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die Stadt Braunschweig für ein Interesse daran, dieses Heer von „Arbeitslosen" zu unterhalten, welche in ihrer großen Mehrzahl nicht einmal ständige Einwohner der Stadt sind, sondern nur aus Zufall oder Laune nach der Stadt Braunschweig verschlagen worden sind.
Außerdem dürfte doch auch noch in Betracht zu ziehen sein, daß eine solche Prämie auf „Arbeitslosigkeit" die Zahl der „Arbeitslosen" binnen kurzem derartig erhöhen würde, daß an eine Befriedigung der Bedürfnisse dieser Massen auf Kosten der Allgemeinheit nicht mehr zu denken wäre. Hier kann nur eines helfen, dem Zug nach den großen Städten in unserer Arbeiterbevölkerung entgegenzutreten und Mittel und Wege zu finden, die Leute wiederum auf dem Lande festzuhalten. Durch die Gesetzgebung kann hier viel geschehen, es mag deshalb auch der Versuch, ein Heim- stättengesetz für das deutsche Volk passend zu schaffen, mit Freuden begrüßt werden. Frkf. I.
Tagcs-Ueuigkeiteil.
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.) Seine Königlich e Majestät habendem Geheimen Hofrat Rudolf Vellnagel, welcher von Ihrer Majestät der Königin-Witwe, Regentin des Königreichs der Niederlande, zum Nachfolger des auf sein Ansuchen seiner Funktionen enthobenen Königlich Niederländischen General-Konsuls von Georgii-Geor- genau hier auf diesen Posten ernannt worden ist, das zur Ausübung seiner Funktionen als General- Konsul erforderliche Exequatur Allergnädigst zu erteilen geruht.
Stuttgart, 22. Febr. Wie man nunmehr bestimmt erfährt, werden auch in diesem Jahre am ersten und zweiten Volksfesttage auf dem Wasen bei Cannstatt Rennen stattfinden, jedoch nur Flach- und Hürdenrennen. Die Jagdrennen können auf dem bisherigen Platze nicht abgehalten werden, obwohl der neue Exerzierplatz dem Rennverein von der Militärverwaltung in zuvorkommendster Weise zur Verfügung gestellt worden ist. — Die Herstellung einer Bahn auf diesem Platze ist durch die vielen ausgerodeten Bäume vorläufig unmöglich gemacht, und ist auch in kommenden Jahren die Instandsetzung eines guten Geläufes von ausreichender Ausdehnung auf einem Platze, welcher fortdauernd zu militärischen Uebungen benützt wird, für den Rennverein mit zu großen Kosten verknüpft. Hat doch schon die Herrichtung des Kreises auf dem Wasen alljährlich mehrere tausend Mark gekostet, welche gar keinen bleibenden Nutzen hatten. Seine Majestät der König hat nun die Gnade gehabt, um die Jagdrennen auch in diesem Jahre zu ermöglichen und die Bestrebungen des Vereins zu fördern, dem Rennverein bei dem Königlichen Gestüte in Weil einen geeigneten Platz zur Abhaltung von Rennen zu überlassen. Somit gedenkt der Rennverein schon in diesem Jahre von dieser huldvollen Vergünstigung Gebrauch zu machen und einen Teil seiner Rennen in Weil abzuhalten.
Stuttgart, 23. Februar. Der Lebensmittelmarkt beginnt sich wieder zu beleben; junge Gemüse, wie Brunnen- und Gartenkresse, Ackersalat, Sonnenwirbele in schönster Auswahl; aber auch schon ganz stattlich« Frühbeetspargeln, Hopfen. Kaum hat sich das Thermometer etwas über Null gehoben, so treffen auch schon Pflanzen ein. In den Kränzen finden sich prachtvolle Magnolien verwendet. Obst in Menge und in vorzüglicher Beschaffenheit.
— Nach einer Zusammenstellung in den „Mitteilungen des statist. Landesamts" setzt sich die Stutt- garter Bevölkerung nach dem Geburtsort wie folgt zusammen: Geboren sind in Stuttgart nur 40,07°/°; der größere Teil der Einwohner, nämlich 49,03°/« sind von auswärts zugezogen. Unter den letzteren sind 48,46°/« im übrigen Württemberg gebürtig, 11,46°/« sind Nichtwürttemberger, so daß etwa jede 9. Person in Stuttgart Nichtwürttemberger bezw. im Ausland geboren ist. Unter den Reichsangehörigen sind 3961 Personen aus Preußen, 3148 aus Bayern, 3052 aus Baden, 656 aus Sachsen und 1736 aus anderen deutschen Bundesstaaten.
