M 74. Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw. 68. Iahrgiur.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung 9 Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.
Amtliche Nekanrrtmachunge«.
Aushebung.
Infolge der am heutigen Tage stattfindenden Reichstagsstichwahlen hat die Kgl. Ober-Ersatzkommission den Reise- und Geschäftsplan in der Weise geändert, daß die Aushebung im Bezirk Calw anstatt am 1. und 3. Juli nunmehr am Montag, den 3. und Dienstag, den 4. Juli stattfindet.
Der Erlaß vom 17. d. Mts., Calwer Wochenblatt Nro. 71, wird somit dahin abgeändert, daß diejenigen Leute, welche am 1. Juli zu erscheinen hätten, nunmehr am
Montag, den 3. Juli, morgens 6'/- Uhr, und diejenigen, welche am 3. Juli zu erscheinen hätten, am
Dienstag, den 4. Juli, morgens 6'/- Uhr zu erscheinen haben.
Hievon sind die Militärpflichtigen zu verständigen.
Calw, den 24. Juni 1893.
K. Oberamt.
Lang.
Tritzes-Ueuitzkeiterr.
Stuttgart, 24. Juni. Das eingetretene Regenwetter hat die Hoffnungen unserer Landwirte bedeutend gestärkt. Auf dem Viehmarkt des hiesigen Schlachthauses, wo anfangs der Woche schöne junge Rinder zum Preis von 25 per Pfund lebend Gewicht, ja noch niedriger von den hartbedrängten Viehbesitzern angeboten waren, haben die Preise seit gestern plötzlich erheblich angezogen. Die Viehbesitzer fordern jetzt bereits 10 bis 12 mehr per Pfund lebend Gewicht und bekommen die so erhöhten Preise auch gerne bezahlt. (N. Tagbl.)
Dienstag, den 27. Juni 1893.
Reichstags st ichwahlen am 24. Juni. 1. Wahlkreis: Siegle (D. P.) gegen Kloß (Soz.), elfterer mit 239 St. Mehrheit gewählt. 2. Wahlkreis: Kallenberg (D. P.) gegen Schnaidt (Dem.), letzterer gewählt. 4. Wahlkreis: Schrempf (D. P.) gegen Kercher (Dem.), letzterer gewählt. 5. Wahlkreis: Weiß (D. P.) gegen Ehni (Dem.), letzterer gewählt. 8. Wahlkreis: Egelhaaf (D. P.) gegen Galler (Dem.), letzterer gewählt. 10. Wahlkreis: Schmidt (D. P.) gegen Speiser (Dem.), letzterer gewählt.
Vom Rothenberg, 22. Juni. Die Heuer so günstige Blüte der Reben ist nun im allgemeinen vorbei und es kann fsstgestellt werden, daß der Stand der Weinberge ein sehr erfreulicher ist, sowohl hinsichtlich der Blätter, die frisch und gesund sind, als besonders hinsichtlich der Fruchtansätze, die in manchen Berggewänden so reichlich angesetzt haben, daß man mitunter von einem vollen Herbst sprechen hört, wenn alles einen gedeihlichen Fortgang nimmt. An den Berggewänden und auf den Höhen giebt es viel Obst, Kern- und Steinobst, dagegen stehen die Bäume im Thal meist leer. Die Kirschenernte liefert in Rothenberg und Uhlbach einen sehr befriedigenden Ertrag, es giebt Bäume, von welchen für mehr als 60 ^ Kirschen gepflückt wurden. Die Preise stehen auf 13—16 ^ per Zentner.
Heilbronn, 22. Juni. Der Gsmeinderat beschloß die Einsetzung einer Notstandskommission, welche die Verhältnisse der Viehbesitzer untersuchen und im Auge behalten soll, damit man über die zur Hilfeleistung einzuschlagenden Schritte orientiert sei.
Oberndorf, 23. Juni. Einem bedauerlichen Unfall fiel heute vormittag der Fabrikarbeiter M. Haas von Hochmössingen zum Opfer, welcher bei der neu errichteten Prüsungsanstalt zur Untersuchung
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der Läufe und Verschlüsse von Handfeuerwaffen dahier in Arbeit stand. Derselbe hatte die geprüften Gewehre zu reinigen und bekam hiebei durch einen unglücklichen Zufall ein geladenes Gewehr in die Hand. Dasselbe entlud sich, und das Geschoß fuhr dem bedauernswerten jungen Mann durch den Hals. Der Tod trat nach wenigen Sekunden ein.
Ebingen, 23. Juni. Die „Heilbr. Neckar- zeitung" erhält folgendes Eingesendet: Wie es gemacht wird, die politischen Gegner in den Augen der Wähler herabzusetzen, das hat das Auftreten des bekannten volksparteilichen Reiseapostels Hauß- mann am gestrigen Abend in Heilbronn wieder reA anschaulich gezeigt. Wir wollen aus der Fülle des Gebotenen nur ein kleines Beispiel herausgreisen. Haußmann leistete sich, indem er die von der Deutschen Partei unterstützten Kandidaturen bemängelte, folgenden Satz:
Wie gut es diese Leute (der Deutschen Partei) mit dem Volke meinen, geht daraus hervor, daß. deren Kandidat im 10. Wahlkreis der Agrarier Schmidt zwanzig Mark Zoll auf Weizen verlangt.
