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die Bestimmungen der ßZ 9, 10, 63 und 65 bis 67 deS Reichsviehseuchengesetzes gleichzeitig mit der nach Art. 5 des Aussührungsgesctzes erfolgenden Bekanntmachung des Einzugs der Beiträge der Thierbesitzer von der Ortspolizeibehörde in der ortsüblichen Weise zu veröffentlichen sind.
Calw, den 18. März 1893.
K. Oberamt.
L ang.
Floßsperre.
Da die durch das Hochwasser beschädigten Floßgassen in der Nagold noch nicht wiederhcrgestellt sind, so wird hiemit Floßsperre bis
15. April ds. Js.
verfügt. Die Ortsvorsteher derjenigen Thalgemeinden, in welchen beschädigte Floßgaffen vorhanden sind, haben darauf zu dringen, daß die Wiederherstellung der Floßgaffen bis zu jenem Zeitpunkt bewerkstelligt wird.
Calw, den 20. März 1893.
K. Oberamt.
Lang.
Tayes-Ueuitzkeiten.
Calw, 18. März. In einer Reihe von Städten Deutschlands und so auch in Württemberg wurde im letzten Jahrzehnt für Knaben ein Unterrichtskursus in Handfertigkeit eingeführt. Die Knaben werden in allerlei Handarbeiten (Schnitzarbeiten, Papparbeiten und dergl.) unterrichtet, es wird dadurch das Auge geübt und eine praktische Handfertigkeit erworben, die jedem jungen Menschen, welchem Beruf er sich auch zuwendet, im späteren Leben von Nutzen sein wird. Die Einführung eines solchen Handfertigkeitsunterrichts in hiesiger Stadt hat Herr Fabrikant Zöppritz in Anregung gebracht und sich erboten, die Kosten der vollständigen erstmaligen Einrichtung einer solchen Schule aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Die bürgerlichen Kollegien sind dankbar für diese Anregung und Opferwilligkeit auf diesen Vorschlag eingegangen und haben beschlossen, den Unterricht in Handfertigkeit demnächst hier einzuführen. Herr Schullehrer Bachteler, der sich in Nagold die notwendigen Vorkenntniffe erworben hat, wird die Erteilung des Unterrichts übernehmen. Wir wünschen diesem Unternehmen ein gutes Gedeihen und fördernde, Freude.
Calw, 20. März. Im Ev. Männerverein, welcher gestern Abend im bad. Hof versammelt war, hielt Hr. Dekan Braun einen interessanten Vortrag über das Thema: „Gehen wir vorwärts oder gehen wir rückwärts". Der Fortschritt
sei beliebt, führte der Redner etwa aus, während vom Rückschritt Niemand gerne hören wolle. Wer nicht fortschreite bleibe stehen, oder komme allmählich zurück; so gehe es dem Geschäftsmann, so bei Gemeinden, und so bei ganzen Völkern. Er habe einige Gebiete ausgewählt, um bei diesen zu constaticren, ob da ein Fortschritt oder ein Rückschritt stattgefunden habe. Da zeige sich ein Staunen erregendes Fortschritten auf dem Gebiete der Technik. Hiebei erinnere er an den letzten Vortrog von Hrn. Professor Haug über Elektrizität, mit den Apparaten von Hrn. Maler Jäger, welcher die Fortschritte in der verschiedenartigen Verwendung des elektr. Stromes zeigte. Auch in Maschinen, habe man neue großartige Erfindungen auszuzeichncn. Im Jahr 1807 sei das erste Dampfschiff entstanden, heute kreuzen tausende alle Meere. Im Jahr 1830 ging in England die erste Eisenbahn, heute überziehen nahezu 1 Million Meter Eiseirschiencn die Erde. Alle Lokomotiven zusammengenommen hätten so viele Kräfte, daß jeder Mensch sich 12 Tage im Jahre ein Pferd halten könnte und alle stabilen Maschinen besäßen 5 Milliarden Menschenkräfte. Ein Nagelschmied, habe früher 2000 Nägel am Tage gefertigt, heute moche ein kleiner Junge an seiner Maschine täglich 500,000. Der Techniker Siemens gedenke den Niagarafall auszunützen, der 12Millionen Pferdekräfte haben würde, ja man komme bereits auf den Gedanken, Licht und Wärme der Sonne sei auch noch nicht genügend ausgebeutet. Eine strebsame Zeitungsredaktion in Budapest habe sich angeboten, jedem der es wünscht, einen Strang zu legen, um ihm telephonisch die neuesten Nachrichten sofort bei Eintreffen zu übermitteln. In Metallen haben mir eine Bereicherung erfahren, indem das Aluminium leichter gewonnen werden könne. Auch auf politischem Gebiete seien große Fortschritte gemacht worden. Wenn man zurückblicke in frühere Zeiten, so komme man auf herzlich schlechte