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Deutsches Reich.

Berlin, 10. März. Reichstag. Militär­etat. Fortsetzung bei Kapitel 18 der Justizverwaltung. Abg. Hintze (freis.) bespricht die Selbstmorde in der Armee und fragt an, ob die unrichtige Behandlung bei den jungen Rekruten die Veranlassung der Selbst­morde sei. Generallieutenant Spitz: Die meisten Selbstmorde würden aus Furcht vor Strafe begangen und zwar bei den Chargierten. Mißhandlungen seien nur im geringsten Maße die Ursache. Frhr. v. Gültlingen (Rchsprt.) äußert Wünsche zu der Reform der Militärstrafprozeßordnung. Abg. Hinze (freis.) wünscht, daß den jungen Leuten bei Eintritt in die Armee der Uebergang zu dem neuen Verhält­nisse durch freundliche Behandlung leichter gemacht werde. Kapitel 18 wird hierauf bewilligt. Bei dem Kapitel 19: Höhere Truppenbefehlshaber, moniert Abg. Richter, daß bei der Geburtstagsfeier des Kaisers höhere Befehlshaber Reden zu Gunsten der Militärvorlage gehalten hätten. Die Kapitel 19 bis 33 werden bewilligt. Bei Kapitel 24: Geldverpfleg­ung der Truppen, bringt Abg. Richter eine Reihe von Mißhandlungen vor, namentlich von Lehrern. Redner wünscht eine strenge Totenschau in Fällen, wo Soldaten anscheinend an Mißhandlungen gestorben sind. Kriegsminister v. Kaltenborn: In den vom Vorredner angeführten Fällen habe die Verurteilung stattgefunden, resp. sei Untersuchung eingeleitet worden und die zur Totenschau vereidigten Offiziere seien zugezogen worden. Abg. Hahn (kons.) will die Miß­handlungen ebenfalls streng bestraft wissen. Abg. Bebel (Soz.) schildert die Soldatenmißhandlungen mit allen Details. Kriegsminister v. Kaltenborn: Die Beleidigungen und Beschimpfungen, welche hier unter dem Schutze der Redefreiheit gegen die Armee geschleudert werden, lassen nicht die Absicht der Sozial­demokraten verkennen, den Klassenhaß in die Armee zu tragen. Die Mißhandlungen ganz zu beseitigen sei unmöglich, weil das Temperament und die Fähig­keiten beiderseits in Frage kommen. Kriegsminister v. Kaltenborn-Stachau. Es werde den Sozial­demokraten nicht gelingen den festen Damm, welchen das Heer bilde, zu unterwühlen. Nachdem noch Lieber (Zentr.) und Bebel (Soz.) gesprochen, wor­auf Staatssekretär v. Bötticher repliziert, spricht noch Richter (frs.), welcher das Recht beansprucht, die Fälle von Mißhandlungen hier zur Sprache zu bringen. Nachdem noch der Kriegsminister geantwortet wird die Fortsetzung der Beratung auf morgen vertagt.

Die Militärkommission hat nunmehr ihre erste Lesung der Militärvorlage mit einem durch­aus negativen Resultat geschlossen. Man stimmte zuerst über Z 2, dann über Z 1 ab. Der Z 2 zählt die neuen Formationen, d. h. die neue Zahl der Bataillone, Eskadronen und Batterien auf. Für die verlangten 710 Bataillone Jnfantrie stimmten die nationalliberalen, konservativen und freikonservativen Kommissiorrsmitglicder, im ganzen neun; dasselbe

Resultat ergab die Abstimmung über 494 Batterien und 21 Trainbataillone, die also sämmtlich abge­lehnt wurden. Desgleichen wurden abgelehnt 477 Eskadrons, 37 Bataillone Fußartillerie, 24 Ba­taillone Pioniere mit allen gegen die sechs Stimmen der Konservativen und Freikonservativen. Nach dieser Abstimmung erklärte v. Bennigsen, die National­liberalen könnten die geforderte Verstärkung des Heeres aus wirtschaftlichen Rücksichten nicht bewilligen. Die Regierung solle sich mit 50 Millionen Mehrkosten begnügen. Richter beantragt die Friedenspräsenz mit 1186 983 Mann für die Zeit vom 1 Oktober 1893 bis 31. März 1895 festzusetzen, unter der Voraussetzung der zweijährigen Dienstzeit. Lieber lehnt namens des Zentrums sowohl den Regierungs­vorschlag, als die Anträge der Abgeordneten v. Bennigsen und Richter ab. Reichskanzler Graf Caprivi erklärt, die Regierungen seien zum Entgegenkommen gegenüber geeigneten Vorschlägen bereit; aber der Vorschlag der Beibehaltung der bisherigen Friedenspräsenzstärke sei unannehmbar. Bei der hierauf erfolgenden Ab­stimmung wurde Z 1 (Friedenspräsenz) der Regierungs­vorlage gegen 6 Stimmen (Konservative und Reichs­partei) aboelehnt, ebenso der Antrag Richter gegen 5 Stimmen (Freisinnige und Volksparei), der Antrag v. Bennigsen wurde zurückgezogen. Damit ist die erste Lesung beendet. Die zweite Lesung beginnt am 16. März.

