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bewegte sich bis gegen Mittemacht in leutseligster Weise in der aus 54 Personen, darunter 25 Mit­gliedern des Reichstags, bestehenden Gesellschaft. Der Kaiser unterhielt sich eine halbe Stunde mit Hrn. v. Bennigsen. Von den preußischen Ministern war nur Hr. v. Bötticher anwesend. Der allgemeine Ein­druck ist, daß die Krisis beigelegt ist."

DieFreis. Ztg." schreibt:Die Redaktion desFigaro" in Paris hat brieflich den Abg. Eugen Richter um seine Ansicht gebeten über drei Fragen der Abtretung, des Austausches oder der Neutrali­sierung von Elsaß-Lothringen u. s. w. Anscheinend sind dieselben Fragen noch an andere deutsche Abge­ordnete gerichtet worden. Abg. Richter erteilt dem Figaro" auf diesem öffentlichen Weg den Bescheid, daß für ihn überhaupt eine elsaß-lothringische Frage seit dem Friedensschluß von 1871 nicht vorhanden ist."

London, 4. Febr. Der bekannte Arzt Sir Morell Mackenzie ist gestern infolge der In­fluenza gestorben. Morell Mackenzie, in Deutschland besonders bekannt geworden durch seine Teilnahme an der Behandlung des schwer erkrankten Kaisers Friedrich, war geboren am 7. Juli 1837 und hat einen Teil seiner Studien in Wien und Pest gemacht. Krankheiten des Halses und Kehlkopfes waren seine Spezialität. Der große Ruf, den er auf diesem Ge­biet erworben, veranlaßte seine Wahl, als man in Berlin beschlossen hatte, zur Behandlung des Kron­prinzen einen auswärtigen Arzt heranzuziehen. Wie er mit seinen deutschen Kollegen in Widerspruch ge­riet und sich daraus eine Polemik entspann, aus der Mackenzie nicht gerade als Sieger hervorging, ist noch in frischer Erinnerung. Noch unliebsamer berührte die Art, wie Mackenzie die traurige Polemik zur Be­tätigung eines recht ausgebildeten Erwerbssinnes mißbrauchte. Es kann Alles in Allem nicht gesagt werden, daß der Verstorbene ein gutes Andenken in Deutschland hinterlassen hätte. Seine medizinischen Werke, die auch in's Deutsche übertragen wurden, stehen in hohem Ansehen. M. N. N.

Nermischtes.

Zu ver Verteuerung des Hammel­fleisches, eines Hauptnahrungsmittels der Stadt Paris, bemerkt der Temps: Paris verbraucht all­wöchentlich 38,000 Hämmel, von denen 18,000 aus der Provinz lebend kommen und in den Schlachthäusern der Billette, von Grenelle und Villejui getötet werden, indes 20,000 geschlachtet in besonderen Kühlwagen aus Deutschland und Oestreich eingeführt werden. Bisher wurde für Hammelfleisch ein Zoll von 3 Fr. per 100 Kilogramm entrichtet, vom 1. Febr. ab be­trägt derselbe aber 32 Frs., so daß das Verhältnis zu dem lebenden Vieh, das 15 Frs. 50 per 100 Kilogr. entrichtet, hergestellt ist. Obendrein müssen die toten Schafe in Viertel zerhackt und mit den edlen Einge- weiden versehen eingeführt werden, was viele Fleischer davon abhält, die toten Hämmel zu kaufen. Diese

Vorschrift kommt demnach nahezu einem Einfuhr­verbote gleich, so daß nur noch lebende Tiere aus Deutschland und Oestreich nach Frankreich kommen dürften. Die Zahl derselben nimmt aber trotz der Eröffnung des Sanatoriums auf dem Markte von La Billette ab und die sranzös. Züchter beeilen sich nicht, den Ausfall zu decken. Sie und die Importeure warten den Augenblick einer Preiserhöhung ab, die nicht lange ausbleiben kann, obwohl noch 25,000 tote Schafe in Paris und 75,000 in den Entrepots von Havre und Dünkirchen vorhanden sind. Wenn die Fleischpreise genügend gestiegen sein werden, dürften die Importeure allen Hindernissen zum Trotz ge­schlachtete Schafe einführen, da die Konsumenten dann die höheren Zölle bezahlen müssen.

Der Scharfrichter von Wien, Rudolf Edler v. Seyfried, ist am letzten Sonntag in Brunn am Gebirge gestorben, v. Seyfried, der aus einer alten Scharfrichter-Familie stammt, hatte in Wien nur ein einziges Mal seines traurigen Amtes gewaltet, indem er im Jahre 1887 an dem Mörder Kreiter die Todesstrafe vollzog. Durch das Hin­scheiden v. Seyfrieds hat der Dienstbotenmörder Franz Schneider Recht behalten, welcher bei seiner Ver­haftung sagte:Mich kriegt der Seyfried nöt!"

