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Untertürkheim, 3. Febr. Einen gefähr­licheren Eisgang hat unser Ort wohl noch nicht gehabt. Nachdem derselbe Sonntag Nachm, begonnen, haben sich die Eismassen seitdem in Zwischenpausen mehrmals, doch nur in der Dauer von einigen Min. vorwärts geschoben, so daß nun Nachm. 4'/, Uhr das ganze Neckarbett eine mannshohe Eis masse bildet, die etwa 100 Meter oberhalb unserer Neckarbrücke beginnt und oberhalb des Cannstatter Wasserhauses endigt. Das Eis steht beinahe so hoch als die Brücke. Seit gestem ergießt sich das Wasser über das links­seitige Gestade, und als heute Mittag um 13 Uhr das Eis wieder einen Ruck that, wurden durch den vermehrten Abfluß die größten Eisstücke mit auf die Gärten und Baumwiesen geschwemmt. Der Schaden ist groß.

Eßlingen, 31. Jan. Um Mitternacht setzte sich das Eis auf dem Neckar unter ziemlichem Ge­töse, aber ohne Schaden anzurichten, in Bewegung. Bei Altbach hat das Eis den Deizisauer Steg mit­genommen und auch die Fahrbrücke so stark beschädigt, daß der Verkehr gesperrt ist. Oberhalb der Mühle bei Obereßlingen gab es eine große Stockung, infolge deren die Eisschemel auf die Wiesen gedrängt wurden.

Eßlingen, 3. Febr. Wenn man die ge­frorenen Kartoffeln, Rüben, Angersen u. s. w., die es jetzt allerorts leider in nur zu großer Anzahl giebt, ohne alles weitere an das Vieh verfüttert, so entsteht aus dem ersten Schaden ein zweiter, bedeuten­derer. Das Vieh erkrankt und besonders die Milch­ergiebigkeit der Kühe wird durch solches Futter übel beeinflußt. Ein einfaches Mittel zur Hebung dieser Gefahr besteht darin, daß man die gefrorenen Pro­dukte einfach in kaltes Wasser wirft. Sie thauen, während sich äußerlich eine Eiskruste an sie ansetzt, vollständig auf. Nur müssen sie dann, da sie leicht in Fäulnis übergehen, rasch verfüttert werden, oder, weil größere Mengen doch noch schaden könnten, schlägt man sie ein, wie dies unsere Landleute mit den Biertrebern thun, d. h. man stampft sie in Standen oder Zuber und bedeckt sie mit einem Lehm­guß. Die Kartoffeln, welche nicht zu sehr von der Kälte gelitten haben, aber dochsüß" sind, werden wieder vollständig genießbar und schmackhaft, wenn man sie etwa 1430 Tage an einen dunklen warmen Platz legt. Auch die gefrorenen Aepfel können wieder genoffen werden, wenn sie in kaltem Wasser zum Auftauen gebracht werden. Da diese Mittel einfach und wohlfeil sind, wird mancher sie und zwar zu eigenem Nutzen anwenden.

Nord he im, OA. Brackenh., 31. Jan. Der Eisgang des Neckars hätte hier beinahe ein Menschen­leben gekostet. Auf einer größeren Eisscholle kamen mehrere Hausenten, welche schon in Lauffen bemerkt worden waren, den Neckar herab. Ein mitleidiger Mann wollte dieselben retten; er gelangte mit Hilfe einiger Bretter, welche er auf das noch feststehende Eis legte, in die Nähe der vorbeitreibenden Tierchen.

Eben wollte er dieselben erhaschen, als ihn der kräf­tige Zuruf eines Zuschauers zwang, schnell dem Ufer zuzustreben. Er hatte höchste Zeit, denn kaum setzte er den Fuß auf festes Land, als sich das festsitzende Eis in Bewegung setzte und unweit davon in einem Strudel in kleinere Stücke zermalmt wurde.

Sontheim, 31. Jan. Kurz vor dem Eis­gang hätte der Neckar beinahe noch ein Opfer ge­fordert. Drei Knaben, welche die Stärke der Eisdecke überschätzten und sich heute Morgen lustig auf der Eisfläche taumelten, brachen plötzlich ein. Auf ihr Geschrei eilten am Ufer beschäftigte Männer herbei, welchen es gelang, dieselben vor dem sicheren Tod des Ertrinkens zu retten.

Heilbronn, 1. Febr. Beim gestrigen Eis­gang wurde der Uferkrahnen der Zuckerfabrik um­geworfen. Unterhalb der Eisenbahnbrücke war, wie man dem St.Anz. berichtet, der Druck der anstürmenden Eisblöcke so gewaltig, daß das aus Balken und Eisen­stangen festgefügte Thor, welches den Winterhafen gegen den offenen Strom abschließt, eingedrückt und der Hafen zum größeren Teil mit Eis vollgepfropft wurde. Eine Reihe von Fahrzeugen erlitt hiedurch Beschädigungen, alle aber sind, da sie auf den Eis­trümmern liegen, auch jetzt noch in Gefahr zu zer­brechen. Das Eis steht auf beträchtlichem Umkreis um die Hafenmündung bis auf den Grund. Sogar 2 Kettendampfer, die wohl geborgen und bemannt am anveren Ende des Hafens liegen, wurden leicht be­schädigt. Die Zahl der jetzt noch gefährdeten und teilweise beschädigten Schiffe beträgt etwa 16.

