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das Blut herunterlief. Der rohe Mensch ergriff als­bald die Flucht, wurde aber in Großingersheim ein­geholt und dem Amtsgericht Besigheim eingeliefert.

Murrhardt, 1. Febr. Heute Mittag wurde die Feuerwehr alarmiert wegen Wassersnot, die ihre Hilfe geraten erscheinen ließ. Die zahlreichen und umfangreichen Eisschollen der Murr hatten sich an den Wehren der hiesigen Mühlen und Sägereien gestaut, so daß das Wasser in gefährlicher Weise gegen die Stadt geschwellt wurde. Mit der größten An­strengung und zum Teil unter Lebensgefahr konnte auf übergelegten Dielen und Feuerleitern, mit Feuer­haken und Aexten von den angebundenen Mannschaften der Abgang der Eismassen herbeigeführt werden. Zwei junge waghalsige Gerber hatten sich bei diesen Arbeiten zu weit auf die Eistrümmer gewagt; zum größten Schrecken der zahlreichen Zuschauermenge wurden die Burschen von den unerwartet in Bewegung geratenen Eismafsen fortgerissen, bald unter den Eis­schollen verschwindend, bald wieder auftauchend. Es war ein Kampf auf Leben und Tod mit den schäum­enden Wogen und den schwimmenden Eiskolossen. Glücklicherweise konnten die zwei Gesellen, äußerlich unverletzt, aus dem kalten, unfreiwilligen Bade ge­rettet werden.

Sulzbach a. M., 3. Febr. In der Nacht vom 2. auf 3. Februar hatten wir Hochwasser. Die Murr überstieg die vom 24. November 1890 um mehrere Centimeter. Im unteren Dorf stand das Wasser in den Straßen fußhoch. Viele niedere Wohn­ungen mußten geräumt, auch viel Vieh geflüchtet werden, da das Wasser, welches nachts gegen 12 Uhr seinen Höhepunkt erreicht hatte, überall eindrang. Viel Schaden wurde angerichtet an Brücken und Säg­mühlen; dem Werkmeister Sannwald wurden an seiner Sägmühle in Bartenbach circa 50 Sägklötze, welche auf einer Wiese lagerten, weggeschwemmt. Die Murr siel gegen Morgen rasch und ließ in Gärten und Wiesen eine Masse Treibeis zurück. Der Schaden, den das Hochwasser angerichtet, dürfte wieder ein ganz bedeutender sein. Eine baldige Flußkorrektion wäre sehr erwünscht.

Hall, 3. Febr. Die Bewohner der hiesigen unteren Herrengasse wurden heute abend um 7 Uhr in nicht geringen Schrecken versetzt. Es folgten in kurzer Zeit zwei donnerähnliche Schläge und als man auf die Straße eilte, war in einem Hause ein Metzgerladen samt der Küche und Schlafzimmer in den Keller hin ab gesunken. Die im an­stoßenden Wohnzimmer befindliche Familie des Metzgers entrann der drohenden Gefahr weiteren Einsturzes durch Flüchten durchs Fenster in den an das Haus anstoßenden Hofraum. Der Kommandant der Feuer­wehr, Kaufmann Chur, war sofort zur Stelle und ordnete die nötigen Vorsichtsmaßregeln an. Die Familie wurde in befreundeten Häusern untergebracht. Das im Keller befindliche Weinlager dürfte nicht

ohne Verlust davonkommen. Heute früh 10 Uhr­hatten wir starkes Hochwasser, das einem hiesigen Sägemühlebesitzer nicht unerheblichen Schaden brachte, indem es eine Partie zum Sägen bestimmter Holz­blöcke mit fortnahm.

Aalen, 3. Februar. In der letzten Nacht schwollen unsere Gewässer Kocher und Aal derart an, daß mehrere Straßen der Stadt tief unter Wasser gesetzt worden sind. Das Wasser drang in Keller, Stallungen und Wohngelasse ein und richtete großen Schaden an.

Ehingen, 2. Februar. Wiederum warew mehrere Hopfenhändler aus Nürnberg hier, welche die- noch hier und in der Umgegend lagernden Hopfen- r est e aufkauftsn. Nachdem die Eigner einsehen, daß ein längeres Hinhalten für höhere Preise keinen Sinn hat, setzen sie nunmehr ab bei ziemlichem Verlust gegenüber der Hopfensaison. Die Preise stehen nieder und haben sich bis daher stets abwärts geneigt. EK- wurde gestern für ein Quantum von 42 Zentnerir circa 110 erlöst; für kleinere Posten bieten die Händler 80 bis 100

Friedrichshafen, 2 Febr. Am Badenser herrscht wieder sehr stürmisches Wetter mit regnerischem Föhn; die Schweizer Vorberge sind noch mit tiefem Schnee bedeckt, am deutschen Ufer aber schmilzt er rasch; obwohl der noch tief gefrorene Boden wenig aufsaugt und überall Wasser läuft, ist doch ein Steigen des Seestrands noch nicht wahr­nehmbar; man sehnt sich darnach, weil der niedere Stand die Verschiffungen recht mühselig macht.