Wie aus Myslowitz berichtet wird, ist der Bergmann Johann Latos am 29. Januar aus dem Starrkrampf, von dem er seit 4'/s Monaten befallen war, erwacht. Es war morgens gegen 7 Uhr, als der Wärter die Beobachtung machte, daß Latos sich plötzlich bewegte, die Augen aufschlug und nach einem Trunk begehrte. Bald war eine Tasse Milch zur Stelle, welche er auch in kurzer Zeit austrank. Als der Wärter hierauf an ihn die Frage richtete, ob er Schmerzen empfände und an welcher Stelle er dieselben fühle, wies er mit der Hand nach den Füßen und fiel bald darauf wieder in seinen früheren Zu­stand zurück. Am Tage des Erwachens zeigte der Zustand des Schlafenden im wesentlichen große Ver­änderungen; denn als ver Wärter den Latos anrief, riß dieser die Augen weit auf und richtete dieselben starr auf einen Punkt; auf die Frage, ob er Wein trinken wolle, machte er eine das Verneinen aus­drückende Bewegung. Von der Krankenhausverwaltung wurden die Angehörigen des Bergmannes sofort in Kenntnis gesetzt, daß das Erwachen erfolgt und eine Unterredung mit dem Kranken wohl möglich sei. Die Verwandten, welche alsbald an das Krankenbett eilten, fanden Latos mit offenen Augen vor, die er jedoch starr auf die vor ihm stehenden Personen richtete. Der Starrkrampf, in den der Kranke wieder verfiel, hörte zeitweise auf; hauptsächlich gestaltete sich der Zustand am Nachmittag sehr günstig, so daß es Latos möglich war, mit seiner Ehefrau und den Kranken­wärtern, allerdings nur ganz leise, zu sprechen und später, während die Wärter den Oberkörper hoben und stützten, allein zu trinken. Selbstverständlich ist die Schwäche des Kranken sehr groß.

bronn ein Schadenfeuer. Ein sonst ruhiger, aber geistig beschränkter Mann wurde plötzlich irrsinnig, zog ein glimmendes Scheit aus dem Ofen, eilte dann in die Scheune und steckte es ins Heu, indem er dabei aus Leibeskräften schrie:Pilatus spie Feuer aus!" Die Frau, welche ihrem Manne nachging, weil sie nichts gutes ahnte, kam gerade noch recht, um das Holzscheit aus dem schon rauchenden Heu heraus­zureißen und weiteren Schaden zu verhüten. Der Unglückliche ist nun vorerst in einer Jrrenzelle des Oberamtsspitals in Welzheim untergebracht.

Ehingen, 3. Febr. Vor 19 Jahren wurde dicht hinter dem Hause des Söldners Neubrand hier ein Stadel aufgefühn. Derselbe gab in neuerer Zeit Veranlassung zu verschiedenen Bedenken; als sich einzelne Krache vernehmen ließen, glaubte man die Zeit gekommen, wenigstens das Vieh in Sicherheit zu bringen. Kaum war solches geschehen, als der Stadel einstürzle und auch die über ihnen lagern­den Vorräte an Futter und Stroh in seinen Trümmern begrub. Der Einsturz war durch abgefaulte Balken verursacht worden.

Niederstetten, 1. Febr. Im Dorfe Betten­feld (Rothenburg) wurde dieser Tage einem Bauern­sohne von einem Fohlen, welches er zur Tränke führte und dabei die Leine an seiner Hand zu stark befestigt hatte, der Arm ausgeriffen.

Aus Frankfurt a. M., 3. Febr., schreibt man dem N. Tgbl.: Aus schreckliche Weise sind gestern früh die beiden Kinder der Eheleute Taglöhner Sturm in Bornheim, ein Knabe von 5 und ein Mädchen von 3 Jahren, ums Leben gekommen.

Während der Vater schon frühzeitig zur Arbeit ge­gangen war, hatte sich die Mutter gegen 9 Uhr zu einer Besorgung in die Stadt begeben. Sie schloß die beiden Kinder im Wohnzimmer ein, und nun ist Feuer entstanden. Wie das geschehen ist, hat bisher noch nicht aufgeklärt werden können. Die Mitbewohner im Hause haben nichts bemerkt, erst der um 12 Uhr heimkehrende Vater gewahrte den intensiven Brand­geruch. Die Thüre wurde aufgerissen, und nun bot sich ihm ein schrecklicher Anblick. Das Mädchen lag erstickt am Fußboden, der Knabe als gänzlich verkohlter Leichnam auf dem Sofa. Man glaubt, annehmen zu dürfen, daß auch der Knabe erstickt ist und daß ihn dann erst die Flammen ergriffen haben.

Berlin, 3. Febr. Bei dem Kaiser fand gestern wieder ein Herrenabend statt, zu welchem die Staatsminister v. Bötticher und v. Berlepsch, Vize­admiral Hollmann, der Präsident des Reichsversicher­ungsamts Bödiker und die Geheimen Kommerzienräte Frhr. v. Stumm, Krupp und Schlutow geladen waren.

Die Unterhaltung wurde vornehmlich vom Kaiser selbst geführt. Die Gesellschaft dauerte bis 12'/, Uhr nachts.