— Dem Schw. M. schreibt man aus Heilbronn 22. Febr. Der „rote Jakobinerton", vor dem schon Strauß in Märklins Biografie als von einer Heilbronner Preßerscheinung spricht, hat es im Laufe der letzten Jahre hier soweit gebracht, daß der besonnene und ruhige Bürger vieles zu ertragen und mit Stillschweigen hinzunehmen sich gewöhnt hat. Die Vorkommnisse der vergangenen Woche haben jedoch die Gemüter derartig erregt, daß man wohl sagen kann, es herrscht unter den ruhig denkenden Bürgern eine Summe der Mißbilligung und des Bedauerns darüber, daß es möglich war, daß am 17. Febr. 1892 sämmtliche hiesige Zeitungen die Mitteilung von der Suspendierung des Oberbürgermeisters Hegelmaier zu bringen wußten, und daß heute am 22. Febr. jede Bestätigung oder jedes offizielle Dementi fehlt. Wir wollen nicht davon reden, in welcher Form die hiesigen Blätter die Mitteilungen gegeben haben. Wenn aber auswärtige Blätter dem „Fall Hegelmaier" die ausführlichsten Besprechungen jetzt zu Teil werden lassen und in Heilbronn selbst geschieht nichts, erfährt die erregte Volksmenge 5 volle Tage nichts, so ist diese fatale Thatsache im Interesse unserer Regierung zu bedauern und es ist leicht erklärlich, gegen wen sich die Erbitterung der Bürger richten muß. Wird Hr. Hegelmaier suspendiert, so möge man diese Lösung beschleunigen. Sollte aber der „Fall" Hegelmaier kein so jäher Fall sein, so möge darauf hingewirkt werden, solche Nachrichten, die durch eigentümliche Indiskretionen hinauskamen, ehe sie vollendete That- sachen waren, offiziell zu dementieren. Beide Fälle dienen nicht zur Stärkung der Regierung, sondern pflegen der Opposition eine Stütze zu geben.
Göppingen, 21. Febr. Gestern abend benützte ein Schlosserlehrling aus Dürnau die Abwesenheit seines Meisters auf einem Balle, dessen Sekretär mittelst Hakenschlüssel und Zentrumsbohrer aufzu-
b n r ^ 6 1 9 Nachdruck verb«ten.
Der Löwenbändiger.
Nach einer amerikanischen Novelle von M. Laue.
(Fortsetzung.)
Elsie fiel auf ihre Kniee neben der Bank; sie fuhr in wilder Verzweiflung mit den Händen durch ihr langes Haar.
„Himmel, Kind, was ist dir?" sagte der alte Clown und setzte sich zu ihr, „ist es immer so?"
Sie nickte, ihr ganzes Sein war von angstvollem Horchen erfüllt, sie konnte aus der Ferne jeden Schritt ihres Gatten hören, sie vernahm deutlich, wie er in die Arena trat. Der alte Clown beugte sich zur ihr nieder und flüsterte ihr ins Obr: „Hat er seine Kräfte verloren?" Sie wandte ihm ihr bleiches Gesicht zu und nickte wieder, dann horchte sie weiter.
Der Direktor hatte, wie er es gewöhnlich that, vor Condors Erscheinen folgende Ansprache an das Publikum gehalten: „Meine Damen und Herren, die uns heute durch Ihre Anwesenheit beehrten, ich erlaube mir, von Ihnen eine große Gunst zu erbitten. Der berühmte Löwenbändiger Signor Guglielmo Condovina wird heute in der Löwenhöhle seine einzig dastehende Vorstellung geben. Seine Macht über die wilden Bestien ist so groß, daß er hineingehen, sie wie Hunde behandeln und sich unter ihnen niederlegen kann, seinen Kopf auf den Rücke» des großen afrikanischen Löwen Dion. Um jedoch der vollständigen Sicherheit unsere» berühmten Löwenbändigers grwiß zu sein, ist tiefes Schweigen ringsum geboten. Meine Damen und Herren, so sehr uns Ihr Beifall ehrt, bitten wir dennoch, denselben zurückzuhalten, bis die Vorstellung beendet."
brechen und ca. 30 ^ zu entwenden. Nach mehrstündigem Leugnen gestand er die That und wurde der ganze Betrag, wohlversteckt, wieder beigebracht.
Gmünd, 20. Febr. In letzter Zeit wurden hier in Spezerei- und Metzgerläden Cigarren und verschiedene Eßwaren und auch Geld teils bei Hellem Tag, teils am Abend entwendet. Die Diebe hatten es verstanden, die Ladenglocke zurückzuhalten und so ohne Geräusch in den Laden zu kommen. — Gestern Nachmittag haben schulpflichtige Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren in einem Metzgerladen hier Schinken und verschiedenes Rauchfleisch sich angeeignet und in einem Korb verwahrt, wurden aber auf der That ertappt und ihnen die Beute wieder abgenommen. Auch von den anderen Jndustrierittern, Bursche von 15 bis 16 Jahren, welche im Komplot ihre That verübten,, wurden mehrere von der Polizei ermittelt und dem Gerichte überliefert.
