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in Beziehung auf die Ausübung ihres Berufs. Die kgl. Forstdirektion hat als Vorgesetzte Behörde Strafantrag gestellt. Staatsanwalt Dr. Cleß vertrat die Anklage, Rechtsanwalt Schickler führte die Verteidigung. Redakteur Schmidt will die Einsendung von einer ihm als zuverlässig bekannten Quelle erhalten haben, nennt den Verfasser aber nicht und übernimmt somit die persönliche Verantwortung für den Artikel. Er versuchte den Beweis der Wahrheit für die mitgeteilten Behauptungen anzutreten, was ihm jedoch nicht gelang. Der Staatsanwalt beantragte, da Geldstrafen hier ganz wirkungslos und die Beleidigungen sehr schwere seien, eine Gefängnisstrafe von 3 Wochen. Das Gericht erkannte auf 2 Wochen Gefängnis, sowie Tragung sämmtlicher Kosten, Vernichtung der Nr. 3 des Beobachters von 1892 und Veröffentlichung des Urteils im »Beobachter" und „Staatsanzeiger für Württemberg."
Stutrgart. Die Ausstellung der Hartgußsärge (Tachyphage) im Mittelbau der Legionskaserne, welche unentgeltlich besichtigt werden kann, hat auch außerhalb der Residenz lebhaftes Interesse erweckt; von allen Seiten kommen Personen, welche der neuen Erfindung ihre volle Aufmerksamkeit widmen. Voraussichtlich wird die Ausstellung morgen zum letztenmal besichtigt werden können.
Cannstatt, 2. Juli. Heute vormittag hat ein verheirateter, 40 Jahre alter, an periodischer Geistesstörung leidender Schuhmacher Dorn hier seinem Jahre alten Kinde mit den: Tischmesser denHals abgeschnitten. Der Mann wurde zuletzt im März und April d. I. wegen Geistesstörung im Bezirkskrankenhaus untergebracht. Die Frau war während der Thal in der Fabrik.
— Dem „N. Tagbl." schreibt man aus Großbottwar, 28. Juni: Unter die der Landwirtschaft sehr schädlichen Tiere gehört unter vielen anderen namentlich auch die Maulwurfsgrille, auch Erdkrebs, Reitwurm, Werre genannt. Sie liebt vorzüglich einen lockeren Boden und macht sich darin wie der Maulwurf förmliche Gänge. Obgleich sie auch Insekten verfolgt, so besteht doch ihre Hauptnahrung in Pflanzenwurzeln, und dadurch wird sie für Aecker, Wiesen und Gärten ein äußerst schädliches Tier. Heuer tritt nun diese Werre wieder in einer solchen Masse auf, daß sie bei den Hackfrüchten Kartoffel- und Rübenfeldern ebenso auch in den mit Haber, Sommerweizen und Gerste angepflanzten Aeckern sehr großen Schaden anrichtet. Man trifft im Sommerfelde ganze Nester, wo die Halme im Verdorren sind, weil diese keine Wurzeln mehr haben, da die Werren in diesen Aeckern ihr verheerendes Geschäft treiben. Sie kommen zeitweise auch auf die Oberfläche, und werden oft auf einem Acker in einem Nachmittag 40—50 Stück getötet. Im gemeinen Sprichwort heißt es: Wenn eine Werre über die Straße laufe, so soll ein Weinwagen halten, um dieselbe zu töten. Neben dem Maulwurf, welcher der größte Feind der Maulwurfsgrille ist, ist es insbesondere Aufgabe des Landwirts die Nester dieses verderblichen Tieres auf
zusuchen, was mit Leichtigkeit geschehen kann, um die Eier zu zerstören.
Geislingen, 30. Juni. In Böhmenkirch brach gestern abend nach 10 Uhr ein Brand aus, wobei zwei Bauernhäuser und eine Scheuer eingeäschert wurden. Gerettet konnte nur das Vieh werden; die bedeutende Fahrnis wurde ein Raub der Flammen. Die Abgebrannten sind zwar versichert, aber nicht hoch. Ueber die Entstehung des Brandes verlautet bis jetzt nichts Näheres.
Ulm, 1. Juni. Vor einigen Tagen mietete sich ein junger Mann unter dem Namen eines Rechtspraktikanten Georg v. Einsiedel bei einer hiesigen Familie ein. Gestern vormittag befragte er letztere, ob solche nachmittags wegen der Königsfestlichkeiten ausgehe, und als seine Frage bejaht wurde, richtete er sich zur Ausführung seines geplanten Gaunerstückchens ein. Er ging in einen Uhrenladen, ließ sich mehrere Uhren zur Auswahl vorlegen, konnte aber nicht schlüssig werden, weshalb er bat, man möge ihm 3—4 Uhren zur Auswahl in seine Behausung schicken, damit die Dame, für die solche bestellt sei, sich diese selbst auswählen könne. Die betreffende Person, welche die Uhren bringe, könne die nicht gewählten sofort wieder mitnehmen. Als der Sohn des betreffenden Uhrmachers in der Wohnung des Gauners erschien, rief dieser wiederholt nach seiner ausgegangenen Wirtin, und als solche selbstverständlich nicht erschien, gab er an, in deren Zimmer Nachsehen zu wollen. Im Vorplatz setzte er aber seinen dort befindlichen Hut auf und entfernte sich eilends, nachdem er den jungen Mann eingeschlossen hatte. Bis dieser auf sein Geschrei hin wieder befreit war, war der Betrüger mit den Uhren verschwunden; es gelang aber der sofort in Kenntnis gesetzten Polizei, solchen später in einer Bühne eines Hauses in der Karlsstraße, in welcher er sich versteckt hatte, festzunehmen. Er will nunmehr Burton heißen und ein Amerikaner sein. Auch eine hiesige Buchhandlung hat der Schwindler gestern um 7 ^ 50 betrogen.