Freudenstadt, 30. Jan. Mit welcher Gleichgiltigkeit von manchen Fuhrleuten deren Fuhr­werke geleitet werden, zeigt folgender, sich heute hier' zugetragener Unfall. Zwei hintereinander befestigte, mit Langholz schwer beladene Schlitten, auf denen der Fuhrmann saß, statt neben seinen Pferden zu laufen, gerieten auf der Bahnhofzufahrtsstraße bei dem Knabenschulgebäude infolge des Gefälls in raschen Lauf, was, da der Fuhrmann die Einlegung des Krätzers unterließ, zur Folge hatte, daß ein Schlitten brach, der Fuhrmann herabgeschleudert wurde und der andere Schlitten, auf dem nun die ganze Last ruhte, über ihn hinwegfuhr. Die Pferde rasten weiter, wo­von eines eine längere Strecke geschleift wurde, bis beide Pferde stürzten und das Fuhrwerk beim Gast- hof zum König Karl vollends zerschellte. Der Fuhr­mann, welcher zudem bloß einen Arm hat, ist schwer verletzt, ebenso haben die beiden Pferde starke Ver­letzungen erlitten.

Zwiefalten. Am Anfang dieser Woche gab Harfenvirtuos A. Sjöden in der hiesigen Pfleg­anstalt zwei Konzerte. Das erste war auch den Ein­wohnern von Zwiefalten und Umgegend zugänglich und vortreffliche Kräfte der hiesigen Einwohnerschaft wirkten dabei mit. Das Spiel des Künstlers fand Aller Bewunderung. Mit dem zweiten Konzert hat

Herr Sjöden den Kranken der Pfleganstalt in, un» eigennütziger Weise große Freude und Erquickung be-- reitet.

Kirchheim u. T., 30. Jan. Gestern wurde hier ein Stromer wegen Bettelns von der hiesigen Polizei verhaftet. Bei seiner Abführung folgten dem­selben einige Kinver, was ihn so erbitterte, daß er mit seinem Stock nach hinten ausschlug und einem Knaben eine nicht unbedeutende Kopfwunde beibrachte, so daß derselbe in ärztliche Behandlung genommen werden muß. Der Thäter ist ins Amtsgerichts­gefängnis eingeliefert und hat auf Antrag des Vaters eine Bestrafung wegen Körperverletzung zu gewärtigen. (Es empfiehlt sich, den Kindern in solchen Fällen das Nachspringen zu untersagen. D. R.)

Pflaumloch, 28. Jan. Der heutige Früh­zug StuttgartNördlingen, Personenzug 42, der um 8 Uhr 45 Minuten hier eintrifft, ist bei der Kreuzung, mit Güterzug 684 zusammengestoßen und da­durch der hinterste Wagen, der mit Vieh beladen war, entgleist. Dem Wagenwärter Schmidt aus- Stuttgart wurde der Unterschenkel abgedrückt, auch am Kopfe wurde er verletzt. Dr. Krem er von Bopfingen, den man telegraphisch berufen, hat den Verunglückten in Behandlung genommen. Von 14 Stück Vieh, die der entgleiste Wagen enthielt, mußten eine Kuh und ein Kalb vollends gelötet werden; das. übrige Vieh erlitt teils nur kleine Verletzungen.

Essen, 1. Febr. DieRhein.-Westf. Ztg." meldet: Heute früh fand auf der ZecheGeneral Blumenthal" bei Recklinghausen eine Explosion schlagen­der Wetter statt, durch die 17 Personen sofort ge­tötet und 18 verwundet wurden. Einer der letzteren ist bereits im Krankenhause gestorben.

Dresden, 1. Febr. Am gestrigen Spät­nachmittage fand eine von etwa 2000 Personen be­suchte Versammlung von Arbeitslosen statt, die polizeilich aufgelöst wurde, als einer der Redner für Diebstahl plaidierte, falls auf anderem Wege nicht, geholfen werde. Abends sammelten sich die Arbeits­losen auf dem Postplatze und dem Altmarkt und zogen unter dem Sang der Marsaillaise durch die innere Stadt. Die Gendarmerie zerstreute die Menge.

Aus Hamburg meldet das Wolff'sche Telegr.-Bureau: Die von dem WrackTekla" ge­retteten norwegischen Matrosen Ole Andersen aus Piasberg, Christian Hjalmar Jacobsen aus Christan- sund, Alexander Johanssen aus Fisker-Oekskilde sind in Cuxhaven wegen verübten Kanibalismus ver­haftet worden. (Dazu wird der Köln. Ztg. noch aus Cuxhaven gemeldet: Die Schiffbrüchigen des nor­wegischen Schiffes Tekla hatten 13 Tage hilflos und fast nahrungslos in Wrackmasten auf dem atlantischen Ozean getrieben und in den letzten 3 Tagen von dem Fleisch eines getöteten holländischen Matrosen gelebt,, den zwei Mal das Todeslos getroffen hatte.)

gute Frau, bis abends, bis Rudolf eingeschlafen ist und man die Kleine ohne Ge­fahr von ihm trennen kann?"