Berlin, 10. März. Nach der heutigen Ab­stimmung und Erklärung des Centrums in der Militär­kommission glaubt man in Abgeordnelenkreisen, daß die Militärvorlage nicht zu Stande kommt und daß dieAuflösung des Reichstags oder der Rück­tritt des Reichskanzlers in Aussicht steht.

^ Tages-Neuihkeiten.

sD Stammheim, 11. März. Die große Heldbereinigungsschlacht ist geschlagen und die Freunde der Sache haben gesiegt. Nachdem bei der ersten Abstimmungstagfahrt am 1. April vor. Jahres die auf einem Teil der hiesigen und Althengstetter Markung geplante Feldbercinigung zwar die Zustimmung der Mehrheit der Beteiligten erhalten hatte, aber die Durchführung auf erhobene Beschwerde eines großen Teils der Althcngstetter Beteiligten von der K. Zen­tralstelle für die Landwirtschaft nicht genehmigt wurde, hat nun heute die zweite sAbstimmung über denselben Plan, jedoch unter Wegfall der Althengstetter Mark­ung stattgefunden. Tank den Bemühungen des Delegierten der K. Zentralstelle für Landwirtschaft Herrn Regierungsrat Krais und insbesondere unseres Herrn Oberanürnann Lang und trotz aller An­strengungen der zahlreichen Gegner hat nun heute das Unternehmen die Zustimmung der Mehrheit der beteiligten Grundeigentümer erhalten und wird die Durchführung ohne Zweifel von der K. Zentralstelle für Landwirtschaft genehmigt werden. Hoffen wir.

daß dieses für die Landwirtschaft so förderliche Feld- bereinigungsunternehmen zur Zufriedenheit aller Be­teiligten ausgeführt und bald wieder Ruhe und Friede' in die durch den Widerstreit der Meinungen tief aufgeregte Gemeinde einkehren möge.

Ulm, 9. März. (Zum Mord der Frl. Reuß.) Der hiesige Einwohner, welcher infolge ver­schiedener zufälliger Umstände einige Tage verdächtig war, ist seit gestern vollständig entlastet. Es fehlte nunmehr wieder jede Spur eines ThäterS. Vorgestern wurde das ganze Gebiet am Safranberg, Böfinger Halde, Thalfinger Wäldchen von 50 Pionieren und> 20 Schutzleuten abgesucht, ob man nicht etwa die ge­raubte Uhr, das Geldtäschchen, den fehlenden Hand­schuh, sofern der Mörder sich dieser Gegenstände ent­ledigt hätte, finden könnte; aber ohne Erfolg. Man: neigt sich jetzt mehr und mehr der Ansicht zu, daß es. sich um einen Lustmord handelt und daß der Raub vom Thäter nur fingiert war, um auf falsche Spur, zu leiten. Sehr auffallend ist nachgerade, daß sich: der Herr und das Fräulein nicht melden, die am: Sonntag vormittag kurz nach 11 Uhr auf dem Fuß­weg vom Alber zum Safranberg gesehen worden sind. Sollte das gar der Mörder selbst und sein Opfer gewesen sein? Derselbe hatte hienach die Frl. Reust in das Zäh'sche Gartenhäuschen, welches er sich schon vorher zum Thatort ausersehen, zu locken versucht, da sie aber an der Abbiegung des Wegs die Absicht ihres Begleiters merkte und zu fliehen und zu schreien begann, stieß er sie hier nieder und bethäligte seine bestialische Gier dadurch, daß er ihr, die am Boden, lag, Mantel und Kleid oben aufriß und ihr das Messer rechts und links in die entblöste Brust stieß.. Die Stiche sind nämlich nicht durch das Kleid geführt, sondern das Messer ist auf der bloßen Brust aufgesetzt worden. So lange das von der Staatsanwaltschaft so dringend zur Meldung aufgeforderte Paar nichts von sich hören läßt, dürfte die obige Vermutung, manches für sich haben. Aber leider fehlt auch in. dieser Richtung jede vcrfolgbare Spur.

Der vor einiger Zeit aus dem Stuttgarter Amtsgerichtsgcfängnis ausgebrochene Valentin Möller soll in Innsbruck verhaftet worden sein. Er trug einen eleganten Anzug und hatte den Winter über die Eisbahnen frequentiert, wobei er sich als Fabri- kantensohn aus Augsburg ausgab. Bei der körper­lichen Visitation fand man in seinem Mund eine feine Laubsäge, im Gepäck Einbruchwerkzeuge und eine aus Seide hergestellte Strickleiter. Auch zwei Revolver führte Möller bei sich. Er hat sich zunächst vor dem Innsbrucker Schwurgericht wegen verschiedener Ein­brüche zu verantworten, worauf seine Auslieferung an Bayern und Württemberg erfolgen dürfte.

Boston, 10. März. Eine Feuersbrunst zer­störte heute abend einen großen Teil des Geschäfts­viertels. Das Geschäftslokal von Singer, Näh- maschinen-Gesellschast, sowie ein großes Hotel und andere große Geschäftshäuser sind gänzlich ausgebrannt. Bei dem Brande sind 3 Personen tot geblieben, 30 wurden verwundet; der Schaden beträgt 3 Miü. Doll.

