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aus dem Gefängnis in Plötzensee entlassen worden. Die Antisemiten gaben ihm ein Fest in Berlin, wobei sie ihn auf den Schultern zur Rednerbühne trugen. Ahlwardt ist nun, da die letzte Strafsache („Judenflinten") noch in Revisionsinstanz schwebt, dieses Revisionsverfahren aber durch Beschluß? des Reichstags unterbrochen ist, in der Lage, jeden Augenblick in den Reichstag eintreten zu können.
Tages-Neuiykeiten
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.s Se. Majestät der König haben am 24. ds. dem Postunterbediensteten Walter in Calw die silberne Verdienstmedaille zu verleihen geruht.
Calw, 26. Febr. Das Geburtsfest (46.) Sr. Majestät des Königs wurde hier in gewohnter Sitte gefeiert. Tagwacht und Böllerschüsse begrüßten den festlichen Tag, viele Häuser trugen Flaggenschmuck; um 10 Uhr begann die gottesdienstliche Feier in der ev. Stadtkirche, welcher eine ansehnliche Versammlung anwohnte. Mittags um 1 Uhr fand im Hötel zum Waldhorn hier die gemeinschaft- schaftliche Mittagstafel statt, an der sich auch viele auswärtige Gäste beteiligten. Hr. Oberamtmann Lang brachte den Toast auf Seine Majestät den König aus. Ein an Se. Majestät abgesandtes Telegramm mit den Wünschen der Versammelten fand schon nach wenigen Stunden eine huldvolle Erwiederung.
* Ca lw, 26. Febr. Die Generalversammlung der Creditbank für Landwirtschaft und Gewerbe fand am Matthäusfeiertage im Waldhorn statt. Aus dem Rechenschaftsbericht war zu entnehmen, daß der Geschäftskreis und der Umsatz der Bank sich wie in den Vorjahren ziemlich gleichblieb und daß auch im letzten Jahr die Bank sich vorteilhaft weiter entwickelte und einen günstigen Rechnungsabschluß hatte. Das nun 25 Jahre bestehende Institut hat sich seit 1. Jauuar 1893 in eine Genossen-- schüft mit beschränkter Haftpflicht umgewandelt. Da-- durch ist das Risiko für die Mitglieder nicht erhöht, sondern bedeutend verringert worden, indem das einzelne Mitglied höchstens bis zu 1060 haftbar ist, bisher aber mußte jedes Mitglied mit seinem ganzen Vermögen haften. Die Zahl an Mitglieder beträgt 605. Der Kassenumschlag belief sich auf 1,790,822 Von dem Reingewinn von 10,813 wurden 6"/» Dividende mit 9628 ^ verteilt und dem Reservefonds 1185 zugewiesen; letzterer erhöhte sich auf 35,931 <^. Zu Vorständen wurden einstimmig wieder gewählt Hr. Karl Staelin, Hr. Stadtschultheiß Haffner und Hr. Kaufmanu Kraushaar. Als Aufsichtsräte wurden gewählt die HH. Emil Zahn, W. Federhaff und L. Korndörfer. Die Bank wird noch in diesem
Jahr ihr 25jähriges Jubiläum mit einer kleinen Feier begehen.
* Calw, 26. Febr. Die am Freitag abend im Vereinshaus stattgehabte Aufführung des freiwilligen Schülerchors hatte so viele Freunde und Gönner desselben angezogen, daß der Saal kaum alle Besucher fassen konnte. Das Programm war ungemein reichhaltig und mit Geschick zusammengestellt. In angemessener Weise wechselten Chöre, Duette, Terzette, Deklamationen und Bilder aus dem Leben der Kinder mit einander ab. Der Chor brachte als am Vorabend des Kgl. Geburtsfestes seiner Majestät eine Huldigung dar durch den Vortrag der von Prof. Speidel komponierten Königshymne „Sei gesegnet König Wilhelm", worauf von den Kindern ein 3maliges Hoch gesungen wurde. Das ganze Konzert war in allen Teilen sehr gelungen; von den Kleinen bis zu den Großen zeigte sich eine so große Liebe zur Sache, daß es eine Lust war, den Aufführungen zuzusehen und zuzuhören. An diesem eigenartigen Konzert mußte jedermann seine Freude haben. Der. Leiter der Veranstaltung und Dirigent des Schülerchors, Hr. Schullehrer Roos, hatte sich aber auch alle Mühe gegeben, um das Konzert in solch gediegener Ausführung zu ermöglichen. Ihm gebührt daher für die selbstlose Hingabe an diese schöne Sache und für die lobenswerten Bestrebungen des Chors der wärmste Dank. Hochbefriedigt verließen die Besucher den Saal.