Zustände. In den Jahren 1414—1418 habe Kaiser Sigismund mit (einem gesamten Hofstaate anläßlich einer Kirchweihe 4 Jahre lang in Con- stanz aeweilt, üppig gelebt, und nachher seine Schulden nicht bezahlt, wodurch in der Stadt ganze Familien verarmten. Redner führte noch ähnliche Beispiele an. Betrachte man solchen Zuständen gegenüber unser jetziges politisches Wesen, unsere so starke Macht u. s. w., so freue man sich auch hier große Fortschritte verzeichnen zu können. Auf soz. Gebiete sei dasselbe der Fall; hier seien zu erwähnen die Gesetze der Arbeiterfürsorge, wodurch wir an der Spitze aller "Völker Europa's stehen und schon sei man bestrebt uns nachzusolgen. 600,000 Deutsche sind in der Krankenversicherung; im ersten Jahre sind 52>/-, im vergangenen 92 Millionen Krankengeld ausbezahlt worden. Das sei etwas Großartiges; wie viel Not und Elend sei hiedurch gesteuert worden. Für Unfälle sind 20 Millionen Entschädigungen bezahlt
worden. Durch die Alters- und Jnvaliditätsver» sicherung sind 110 Millionen Arbeiter und Arbeiterinnen versichert, 17,946 Personen stehen in der Jnvaliden-Rente. Redner kommt nun auf den soz^ Zukunstsstaat oder Zukunftsgedankcn zu sprechen und wies in mehreren Fällen, unter Bezugnahme an eine- diese Frage behandelnde Broschüre von Professor Wagner in Leipzig, nach, wie schwer es möglich sei„, nach diesen verschiedenen Formen eine wirkliche Verbesserung zu schaffen. Zum Schluffe drückte der Vor-. tragende sein Bedauern aus über die wachsende Zahl derer, die keinen Glauben mehr haben an Gott und Gottes Wort. In den Schulen in Paris seien seit: mehreren Jahren die Religionsstunden in Wegfall gekommen. Man habe dafür Wohlverhalten gelehrt und Anstandslehren gegeben. In den Berichten jedoch, die schon nach wenigen Jahren vom Lande eingelaufen seien, sei dieses Vorgehen sehr bedauert worden,, indem die Jugend außerordentlich verderbe und von: der Zahl begangener Verbrechen der größte Teil auf 15— 20jährige falle. Redner schloß seinen hochinteressanten Vortrag damit: Jeder soll die Frage, ob wir vorwärtsgehcn oder rückwärtsgchen, an sich selbst stellen,. in geschäftlicher Beziehung und in sittlicher Beziehung.
— Herr Professor Haug knüpfte hieran, mit Bezug auf das Gebiet der Technik noch eine Erklärung über die Bemessung der Kraftleistungen der Motoren nach Pferdekräften, während Herr Stadtpfarrer Eytel, an das erstere Thema noch weitere Ausführungen anschloß, welche ebenfalls dankbare Aufnahme fanden..
— Ter Vorstand, Herr Dekan Braun, wurde durch Acclamation wiedergewählt und 8 Ausschußmitglieder in namentlicher Abstimmung.
Calw. Den Rechenschaftsbericht der Sparund Vorschußbank, sowie eine Einsendung, die Generalversammlung betreffend, mußten wegen Platzmangel zurückgcstellt werden.
— Das gestern nachmittag im bad. Hof hier durch Hrn. Musildircktor Speidel gegebene Konzert erfreute sich eines recht zahlreichen Besuchs. Auch fanden die Leistungen der Kapelle die verdiente Anerkennung; mehrere Stücke wurden wiederholt verlangt.
Stuttgart. Wie man hört, wird nachdem Osterfest eine aus Wakamba-Kriegern gebildete, 14 Personen zählende Negerkarawane hier ein- treffen, um in einem voraussichtlich auf dem Marienplatz zu errichtenden Ausstellungszelt eine Reihe von Vorstellungen zu veranstalten, in welchen Gesänge, Kompfspiele und sonstige heimatliche Gebräuche vorgeführt werden. Die Heimat der Wakamba-Neger ist das Kitni-Land an der Ostküste Afrikas, von wo sie von dem Unternehmer der Truppe, Herrn Urbach, zu einer Ausstellungstour durch Europa gewonnen wurden. Die Karawane ist bereits in vcr- . schiedencn deutschen Städten mit Erfolg aufgetreten.
JeuitkeLon.
Die Adoptivtochter.
Erzählung von K. Labacher.
(Schluß.)
Er trat rasch auf sie zu und und strich ihr die Locken aus der marmorbleichen
Stirne.
„Ist das Dein Ernst. Elisabeth? Nach allem was vorgefallen ist, willst Du zurück in die Hütte Deiner Eltern, willst dort langsam verschmachten?"
„Ich sehne mich nach meiner Mutter!" flüsterte sie kaum vernehmbar.
„Und Du hast sonst keine Bitte, Elisabeth?"
„Nein!"