Jammer die ganze Schuld mit Zinsen zmückbezahlt und neue Schulden wellen wir «Uten Leute nicht mehr machen."

Seltsame Menschen!" murmelte der Graf, während er sich kopfschüttelnd entfernte.

Auf hollem Wege kam ihm Rudolf entgegen, den die Ungeduld und Unruhe nicht mehr im Schlisse gelassen hatten. Sein Vater zeigte schweigend nach dem Dorfe zurück und wurde sogleich verstanden.

Noch wenigen Miruten stand Graf Rudolf vor Elisabeth, die, überwältigt von den llch so rasch folgenden Aufregungen, halb bewußtlos in einem Stuhle lag. Ungestüm crscßte der Jüngling ihre Hand und drückte sie an seine Lippen.

Diese Berührung gab ihr Kraft und geistige Klarheit wieder. Mit sanfter Entschiedenheit mebrte sie Rudolf's Liebkosungen ab und betrachtete ihn mit einem traurigen und vorwurfsvollen Blicke.

.Elisabeth!" rief er wie wahnwitzig,ich lasse nicht von Dir, ich kann eS nicht und will eS nicht! Warum soll ich mir denn das Einzige nehmen lassen, waS ich von allen Schätzen der Welt überhaupt begehre? Was ist mir mein Vater? Ein Freu der, der sich nie um mich bekün merte und jetzt nur seine väterliche Autorität geltend macht, um rauh und vernichtend in mein Leben zu greifen. Von ihm lasse ich mir weine Elisabeth nicht rauben, von ihm nicht, von niemandem!"

Elisabeth preßte ihre gefalteten Hände auf die Brust.

.O, man ver fährt sehr barmherzig mit mir," sagte sie in schmerzlicher Ironie. Man thut olles, um mir meinen Komps zu erleicktern, mein Elend zu verringern. Ich hätte mehr Verständnis für meine Pflicht von Ihnen erwartet, Rudolf, und auch mehr Mitleid mit meiner unbeschreiblichen Qual."

Jbr Ton schreckte ihn auf aus seinem leidenschaftlichen Taumel; er sah nun erst ihre Blässe, ihren glanzlosen, fast irren Blick.

»Arme Elisabeth!" sagte er sanfter. .Warum legst Du Dir selbst ein so grrsttS Leid auf. um einem Wahne von schuldiger Dankbarkeit zu genügen? Nun

gut, wenn Dich eingebildete Pflichten bilden, so mag es gelten, mit Dir kann ich - nicht rechten; wknn Du auch nicht klug handelst, so handelst Tu doch edel! Von mir aber wäre es feige, Dich um eines Standesvorurteils willen zu verlassen und aufzuopfern. Haben sich unsere Seelen nicht schon syn pathisch in den Briefen um­armt, die wir einst als Bruder und Schwester wechselten? Und wie magnetisch wurden wir erst von c.narder angezogcn, als wir uns endlich Aug' in Auge, unbe­wußt der begonnenen, sr ßcn Vertrautheit, gegerüberstarden! Und das alles, dieses allgewaltige Fühlen, diese Harmonie unserer Naturen sollte ohne Frucht bleiben,, wir sollten auseinander gehen, uns freiwillig zum bittersten Schmerze, zu einem öden, einsamen Lebenslauf verdammen? Nein, meine Elisabeth! Ich werde kämpfen, für unser Glück, kämpfen im wirklichen Sinne des Wortes. Tie Jugend Deutsch­lands sammelt sich wieder den Weiter oberer. Noch ist es Zeit, an diesem erhabenen, begeisternden Streite teilzunehmen. Dem Schicksal oder der Vorsehung, überlvsse ich die Entscheidung über meine Liebe. In einem Jahre bin ich mündig, Elisabeth; in einem Jahre trete ich entweder als bewährter Mann, der seine eigenen Wege wählen darf, vor Dich hin, trotz meines Vaters und aller Adelsbriefe der Welt, oder das Schicksal hat gegen mich entschieden und ich bin tot. Ich glühe wieder noch Sturm und Kampf, wie einst. Elisabeth! die ruhige Zwischenzeit unseres seligen Lübens war ein kurzer, schöner Traum. Er ist zu Ende. Latz sehen, ob dieser Traum nach einem heißen Schlachtcntage aus'S neue beginnen will!" .

Elisabeth stand mit weitgerssneten Bugen vor dem jungen Manne. Sie fard nicht sogleich eine Antwort, nur das ungestüme Heben und Senken ihrer Brust verrieb ihr tiefes Erschrecken.

Cie wollen in Krieg und Gefahr?" stammelte sie endlich. .O, das ertrage ich nicht, das ist zu viel, zu viel für mich!" Sie verhüllte, kramshaft schützend, ihr- Antlitz. Da legte sich schmeichelnd ein Arm um ihre Schulter und zog sie an eil» stürmisch pochende» Herz.

(Fortsetzung folgt.)

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