Ehingen, 28. Juni. Schasmarkt. Der heutige Markt war mit 3 800 Stück befahren. Verkauft wurden nur ca. 1000 Stück. Bezahlt wurde für das Paar Hammel 45—58 für Göltschafe 40—48
Die große Flauheit im Marktverkehr rührt in der Hauptsache her von dem in Frankreich auf Schaffleisch gelegten hohen Zoll. Die Ausfuhr von Hämmeln nach Frankreich ist hiedurch vollständig unmöglich gemacht. In den Kreisen der Schäfereibesitzer herrscht große Mißstimmung.
Gerabronn, 29. Juni. Heute vormittag 11'/- Uhr traf, von Sr. Durch!, dem Fürsten Hermann zu Hohenlohe-Langenburg, Oberamtmann Ott, Baron v. Röder und Domänenrat Mutschler auf dem Bahnhof zu Blaufelden empfangen, Se. Exzellenz der Herr Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Miitnacht in Begleitung des Ministerialdirektors von Balz hier ein. Hauptzweck des Besuches Sr. Exzellenz in unserer
Gegend war die Besichtigung der längst projektierten Eisenbahnlinie Blaufelden—Gerabronn—Langenburg. Nach längerem Aufenthalt in der Hohenlohe'schen Präservenfabrik und der Molkerei, welche sich in vollem Betrieb zeigten, erfolgtedie Weiterfahrt nach Langenburg.
Frankfurt a. M., 1. Juli. Heute Vormittag wurde ein Lehrling des Bankgeschäfts von Gebrüder Wolfs am Salzhaus auf der Treppe des Bankhauses von zwei Männern überfallen, die augenscheinlich wußten, daß der Lehrling soeben auf der hiesigen Reichsbankhauptstelle einen Chek von angeblich 150000 ^ einkassiert hatte. Die Räuber entflohen mit dem Gelde, doch wurde einer festgenommen und die geraubte Summe vorgefunden. Ueber den Raubanfall berichtet die Fr. Ztg. folgendes Nähere: Ein äußerst dreister Naubanfall wurde am Hellen Tage in dem lebhaftesten Teil unserer Stadt verübt. Der Lehrling Müller der Speditions- und Versicherungsfirma Gebrüder Wolfs, die ihre Bureaux in dem Engelhardtschen Hause „Am Salzhaus" Nr. 3 hat, kassierte morgens kurz nach 9 Uhr auf der Reichsbank einen Betrag von 224,000 ^ in Banknoten ein. Auf dem Korridor im ersten Stock des Geschäftshauses seiner Firma angekommen, erhielt er plötzlich hinterrücks einen Schlag in den Nacken und kam zu Fall. Gleichzeitig wurde ihm die Geldmappe abgenommen. Auf sein durchdringendes Hilfegeschrei eilten die Herren Kassier Cronberg, Prokurist Hägele und R. Wolfs von den Wölfischen Bureaux, sowie andere Hausbewohner herbei. Der Räuber, der mit gespanntem Revolver seinen Verfolgern drohte, auch mehrere Schüsse, die glücklicherweise fehlgingen, abgab, wurde schließlich in der Kaiserstraße eingeholt und von einem Schutzmann festgenommen. Seinen Namen giebt er mit Wards an; er will aus Sydney in Australien kommen und kein Deutsch verstehen. Das Geld ist vollständig wieder zur Stelle geschafft worden, 157,000 hatte der Räuber bereits in seinen Taschen untergebracht, 67,000 ^ befanden sich noch in der Geldmappe. Ein Mitschuldiger des Räubers, der an der Treppe Wache stand, ist glücklich über den Hirschgraben entkommen. Dem festgenommenen Gauner wurden zwei Gepäckscheine abgenommen, nach denen er erst am Freitag morgen das Gepäck auf dem Hauptbahnhof abgegeben hat. Man nimmt an, daß die beiden Individuen sich auf die Reichsbank begeben hatten, speziell zu dem Zweck, dort einen Gelegenheitscoup auszukundschaften. Sie sind dem Lehrling dann nachgegangen, um ihn direkt vor der Thüre seiner Firma zu überfallen. Die Verletzungen des Lehrlings sind unbedeutend.