„Du bist sehr stolz," fuhr der Graf mit einem eigentümlich milden Lächeln fort, das sich ganz fremd in seinen Zügen ausnahm, sie aber außerordentlich verschönerte, weil es ihren gewöhnlichen blasierten Ausdruck verjagt hatte. „Du bist sehr stolz, mein Kind. Steht Dir denn von allen meinen Besitztümern keines an, keines? Verstehe mich wohl, Elisabeth ich lasse Dir die Wahl zwischen Allen! Nichts ist mir so kostbar, daß ich es Dir verweigern würde."
„Sie find sehr gütig gegen mich, Herr Graf. Ich bedarf nichts. Des Menschen wirkliche Notdurft ist so gering — warum sich auf dem Weg zum Grabe, den wir Alle wandeln, unnütz belasten?"
„Ich will aber Dein Schuldner nicht bleiben, Elisabeth! Ich sehe schon, daß ich für Dich wählen muß. Was sagst Tu dazu, wenn ich Dir meinen kranken Jungen drinnen lasse, welchen ja ohnehin nur Du herausgeholt hakt aus den Krallen eines gewissen Jemandes, den die Lebendigen nicht gern nennen?"
Elisabeth antwortete nicht. Was Schreck und bitterer Schmerz nicht gekonnt hatte, das vollbrachte nun die jähe, übergroße Freude, sie lähmte ihren starken Geist. Ohne Bewußtsein lag sie da, auf die Lehne des Stuhles zurückgrsunken. Der Graf bemüht« sich selbst um sie und netzte ihre Stirne mit Wasser. ES war auch nur rin kurzer, heftiger Schwindel, der Elisabeth ergriffen hatte. Eie schlug nach wenigen Minuten die Augen wieder auf, preßte dir Hand an ihre Stirne und schien sich gewaltsam eine Erinnerung zurückrufen zu wollen.
„Ich «rill Deinen Gedanken zu Hilfe kommen," sagte der Graf. „Rudolf ist Dein, wenn Du de« halbe» Invaliden noch magst. — Du Hast mich bezwungen, Elisabeth l" fuhr er ernster fort, als sie in ThrLnen ausbrach, dr« in großen Tropfen Üb« ihr« bleiche» Wangen rollten.
„Du hast einen schönen Sieg errungen über ein halbversteinertes, fegen- und liebloses Menschenherz. Ich gaubte nicht an die Tugend, ich verlachte sie als ein leeres Hirngespenst, weil ich so viele elende, eigennützige Kreaturen vm mich hatte, und weil ich selbst nicht die Kraft in mir fühlte, dem Genüsse, der lauteren Lebensfreude die berauschend, wie Champagner perlt und schäumt, um eines Ideales willen zu entsagen, das ich noch nie verwirklicht gesehen. Du warst die Erste, welche mir den Heldenmut wahrer Tugend vor Augen führte, die mir zeigte was der Mensch sein kann und daß es noch andere Lebensgüter giebt, als den flüchtig verrauschenden Ekel zurücklassenden Genuß.
„Du hast mir wohlgethan, Elisabeth! Wie eine warme, heilende Quelle fühl*' ich es in meinem Herzen rinnen. Nimm den verdienten Lohn hin, ich kann nicht anders zahlen als mit meinem bisherigen Götzen, mit meinem Adelsstölze."
Ein unaussprechliches Glück leuchtete in Elisabeth's Augen, ihre gebrochene Gestalt versuchte sich aufzurichten, wie eine vom Nachtfröste schon holbvcrdorbcne Blume unter den neubelebenden Sonnenstrahlen. Und doch lag noch ein leichter Schatten auf ihrer Stirne.
„Und Sie knüpfen an die Gewährung eines so hohen, so ui faßbaren Glückes keine Bedingung, die ich nicht erfüllen könnte?" fragte sie schüchtern. „Sie verlangen nicht, daß ich meine Eltern verleugnen soll?"
Er sah ihr mit einem freundlichen Lächeln in die Augen.
„Als ich vor Dir die Waffen streckte, Elisabeth, ergab ich mich Dir auf Gnade und Ungnade. Ich weiß schon, daß ein gewisser starrer Sinn auch nicht ein Jota von seinen Grundsätzen oder Pflichten opfert. Ich stehe in Unterhandlung wegen Ankauf eines stattlichen Hauses in Zürich, dasselbe hat Raum für uns Alle, auch für Deine Eltern und Deine hübsche, kleine Katharine. Bist Tu nun zufrieden mit mir?"
Elisabeth sank statt einer Antwort auf ihre Kniee und preßte die Hand des Grafen mit einem seligen Ausjauchzen an die Lippen. Er hob sie rasch auf und küßte sie väterlich auf die Stirne.
„Und jetzt zu dem da drinnen," sagte er, bemüht seine Rührung unter einem scherzenden Tone zu verbergen. „Die Freude wird uns helfen, den Jungen wieder auf die Beine zu bringen. Warum wirst Du so rot, Kleine? Wird Dir's bang, die Braut zu spielen?"
Damit geleitet« er sie nach der Thüre de» Krankenzimmers, di« zu einzr: Himmelkpforte wurde für di« so glückliche Elisabeth!
(Ende.)
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