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Bietigheim, 13. Mai. Die Wetterheiligen haben uns zwar verschont, allein die Frostnächte voriger Woche schadeten gerade den Weinbergen, so daß auch bei ganz günstiger Witterung nur ein schwacher Mittelertrag zu hoffen ist. Besser steht es mit den Obstbäumen. Die Kirschbäume hängen voll von Früchten, die Birn- und Apfelbäume zeigen prächtigen Blüten- schmuck. — Am Freitag Abend erklärte Orgelbaumeister Weigle aus Stuttgart, der seit einigen Tagen mit der vollständigen Fertigstellung der von ihm hie- her gelieferten Orgel nach seinem rein pneumatischen System mit Flachmembranen beschäftigt ist, in der Krone vor zahlreicher Zuhörerschaft Art und Wesen seines Orgelsystems. Die damit verbundene Vorführung des Edison'schen Fonografen, sowie einige akustische Experimente mit dem Stimmen der Orgelpfeifen nach Scheibler'schen Stößen, die Verstimmung der Stimmgabeln mit Wachs, das optische und grafische Stimmen und das Mitschwingen gleich gestimmter Gabeln u. s. f. erregten allgemein das Interesse der Anwesenden. Schw. M.
Mergentheim, 14. Mai. Heute wurde unter großer Beteiligung von Landwirten und Freunden der Pferdezucht die Fohlenweide Apfelhof unter Leitung des Gründers dieser Weide, Oekonomierat Spieß, eröffnet. Es wurden 30 meistens einjährige Fohlen aufgebracht; nur 5 Stück zweijährige wurden der Weide übergeben. Leider war die Eröffnung mit einem Unfall zu verzeichnen. Kaum waren die Fohlen auf die Weide gebracht, tummelte sich ein Teil derselben lustig herum. Zwei dagegen stürzten sich mit aller Gewalt gegen die Eingangsschranke. Einige beherzte Männer, unter diesen der Vorstand der Weide, versuchten die Durchbrenner zurückzudrängen; allein alles vergebens. Der Fohlenwärter stand außerhalb der Schranke; ein älteres Fohlen sprang mit aller Wucht gegen die Stangen, zersprengte dieselben und schleuderte diese dem Fohlenwärter so unglücklich gegen die Stirne, daß derselbe bewußtlos niederstürzte und längere Zeit in diesem Zustande liegen blieb, bis der herbeigerufene Arzt vr. Teufel nach längerer Anstrengung denselben wieder zum Bewußtsein brachte. Der Fohlenwärter wurde nach Hause gebracht; es ist zu hoffen, daß keine schlimmen Folgen sich einstellen werden.
Spaichingen, 16. Mai. Ein Unglücks- fall eigener Art passierte gestern abend 5 Uhr hier. Ein Karussellbesitzer hatte nebenbei auch eine Schaukel mit Schiffchen. In einem dieser Schiffchen befand sich auch ein junger Mann aus der Gewehrfabrik in Oberndorf. Demselben entfiel beim Aussteigen aus der Schaukel ein Revolver, der sich beim Falle auf den Boden entlud und einem in der Nähe stehenden 12jährigen Mädchen eine Kugel in den untern Teil des Fußes in der Nähe des Knöchels jagte, so daß dieselbe stecken blieb. Der betreffende Revolverbesitzer entfloh, wurde aber sofort in einer Wirtschaft verhaftet und dem Gerichte übergeben.
Reutlingen, 15. Mai. Heute vormittag um 11 Uhr fand das Fest der Enthüllung des Kaiser Wilhelm-Denkmals statt. Der Platz, an der verlängerten Planie in der Kaiserstraße, ist vorzüglich zur Aufstellung des Denkmals geeignet. Heute war er durch Fahnen, Guirlanden und allerlei gärtnerischen Schmuck prächtig hergerichtet. Eine große Menge Volks füllte die obere Kaiserstraße. Nach der Ankunft der Festteilnehmer sang der Liederkranz den großen Chor „Auf, Siegesgesang" von Abt. Dekan Herzog hielt dann eine sehr inhaltreiche, vortreffliche Festrede. Nach der Enthüllung des Denkmals stimmte der Liederkranz mit Musikbegleitung noch das Lied an „Hoch Deutschland, hoch" von Abt. Damit endete die einfache, aber schöne Feier. Das ganze Denkmal ist nahezu 4 Meter hoch. Auf Stufen von Granit erhebt sich das von Bildhauer Schwarz hier gefertigte Postamt aus Syenit. Auf demselben steht die von Professor Dietrich in Berlin modellierte, wohlgelungene Marmorbüste des alten Kaisers Wilhelm. Auf den Seiten des Postaments sind dis Reliefbilder des Kaisers Friedrich, des Fürsten Bismarck und des Marschalls Moltke in Medaillonform angebracht. Die Rückseite des Denkmals enthält die Inschrift: „Kaiser Wilhelm I, dem Gründer des Deutschen Reichs, aus Dankbarkeit gewidmet."