Berlin. Ueber den Unfug, der mit einen» Extrablatt über ein Attentat auf den Zaren in den, Straßen Berlins getrieben wurde, berichtet dieNordd. Ällg. Ztg.": Ein mysteriöses Dunkel verhüllt die treibende Kraft dieses neuesten Koups. Wer setzte- all die heiseren Kehlen, die dasNeueste" gestern abend in den Straßen ausbrüllten, in Bewegung. Man weiß es nicht. Der auf dem Extrablatt ge­nannteHerausgeber und Verleger" Oskar Hebet scheint nicht zu existieren. Er ist unauffindbar, steht- nicht im Adreßbuch und vie angegebene Wohnung. Liebenwalderstraße 42 ist fingiert, denn das betreff­ende Haus ist eine Baustelle. Der Name des Druckers, ist unleserlich. Die Polizei hat somit eine schwere Aufgabe, den Urheber des Unfugs zu ermitteln. Wäh­rend nun die Polizei auf den Unfugstifter fahndete, erfüllte sein Unfug in allen Tonarten die Straßen.

Altona, 3. Februar. Letzte Nacht wurden, fünfCholerafäll.e, wovon zwei mit tätlichem Ausgange, gemeldet.

Brüssel, 3. Februar. Der Gräfin von Flandern (Schwester des Fürsten von Hohenzollern> wurden Juwelen im Wert von 300,000 Frs. ge - stöhlen. Am Mittwoch abend hatte sie, ehe sie

<35 iZ), Bodensee- und Flußkarpfen, Rotaugen aus dem Neckar u. s. w. zu bemerken.

Cannstatt, 3. Febr. Eine eigenartige Jagd, die viele Zuschauer anlockte, wurde heute nachmittag zwischen 1 und 2 Uhr auf einen Stier gemacht, der sich auf dem Wege zum Schlachthaus seinem Begleiter losriß und in der Stuttgarter Straße geradewegs in den hochgehenden Neckar sprang. Die Versuche, das stromabwärts treibende Tier mittels Stangen gegen das Ufer zu treiben, mißlangen.

Schließlich schwamm es nach einer längeren Schwimm­tour auf der Au selbst gegen das Ufer und konnte hier dem kalten Bade entrissen werden. Nunmehr machte es seinen letzten Gang zum Schlachthaus ohne Hindernisse.

Plochingen, 3. Febr., abends 8 Uhr. Heute abend 5 Uhr hat der Neckar mit etwas über 3,5 m seinen höchsten Stand erreicht; seitdem fängt er an, langsam zu fallen. Der gegenwärtige Wasserstand beträgt 3,25 w. Die Straße nach Pfauhausen und Deizisau ist seit vergangener Nacht nicht passierbar.

Das Schneegewässer der letzten Tage hat dem Fabrikanten von Feuerwerkskörpern, Emil Henne in Eßlingen, dessen Pulvermagazin auf hiesiger Markung liegt, nicht unbedeutenden Schaden gebracht. Das Anwesen befindet sich nämlich an der Abdachung des Schurwalds, oberhalb der Straße Plochingen-Reichen­bach, in einer kleinen, muldenförmigen Vertiefung.

Infolge massenhaften Schneegangs vermochte die Abzugsdohle das Wasser nicht zu fassen, es bildete sich ein See, das ganze Anwesen unter Wasser setzend.

Da wohl sämmtliche Vorräte verdorben sind, so ist der Schaden beträchtlich.

Backnang, 3. Febr., Morgens. Schon glaubte man, die größte Gefahr für die Stadt sei vorüber, als gestern Nacht durch heftigen Regen die Murr dermaßen anschwoll, daß sie einen Wasserstand erreichte, wie sich kaum jemand denken kann. Um Mitternacht begann das Eistreiben mit furchtbarem Getöse, so daß sich die Zuschauer auf der starken steinernen Brücke nicht mehr sicher fühlten, und um 2 Uhr erreichte die Murr ihren höchsten Wasserstand.

Mit Bangen erwarteten die bedrohten Bewohner den Tag. Ihre Befürchtungen sollten leider noch über­troffen werden. Im ganzen Ueberschwemmungsgebiet erblickt das Auge nichts als Zerstörung: die Straßen aufgerissen, Brücken, Mauern, Zäune, Lohkässtände fortgerifsen, Bäume abgeknickt. Unberechenbar ist der Schaden in den Häusern und Kellern. Getränke und Vorräte aller Art wurden zerstört und leider fanden auch 2 Tiere ihren Tod. Der den Gerbereien ver­ursachte Schaden kann erst später bestimmt werden.

Bietigheim, 3. Febr. Ein fremder Stromer, der bettelnshalber ein Haus betreten hatte, aber ab­gewiesen wurde, schlug mit seinem Stock den ihn Ab­weisenden derart auf den Kopf, daß letzterem sofort

ihres Mannes, man werde ihn wohl nur zur Herrschaft beschieden haben, um ihm das Kind wieder mit rach Hause zu geben.

