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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
68. Jahrgang.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag. Die EinrückungSgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung 9 Pfg. die Heile, sonst 12 Pfg.
Donnerstag, den 2. Ikebruar 1893.
Abonnementspreis vierteljährlich in der Stadt SO P^g.^und
20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Mk. ganz Württemberg Mk. 1. 35.
Deutsches Reich.
Berlin, 28. Jan. Der Kaiser hatte den Predigttext für den gestrigen Gottesdienst in der Schloßkapelle selber ausgewählt. Es ist eine Stelle > aus dem Ev. Lucas, die sich wie ein Kommentar zur Militärvorlage ausnimmt. Der Text lautet: „Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahrt, so bleibet das Seine mit Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seinen Harnisch, worauf er sich verließ. Und teilet den Raub aus."
— Der „Reichs- und Preuß. Staatsanzeiger" veröffentlicht folgende Kundgebung des Kaisers: „Im Anschluß an die freudige Feier der Vermählung meiner geliebten Schwester, der Prinzessin Margarethe von Preußen hat sich mein diesjähriger Geburtstag durch die Anwesenheit vieler, meinem Herzen nahestehenden erlauchter Fürstlichkeiten zu einem besonders frohen Feste gestaltet. Die herrlichste Freude aber, welche mir aus Anlaß dieser festlichen Tage geworden, bilden die Kundgebungen der Treue und Anhänglichkeit meines Volkes, welche mir in den manchfaltigsten Formen und in ungewöhnlich großer Fülle aus allen Gauen des Reichs und auch von außerhalb wohnenden Deutschen zugegangen sind. Vor allem hat es meinem Herzen wohlgethan, so häufig dem Ausdruck einer opferbereiten Vaterlandsliebe und des Vertrauens in meine auf des Vaterlandes Sicherheit gerichteten Bestrebungen begegnet zu sein, wodurch meine Zuversicht bestärkt wird, daß diesen meinen Bemühungen unter Gottes gnädiger Führung der Erfolg nicht fehlen werde. Ich bezeuge daher gern auf diesem Wege Allen, welche meiner
an meinem Geburtstage so liebevoll gedacht haben, daß der Zweck ihrer Aufmerksamkeiten, meine Festesfreude zu erhöhen, in vollkommener Weise erreicht worden ist und ich mich zu wärmstem Danke verbunden fühle. Ich ersuche Sie, diesen Erlaß als zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. Berlin, den 30. Januar 1893. Wilhelm, I. L. An den Reichskanzler."
Berlin, 28. Jan. Der Kaiser sandte dem ehemaligen preußischen Justizminister Friedberg gestern zu dessen achtzigjährigem Geburtstage sein Bildnis mit eigenhändiger Unterschrift und dem Spruche: „Rsmo ms imxrms laesssit". („Niemand reizt mich ungestraft".)
Berlin, 30. Jan. Die Kreuzztg. meldet: Bei dem Galadiner am Samstag brachte der Kaiser einen Toast auf das Wohl des russischen Kaiserpaares, den Großfürsten-Thronfolger und die kaiserlich russische Familie aus, worauf der Thronfolger in deutscher Sprache mit einem Trinkspruch auf die Gesundheit der Majestäten und des königlichen Hauses erwiderte. — Der Zar sandte dem Kaiser für dessen Toast telegraphisch und brieflich seinen herzlichen Dank.
Berlin, 28. Jan. Der Reichstag setzte die Budgetberatung beim Etat des Reichsamts des Innern fort. Gegenüber einer Anregung des Abg. Goldschmidt (freisinnig) erklärte Staatssekretär v. Bötticher: Ein Generalbericht über die Weltausstellung in Chicago sei nicht in Aussicht genommen; Einzelberichte sollen aber noch während der Ausstellung erscheinen. Jungen Handwerkern werde man den Besuch der Ausstellung erleichtern. Der Reichskommissar für die Weltausstellung fordere weitere
Geldmittel, damit Deutschland, namentlich in dekorativer Hinsicht, nicht hinter anderen Staaten Europas zurückbleibe. Lieber (Zentrum) erklärte sich zu der Bewilligung weiterer Mittel bereit. Hirsch (freisinnig) wünschte; daß auch Arbeitern der Besuch der Ausstellung ermöglicht werde; Staatssekretär ».Bötticher erwiderte hierauf, dies sei Sache der Einzelgruppen und der Einzelstaaten; eine Zentralisation dieser Bestrebungen von Reichswegen empfehle sich nicht. Dsx Berliner Weltausstellung sei die Reichsregierung vollkommen unparteiisch gegenüber gestanden. Daß keine Berliner Ausstellung zu Stande gekommen, habe an der ablehnenden Haltung der Industrie gelegen. Möller (nat.-lib.) bestätigte, daß die Großindustrie wenig Neigung zeigte, sich an der Berliner Ausstellung zu beteiligen. Die Nichtbeteiligung an der Pariser Ausstellung habe aber der deutschen Industrie sehr geschadet. Bamberg er (freisinnnig) erklärt« sich für seine Person als einen Gegner der Berliner Ausstellung, ebenso Speiser, welch letzterer seine Ansicht damit motiviert, daß die Aussteller noch nie einen Nutzen dadurch gehabt hätten und die Fortschritte der Industrie auf einer Ausstellung nie zum Vorschein kommen. Jeder Fabrikant bestimmter Spezialitäten hüte sich wohlweislich, dieselben jedermanns Auge offen auszulegen, da die Folge davon sei, daß ihm die Artikel sofort nachgemacht werden.