— Wie man aus Baden-Baden schreibt, gedenkt der Großh. badische Hof bis Montag dorthin überzusiedeln. Das herrliche Maiwetter lockt viele Kurgäste an, täglich treffen 200 bis 300 zu längerem Kurgebrauche ein.
— Die Rede des Kaisers bei dem von der Provinz gegebenen Festmahle hatte der „Ostseezeitung" zufolge folgenden Wortlaut: Bei unserem Residieren in Stettin tritt vor mein zurücksehendes Auge die Zeit, wo mein hochseliger Herr Großvater und mein Herr Vater noch am Leben waren und ich entsinne mich wohl des Festes der Provinz, als Ihr seliger Herr Vater meinen Großvater mit so beredten Worten anredete. Die ältesten Erinnerungen meiner Kindheit, die sich in meinem Herzen finden, datieren aus der Zeit, wo wir hier im Generalkommando bei meinem Vater untergebracht waren, wenn wir zum Sommer in die pommerschen Seebäder reisten. Die alte Liebe und Anhänglichkeit, die meinen Vater Mit dem 2. Korps und mit der Provinz Pommern verband, deren Statthalter er war, ist von früher Zeit auch uns eingepflanzt worden. Wenn nicht das Schicksal mit unerforschlicher Hand eingegriffen hätte, so war es seine Absicht, daß ich dereinst hier sein Nachfolget werden sollte, und ich hoffte, daß ich an der Spitze der Söhne Pommerns auch dereinst als Statthalter in die Fußstapfen meines seligen Vaters treten würde und in näherer Beziehung mit dieser Provinz und ihren Bewohnern leben und wirken könnte. Die Fügung hat sich anders gestaltet. Um so mehr ist es
tige Pokal von König Karl bei seiner silbernen Hochzeit der Gilde verehrt. Wir erblicken hierin, daß die Schüzen von jeher sich der höchsten Gunst und Gnade ihrer Fürsten erfreuen dursten. Auch heute sind wir wieder Dank schuldig geworden für den wundervollen Königspokal, von Sr. Maj. unserem in Ehrfurcht geliebten König Wilhelm II. als 1. Preis gestiftet, wie für die gnädige Stiftung der beiden Gemälde Ihrer Königlichen Majestäten für unfern Saal. Schüzen, bringen wir unserm geliebten König mit dem Motto: Hie gut Württemberg allweg unfern Dank in dem Rufe: Hoch lebe Se. Majestät König Wilhelm und das ganze Königliche Haus!
Auf das jubelnde Hoch folgte das Württem- berger Lied worauf S. M. der König den Schwanenbecher erhob und mit lauter Stimme sprach: „Ich leere diesen Becher auf das Wohl der Stuttgarter Schüzengilde und aller hier anwesenden Gäste!" Der König trank ihn bis zur Neige, was mit allgemeinem freudigem Bravo erwidert wurde. Nach dem Könige sprach noch S. H. Prinz Weimar und Schützenmeister Busch richtete noch Abschiedsworte an Se.
Maj. als sich der König, dem Feste weiteren guten Verlauf wünschend, dem Ausgang zuwandte. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, donnerten Kanonen und Hochrufe zum Abschiede nach.
Stuttgart, 17. Mai. Vorgestern nacht gerieten in der Reinsburgstraße einige Arbeiter in Streit, wobei einem derselben das rechte Ohr nahezu durchgeschnitten und ein Stich in den Kopf beigebracht wurde. Der Verletzte konnte sich selbst in seine Wohnung begeben.
Stuttgart. Auf dem Degerlocher Exerzierplatz weidete eine Schafherde unter der Obhut eines bayerischen Schäfers. Derselbe verließ in der Sonntagsfrühe seine im Pferch wohlverwahrte Herde, um in Degerloch sein Frühmahl einzunehmen.
Als er wieder kam, fand er die Herde aus dem . Pferch getrieben und über den Platz zerstreut. Im Pferch selbst war nur noch ein Schaf zurückgeblieben, dem das Kreuz abgeschlagen war! Leider sind die Burschen, die in solcher Weise sich „im Maientau" vergnügt, nicht gesehen worden, und der arme Schäfersknecht hat diesen Verlust allein zu tragen. N. Tgbl.
— Das Rennen in Weil ist bei günstigem Wetter ohne Unfall abgelaufen. Wenn auch einige Pferde durchbrachen, das Publikum that nicht desgleichen und hielt tapfer bis zum Schluffe aus. Zwischen dem dritten und vierten Rennen war Seine Majestät der König von der K. Hofloge herabgekommen und besichtigte die vor derselben aufgestellten Ehrenpreise. Ein hübsches Blumenmädchen in Bezinger Tracht, das im Auftrag des Rennvereins den Besuchern duftige Rosen bot, trat auf Seine Majestät zu und steckte eine Tuberose S. Maj. an den Rock, wofür der König freundlich dankte.
von schweren Ketten empfand, unter dem ihre Kraft, ihr zarter Organismus zusammen zu brechen drohte.
