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Berlin, 31. Jan. Die Militär- kornmission des Reichstags beriet heute die finan­zielle Seite der Vorlage. Die meisten Reden hoben hervor, die Kosten würden größer sein, als die Vor­lage annehme. Auf Antrag Richters (d.fr.) wird eine Subkommission von 7 Mitgliedern zur Erörterung der Kostensumme, die bei voller Durchführung des Gesetzentwurfs sich Herausstellen würde, eingesetzt und die Regierung um Vorlegung eines Finanzplanes für die nächsten 5 Jahre ersucht. Die Subkommission tritt am Freitag zusammen. Die nächste Sitzung der Militärkommission ist noch unbestimmt. Der Ein­druck der heutigen Beratung ist, daß die Entscheidung abermals verschleppt wird.

DasFranks. Journal" schreibt unterm 20. Januar: Die beiden letzten Verhandlungen der württembergischen Kammer der Abgeordneten vor deren Vertagung gestalteten sich infolge des Auf­tretens des Abgeordneten Haußmann aus Balingen äußerst erregt. Man kann zwar dem Abgeordneten das Recht nicht bestreiten, das Menschenmögliche zu thun, um die Kassierung der Wahl eines Gegners herbeizuführen, und ebensowenig kann geleugnet werden, daß von den Anhängern des Abg. Essich mehrfache Wahlbestechungsversuche gemacht worden sind, aber daß Wahlbestechungen wirklich vorgekommen seien, konnte in keinem Falle erwiesen werden. Dagegen war es unerhört, daß der Abgeordnete von Balingen seinen anwesenden Kollegen Essich höhnisch alseine Zierde des Hauses" bezeichnete und auf den Tadel des Präsidenten hin diese Aeußerung in einer noch beleidigenderen Form wieder zurücknahm. Herr Essich konnte gegenüber diesen Beschimpfungen zwei Wege beschreiten: entweder in der Kammer selbst auf die ihm zugefügte Beleidigung mit einer Antwort erwidern, die sich Herr Haußmann wahrscheinlich auch nicht an den Spiegel gesteckt hätte; (man braucht nur die drei Worte: Bernus, Veitstanz und Militärdienstbefreiung zu nennen, um allen Eingeweihten die nötigen An­deutungen in dieser Beziehung zu geben) oder aber Herr Essich konnte als Mann von Ehre und als Reserveoffizier privatim von dem Beleidiger Genug- thuung fordern; er hat letzteren Weg gewählt, und um nicht dem Verdacht anheimzufallen, daß er aus Feigheit sich schweigend beleidigen laste, hat er in der Kammer die Beschreitung des letzteren Weges bekannt gegeben. Herr Haußmann setzte aber auf die vorher­gegangene Beleidigung die noch weit größere der Be­zweiflung der Satisfaktionsfähigkeit des Abgeordneten Essich. Letzterer enthielt sich hierauf jeder Antwort. Dagegen traten zwei Offiziere a. D-, die Abgeordneten v. Wolfs und Freiherr v. Ellrichshausen, für die un­bedingte Satisfaktionsfähigkeit des Reserveoffiziers Essich ein. Was aus dieser Angelegenheit nun weiter sich entwickeln wird, muß abgewartet werden. Wenn es zu einem Duell zwischen den zwei Abgeordneten kommen sollte, so besteht darüber kein Zweifel, wer dasselbe notwendig gemacht hat. Zu einer persön­lichen Beschimpfung hat kein Abgeordneter ein Recht.

