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daktion.«nstandslos veröffentlichte Einsendung in der FreitagSnummer:
Was ist ein Deutschparteiler? Ein Großhändler, welcher 16 Lehrlinge und 1 Kommis im Geschäft hat. Ein Kaufmann, welcher die notwendigsten Nahrungsmittel fälscht. Ein Advokat, dessen Verteidigung sittenloser Pastoren und böser Lebenslänglichen nicht zu einem leidlichen Unterhalt hinreicht und der darum auf Privatbeleidigungsklagen angewiesen ist. Ein Techniker, der aus städtischen Mitteln sich zu bereichern weiß. Ihr Prinzip ist die Anbetung der jeweiligen Regierungsallmacht und ihr Programm die Lüg e. Den Arbeitern gegenüber haben diese „Ordnungsmänner", welchen ihre weiblichen Arbeiter nach dreizehnstündiger Arbeitszeit zur „Erheiterung" dienen (!!?), nur ein Bestreben: jede selbstständige Regung des „Pöbels" niederzudrücken. Für den Deutschparteiler darf daher stimmen: 1) Kein Ar- beiter. 3) Ueberhaupt kein Mann von Grundsatz und Charakter.
Der „Albbote" schreibt zu dieser seiner Zusammenstellung: Die beste Kritik für diese Leistung der volksparteil. „Heilbr. Ztg.", redigiert von Dr. Lipp, läßt sich zusammenfassen in dem einen Worte: „Pfui!"
Hagen i. W., 25. Juni. Eugen ^Richter (freis. Volksp.) mit 13,000 St. gewählt. Breil (Soz.) 9000.
Frankfurt a. M., 23. Juni. Der bisherige Abgeordnete Schmidt 8 wurde mit 17180 Stimmen gegen Rechtsanwalt vr. Oswaldt (nationalliberal) mit II 266 Stimmen wiedergewählt.
Straßburg i. E., 24. Juni. Der Sozialist Bebel ist mit 8193 Stimmen gegen den bish. Abgeordneten Petri (nat.lib.), der 7693 erhielt, gewählt. Die elsäß. Protestler stimmten für Bebel.
Straßburg, 24. Juni. Nach dem Be- kanntwerden des Wahlergebnisses herrschte in der Stadt große Bewegung. Im „Vogelgesang" war eine große Menge versammelt, die in lebhafte Hochrufe auf Bebel ausbrach. Die Menge zog auf den Kleberplatz, wo sich dieselbe staute. Die um 30 Mann trotz des Feuerpiquets verstärkte Wache trat ins Gewehr und pflanzte das Seitengewehr auf, blieb aber unter Gewehr stehen. Gleich darauf kamen berittene Gendarmen, die die Menge zurücktrieben. Die Menge wich unter Hochrufen auf Bebel. Einzelne flüchteten; Frauen und Kinder befanden sich unter der Menge. Der wachthabende Lieutenant ließ, nachdem die Wache unter Gewehr getreten war, vorschriftsmäßig einen Wirbel schlagen und forderte die Menge auf, auseinander zu gehen. Als dem Befehle keine Folge gegeben wurde, gab der Lieutenant Befehl zum Chargieren und die Wache lud die Gewehre. Um 10'/« Uhr war der Lärm zu Ende; die Menge räumte den Platz. Auch in Kronenburg soll es zwischen Polizei und Volk zu Zusammen
stößen gekommen sein. Eine Patrouille unter Führung eines Lieutenants ging von der Wache ab, wahrscheinlich nach Kronenburg.
Elberfeld, 33. Juni. Harm 8 mit 3500 Stimmen Majorität gegen den konservativen Kandidaten Dahm gewählt. Elberfeld war auch bisher soz. vertreten.
Leipzi g-Stadt, 23. Juni. Professor Hasse X siegte mit 16 242 Stimmen über Pinkau (Soz.), der 14 324 Stimmen erhielt. (Auch bisher nat.-lib.)
Berlin, 24 Juni. Durch die heutige Stichwahl verliert die freisinnige Volkspartei drei Berliner Sitze an die Sozialisten.