DieAllg. Ztg." läßt sich telegraphieren:Auf dem parlamentarischen Diner beim Reichskanzler Grafen Caprivi erschien der Kaiser Punkt 6 Uhr und

wissen, den sie Kurt geschrieben, denn er würde sicherlich ihre Absicht erkannt und die Lüge durchschaut haben, welche diesem Briefe zu Grunde lag. Sie durfte nicht zweifeln, daß er in seinem starren Rechtsgefühl und in seiner maßlosen Liebe für sie dann sogleich wieder alle» zerstören würde, was sie nach schweren Kämpfen und unter unsäglichem Weh ihrem eigenen widerstrebenden Herzen abgerungen. Darum ging sie ihm seit der Absendung des Briefes aus dem Wege und suchte seinen Blick zu vermeiden, so wie Kapitän Herbold dem ihrigen auszuweichen trachtete. Es stand ein Geheimnis zwischen ihnen und unter dem Druck dieses Geheimnisses fühlten sie ihren Kummer nur um so tiefer und schwerer.

Am Abend des verwichenrn Tages war Johanne» Jasmund für eine kurze Zeit in dem Bücherladen gewesen; aber er hatte sich bald entfernt und Elsbeth wußte nicht, was er mit ihrem Vater gesprochen. Dann war das unerhörte Ereig­nis eingetretcn, daß der Kapitän sein Geschäftslokal um eine halbe Stunde vor der gewöhnlichen Zeit geschloffen hatte und ausgegangen war, ohne seiner Tochter ein« wettere Mitteilung zu machen, als daß sie ihn mit dem Abendessen nicht erwarten möge. Als Elsbeth sich gegen elf Uhr, von einer tätlichen Ermattung überwältigt, in ihre Kammer zurückzog. war er noch nicht heimgekehrt, und sie hatte später nicht» von seinem Kommen bemerkt.

Nun war der neue Morgen für diese beiden, von der herzlichsten Liebe ver­bundenen Menschen fast noch unerträglicher geworden, al» der verwichen« Tag. Sie gingen stumm aneinander vorbei und sie schlugen die Augen nieder, wenn sie sich begegneten, gleich al« fühle sich Einer vor dem Andern schuldig oder al» habe sich all' ihre Liebe plötzlich in eine tötliche Feindschaft verwandest.

Der Vormittag war schon ziemlich wett vorgerückt, al» der erste Besucher im Laden erschien. Er sah nicht au» wie einer von den gewöhnlichen Kunden de» Kapitän». ES war ein stattlicher, schwarz gekleideter Herr mit einem sehr ernsten, strengen Gesicht und mit eigentümlich scharf und kalt blickenden Augen.

Er sah sich aufmerksam in dem halbdunklen Laden um und fragt« dann nach

einem bestimmten Buche. Aber Kapitän Herbold war heute so zerstreut und ver­wirrt, daß der Fremde sein Verlangen mehrmals wiederholen mußte, ehe er ihn ganz richtig verstanden hatte. Es war kein Zweifel, daß sein Benehmen selbst einem ganz unbefangenen Beobachter hätte einigermaßen auffällig erscheinen müssen; der angeb­liche Käufer aber, der den Kapitän nicht für einen Moment aus den Augen ließ, schien für die Aeußerungen einer unerklärlichen Hast und Unruhe in dem Gebahren de» alten Mannes ganz besondere» Interesse zu hegen. Er war in seinen Wünschen durchaus nicht zufrieden zu stellen, und je mehr er den Kapüän in Anspruch nahm, desto kopfloser und ungeduldiger wurde dieser.

Endlich schien der Fremde gefunden zu haben, wonach er begehrte, und in­dem er scheinbar gleichgistig in dem erstandene» alten Buche blätterte, warf er wie um ein gemütliches Gespräch anzuknüpfen, die Frage hin:

Nun, was sagen Sie zu dem geheimnisvollen Mord, der in der Nacht ge­schehen ist? Eine merkwürdige Geschichte nicht wahr?"

Herbold hatte dem Sprechenden gleich nach den ersten Worten den Rücken zugekehrt. ES war jedenfalls nur eine rein zufällige Bewegung gewesen, aber sie mußte für den anderen durchaus den Anschein der Absichtlichkeit gewinnen.

Ich weiß von keinem Morde," brummte er unwirsch,kümmere mich auch nicht um solche Geschichten. Meinetwegen mögen die Menschen sich totschlagen, so viel e» Ihnen gefAlt. Wird wohl nicht viel daran verloren sein."

Der Herr mit dem ernsten Gesicht ließ sich durch die wenig freundliche Er­widerung keineswegs beirren.

Nun, wie man'» nehmen will!" meinte er.Man erzählt sich ja aller­dings, er soll ein leichtfertiger Bursche gewesen sein und manchem armen Mädchen mit gewissenlosen Versprechungen den Kopf verdreht haben, aber"

Der Kapitän war heftig herumgefahren, und mit allen Anzeichen der Auf­regung fiel er dem Fremden in'» Wort.

(Fortsetzung folgt.)