In Sachen Wahlbestechung hat übrigens die Volks­partei nichts weniger als ein reines Gewissen; wir erinnern nur an die Wahl des Abg. Brodbeck in Eßlingen. Derselbe Abg. Haußmann hatte auch Anspielungen über eine angeblich dem Staatsminister des Innern gewordene Remedur durch das gesamte Staatsministcrium in Sachen der Angelegenheit des Heilbronner Oberbürgermeisters gemacht. Die Ant­wort des Staatsministeriums des Innern, daß eine solche Remedur nicht erfolgt und daß er auch nicht der Mann sei, der eine solche Remedur ruhig hin­nehmen würde, weist darauf hin, daß der Minister nicht nur seiner Sache sicher ist und der erwarteten Erörterung über die Heilbronner Angelegenheit mit Ruhe entgegensieht, sondern auch, daß er sich noch recht fest im Sattel fühlt und des vollen Einverständ­nisses der Krone mit seinem ganzen dienstlichen und persönlichen Verhalten vollauf sicher ist. Man darf deshalb den heftigen Ansturm der Volkspartei und des linken Flügels der Deutschen Partei gegen den Minister heute schon als vergeblich bezeichnen.

Tayes-Ueuihkeiten.

-ß Calw. Am Sonntag, den 29. Januar, nachmittags von 4 Uhr an beging der ev. Männer­verein seine erste Jahresfeier durch eine außer­ordentlich zahlreich besuchte Familienzusammenkunft in der Dreiß'schen Bierbrauerei. Der Vorstand, Hr. Dekan Braun, gab in seiner eröffnenden Ansprache zunächst einen kurzen Rückblick auf das erste Vereins­jahr, die gehaltenen Vorträge, die Lesegesellschaft u. dergl. und wies darauf hin, wie schon im Namen des Vereins sein Programm angedeutet sei. Der Verein möchte dazu beitragen, daß die Fragen welche nament­lich auf sozialem Gebiet die Gegenwart bewegen, im Geiste des Evangeliums und in sachgemäßer Weise besprochen und einer friedlichen Lösung entgegen­geführt werden. Nach einem humorvollen, sinnigen Gedicht, mit welchem hierauf Herr Rektor a. D. Or. Müller den Männerverein begrüßt hatte, brachte Hr. Rektor I)r. Weizsäcker, die Mitglieder an ihre pat­riotischen Pflichten erinnernd, ein mit lautem Beifall aufgenommenes Hoch aus auf Seine Majestät den deutschen Kaiser. Im weiteren Verlauf des Abends wurden von Hrn. Hofprediger l)r. Braun aus Stutt­gart Mitteilungen über das dortige Vereinsleben ge­macht, und dem Verein vom neugegründeten Stutt­garter ev. Männerbund die herzlichsten Glückwünsche überbracht. Mit einem warmen, aufmunternden Wort machte Hr. Prof. Haug sodann den Schluß. Neben den mehrfachen gelungenen Vorträgen des Sänger­chors hat namentlich Herr Stadtpfarrer Pezold von Friedrichshafen durch mehrere Gesangsstücke, die er mit seiner prächtigen Baßstimme in vollendeter Weise zum Vortrag brachte, den Anwesenden einen hohen Genuß gewährt. Einige Mitglieder des Iüng - lingsvereins haben ein paar dramatische Scenen (Martin Luther als Junker Jörg im Bären zu Jena; Friedrich der Große und der Müller von Sanssouci)

aufgeführt und damit, wie mit einigen Deklamationen, viel Beifall gefunden. Außerdem wurde die Feier durch musikalische Leistungen auf Klavier und Piston in dankenswerter Weise freundlich belebt. Mit dem vollstimmigen Gesang des ChoralsNun danket alle Gott" schloß das erste Stiftungsfest de^ evangel. Männervereins.