— Freisinnige Selbstkritik. In einem „Die Lehren des Wahlkampfes" überschriebenen Aufsätze des „Berl. Tagebl." wirft ein freisinniger Parlamentarier einen Blick auf das Leichenfeld, welches der erste Wahlgang der Reichstagswahlen für Richters freisinnige Partei darstellt, und macht darin unter anderem folgende beachtenswerten Ausführungen:
Die freisinnige Partei leidet an Personenkultus. Das Parteiprima- donnentum nimmt überhand. Die Kritik der Wähler gegen die Gewählten tritt viel zu sehr zurück. Wer eine abweichende Meinung zu äußern wagt, gerät in Gefahr, als Schwächling, Verräter und als noch Schlimmeres verfehmt zu werden. In einer gewissen Presse lauern Parteibulldoggen nur darauf, um irgend einen selbständig denkenden Parteigenoffen anzufallen und in die Beine zu beißen. Ein Mißtrauen gegen alles, was nicht auf die Meister schwört, hat um sich gegriffen. Und merkwürdig, grade die, welche der Autokratie in der Partei dienen, nennen sich Demokraten! Hier muß sich eine innere Wandlung vollziehen. Der Sinn für Selbständigkeit muß wieder erwachen. Die Wahlkreise sollen mitsprechen und nicht ihre Parole von der Zentralleitung erwarten. Sobald die Fraktionsführer wahrnehmen, daß die Wähler in der Provinz sich nicht mehr an der Leine lenken lassen, werden Sprengversuche, bei denen die Fraktion in die Luft fliegt, unterbleiben. Die Wähler werden den Gewählten sagen: „Vertragt Euch in Berlin! Richtet wegen persönlicher Herrschgelüste nicht die Sache zugrunde!"
Indem der Verfasser die Spaltung beklagt, welche die freisinnige Partei auseinandergeriffen, weist er auf die verhängnisvolle Taktik hin, welche die freisinnige Volkspariei im Wahlkampfe einschlug, indem sie glaubte, durch ein möglichst schroffes Auftreten , den hörbaren „Ruck nach links", die radikaleren Elemente an sich zu fesseln. „Diese Rechnung" schreibt er, „hat sich als falsch erwiesen. Die Sozialdemokraten machten sich die Gründe und die Sprache der volksparteilichen Oppositioon einfach zu eigen;siearbeiten— unterVerschweigung der communistischen Ziele — mit dem freisinnigen Programm und zogen die Massen zu sich hinüber. Die schroffe Opposition der bürgerlichen Partei hat dadurch auf der linkenSeite nichts gewonnen — aber auf
der rechten Seite manches erngebüßt." In demselben Zusammenhang« heißt es dann weiter:
Eine klügere Taktik in den Einzelfragen der Politik kann ferner auch nicht schaden. In den Militärfragen ist der Schwerpunkt der Opposition nicht auf die militärische Seite zu verlegen, sondern auf die Deckungsfrage. Schließlich glaubt das Volk den militärischen Technikern doch mehr als einem einzelnen Abgeordneten, und mag sich dieser auch noch so fleißig in dieMaterie hineingelesen haben. In technischen Dingen kann man deshalb Entgegenkommen zeigen, man braucht sich gegen den höheren oder niederen Etat eines Regiments oder gegen vierte Bataillone nicht so fürchterlich ins Zeug zu legen. Aber die Deckung ist so zu suchen, daß der kleine Mann nicht hart davon betroffen wird. Und gegenüber den Belastungen ist auf Entlastungen, gegenüber der Erschwerung auf Erleichterung hinzuwirken. Man fordere nachdrücklich die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit, die Beseitigung der Liebesgabe, die Einführung von Reichseinkommensteuern auf die hohen Einkommen, man widersetze sich nicht der Börsensteuer! Wenn von der Regierung Zugeständnisse auf diesem Gebiete gemacht werden, so lassen sich seitens der Opposition auch Zugeständnisse in militärischer Beziehung machen. Ein Entgegenkommen in diesen Dingen hätte die Auflösung des Reichstags und die sich daran knüpfenden Folgen verhütet.
Letztere Bemerkung, sagt die „Straßb. Post", ist richtig, kommt aber sieben Wochen zu spät. Von rechts und links mit gleich lebensgefährlichem Ansturm bedrängt, wird der Freisinn Blühe haben, einen bescheidenen Boden wieder zu erobern, größere Mühe, ihn zu behaupten. Man lebt eben nicht ungestraft ein Vierteljahrhundert lang nach dem Grundsätze, nichts zu lernen und nichts zu vergessen. Höchst ehrenwert kann man dabei bleiben, aber man wird dabei zur Mumie.
Kotumöifche Weltausstellung.
Der Jndustriepalast.
Von Otto Schröder.
(8. Brief.)
Chicago, den 24. Mai 1893.
(Schluß.)