Das ist erlogen. Herr Haußmann, Schmid verlangt nicht zwanzig Mark Zoll auf Weizen, sondern er verlangt einen Wrizenpreis von zwanzig Mark pro Doppelzentner, weil darunter der Anbau für den Bauern nicht mehr lohne. Daß das ein Unterschied ist, braucht nicht erst betont zu werden. Bedauerlich aber im höchsten Grade ist die Anwendung derartiger Mittel, um „Stimmung zu machen".
Nicht minder schön liest sich eine zweite Bemerkung desselben Blattes, welche lautet:
Eine Leistung erster Güte des hiesigen Radau- Blattes, die ohne weitere Bemerkung niedriger gehängt zu werden verdient, ist folgende von der Re-
I erritte ton.
Nachdruck verboten.
Karokd Kharktons geheime Wege.
Aus dem Amerikanischen von Sophie Freiin v. Zech.
(Fortsetzung.)
„Das verhüte der Himmel!" rief Eleonore erschrocken.
„Daß Du über Alles schweigst, brauche ich Dich wohl nicht einmal zu bitten," sagte Harold ernst.
„Das ist in der That nicht notwendig," erwiderte Eleonore halb beleidigt. „Es ist doch selbstverständlich, daß ich darüber schweige wie das Grab."
„Es ist ein Glück, Eleonore, daß Du Deinem Vetter nichts von-Deinem Abenteuer erzähltest, sonst wäre Felix verloren. Du sprachst vorhin einen fürchterlichen Verdacht aus gegen meinen Chef, aber ich muß Dir gestehen, daß ich ihn teile. Kein anderer als Baylis hat Dich ermorden wollen, denn in seinem Interesse liegt er. Dich aus dem Wege zu räumen, da Du seine Hand verschmähst. Hüte Dich vor diesem Manne. O, dürfte ich doch als Dein Gatte meine leichtgläubige, unvorsichtige Eleonore gegen die ganze Welt beschützen."
„Dies Glück wird Dir noch blühen, verzweifle nicht, Harold," lächelte Eleonore. „Wirst Du nächste Woche an der großen Jagd teilnehmen?* fügte sie bei.
„Bist Du dabei, Eleonore?"
„Ja gewiß."
„Dann werde ich mir meines Freundes, deS Doktor Msrrisfolds Braunen borgen und auch bei der Jagdgesellschaft erscheinen. Es schickt sich zwar eigentlich nicht für einen Clerk, an einer Jagd teilzunehmen."
„Sprich doch nicht so albernes Zmg und komme, ich erwarte Dich," sagte Eleonore.
Nach ein inniger Abschiedskuß und die Liebenden trennten sich für heute.
9. Kapitel.
Einige Tage nach der letzten Zusammenkunft zwischen Eleonore Mollyn und Harold Charlton fand die große Fuchsjagd statt. Der Ort der Zusammenkunft war der große Wiesenzrund in der Nähe des Mäford Hauses mit seinen Eisenhämmern. Es war ein prachtvoller Herbsttag, ungewöhnlich warm und sonnig. Beinahe die ganze Jagdgesellschaft hatte sich schon vsrsamnslt, als Squire Mostyn und seine Tochter in raschem Trapp herangeritten kamen, denn auch Damen nahmen an der Jagd teil, wie das in England bei der Aristokratie Sitte ist. Im nächsten Augenblick sahen sich Vater und Tochter von der fröhlichen Gesellschaft umringt. Nachdem die ersten Begrüßungen vorüber, lenkte Eleonore ihr Pferd etwas abseits von der Gesellschaft und ihre schönen Augen überflogen erwartungsvoll den weiten Grund. Sie war sich gar nicht bewußt, wie reizend sie in ihrem eng anliegenden Reitkleid und dem eleganten Reithütchen auf ihrem dunklen Haare aussah und daß sie eigentlich d-.e Königin des Tages war. Eleonore bemerkte die bewundernden Blicke der Männerwelt gar nicht, oder sie waren ihr wenigstens gleichgültig. Ihr schöne» Gesicht blieb ruhig und kalt. Plötzlich leuchteten ihre Augen auf und ein flammendes Rot überzog ihre Wangen, denn sie erblickte in der Entfernung Harold Charlton.
Edward Baylis beobachtete mit stillem Ingrimm den stumm:n verständnisvollen Augengruß zwischen den Liebenden.
Der Advokat blickte düster vor sich hin, den Kopf auf die Mähne seine» Pferdes herabgebeugt. Vielleicht brütete er über neue schwarze Pläne. Entweder Eleonore Mostyns Hand, oder ihr Tod, war das Ziel, was er sich vorgesteckt.