Calw, 1. Febr. Von Nagold traf heute Nachmittag ein Telegramm ein, das großes Hoch­wasser mit Eisgang meldete. Die Nagold hatte zur Zeit auch hier eine beträchtliche Höhe erreicht und da die Waag über der oberen Mühle noch die un- gesprengte Eisdecke trug, so war eine Stauung mit bedeutenden Anschwellungen fast unausbleiblich. Heute nachmittag um '/-4 Uhr hatte die Strömung die Stärke erreicht um die mächtige Decke emporzuheben und gewaltige Wogen trugen die gesprengten Stücke, die mitunter eine Dicke von 50 om hatten, abwärts. Die Bischoffstraße wurde auf Stunde überschwemmt und die dortigen Schranken durch die Eismassen teil­weise weggerissen; auch die Stellfalle bei der oberen Mühle hatte den Eisschollen nicht mehr zu widerstehen vermocht. Schon am Mittag brachte die Nagold unter den Eismassen kleine Brückchen, Steege und Schranken rc. In einigen Häusern der Lederstraße drang das Wasser vorübergehend in die Hausflure.

Stuttgart, 31. Jan. Gestern beging die Redaktion des Schwäbischen Merkurs, dessen gesamtes Personal, Freunde der Familie Elben, die deutsche Partei rc. die Feier des 70. Geburtsfestes des lang­jährigen Chefs des Blattes, Hrn. Dr. Otto Elben. Um 9 Uhr begaben sich das Redaktionspersonal und Abordnungen sämtlicher Geschäftszweige zu dem Jubilar, welchem Redakteur Dr. W. Lang die Glückwünsche Aller aussprach, wofür der Gefeierte herzlich dankte. Um 10 Uhr brachte die Kapelle des 7. Jnf.-Regiments unter Leitung des Musikdirektors Prem in dankbarer Würdigung der Verdienste des Jubilars um die Musik ein Ständchen dar. Es begann mit Beethovens Hymne und enthielt ferner, der Verehrung Dr. Elbens für Franz Schubert entsprechend, Schuberts Rosa- munden-Ouverture,Sei mir gegrüßt" und Llarells militairö.

Tübingen. Auszug der Geschworenenliste des I. Quartals: Chr. Bätzner, Schuhm. in Wild­bad; I. G. Braun, Gemeindepflegerssohn in Liebelsberg; E. Gauß, Tuchfabrikant in Rohrdorf; Chr. Kottler, Mühlebes. in Unterjesingen; I. G. Oelschläger, Stiftungspfl. in Schömberg; F. Schmid, Kfm. in Nagold; L. Schütz, Fabrikant in Calw; L. Weiß, Gem.-Rat und Kaufmann irr Stammheim.

In Unterboihingen, OA. Nürtingen, hat am 27. d. Mts. morgens zwischen 6 und 7 Uhr der 22 Jahre alte ledige Fabrikarbeiter Johannes Hag­mann die 22 Jahre alte ledige Meßnerstochter Anna Echter in der Nähe ihres Wohnhauses durch einen Schuß in die Brust schwer verletzt. Hagmann hatte

Begegnung ihres Mannes mit dem Grafen, ihr beabsichtigtes Attentat auf dos Herz des Letzteren aufgegeben, aber noch blieb ja die Gräfin übrig, deren kleiner Sohn, nur eben der dringendsten Todesgefahr entrissen, noch immer in schwerem Siechtum dahinschmachtete. Die Gräfin mußte misten, wie Mutterschmerz und Mutterangst thutund die Gräfin wird helfen!" rief Frau Anna jubelnd Katharinen zu, als ob das unverständige, kleine Ding im Wickelkiffen sie hören und verstehen könnte.

Dann wandte sie sich an ihre älteste Tochter; ein etwa zwölfjähriges Mädchen.

Ich verloste mich auf Dich, Marie!" sagte sie freundlich.Du wirst auf Deine Geschwister achtgeben, daß die Buben kein Unheil anrichten und die Kleinen nicht zu Schaden kommen. Wenn Ihr Euch alle brav aufführt, sollt' Ihr heut Abend Zwiebelsuppe haben! Hört Ihr?"

Die Kinder, matt und traurig vom langen Hungern, machten doch einen Ver­such, der Mutter ihre Freude durch einige Sprünge zu erkennen zu geben. Marie trat ihr Mentoramt schon jetzt an, indem sie die Muntersten zur Ruhe wies.