Hirsau. (Eingsdt.) Durch den Ordensregen zum Allerhöchsten Geburtsfeste Sr. Majestät des Königs ist unser allbeliebter Mitbürger Kameralamtsd. a. D. Sch renk besonders erfreut worden, indem er erleben durfte, wie sein Sohn W., Zahlmeisteraspirant beim 2. Jnftr.-Reg. in Weingarten, mit der silbernen Verdienst-Medaille dekoriert wurde, wodurch nun der gewiß seltene Fall geschaffen ist, daß Vater und Sohn zu gleicher Zeit ein und dieselbe Auszeichnung besitzen.
Altheng st et t. Auch hier wurde das Geburtsfest Sr. Majestät unseres in Ehrfurcht geliebten Königs Wilhelm II. in festlicher Weise begangen. Morgens Böllerschüsse, Trommelwirbel und Tagwachtblasen, um 10 Uhr Kirchgang unter Beteiligung des Veteranen- und Militärvereins; abends gesellige Unterhaltung im Adler, wo alle Räume dicht besetzt waren. Pfarrverweser Mezger hielt eine von Patriotismus getragene, zündende Festrede und begeistert fiel alles in den Toast ein. — Mit dieser Feier wurde aber zugleich noch eine weitere verbunden, die Abschiedsfeier des verehrt. Hr. Pfarr- verwesers Mezger, der sich in den 9 Monaten seines Hierseins die Liebe und Achtung der Gemeinde in vollem Maße erworben hat. Von Lehrer M. wurden in einer Rede die Verdienste des Scheidenden um Kirche, Schule und Gemeinde hervorgehoben und ihm
dafür der gebührende Dank ausgesprochen. Möge ihm auf seiner neuen Stelle die gleiche Liebe und Achtung entgegenkommen. Belebt wurde die Feier durch den meist mit Präcision vorgetragenen Gesangs des anwesenden Liederkranzes.
Altensteig, 22. Febr. Als der Eisenbahnzug Nr. 583 von der Station Berneck hierher fuhr» wehte der Sturm eine Tanne um, welche auf's Geleise fiel. Der Bahnwärter, welcher glücklicherweise das Geschehene sah, holte schnell Hilfe. Die Tannewurde abgesägt, so daß der Zug passieren konnte.
Stuttgart, 25. Februar. Zur Feier de^ Allerhöchsten Geburtsfestes Sr. Maj. des Königs wurden heute von der Stadt Stuttgart, dem Württ. Kriegerbunde, dem hiesigen Militär-Verein König. Wilhelm Glückwunsch-Adressen übersandt. Der Württ. Gartenbauverein widmete seinem hohen Protektor einen- prächtigen von Hoflieferant Fischer im Königsbau gefertigten Blumenstrauß. In den Volksküchen wurden die armen Besucher auf Kosten I. M. der Königin heute festlich bewirtet. Auch haben Se. Maj. geruhb einer Anzahl Gefangener einen Teil ihrer Strafzeit, in Gnaden zu erlassen.
Eßlingen, 25. Febr. Zu Ehren des Geburtsfestes Sr. Maj. des Königs ist der neue Springbrunnen am Bahnhof heute zum ersten Mal in Tätigkeit gesetzt worden. Derselbe ist sehr sauber und solid ausgeführt und bildet eine neue Zierde unserer auch in baulicher Beziehung emporstrebenden Stadt. Heute Abend soll der Brunnen beleuchtet werden, gewiß, wird den;elben bei dem prachtvollen Frühlingswetter mancher unserer Mitbürger besichtigen.
Oberndorf, 22. Febr. Heute Vormittag sprang ein 16jähriges hiesiges Mädchen in den Kanal, der Waffen fabrik, wurde jedoch durch herbeieilende Arbeiter dem nassen Elemente wieder entrissen.
Winzerhausen, 23. Febr. Eine bedeutende Sachbeschädigung wurde in zwei Weinbergew des Bauers und Weingärtners Brose verübt. In dem einen wurden 400—500, in dem andern 700 bis 800 Stöcke hart am Boden abgehauen.
Heikbronn, 24. Februar. Ledermarkt. Die Zufuhren blieben wesentlich hinter denjenigen eines normalen Februar-Marktes zurück, was hauptsächlich der langen und strengen Winterkälte zugeschrieben werden darf, auch scheint die Produktion infolge der anhaltend ungünstigen Lederpreise einige Verminderung erfahren zu haben. Bei dem mäßigen Angebot konnte sich das Geschäft gleich Anfangs recht lebhaft entwickeln, so daß bis Mittag der gesamte Vorrat vergriffen war, und eine endliche Besserung der Geschäftslage in Aussicht zu nehmen sein dürfte. Wildoberleder stand in lebhaftem Verkehr» namentlich waren bessere Sortimente in leichter Ware
Elisabeth machte eine Bewegung, als ob sie dieser vielen Fragen überdrüssig sei, blickte aber dabei dem jungen Mann zufällig in die ehrlichen Augen und ihr Gesicht erheiterte sich wieder.
