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Waffenschmuck an, also daß er die allgemeine Auf­merksamkeit auf sich zog. Dann aber wurde alles recht prosaisch, und die Sozialdemokraten beeilten sich, einen Stoß Anträge einzubrmgen, die den Zweck ver­folgen, verschiedene Genoffen, die durch Kerkerhaft be­droht sind, zum größeren Nutzen des Vaterlandes den Klauen des Staatsanwalts zu entreißen. Leider aber haben Sie keinen Gesetzentwurf eingebracht, aus dem wir endlich einmal sehen könnten, wie sie eigent­lich unseren verrotteten Staat organisieren wollen, und das ist sehr schade, denn wir möchten nun wirk­lich einmal sehen, in welcher Sauce man uns eigent­lich zu braten gedenkt. Nun, die Sozial­

demokraten werden sagen, daß sie dazu bisher noch keine Zeit hatten, und da wir billig denkende Leute sind, so wollen wir zugeben, daß seit den Wahlen wirklich nicht genug Zeit verflossen ist, um ein solches weltbewegendes Werk, das im Kopfe der Führer gewiß schon längst fertig ist, in Paragraphen zu fassen. Wir werden aber darauf zurückkommen, und zwar ohne Unterlaß, um den Sozialdemokraten die Möglichkeit des Beweises zu geben, daß diejenigen Verleumder sind, die zu behaupten sich unterfangen, die Sozialdemokraten wüßten überhaupt nicht, was sie eigentlich wollten. Und dieselbe menschenfreund­liche Taktik werden wir gegenüber den Antisemiten befolgen. Sie sind zwar unter sich durchaus nicht einig und reiten verschiedene Steckenpferde, aber in Bezug auf die Judenfrage werden sie doch wissen müssen, was sie wollen, und da wäre es denn recht schön, wenn sie uns verraten wollten, wie sie mit den Kindern Israels ein Ende zu machen beabsichtigen. Sollen wir unsere colonialen Besitzungen benutzen, um die Juden gleich Hagar in die Wüste zu stoßen? Oder sollen wir sie totschlagen oder zieht man cs vor, sie einfach zu verbrennen? Letzterem dürfte sich vielleicht unsere Geistlichkeit widersetzen, denn wie wenig sie die Juden auch liebt, so ist sie doch anderer­seits die geschworene Gegnerin der Feuerbestattung und kommt dadurch in ein seltsames Dilemma. Des­gleichen möchten wir wissen, wie der Bund der Landwirte, der jetzt parlamentarisch in der wirt­schaftlichen Vereinigung aufersteht, es an­fangen will, aus den verschuldeten Rittergutsbesitzern mit einem Schlag reiche und behäbige Grundherren zu machen. Einige unter ihnen scheinen ganz eigen­artige Ideen zu haben und uns jetzt, nachdem dem Wehr stände durch die Vorlage abgeholfen ist, eine neue ins Praktische übertragene Definition vom Nähr­st and geben zu wollen, indem der Nährstand näm­lich als ein solcher aufgefaßt werden soll, der beileibe ntcht die anderen ernähren, sondern von ihnen ernährt werden soll. In der Wahlcampagne haben sie soviel vonAblösung" der Hypotheken gesprochen. Wie das nun ausgeführt werden soll, ist aber den Nicht­bundesrittern nicht leicht verständlich, und deshalb würde sich der Bund ein Verdienst erwerben, wenn er uns in einem schon in Paragraphen gebrachten Gesetzentwurf sagen wollte, wie er das anzufangen

gedenkt. Das alles sind ja noch vorläufig Zukunfts­gedanken und Zukunststräumr, aber da es sich dabei doch um ganz wichtige und interessante Dinge handelt, so sollten die Herren doch schon recht bald an deren Bearbeitung herantreten, wenn sie sich nicht dem Vor­wurfe aussetzen wollen, daß sie alle ihre schönen Ver­sprechungen rein in die Luft gemacht haben, wohl wissend, daß sie sie nicht erfüllen können. Aber da sie nun einmal auf dem Rhodus des Reichstages angekommen sind, so sollten sie sich auch gar nicht genieren und ruhig lostanzen. An neugierigen Zu­schauern wird es ihnen nicht fehlen. Allerdings der Eiertanz ist nicht leicht, aber er ist ein Kinder­spiel gegen den Uas-äo-koros, den diese Herren zu tanzen sich verpflichtet haben und den sie tanzen müssen, wenn anders sie nicht als schwindelhafte Demagogen dastehen wollen. Da hat es Eugen Richter doch be­quemer : er hat keine solchen Probleme zu lösen, denn er beruft seinen Parteitag nur ein, damit er an seiner Partei die Taufe vollziehen und ihr einen recht schönen Namen ersinnen soll. An sein Programm will man erst später herantreten, in einem Jahre oder in zwei, oder wenn Richter einmal im Reichstage die Mehrheit haben wird. Bis dahin begnügt man sich mit der Taufe und ist schon zufrieden, wenn man nur weiß, wie das Kindlein heißen soll. Im Grunde ist das auch ganz ausreichend, denn so lange noch Partei­mitglieder bei Richter aushalten, haben wir eben eine Partei Richter, eine autokratische Einrichtung, einen absoluten Staat, in dem einer für die anderen das Denk-, Rede- und, wenn es nötig wird, Excommuni- cationsgeschäft in ausreichender Weise besorgt.