Unterdes hatte Graf Fabrik den entgegengesetzten Weg wieder eingeschlagcn und sich in das Labyrinth der Klippen verirrt. Immer weiter suchte er der Musik der Wogen zu entflöhen, zwischen welchen ihn mit packender Gewalt wie Sirenengesang jedes Lied Heine's verfolgte: „Mich hat das unglückselige Weib vergiftet mit ihren Thronen."
Er suchte vergebens den Eindruck ihrer Thränen los zu werden, sich klar zu machen, daß die Geliebte die Braut eines Andern sei und daß sie, selbst wenn sie frei, nie für ihn die paffende Partie gewesen. Das Dunkel, das auf ihrer Geburt ruhte, ja die Zeit, über welche der Rheder so schonend hinweg gegangen, reichten allein hin, den stolzen Aristokraten vor einer Verbindung zurückzuschrecken, welche ihn in die peinlichste Lage dringen konnte. Aber alle Vernunftgründe vermochten den Gesang der Wogen, die Worte des Liedes nicht zu betäuben. Ihr Bild stand zu hold, zu rein vor seiner Seele, so rein, daß selbst jene traurige Episode ihres Lebens diese Reinheit nicht zu trüben vermochte, im Gegenteil, sie nur um so leuchtender über alle Versuchungen erhob.
Das Conzert hatte um acht Uhr seinen Anfang genommen. Alle Plätze waren bis auf den letzten in der Gallerie, wo an Reunion-Abenden die Badekapelle zu spielen pflegte, vergeben. Bereits eine Stunde vor dem Beginn waren die Gäste nach dem Hotel „International" geströmt, die Damen in eleganter Soriertoilette, die Herren in schwarzen Überröcken. In den vordersten Reihen hatte der Rheder drei Plätze genommen. Es war das erste Mal, daß er sich an einem Unternehmen der Badegesellschaft beteiligte. Er hatte sich mit seiner Braut sonst nirgends gezeigt, selbst an der Tadle d'hote waren sie nicht wieder erschienen, und verschiedene Herren hatten ganz vergebliche Anstrengungen gemacht, der schönen Rhrdersbraut vorgestellt zu werden. Der Rheder hatte mit Entschiedenheit gegen Gras Fabrik geäußert, daß er für sich und seine Braut durchaus keinen Umgang mit jungen Herren wünsche, die das Kurmachen nicht lassen können. „Mit Ihnen", setzte er in seiner derben Offenheit hinzu, „ist es etwa» andere«, Herr Graf. Sie sind ein alter Bekannter
I meiner Braut. Außerdem hat Mona Sie gern und ich schätze Sie, weil Sie das I Herz und den Kopf auf dem richtigen Fleck haben und Ihre Stellung wohl zu wahren wissen, sich aber auf diese nichts zu gute thun und über unsereins erheben» Die jungen Leute glauben, sie erweisen uns eine besondere Ehre, wenn sie unsere Bekanntschaft machen, obgleich ihre Damen meine Mona verachten und die ganze Baronsfamilie sie von oben herab behandelt. Da- paßt mir aber nicht und bähet ist es Keffer, wir bleiben für uns und jene für sich."
Damit war ein- für allemal jeder Verkehr mit der Badegesellschaft, insbesondere den Exklusiven, selbst wenn sie sich zu einer freundschaftlichen Annäherung herabge- lassen, von dem Rheder abgeschnitten worden, und sehr zu ihrem Ärger sahen sie» daß derselbe für sich und seine Domen die besten Mittclplätze in der vordersten Reihe in ihrer unmittelbaren Nähe erhalten hatte.
Man versprach sich »on dem Abend einen nicht geringen Genuß. Nicht allein Campella, als bedeutender Künstler, war für diesen gewonnen worden, sondern auch mehrere Badegäste hatten, des guten Zwecks wegen, ihre Wtwirkung zugesogt und hielten dadurch die Gesellschaft in gespannter Erwartung.
In sehr gehobener Stimmung befand sich Frau Rechtsanwalt Karsten, die mit dem jungen Baron in einem Mendelssohn'schen Quartett mitwirkte. Sie sonnte sich dadurch in dem freundlichen Entgegenkommen der Exklusiven und zeigte sich besonders empfänglich für die Aufmerksamkeiten des jungen Barons, welcher die muntere» hübsche Frau ganz traitabls fand und ihr etwas den Hof machte. Sie hatte mit ihm die erste und zweite Stimme in dem schönen Quartett „Entflieh mit mir und sei mein Weib", welches die erste Piece im Programm bildete und außerordentliche» Beifall kand.
Der Rheder hatte sich mit seinen Damen verspätet und erregte daher sein Eintritt in den menschenübrrfüllten Saal einiges Aufsehen.
Mona sah. wie sich der junge Baron enthusiastisch ausdrückte, „finnenverwirrend schön" in ihrem weißen Kleide, mit den Anemonen im Haare au».
Fortsetzung folgt.