zu verständlich seine Meinung aus.
„Du hältst es also 'immer noch für verfehlt?" fragte der Andere unsicher und stockend. „Du bist vielleicht der Ansicht, daß ich den Kopf noch einmal übermalen solle?"
Gerdinger war rin paar Mal auf und nieder gegangm, als würde es ihm schwer, daS rechte Wort zu finden; nun blieb er wieder vor dem Bilde stehen und sagte:
„Nein, Giselher, der Meinung bin ich nicht I Ab« wen» du mir als deinem
wahren Freunde ein freundliches Wort gestatten willst, so möchte ich dir wohl einen anderen Rat geben."
„Ich bitte dich darum."
„Nun wohl, mein Junge! Ist es denn wirklich so ganz unerläßlich, daß. du dich um diese Altarbild-Concurrenz in deiner Vaterstadt bewirbst! Es findet sich wohl einmal eine bessere Gelegenheit für dich, vor die große Öffentlichkeit hinauszutreten, — nach einigen Monaten oder nach einem Jahre, wenn du gewisse technische Fertigkeiten erworben hast, die sich eben nicht gewaltsam über Nacht erzwingen lassen!"
„Das heißt also", fiel Giselher mit schmerzlicher Bitterkeit ein, „du rätst mir, diese Stümperei in den Winkel zu werfen und denen, welche endlich einmal eine Frucht meiner Studien sehen wollen, zu antworten, diese Frucht werde erst nach einigen Monaten und Jahren zur Reife kommen. Ich bin dir deshalb nicht böse, Lorenz, denn ich habe ja Beweise genug dafür, wie gut du es mit mir meinst! Aber du weißt nicht, wie groß der Irrtum ist, in dem du dich befindest! Ich selber fühle nur zu gut, daß mir eine Fertigkeit, die ich in jahrelangem, heißen Ringen nicht erwerben konnte, niemals wie «in unverhofftes Geschenk der Götter in den Schooß fallen wird. Wenn ich heute noch nicht die Reife habe, in einen künstlerischen Wettkampf einzutreten, so werde ich sie niemals erlangen; und dann ist eS besser, ich gewinne schon heut« volle Gewißheit über meine Unfähigkeit, als daß ich dieses schmachvolle Dasein eines unwürdigen Almosenempfängers, eine« unnützen, überflüssigen Tagediebes noch während einer Galgenfrist weiterschleppe!'
Wie in einem Ausbruch lange zurückgehaltener Verzweiflung waren ihm die bitteren Worte entfahren, und mit aufrichtigem Erschrecken sah Lorenz, in das bleiche Antlitz seines erregten Freunde«. Mit einer Zärtlichkeit, die seiner Riesengestalt seltsam genug entstand, legte er den Arm um seinen Nacken und zog den halb- Widerstrebenden neben sich auf den Divan nieder.
(Fortsetzung folgt.)