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nur auf Post und Eisenbahnen als Gegenwert gegründet sei, so werde das Borgsystem ein Ende mit Schrecken nehmen. Richter (d.fr.) hebt hervor, die Möglich­keit des Kriegs sei seit Jahresfrist nicht gewachsen. Die Generation nach 1870 habe 12 Milliarden für das Heer ausgegeben. Redner rühmt die Verdienste der Landwehr. Wenn der Reichskanzler die Familien­väter für ein verdächtiges Element halte, so sollte er auch den Offizieren und Unteroffizieren das Heiraten verbieten. Die heutige Armee übertreffe die kühnsten Träume Scharnhosts. Richter schließt, seine Partei werde die Militärvorlage von dem Gesichtspunkt prüfen, daß eine Schwächung der Kapitalkraft des Landes verhindert werden müsse. Caprivi erklärt, er sei vor Jahresfrist wie heute überzeugt gewesen, daß die Wehrkraft nicht ausreiche. Er rufe gegen Richter den Reichstag zum Zeugen an, daß er in seiner letzten Rede die Bundesgenossenschaft Italiens nicht herabgewürdigt habe (lebhafter Beifall). Die Freisinnigen haben seit 1860 alle Militärforderungen abgelehnt; daß die älteren Leute herangezogen werden, während 60000 junge kriegsdiensttaugliche nicht her- angezogcn werden, sei militärisch, wirtschaftlich und finanziell falsch. Die Militärvorlage stimme mit dem Programm der Fortschrittspartei von 1878 überein.

Berlin, 4. Dez. Die Konservative Korre­spondenz veröffentlicht den Programmentwurf der Konservativen. Derselbe enthält die Grund­lagen des alten Programms; neu sind u. a. folgende Forderungen: Bekämpfung des vielfach sich vor­drängenden und zersetzenden jüdischen Einflusses auf unser Volksleben unter Verwerfung der Ausschreitungen des Antisemitismus, maßvolle Fortführung einer zielbewußten Kolonialpolitik, Vereinfachung der Un- fallversicherungs-, der Alters- und Jnvaliditäts- und Krankenkassengesetze, Einschreiten der Staatsgewalt gegen jede gemeinschädliche Gewerbthätigkeit, Heim- stätten-Gesetzgebung, Aufrechterhaltung des Zollschutzes für Landwirtschaft und Industrie, Stellung der Börsengeschäfte unter eine wirksame staatliche Aufsicht, Bekämpfung der Sozialdemokratie und des Anarchis­mus mit den Machtmitteln der Staatsgewalt. Die Kreuzzeitung veröffentlicht Gegenvorschläge zur Militärvorlage. Unter Beibehaltung der drei­jährigen Dienstzeit könne mit 12 bis 14 Millionen Mark jährlich die Armee ausgebaut und verjüngt werden, die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke be­trage in diesem Falle etwa 26,000 Mann, die des Rekrutenkontingents 11,000 Mann.

Berlin, 30. Nov. Der neu ernannte Bot­schafter für Rußland, General von Werder, wird seine Stellung in St. Petersburg erst zum griechischen Neujahr antreten.

Tilges-Ueuigkeiten.

Stuttgart, 29. Nov. Landgericht. Wegen Jagdvergehens stand heute vor der Straf­

kammer II der 38 Jahre alte Friedrich Mast von Bondorf, OA. Herrenberg, seither unbestraft. Derselbe war in früherer Zeit Jagdpächter in Münsingen, trat aber im Spätjahr als Dienstknecht bei Adlerwirt Wolf in Weilderstadt ein und verlegte sich an den Sonntagen, alter Liebhaberei zur Jagd frönend, aufs Wildern. Er gab zu, in den letzten drei Monaten, also teilweise noch während der Schonzeit, insgesamt

5 Hasen auf Weilderstädter Markung erlegt und das Stück um 1'/- bis 2 verkauft zu haben. Die Strafe wegen gewerbsmäßigen unberechtigten Jagens lautete auf 4 Monate Gefängnis und Einziehung des benützten Gewehrs.

Pfrondorf. Letzten Samstag hatten die Pächter der hies. Gemeindejagd das Vergnügen, ein Prachtexemplar eines nordischen Vogels (Polartaucher) zu Schuß zu bringen. Der Taucher war gut so stark als eine Wildente und tummelte sich mit noch einigen Reisegefährten seinesgleichen an der Nagold.

Marbach, 29. Nov. Daß man auch nach langer, langer Zeit noch an den Folgen einer im Kriege erhaltenen Verletzung sterben kann, das be­weist der heute erfolgte Tod-des hiesigen Gemeinde­rats und Lederhändlers Aug. Müller. Derselbe erhielt am 24. Juli 1866 bei Tauberbischofsheim einen Schuß in den Unterleib, an dessen Folgen er all' die Jahre hindurch zu leiden hatte, ohne daß es der ärztlichen Kunst gelungen wäre, ihm dauernde Linderung zu verschaffen.