Geislingen, 21. Februar. Ein gräßliches Unglück ereignete sich gestern nachmittag. Der verheiratete Arbeiter in der Schlosserwerkstätte der Metallwarenfabrik Wagner aus Kuchen wollte in der Glasschleifern eine Reparatur vornehmen. Nachlässigerweise stellte er das Werk nicht ab, griff über ein Rad hinüber und dadurch wurde sein linker Arm von dem Draht der Transmission so erfaßt, daß ihm derselbe zuerst einige Finger, dann die Hand abschnitt, den. Arm drehte und brach und schließlich bis zur Schulter ausriß, so daß er nur noch an einigen Fasern hing- Der Arm wurde dann vollends abgenommen. Man. fürchtet für das Leben des Unglücklichen.
Giengen a. Br., 22. Febr. Knöpfle mit Gold, das ist das neueste Rezept für die Küche der Frauen einer unser Nachbargemeinden. Saß da dieser Tage eine Familie beim Mittagstisch, die Knöpfle schmeckten alt und jung prächtig, als plötzlich der Hausvater das Gesicht verzieht: er hatte auf einem ganz harten Gegenstand gebissen, der nichts geringeres war als ein 20 ^-Goldstück. Auf welche Weise dasselbe in das betreffende Knöpfle gekommen, war ihm ein Rätsel, das aber bald gelöst wurde. Die liebe Gattin hatte das Goldstück im Mehlsack versteckt gehabt und beim Herausnehmen des für die Knöpfle bestimmten Mehlquantums nicht mehr an dasselbe gedacht. Das Goldstück wurde nun regelrecht gekocht;. daß aber gerade der Ehemann dasselbe zu essen bekam,, das war der Frau sehr unangenehm.
Schramberg, 22. Febr. Als die Ehefrau des Messerschmieds K. gestern vormittag vom Gottesdienst nach Hause kam, fand sie in der Werkstätte ihres Mannes einen Zettel des Inhalts: Ich kann nicht mehr länger leben! Sorget für meine Kinder! Verzeiht mir! Das Schlimmste ahnend suchte man. alsbald nach ihm und fand ihn am Berge hinter seinem Hause unter einigen Forchen mit durchschossenem Kopfe. Die tieferen Motive, welche den sonst achtbaren Mann zu diesem unglückseligen Schritte veranlaßten, sind noch nicht ganz aufgeklärt.
Ebingen, 20. Febr. Ein im ganzen Bezirk
Mit einer tiefen Verbeugung zog sich der Direktor zurück und eine atemlose Stille herrschte in der ganzen Arena. Der große Käfig füllte den Raum aus. Es waren fünf Löwen darin, zwei davon schienen zu schlafen, zwei durchwanderten rastlos den Käfig von einer Seite zur andern, rückwärts und vorwärts. Der fünfte, ein riesiges Tier, lag unbeweglich dicht neben dem Güter, seinen großen Kopf zwischen den Pfoten. Das einzige Lebenszeichen gaben seine wild rollenden Augen. Frau Brandreth schmiegte sich enger an ihren Gatten, de: ihre zitternde Hand hielt. Sir Maxwell Bede lehnte sich vor, seinen Blick unverwandt auf die Oeffnung gerichtet, durch welche der Löwenbändiger kommen mußte. Aller Augen waren auf dieselbe Stelle gerichtet, als Will Condor erschien. Er nahm von Niemand Notiz, machte dem Publikum keine Verbeugung, sondern schritt schnell auf den Käfig zu und ging hinein. ES war eine atemlose Stille ringsum, nur eine Art unheimlichen Schnarchen» hörte man, al» die Löwen ihn jetzt umringte». Er ging unter ihnen hin und her, sorgfältig von Stelle zu Stelle schreitend. Dann ging er auf den alten Dion zu, legte sich nieder und seinen Kopf auf dei großen Löwen Rücken. Der alte Dion war noch schläfrig, er bewegte sich nicht. Die andern gingen an ihm vorbei, schnarchende Töne ausstoßend. Es waren vielleicht kaum drei Minuten, die er dalag, aber für da» Publikum schien es eine Ewigkeit. Ein einstimmiger Schrei des Entsetzens ließ sich vernehmen, als im selben Augenblick, da Condor sich erhob, auch der alte Dion mü einem Sprunge auf den Füßen stand. Aber Condor war draußen und befestigte dir eisernen Riegel, als Dion mü einem dumpfen Brüllen hinter ihm hersah. Die Arbeiter eilten herbei und rollten den Käfig hinaus. Condor stand allein mitten in der Arena. Das Klatschen begann langsam, bis er zu einem brausenden Beifallssturm anschwoll.
Frau Brandreth stand auf, zum Gehen bereit. Sie war leichenblaß, Sir Maxwell bot ihr den Arm; sie gingen hinaus, ohne «in Wort zu sprechen.
(Fortsetzung folgt.)