Frau Anna wußte, daß die Gräfin um diese Stunde eine Spazierfahrt mit ihrem kranken Söhnchen zu machen pflegte; sie hatte also keine Zeit zu verlieren, wenn sich sich ihr auf der Straße nähern und ihre heißen Bitten für Gatten und Kinder Vorbringen wollte. Sie strich sich die Haare zurecht, band ihre Schürze ab, die ihr einziges verblichenes Kleid schützen sollte und wandte sich zum Gehen. Da fiel ihr Blick auf Lieschen, die spielend am Boden saß. Der Sonnenschein fiel durch das niedrige Fenster in einem schrägen Streifen gerade auf deö Kindes Haupt, tue blonden Haare blitzten und schimmerten wie Gold; das liebe, kleine Gesichtchen mit den blauen, glänzenden Augen, die noch nichts wußten von der Erde Leid und Not. hatte für das Mutterherz etwas unsagbar Rührendes und Anziehendes. Frau Anna meinte, der Anblick eines solchen unschuldigen, hülflosen Geschöpfes müsse ihren Bitten bei der Gräfin gar mächtig zu Hilf« zu kommen. Deshalb hob sie Lieschen auf den Arm. reinigte ihr dm rosigen Mund und nahm sie mit sich auf den an Ban gm und Hoff« reich« Weg.

Draußen^war es, nach einer langen und kühlen Regenzeit, die den Juli zum grämlichen Oktober gemacht hatte zum ersten Male wieder warm und trocken, und der Himmel sah förmlich frisch gewaschen aus m seinem s uchten, glänzenden Blau. Frau Anna hatte ihre Freude an Lieschens Entzücken über die lustigen Vögel, die sich auf den Baumzweigen der Lindenallee schaukelten, oder flüchtig über die Straße hinhuschten. Sie ging dem Wagen der Gräfin, der auf diesem Wege vom Schlöffe herabzukommen pflegte, weiter als sie beabsichtigt hatte, entgegen, bis ein breiter Meilenstein sie zum niedersitzen einlud. Aber da erhob sich auch schon eine leichte Staubwolke die das Nahen der Gräfin verkündigte und mit heftig pochendem Herzen stellte sich Frau Anna an den Rand der Straße, wo der Wagen hart an ihr vor­über mußte. Er fuhr recht langsam daher, das kranke Kind ertrug ja keine rasche Bewegung und auf diesen ihr bekannten Umstand hatte Frau Anna ihre Hoffnung gebaut. Bald konnte sie die bleichen Schmerzenszüge der Gräfin unterscheiden und auch den abgezehrten Knaben, der auf ihrem Schoße saß und das Köpfchen müde an ihre Brust lehnte. Frau Anna's Herz zog sich zusammen; o Gott, wenn sie eines ihrer eigen« Kinder in solchem Zustand hätte sehen wüsten! Und fast verlor sie dm Mut, die arme, schöne Mutter aus ihrer Schmerzversunkenheit empor zu rütteln. Doch die Not drängte; wenn sie jetzt nicht den günstigen Augenblick nützte, kehrte er vielleicht nie wieder zurück, denn die Schloßherrschaft wollte ja bald diese Gegend verlassen, wo sie so großen Verlust und Kummer erlitten hatte.

Mutig vorwärts also!" dachte Frau Anna und wunderte sich selbst, daß nach diesem heroischen Entschlüsse ihrO, ich bitte, Frau Gräfin," gar so bang und schüchtern herauskam.

Aber die bleiche Dame hatte die flehend an sie gerichteten Worte doch ver­nommen. Langsam hob sie ihre großen, dunklen Augen von den mageren Händen ihres Kindes und richtete sie mit einem fragenden Ausdruck auf Frau Anna, die. nun langsam näher trat und nach einem paffenden Anfang für ihre Bitte suchte.

(Fortsetzung folgt.)