Berlin, 7. Juli. In das Dunkel der Nachrichten über den Besuch des Zarewitsch beim Kaiser kommt jetzt Licht. Der hiesige russische Bot­schafter Graf Schuwalow hat angezeigt, daß der Großfürst-Thronfolger am 11. ds. Mts. auf der Durchreise von London nach Petersburg dem Kaiser und der Kaiserin einen Be­such abzustatten wünsche. Ein kaiserlicher Sonderzug wird dem Großfürsten an der Grenz­station Goch zur Verfügung gestellt. Abends findet Tafel im Neuen Palais statt, worauf der Großfürst- Thronfolger seine Reise nach Petersburg fortsetzen wird. Der Widerspruch in den bisherigen Nachrich­ten erklärt sich dadurch, daß die erste Meldung über den bevorstehenden Besuch aus London stammte. Sie wurde von Berlin dementiert, da man dort nichts davon wußte. Es zeigt sich hierin ganz deut­lich, daß die Initiative zu dem Besuch vom Zare­witsch selbst ausgeht, der in London diesen Ent­schluß faßte bezw. von Petersburg die bezügliche Weisung erhielt während man in Berlin noch keine Ahnung davon hatte. Fürst Bismarck leidet neuerdings wieder an einer Venenentzündung, die die ihm die gewohnten Spaziergänge in der Umge­bung von Friedrichsruhe verleidet; doch hält Dr. Schwenninger darauf, daß der Fürst seinen Gewohn­heiten möglichst treu bleibt, da bei seinen Jahren

eine mehrtägige körperliche Unthätigkeit leicht - ungün­stige Folgen haben könnt«. Der Tag der Abreise- nach Kissingen steht noch nicht fest; sie dürste wohl in der letzten Juliwoche erfolgen. Das Venenleiden, das sich von Zeit zu Zeit am rechten Beine zeigt,, führt der Fürst auf eine Verletzung zurück» , die er sich in seiner Petersburger Zeit zugezogen und die damals nicht die entsprechende ärztliche Behandlung , fand.

Tayes-Ueuigkeiten.

** Calw, 10. Juli. Das von Herrn M., Hohneraus Bamberg, ausgebildet am Kgl. Blinden­institut in München, veranstaltete Konzert fand gestern abend im Saale des Gasth. z. badischen Hof statt.. Der Besuch desselben war leider kein sehr zahlreicher aber ein überaus lohnender. Die Zuhörer spendetest den äußerst gelungenen und künstlerischen Vorträgen. des Konzertgebers reichen Beifall. Im Klavierspiel , zeigte H. Hohner neben respektabler Kraft eine ge­wandte, fließende, reine und sichere Technik, sowie - einen sehr geschmackvollen Vortrag; der Anschlag ist- weich, die Ausführung korrekt und sauber. Die Wahl der Stücke bekundete durchweg eine gehobene Richtung.. Neu war wohl vielen Konzertbesuchern das Streich- melodion, ein Streichinstrument, ähnlich der Viola, aber mit Stahlsaiten bezogen. Herr Hohner versteht, es meisterhaft zu spielen. Die schwierigsten Doppel­griffe wurden von ihm mit größter Fertigkeit und' Reinheit bewältigt und die reizendsten Flageolettöne hervorgebracht. Wir heben vor allem das Larghetto - von Mozart und die Romanze von Davidoff sowie eine Nocturne von Chopin hervor. Die Klavier­begleitung hatte Herr Lehrer Vinqon in dankens­werter Weise übernommen und den Konzertgeber hie­durch unterstützt. Gemeinsam wurde auch die groß­artig angelegte, sehr imposanteGroße Konzert Ouver­türe" z. 4 Händen von Bühner vorgetragen. Auf der Zither trug Herr Hohner ebenfalls mehrere Stücke vor, die seine vollendete Meisterschaft auf diesem In­strument bekundeten. Ein solches Zitherspiel werden wohl noch wenige der Konzertbesucher gehört haben. Dieselben folgten sämtlichen Vorträgen mit gespann­ter Aufmerksamkeit. Auf sämtlichen Instrumenten überwindet Herr Hohner die schwierigsten Passagen mit spielender Leichtigkeit. Neben der markigen Kraft des Spiels überrascht und bezaubert anderer­seits vielleicht noch mehr das wundervolle Pianissimo,. durch welches Hr. Hohner excelliert. Fassen wir nochmals den Gesamteindruck des Konzerts zusammen, so dürfen wir dasselbe mit vollem Recht als einen hohen Kunstgenuß bezeichnen, der bei den Hörern sicher einen um so tieferen und bleibenderen Ein­druck hinterlassen wird, als dem Künstler, der ihn. geboten, wohl der göttliche Funke der Kunst, nie aber der goldne Strahl der Sonne mit all' seiner entzückenden Pracht geleuchtet hat. Auf mehrfaches Verlangen wird Hr. Hohner unter Mitwirkung wei­terer hiesiger Musikkräfte morgen (Dienstag) abend