Heilbronn, 29. Nov. Gestern abend um

6 Uhr wurden die Abonnenten des elektrischen Lichts unangenehm überrascht durch dessen plötzliches Er­löschen. Veranlassung war das Schmelzen eines Sicherheitsdrahts in Lausten und die hieraus ent­standene Unterbrechung eines Teils der Verbindung. Nach Verlauf einer halben Stunde war dem Schaden abgeholfen und die Beleuchtung wieder hergestellt.

Heilbronn, 30. Nov. In unserer interi­mistischen Stadtverwaltung steht eine Aenderung bevor. Kommerzienrat und Gemeinderat. Haug, welcher seit der Suspendierung des Oberbürgermeisters Hegelmaier die stadtschultheißenamtlichen Geschäfte geführt hat, beabsichtigt, wegen Geschäftsüberlastung dieses Amt niederzulegen, und hat hievon bereits das K. Oberamt und die bürgerlichen Kollegien benach­richtigt. Seit der Suspendierung des Oberbürger­meisters Heoelmaisr sind beinahe 10 Monate ver­flossen, und man kann es Herrn Haug, welcher als Inhaber einer großen Fabrik und Vorstand der Handels- und Gewerbekammer sehr in Anspruch ge­nommen ist, nicht verargen, wenn er die Geschäfte nicht mehr weiter führen zu wollen erklärt.

Vaihingen a. E., 29. Novbr. Aus Unvor­sichtigkeit verunglückte gestern Abend der hier beschäf­tigte Aug. Scheytt. Derselbe drückte im Glauben, daß er nicht geladen sei, einen Revolver los und ver­

wundete sich an der linken Hand. Dir Kugel wurde heute morgen durch den Arzt aus der Hand heraus­geschnitten.

Bietigheim 1. Dez. Die Gefahren der Trunk­sucht und die Rettungsarbeiten an den Trinkern hatte Pfarrer Bovet aus der Schweiz zum Gegenstand eines ansprechenden Vortrags iw Lokale des Jünglingsver­eins gewählt. Redner schilderte mit ernsten Worten die Gefahren des Wirtshauslebens, wie dadurch der Hausvater der Familie beraubt und der Friede ge­stört wurde. Als Rettungsmittel empfahl Redner die Gründung von Mäßigkeitsvereinen. In der Schweiz befänden sich bereits 200 Vereine mit 6200 Mitgliedern, und durch sie seien schon viele Trunken­bolde gerettet worden. Dem Redner wurde für seine- Ausführungen warmer Dank zu Teil.

Barten st ein, OA. Gerabronn, 29. Novbr.. Bei der gestern von dem Fürsten Johannes zu Hohen­lohe-Bartenstein abgehaltenen Feldjagd, zu welcher als- Gäste S. K. H. Herzog Albrecht von Württemberg, Fürst Albert zu Hohenlohe-Jagstfeld, Erbprinz Ernst zu Hohenlohe-Langenburg u. a. hohe Herren erschienen waren, wurden 717 Hasen, 3 Feldhühner und 2> Wiesel zur Strecke gebracht.

Hall, 30. Nov. In Untersontheim­brannte in vergangener Nacht ein großes, von zwei- Familien bewohntes Bauernhaus nieder. Das Vieh- konnte gerettet werden, ebenso die nebenstehende Scheuer.

Giengen a. B., 29. Nov. Dieser Tage wurde von Herbrechtingen berichtet, daß der dortige Jagdpächter Langenbucher das Glück gehabt habe, einen sog. Seetaucher (Mövenart, die sich nur selten- zu uns verirrt) zu erlegen. Mehr begünstigt vom Glück waren gestern die hiesigen 4 Fischer, denen es nach zweistündiger, mühevoller Arbeit gelang, in der Brenz in der Nähe des Bühlbergs ein prächtiges Exemplar obengenannter Art in der Größe einer jungen Gans lebendig'im Garne zu fangen. Durch das Werfen von Erdschollen u. s. w. in das Wasser wurde der Vogel verhindert, sich in die Luft zu schwingen, und sah sich infolge dessen genötigt, immer wieder unterzutauchen, bis er sich endlich im Netze verfing. Er ist in den Besitz des I)r. Piesbergen hier übergegangen.

Heidenheim, 28. Nov. Am 20. d. M. hatte der Bienenzüchterverein im Gasthaus z. Pflug, hier eine Hauptversammlung. Der Vereinsvorstand, Pfarrer Cleß von Herbrechtingen, erstattete Bericht: über die in der Landesversammlung zu Ludwigsburg festgesetzten neuen Satzungen des Landesvereins württ. Bienenzüchter, und Schullehrer Gäßler von Ochsen­berg hielt einen lehrreichen, eingehenden Vortrag über Wert, Zeit und Ort der Bienenfütterung. Als beste Nahrungsmittel für Bienen wurden allgemein Honig, Zucker und Mehl bezeichnet; der Fruchtzucker tauge

Thue das Mutter; es würde mich herzlich freuen, wenn du ein gutes Werk damit zu stiften im stände wärest/ sagte der junge Mann lebhaft, und die Dame fuhr angeregt fort:

Uebrigens könnte wirklich eine kurstgeübte Hand unseren Lampen samt und sonders nicht schaden, da der alte, schwachköpsige Jim sein Geschäft zuweilen arg vernachlässigt. Fast täglich habe ich Klage über ihn zu führen wohlan, ich schreibe, Anthony."