Christiansund, 2. Juli. Nach 13stündiger Fahrt bei schönstem Wetter und bewegter See liefen die Jacht Kaiseradler uud das Panzerfahrzeug Siegfried, von Gotenburg kommend, gestern abend 9 Uhr in Christiansund an; der Kaiser begab sich mit seinem Gefolge ans Land, um einen längeren Abendspaziergang zu machen.
„Ich werde es nicht vergessen, gnädige Frau," sagte Frau Walter, besorgt in die bleichen Züge der Gebieterin blickend; „kann ich sonst noch etwas besorgen?"
„Nichts, das ich wüßte, aber doch — Sie könnten den Schwanenpelzbesatz um den Halsausschnitt und die Ärmel des weißen Seidenkleides, welches ich heute Abend trage, setzen."
Sobald Frau Walter und ihr Gatte das Zimmer verlassen hatte, erhob sich die Schauspielerin, ging schwankenden Schrittes zur Thür, schob den Riegel derselben vor und sank dann tief aufstöhnend auf das Ruhebett zurück. Wer Olioia Orme erblickt hätte, wie sie auf dem Ruhebett lag, der hätte kaum geglaubt, eine lebende Gestalt vor sich zu sehen; die ihrer Fesseln entledigten goldenen Haarwellen umrahmten das vollendet schöne Gesicht und ließen dasselbe wie eines jener auf Goldgrund gemalten Bilder byzantinischen Stils erscheinen, während die gesenkten dunklen Lider die Augen verschleierten und die auf der Brust gefalteten Hände, welche das Entzücken eines Bildhauers gewesen wären, in ihrer Regungslosigkeit an Marmor gemahnten. Jetzt hoben sich die dunklen Lider und die gleich Edelsteinen leuchtenden Augen wurden sichtbar. Aber der Ausdruck dieser Augen war in diesem Augenblick stahlhart und stahlkalt und die Worte, welche sich den bleichen Lippen entrangen, bildeten einen traurigen Kommentar zu der stummen Sprache der Augen.
„O, über die elende Schwachheit des Weibes," murmelten die Lippen, „habe ich darum seit Jahren Unsägliches erfahren und erduldet, um im entscheidenden Augenblick dm Mut zu verlieren? Rufe Dir's ins Gedächtnis zurück. Du schwaches Herz, was Dein Leben gewesen ist, fest Minnie Merle durch den Segen des sanften Geistlichen Robert Douglas' Gattin wurde! Drei kurze Wochen voller Seligkeit und dann lange Jahre voll Schmerz, Kummer, Schmach und Schande — des Schutzes dessen, der gelobt hatte, sie nimmer zu verlassen, beraubt — verdächtigt, beschimpft, als feile Dirne gebrandmarkt — mein Kind verhöhnt und verleugnet! . . . Mein Kind, mein süßes K>nd — wenn ich das mir angethane Unrecht vergessen wollte — um Deinetwillen darf ich nicht ablaffen von meinem Ziel! Die Würfel find gefallen,
— ich muß — ich will — Schmach über mich in Zeit und Ewigkeit, wmn ich nicht kann!"
Sich erhebend, trat sie an den Tisch, öffnete eine dort stehende kostbare Schatulle aus Ebenholz mit instruktirtem Silber und entnahm dem untersten Fach ein Sammetetui. Ein Druck auf die Feder desselben enthüllte die Photographie eines auffallend schönen Jünglings; lange blickte die Schauspielerin auf das von dunklem Haar umrahmte Gesicht, dessen männliche Schönheit an den Apoll vom Bellvedere gemahnte; dann flog ein zorniges Auflachen von den Lippen der Beschauerin und sie murmelte finster: „Schön und falsch wie die Welle, — nur Geduld, Robert — meine Rache ereilt Dich doch!"
Als Frau Orme das Etui an seinen Platz zurücklegte, fiel ihr eine schwarze Haarlocke in die Hand, mechanisch ringelte sie dieselbe um ihre schlanken Finger und sagte bitter vor sich hin:
„Als Du von mir schiedest, Robert, gabst Du mir diese Locke zum Abschied
— ob Du damals schon die Absicht hattest, Dich für immer von mir zu trennen? Nun, einerlei, was Du damals dachtest — heute zum ersten Mal« nach mehr denn 12 Jahren werde ich wieder in Deine Augen blicken und zugleich Diejenige an Deiner Sette sehen, die den mir gebührenden Platz einnimmt, meinen Namen trägt und vor der Welt als Deine Gattin gilt! Daß sie es nicht ist, weiß sie freilich nicht, aber Du weißt es und so hast Du nicht nur mein, sondern auch ihr Leben zerstört und vernichtet — Fluch über Dich! . . . Und selbst das einzige, das letzte Glück vergiftet mir die Erinnerungen an den Verrat, dem ich zum Opfer gefallen! ... In Zetten konnte ich den Blick meines Kindes, das ja auch sein Kind ist, nicht ertragen — die dunkelblauen Sterne Regina's sind seine Augen — Zug um Zug gleicht sie ihrem Vater — besser, weit besser wäre eS für uns Beide gewesen, wenn wir in dem Moment, da Du, meine holde Regina, Deine Augen dem Lichte erschlössest, gestorben, wären!"
(Fortsetzung folgt.)