„Ich wurde in der Stadt von Pflegeeltern erzogen," sagte sie. „Ich bm erst kurz in mein väterliches Haus zurückgekehrt."
„Und fühlen Sie sich da behaglich?" fragte er hastig. Es muß doch eine ganz ungewohnte Umgebung für Sie sein, in einem abgelegenen Dorfe, wohin Bildung und Zivilisation noch nicht gedrungen ist."
E>n unwilliger Blick traf ihn aus Elisabeth's schönen Augen.
„Ich bin bei meinen Eltern, mein Herr! Und deren Herzensgüte und natürliches Zartgefühl ersetzt mir reichlich, was die Städter „Bildung" nennen, und was doch zu häufig nur Verbildung und Verderbtheit ist."
„Verzeihen Sie mir, Elisabeth!" sagte der Graf. „Ich bi» mit den Verhältnissen und dem Bildungsgrade der deutschen Landbevölkerung nicht durch eigene Anschauung vertraut, ich kenne beides nur aus den Schilderungen vielleicht parteiischer Schriftsteller. Und wenn Sie sich in Ihrer Umgebung beglückt fühlen, dann allerdings muß ich meine bisherigen Ansichten ändern» Ich werde übrigens bald ein eigenes Urteil gewinnen; ich denke nun in Deutschland zu bleiben."
„Sie waren nicht immer da?" fragte sie, nur um ihm zu zeigen, daß sie keinen Unwillen mehr fühlte.
„Nein. Elisabeth! Ich wurde in einem fernen, heißen Lande aufgezogen, davon Sie vielleicht nicht einmal den Namen kennen."
„Das kommt auf die Probe an, mein Herr? Ich habe eine Vorliebe für die fernen, heißen Länder. Ich wußte einmal einen meiner Verwandten dort."
„Wir wollen sehen." sagte der Graf lächelnd. „Ich war in Madeira."
„Ah! —" Dieser leise Ruf kam aus dem Munde Elisabeth's zugleich mit einem raschen, forschenden Blicken aus ihren Augen.
„Wer sind Sie, mein Herr? Wie heißen Sie?" setzte sie dringend hinzu.
„Ich bin ein Naturforscher, ich heiße — Prrkiolitsch."
Elisabeth nahm ihre Arbeit wieder auf und sagte mit völlig ruhiger Stimme:
„Wie kommen Sie gerade in diese, wir Sie selbst sagen, sehr abgelegene Gegend
„Ich wohne drüben im Schlosse, ich bin ein Freund des jungen Grafen Rudolf, der gleich mir in Madeira aufgewachsen ist."
Elisabeth wandte das Gesicht ab, um ihre Bewegung zu verbergen. Eine Frage schwebte auf ihren Lippen, eine Frage nach demjenigen, den sie so lange für ihren Bruder gehalten hatte. Und obwohl sie sich sagte, daß sie ja nun keinen Teil mehr an ihm nehmen durste, konnte sie diese Frage doch nicht gänzlich unterdrücken.
„Hier heißt es, daß der junge Graf noch immer kränklich sei," begann Elisabeth, tief über ihre Arbeit gebückt. „Ist dem so? wie sieht er aus?"
„Bah, er ist gesund wie der Fisch im Wasser, ungefähr wie ich. Die Leute haben von jeher zu viel unnötiges Mitleid gehabt."
Elisabeth wollte etwas erwiedern — da wurden leichte Schritte hörbar, und Katharine trat, mit einem Buche im Arme, von dem schmalen Weg heraus zu ihrer- Schwester.
„Nun bin ich fertig, Elisabeth! Nun kann ich mit Dir lernen —"
Sie stockte, da sie in diesem Augenblicke den Fremden gewahrte.
„Der Herr hat mich nach dem Wege zum Schlöffe gefragt," sagte Elisabeth erklärend. „Und wir gerieten hierüber ins Plaudern."
„Ach ja, Dir muß es wohl thun, wenn Du wieder einmal mit jemanden aus der Stadt reden kannst," meinte Katharine. „Wir sind arme, unwissende Leute, wir müssen Dir oft recht dumm Vorkommen."
Elisabeth schlang hastig den Arm um Katharine und schloß ihr den Mund mit einem Kusse. Aber der Fremde glaubte nun doch die Befugnis zu haben, sich neben den beiden Mädchen niederzulaffen und mit Elisabeth weiter zu plaudern, wobei Katharine eine stumme, jedoch sehr aufmerksame Zuhörerin abgab.
„O Elisabeth, wie gelehrt und klug bist Du!" sagte sie auf dem Heimwege^ noch ganz in Bewunderung versunken. „Glaubst Du, daß ich einmal etwas mehr wissen werde wie jetzt?"
Und als Elisabeth lächelnd nickte, drückte Katharine das Buch, welcher ihr z»t dem „Mehr Wissen" verhelfen sollte, fest an ihr Herz.
(Fortsetzung folgt.)