Als der junge Handelsherr Mr. Anthony E. Clark gegen die eiste Vormit- tagsstunde nach seiner in der unteren Stadt gelegenen Office fuhr, hatte er selbst dm Brief der Stiefmutter zur Beförderung in der Tasche. Als dies geschehen, war aber bei ihm auch Annonce und das darauf bezügliche Gespräch vergessen.

Der nächste Morgen führte den jungen Mann indessen nach der in einem Seitenflügel seines großen Hauses gelegenen Bibliothek, um ein für sein Geschäft wichtiges Werk daraus zu entnehmen. BeinNTurchschreiten eines in den Garten mündendm Zimmers, welches von seiner Stiefmutter zur Aufbewahrung des häus­lichen Wäscheschatzes benutz wurde und mächtige Schränke und Truhen aufwies, stutzte Mr. Anthony überrascht. Tort an einem großen Tische am Fenster, auf welchem eine förmliche Batterie Lampen ausgestellt war, stand ein hochgewachsenes Mädchen und schien in ihre prosaische Beschäftigung so vertieft zu sein, daß sie den Eintritt des jungen Mannes gar nicht wahrgenommen hatte.

Wohl drei Minuten betrachtete dieser das trotz seiner Originalität höchst an­mutige Bild. Durch die halb zugezogene Gardine fiel ein Strahl der goldigen Morgmsonne gerade über den dunkeln Scheitel des feinen, etwas vorgebeugten Kopfes und ließ ein wahres holdseliges Profil erblicken, das gegen den Hellen Hintergrund wir gemeißelt erfekier. Die ebenmäßige Figur zeigte auffallend schöne Formen, wie auch der Schnitt des Kleides unleugbare Eleganz bewies. Anthony Clark zögerte noch immer weiterzuschreiten, weil er darauf wartete, daß die junge Unbekannte vielleicht einmal die tief auf die Arbeit gesenkten Augen heben würde, aber vergebens. Nun trafen seine prüfende Blicke an die rührigen Finger wie sonderlar! Ein Paar waschlederne Handschuh» bedeckten dieselben bis zum Gelenk,

hieran schlossen sich eine Art Schutzärmel aus grauem Futterstoff, die bis über den Ellenbogen hinaufreichten; ein kleines, weißes Schürzchen vervollkommnete diese seltsame Toilette.

Das war die junge Dame aus guter Familie, welche ihr Brot zu erwerben genötigt war? Er hotte mit seinen Vermutungen demnach doch recht gehabt.Eine Dame, hm!" Im Augenblick dachte er gar nicht mehr an seine Absicht, jenes Buch zu holen, sondern beschäftigte sich mit dem Gedanken, daß diese Bezeichnung hier in der That höchst gerechtfertigt erschien, wobei ein merkwürdiges Gefühl, halb Be­friedigung, halb Freude sein Inneres bewegte:Wie glücklich mochte das arme Mädchen sein, etwas Beschäftigung und hoffentlich auch recht lohnende gefun­den zu haben!"

Gleichsam instinktiv, als ob es die Nähe eines Fremden ahne, schlug das schöne Mädchen jetzt die Augen empor und trat, merklich erschrocken, zurück, während ein verräterisches Rot sich über Antlitz und Hals ergoß. Mr. Anthony Clark wußte nichts anders zu thun, als leicht zu grüßen und rasch nach der Bibliothek hinüber­zuschreiten, von wo aus er dann seinen Rückweg durch einen andern Teil des HauseS nahm.-

Etwa vier Wochen mochten vergangen sein, während welcher die junge Fremde alltäglich um die zehnte Morgenstunde bei Mrs. Clark erschien, um sämtliche im Haushalt gebrauchten Lampen in Ordnung und Stand zu setzen. Nach Vereinbarung wurde ihr regelmäßig durch die Lady selbst ein Dollar für ihre Arbeit verabreicht den sie auch mit ruhiger Würde, man hätte fast sagen können, mit vornehmer Her­ablassung entgegennahm, als ob sie selbst dem Hause einen großen Dienst g«leistet hätte und nicht die Empfängerin eines unverhältnismäßig hohen Arbeitslohnes sei. Mrs. Clark, eine obwohl stolze, doch zugleich äußerst gutherzige Frau, hatte das junge Mädchen, dessen schönes Antlitz sie oft nachdenklich musterte, gelegentlich auch einmal gefragt, ob es auf die imHerold" erlassene Annonce noch mehr Arbeit und Verdienst erhalten habe, worauf ihr die in kühlem Tone gegebene Antwort, wurde, daß sie bereits fünfzehn der feinsten Familien Newyorks zu ihren Kunden, zähl« und mit der Zeit noch bekannter zu werden hoff«.