Frau Anna sah unschlüssig bald auf die Gräfin, bald auf Lieschen, die sich die Freundlichkeit des Knaben gar gern gefallen ließ, und ihre Augen füllten sich mit Thränen. Die Trennung von ihrem Liebling, wenn auch nur für Stunden, erschien ihr so hart. Aber sie sagte sich gleich darauf, daß sie der allzuegoistischen Empfindung nicht nachgeben dürfe und das kleine Opfer zur Beschwichtigung des kranken Knaben bringen müsse.

Nehmen Sie Lieschen nur mit, Frau Gräfin!" sprach sie so ruhig als eL ihr möglich war.Darf ich das Kind abends abholen vom Schlöffe?"

Ich bringe Ihnen die Kleine selber!' entgegnete die Gräfin.Sie müssen mir auch Ihre anderen Kinder zeige». Noch sieben! O, Sie reiche, glückliche Mutter. Und da da nehmen Sie auch Brot. Sie sollen heute abend noch mehr haben, und ihr Mann bekommt Arbeit. Adieu, gute Frau, Adieu!"

Damit winkte die Gräfin dem Kutscher, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Bald stand Frau Anna einsam auf der Landstraße. Langsam kehrte sie in ihre Hütte zurück. Dieselbe erschien ihr, trotz der vielen Kinder, die ihr entgegenliefen, und sich an sie hingen, heute so eigen, leer und öde. Die älteren fragten nach Lieschen, und Frau Anna konnte ihre Thränen nicht zurückhalten, als sie ihnen er­zählte. daß da» Schwesterchen mit der Gräfin in einem schönen Wagen fortgesahren sei, aber gewiß am Abend wiederkommen werde. Auch der kleinen Katharine versicherte sie das, al» sie aufwachte und die Mutter mit munteren, klaren Augen anschaute.

Ja, ja, Katharine! Unser herziges Lieschen kommt am Abend wieder zu uns heim."

4.

Lieschen hatte inzwischen auch einiges Heimweh gezeigt und mit zum Weinen verzogenem Mund nach der Mutter gerufen. Al» sie aber nur erst im Schloff» an­gekommen war und unter de« Spielzeug de» klemm Grafm und der »erstorbenen

Komtesse kramen durfte, welches man alles vor ihr ausgebreitet hatte, da klärte sich das allerliebste Gesichtchen auf, wie der Himmel nach einem leichten Aprilregen, und sie fing so lieblich zu lallen und zu schwätzen an, daß sich die Gräfin gar nicht satt an ihr sehen konnte und sie mit Rührunng und Zärtlichkeit immer wieder in die Arme schloß. Ihre Freude an dem kleinen Geschöpfe wurde noch durch Rudolfs heitere Laune vermehrt.

Der Knabe lachte und jauchzte mit Lieschen um die Wette. Voll unbeschreiblichen Entzückens sah das Mutterauge wieder eine leise Spur von Rot auf seinen Wangen und eine, der früheren Mattigkeit entgegengesetzte Frische und Lebhaftigkeit in seinen Bewegungen.

Wie schön vereinigt spielten die Kinder! ein Moment seliger Täuschung schlich, sich in daS Herz der Gräfin, als hätte sie wieder zwei Lieblinge und müßte nicht in namenloser Angst für den einen, den letzten, zittern. Wenn sie die Kleine, wenn Rudolf seine Spielgefährtin behalten dürfte? Wenn die arme Schuhmachersfrau, die ja noch sieben hungernde Kinder hatte, sich entschließen könnte, ihr Lieschen zu überloffen, an Stelle deS toten Malchens?

Dieser Gedanke beschäftigte die Gräfin immer lebhafter, er wurde zum innigen Wunsche zur heißm Sehnsucht. Sie teilte ihn endlich dem Grafen mit, der gegerr Abend von der Jagd zurückkam und erstaunt den fremden, kleinen Gast bei seinem Sohne fand.

Der Graf Hütte-seine Gemahlin mit ziemlich teilnahmsloser Miene an, dann sagte er auf Lieschen blickend, die ihm zur Bewunderung und Anerkennung ihrer angenehmen GesichtSzüge und feinen zierlichen Glieder, vorgehalten wurde:

Nun ja, da» Kind ist nicht übel, und wenn Rudolf Vergnügen an ihrer Gesellschaft findet und auch Du Freude an ihr hast, so mag sie im Hause bleiben."

Aber die Ettern?" fragte die Gräfin besorgt.Meinst Du, daß di« Eltem, willig sein werden? Besonder» die Mutter rin Kind zu verschenken, wahrlich, Arthur», ich wüßte nicht, wie ich da» Verlangen auch nm Vorbringen sollte."

(Fortsetzung folgt.)