es für höchst romantisch, die Gattin eines verwegenen Schmugglers zu sein. Ich war ja erst sechzehn Jahre alt, als ich Felix kennen lernte. Du weißt, daß ich keine Eltern mehr habe und daß mein mürrischer, alter Vormund, bei dem ich erzogen wurde, froh war, als ich mich verheiratete und der Sorge für mich überhoben wurde. Er fragte nicht lange um die Verhältnisse meines Mannes, sondern übergab mir mein Erbteil und ließ mich mit Felix in die Welt hinausziehen. Felix war damals ein Hochbootsmann auf einem Kauffahrteischiffe, demselben, auf welchem Anselmo war. Der Letztere überredete ihn, seine Stellung aufzugeben, sich ein eigenes Fahr­zeug zu kaufen und den Schmuggelhandel, den Felix bisher nur so nebenbei getrieben, großartiger anzufangen. Felix, der gleich mir Alles gefahrvolle und abenteuerliche liebt, ließ sich überreden und ich war mit Freuden bereit, mein Erbteil zum Ankauf eines Schiffes hermgeben. Genoffen an dem Unternehmen fand Felix bald und so durchsegelten wir aller Herren Länder, ich fühlte mich als Königin auf unserem Schiffe. Felix erwarb sich viel Geld und kaufte mir überall die schönsten Dinge. O, ich war glücklich und sorglos bis zu der Stunde, in der Felix verwundet und der Küstenwächter getötet wurde. Seitdem bin ich aus meiner Illusion erwacht; ich sehe nun die Gefahr und werde alle meine Überredungskunst aufbieten, Felix seinem bisherigen Leben und Treiben fern zu halten. Wenn eS mir nur gelingt", fügte Elma mit schelmischen Lächeln bei.

Du lächelst selbst, Elma, über diesen Zweifel, weißt Du doch zu gut, daß Felix Dich zu zärtlich liebt, um Dir etwas abschlagen zu können. Ich hoffe zu­versichtlich, daß wir hier in der Grafschaft Hampshire noch einen Namen und eine Heimstätte finden. Der Gedanke, daß Felix in Schimpf und Schande versunken, mein Glück nicht teilen dürste, ist mir unerträglich. Der vornehmste Name und der größte Reichtum hätte für mich nur halben Wert ohne meinen Bruder."

Felix liebt Dich eben so innig wie Du ihn, Schwager Harold," sagte Elma. Fast könnte ich eifersüchtig auf Dich sein. Nur Deinetwegen, um in Deiner Näh« zu sein, hat er das rote Haus gekauft, in welchem wir wohnen werden, wenn wir

von unserer Reise nach dem Süden zurück sind. Felix soll alle Maaren, die noch im Keller sind, an seine Genoffen verschenken, und wir werden schon in den nächsten Tagen abreisen. Anselmo will uns begleiten, er trennt sich nicht von Felix, nur die alte Marina wird hier bleiben. Harold, wenn Du doch, bis wir wieder kommen^ den Beweis finden könntest, daß Ihr die legitimen Söhne eines braven, ehrenhaften Mannes seid, wie glücklich würde dies Felix'machen. Er hat mir oft gesagt, daß er eigentlich Niemand sei und daher thun könne, was er wolle."

Mir sagt eine innere Ahnung, daß wir doch noch zu unserem Rechte gelangen werden," antwortete Harold.Refft in Gottes Namen, wenn ich Anselmos Zeugnis bedürfen sollte, werde ich Euch Nachricht geben."

Ich höre im nächsten Zimmer Schritte," sagte Elma.Felix ist erwacht. Laß uns hineingehen zu ihm."

Bis spät in die Nacht saßen die Drei beisammen, denn der gewöhnlichen Abendmahlzeit folgte zur Feier von Felix' Wiedergenesung noch eine Bowle Punsch. Als Harold sich endlich erhob, um den Heimweg anzutreten, tobte eine furchtbarer Sturm um das HauS und der Regen schlug klatschend an die Fensterscheiben.

Bleibe doch hier bei uns über Nacht, Bruder," sagte Felix," Du kannst ja morgen stütz bei Zeiten nach Hause gehen, weshalb sollst Du bei diesem Unwetter hinaus?"

Ach ja, Schwager Harold, bleibe bei uns", bat Elma,wir haben hübsche Gastzimmer im roten Hause. Marina soll für Dich das Schönste bereiten machen."

Harold ließ sich nicht lange bitten, denn der Gedanke, noch heute aus dem «armen, behaglichen Zimmer hinaus zu müssen in Nacht und Sturm, batte gar nichts Verlockendes für ihn.

Des anderen Morgens schon um sechs Uhr verließ er das gastliche Haus, seines B> uders. um nach Hause zu wandern in seine einsame Junggesellenwohnung.

(Fortsetzung folgt.)