— Die Kommission des Reichstags zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher hat zum Vorsitzenden den Abgeordneten v. Dziembowski, zu seinem Stellvertreter den Abgeordneten Graf v. Holstein, zu Schriftführern die Abgeordneten Frhr. v. Gültlingen und Stadthagen gewählt.
IseuitLet on.
Die Adoptivtochter.
Erzählung von K. Labacher.
(Fortsetzung.)
„Es ist unglaublich, welchen Kindersegen das Bettelvolk aufzuweisen hat," sagte der Graf spöttisch zum Verwalter. „Je ärmer die Leute, uin so mehr Kinder."
Darauf wandte er sich zu Will, zog eine Silbermünze aus der Tasche und warf sie ihm vor die Füße.
„Da!" sagte er, »damit Ihr nicht umsonst vor mir gewinselt habt. Aber jetzt marsch, fort."
Will nahm die Münze nicht, er trat einen Schritt näher zum Grafen.
„Nicht gebettelt habe ich, Herr Graf!" sagte er dringend. „Arbeit habe ich «erlangt, damit ich meine Kinder redlich ernähren kann. O geben Sie mir Arbeit, -ern will ich sie verrichten. Oder geben Sie mir die Gemeindedienerstelle, die gerade unbesetzt ist! Ich kann rechnen und schreiben, wie keiner mehr im Dorf, das bin ich sicher."
Der Graf wendete sich mit einem gelangweilten Gesichte ab.
„Das geht mich alles nichts an, darüber hat mein Verwalter zu entscheiden," sagte er. „DaS fehlte mir, daß ich jeden Taglöhner selbst anstellen sollte, zuletzt läme daS ganze Gesindel auf meiner Herrschaft zu mir um Arbeit gelaufen. Wenn Euch der Verwalter zu schwach findet für die Arbeit, die er zu vergeben hat, dann müßt Ihr schon zufrieden sein. Da, laßt Euer Geld nicht liegen, da« reicht wohl auf eine Mahlzeit für Eure Kinderkolonie. Und jetzt basta! Marsch, fort, sag' ich."
„Sie wollen mir wirklich keine Arbeit geben, Herr Verwalter?" erwiderte Wilk bittend, als sich der Graf unter dm kriechenden Bücklingen seiner Untergebenen wieder nach der Treppe zu entfernt hatte. Der Verwalter grinste dm Schuhmacher höhnisch an.
„Ihr könnet da stehen, bis Euch der Herr Graf mit den Hunden forthetzen läßt," sagte dieser. „Von mir erreicht Ihr nichts, ich habe keine Arbeit für'einen schwindsüchtigen Schuhmacher."
Wilk sah mit einem Blicke unaussprechlich schmerzlicher Anklage zum Himmel hinauf und wandte sich dem Schloßthore zu.
„Da, nehmt Euer Geld mit!" rief der Verwalter nach. „Es gehört Euch, ich will nichts damit zu schaffen haben."
Mannesstolz und väterliche Liebe kämpften in der Brust des armen Wilk — und die Liebe siegte. Langsam bückte er sich und nahm das blinkende Silberstück auf. Nicht eine, sondern viele Mahlzeiten gab der harte Thaler für seine hungernden Kinder. Und vielleicht — vielleicht half Gott dann weiter.
3.
In wahren Apothekergaben verabreichte Frau Anna ihren Kindern das Brot, welches Josef Wilk für den schmerzlich erworbenen Thaler gekauft hatte. Und doch ging es nur zu bald zu Ende; es waren nur vier schmächtige Laibe gewesen, denn die Preise der Lebensmittel erreichten mit jedem Tage eine unerschwingliche Höhe. Einiges nicht ganz unentbehrliches Hausgeräte hatte der Schuhmacher auch schon dm wellen Weg in die Stadt hineingetragen und so wenig Geld dafür heimgebracht, daß es kaum eine Woche den Hunger der Familie stillte. Nun mußte die Ziege daran. Mit weinenden Augen gab Frau Anna ihre Zustimmung zu dem Verkauf« der langjährigen Hausgenossin, der Ernährerin ihrer kleinen Katharine. Doch setzt« sie es bei ihrem Manne durch, daß er sich nur in der nächsten Umgebung nach einem Käufer für die Ziege umsehen wollte, damit man fie zurückerwerben könnte, wenn etwa später wieder bessere Zellen kämen.
Josef machte sich also auf den Weg, um die alle, meckernde „Trine" in Brot für seine Kinder zu verwandeln. Frau Anna konnte noch gar lange ihre Thräne» nicht stillen, die auf das Wickelkiffen der kleinen Katharine hinabrieseltm. Plötzlich aber durchzuckte eS ihrm Kopf wie ein rettender Gedanke. Wohl hatte sie, seit der