Der Graf musterte mit einem flüchtigen Blick die sympathische Erscheinung der Frau Anna, dann wandte er sich an Will, in dem er den Bittsteller aus dem Schloßhofe wieder erkannte.

Meine Gemahlin, die Frau Gräfin, hat Gefallen an Eurer kleinen Tochter gefunden," sagte er, nachlässig mit der Quaste seines Schlafrockes spielend, auf die er sein Auge gesenkt hielt. Er fühlte auf einmal etwas wie eine Art von Ver­legenheit, er suchte noch einem paffenden Eingang für sein Begehren. Aber im nächsten Moment vom Ärger erfaßt über seinen Kleinmut und seine Rücksicht sür solcheniedrige Leute" sagte er kurz und unvermittelt:Überlaßt uns die Kleine, wir behalten sie an Kinderstatt. Ihr sollt dafür eme Aufseherstelle auf meiner Herrschaft und hundert Thaler haben."

Frau Anna stieß einen Ruf schmerzlichen Erschreckens aus und lehnte sich an die Wand. Josef W>lk starrte den Grafen wie entgeistert an und nur langsam und abgebrochen lösten sich die Worte von seinen Lippen:Mein Kind verkaufen ?"

Daß Ihr ungebildeten Leute doch gleich mit so drastischen Worten bei der Hand seid!" sagte der Graf höhnisch lächelnd.Danket Gott, wenn Ihr einen Magen weniger zu sättigen habt. Ich dächte, sieben Kinder können auch genug sein. Und ich glaube auch, daß Ihr nicht so grausam sein werdet, Euer kleines Mädchen, aus angeblicher Elternliebe, um ein großes Glück, um ein glänzendes LoS zu berauben."

Anna, hörst Du, was der Graf sagt?" wandte sich Wilk an seine Frau. Wir bringen unser Kind um ein großes Glück, wenn wir nicht einwilligen. Anna, was meinst Du? Bei uns müßte Lieschen ja doch langsam am Hunger zu Grunde gehen. Und wir retten auch unsere andern Kinder, wenn wir nachgrdrn. Anna, was meinst Du, Du bist die Mutter, Du hast Lieschen unter dem Herzen getragen; sage Du, was Drin Wille ist!"

Frau Anna blickte Verzweiflung»»«!! in di« eben forschend erhobene« Augen de» Grafen, und sank langsam in di« Kniee.

Verlangen Sie nicht mein Herzblut, verlangen Sie nicht mein Kind von mir!" flüsterte sie, mit dem Schluchzen ringend, das ihre Stimme zu ersticken drohte. Wahr ist's," meine Kinder rufen nach Brot, der Hunger nagt an ihrem Marke und wird es aufzehren, wenn nicht Hilfe kommt. Aber benutzen Sie nicht unsere Not, suchen Sie mir nicht abzupressen, was ich nimmer geben kann, eines meiner teuren Kinder. Seien Sie wie der liebe Gott sür uns, der seine Gnade an die Menschen nicht verkauft, der sie herschenkt, so frei und so reich. Geben Sie meinem Manne die Aufseherstelle, er wird Ihnen ein treuer, fleißiger Diener sein, und der Segen einer beglückten Familie, einer frohen Mutter wird Ihnen folgen auf allem Wegen. Seien Sie barmherzig, verlangen Sie alles von mir, nur nicht mein Kind,, nur nicht mein liebes süßes Lieschen!"

Ihr seid etwas naiv, gute Frau!" entgegnet« der Graf achselzvckend.Ihr verlangt, wollt aber nichts dagegen leisten. Ich bin wahrlich nach keinem Eurer sonstigen Schätze lüstern, als gerade nach dem kleinen Mädchen, welches meine Frau- nun einmal, aus Laune oder dergleichen, zu besitzen wünscht.

Und kurz und gut entweder Ihr überlaßt uns das Kind, oder Ihr geht­auf der Stelle damit fort und nagt weiter am Hungertuch. Aber macht rasch mit Eurer Entschließung, ich habe keine Lust, mich noch lange durch Euer Gejammer langweilen zu lassen!"

Frau Anna erhob sich von ihren Knieen, doch zitterte sie so heftig, daß Wilk sie in seinen Armen auffing, um sie zu stützen. Er sagte kein Wort mehr zu ihr. das wie ein Zureden oder eine Bitte klang, er zeigte ihr nur eine klein« Silbermünze den Erlös für die Ziege.

Wenn diese» Geld aufgezehrt ist, war dann ?" flüsterte er nahe an ihrem Ohre.

Frau Anna hob den Kopf empor und ein fast irres Lachest« zuckte um ihre Lippen.

Du denkst, wir haben kein Recht, Lieschen mit uni »erhungern zu lassen, wenn sie «S besser haben kann? O Josef, mein Herz zerspringt, ich kann nicht, ich kann nicht!"

(Fortsetzung fcflgt.)