Den Mittelpunkt der deutschen Industrie- Ausstellung bildet die Germania-Statue, welche einst den Haupt-Eingang des neuen Reichstagspalastes in Berlin zu schmücken bestimmt ist. Entworfen ist die aus getriebenem Kupfer gefertigte Statue von Prof. Reinhold Begas. Auf riesigem Kriegsrosse sitzt nach Mannesart die Germania mit stolzer Miene als Symbol des siegreichen Deutschlands, vor der Brust den Panzer der alten Ritterperiode, die Verkörperung, einer kriegsgerüsteten Heldenjungfrau von edler Erscheinung , welche für des Vaterlandes Ehre und Freiheit begeistert in den Kampf zieht. In dev Rechten hält sie die deutsche Reichsfahne, von dem goldenen Reichsadler gekrönt, in der Linken ein altdeutsches Schild mit dem Kriegsadler. Zu ihrer Rechten steht ein echter deutscher junger Kriegsmann von hoher Gestalt, mit Schwert und Lorbeerkranz, während auf der anderen Seite die herrliche Sieges-
Die Berührung einer Hand weckte ihn aus seinen finsteren Gedanken und eine fröhliche Stimme rief ihn an:
„Was Teufel haben Sie für Gedanken, Baylis? Sie müssen verliebt sein, Mann, daß Sie so träumend auf Ihrem Pferde sitzen und nichts von der ganzen Jagdgesellschaft sehen und hören."
Ein verlegenes Rot überzog die gelblich bleichen Wangen des Advokaten.
„Lord Brackenburg," erwiderte er, sein Pferd höflich an die linke Seite des Sprechenden lenkend. „Sie sind gerade die Person, welche ich zu sehen wünsche."
„Sehr schmeichelhaft in der That," lachte der schlanke, aristokratisch aussehende junge Peer.
„Mylord, sehen Sie sich einmal jenen jungen Mann an dort auf dem Braunen des Doktor Merriefield," sagte der Advokat auf Harold zeigend.
„Nun, ich sehe ihn, was ist's mit ihm?"
„Erinnert er Sie nicht an Jemand?"
„Nein, nicht daß ich wüßte." —
„Auch nicht an rin Porträt?"
Lord Brackenburg, fixierte Harold schärfer.
„Beim Zeus!" rief er aus, „dieser junge Mensch ist das Ebenbild meines Onkels Zug für Zug."
Dem scharfen Blick des Advokaten entging eS nicht, daß das Gesicht Seiner Lordictast um einen Schatten bleicher geworden war, offenbar war ihm die Ähnlichkeit Harolds mit dim Porträt S,r Bernards, das in Brackenburg hing, sehr unangenehm.
»Wer ist dieser junge Mann?" fragte Lord Walgram Brackenburg nach einigen Minuten des Schweigens.
Er ist mein erster Clerk und heißt Harold Charlton," antworte Mr. Baylis
ruhig.
„Charlton? Charlton?" — wiederholte Lord Walgram, sich die Stirne reibend. „So hieß, wenn ich nicht irre, meine Urgroßmutter mit ihrem Familiennamen."
„In der That, Mylord."
„Ja. ja. es ist schon so," sagte Lord Walgram, „ich irre mich nicht. Wissen Sie was, Baylis, speisen Sie mit mir zu Mittag, wenn diese dumme Jagd vorüber ist. Ich habe nicht Lust, das langweilige Jagdcssen im nächsten Dorfe mitzumachen, bin gar nicht in der Stimmung dazu. Wollen Sie?"
Der Advokat verbeugte sich zustimmend.
Es wurde weiter kein Wort gewechselt, denn die Fuchsjagd nahm ihren Anfang, Mit einem bösen Lächeln beobachtete Edward Baylis Harold Charlton, wie er an Eleonores Seite, deren Blicke zärtlich an ihm hingen, hinritt.
„Ein Kind von drei Jahren könnte die Ähnlichkeit Charltons mit dem Porträt Sir Bernards herausfinden," murmelte der Advokat vor sich hin;" aber was nützen Ähnlichkeiten? Der Trauschein fehlt und ohne denselben wirst Du niemals Lady Brackenburg, meine schöne Kousine."
Edward Baylis gab seinem Pferde die Sporen und jagte der Jagdgesellschaft nach.
10. Kapitel.
Die Jagd war vorüber, aber der Fuchs war glücklich allen seinen Feinden- und Verfolgern entronnen. Lord Walgram ritt gegen halb sechs Uhr des Nachmittags nach Hause. Seine Lordschast hatten wirklich keine Lust gehabt, an dem gemeinschaftlichen Mittagessen in dem Gasthofe eines benachbarten Dorfes teilzunehmen. Der Lord war allein, denn Baylis hatte versprochen, in einer halben Stunde nachzukommen. Die unbehaglichsten Gedanken erfüllten den Kopf Lori» WalgramS, als er so einsam dahin ritt.
(Fortsetzung folgt.)