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hington und Baltimore besonders schwer heim. Jede Verbindung mit diesen Städten ist abgeschnitten. Die letzten vor Aufhören der telegraphischen Verbindungen eingelangten Telegramme besagen, daß in Washington infolge Sturmes sieben Personen getötet worden sind und daß der Cyklon in Baltimore mehrere Häuser zum Einsturze brachte.
Georg Friedrich Händel und sein Oratorium „Judas Makkabäus".
Der Komponist, dessen Werk am nächsten Sonntag hier aufgeführt werden soll, entstammt einem kräftigen Geschlecht. Der Großvater väterlicherseits war aus Breslau um seines evangel. Glaubens willen vertrieben worden und die Urgroßmutter mütterlicherseits gehörte zu den 1625 aus Böhmen ausgewiesenen Evangelischen. Der Vater Georg H., wohnhaft zu Halle, Amtswundarzt und kurfürstl. sächsischer Kammerdiener war ein strebsamer Mann von ernstem Charakter. In seinem 62. Jahre verheiratete er sich in 2ter Ehe mit Dorothee Taust, der Pfarrerstochter vonGiebichen- stein, einer Frau von reichem Gemüt, ungewöhnlich klarem Geiste und wahrer Herzensfrömmigkeit. Aus dieser Ehe wurde als 2ter Sohn am 23. Februar 1685 Georg Friedrich geboren. Vom Vater erbte er den unbeugsamen Sinn und die eiserne Willenskraft, von der Mutter, mit der er in besonders naher und inniger Seelengemeinschaft stand, die grundgesunde Tüchtigkeit, den sittlichen, oft ans harte streifenden Ernst, und den Hellen Geist, durch welche Gaben er „aus dem schwächlichen Zeitalter wie ein Riese hervorragt".
Von frühester Jugend an hatte der Knabe eine leidenschaftliche Freude an der Musik; dieselbe ging soweit, daß sein Vater, der ihn zum Juristen bestimmt hatte, alle musikalischen Instrumente aus dem Hause verbannte. Eine gute Tante erbarmte sich des Kleinen und verschaffte ihm Gelegenheit, des nachts auf einem kleinen Clavichord zu üben. Auf Zuspruch seines Fürsten, ließ der Vater später dem Sohn Musikunterricht vom Organisten Zachar erteilen und bald hatte der 10jährige Junge, es zu Aufsehen erregender Fertigkeit im Klavier- und Orgelspiel gebracht. Nach des Vaters Tod ehrte der Sohn den väterlichen Willen und bezog die Universität, um die Rechtswissenschaften zu studieren. Als ihm aber 1702 eine Organistenstelle in Halle übertragen wurde, entschloß er sich — nach reiflicher Ueberlegung — die Musik zu seinem Lebensberuf zu machen. Um sich darin weiter auszubilden, zog er 1703 nach Hamburg. Fleißig Klavierunterricht gebend, fand er doch Zeit zu zahlreichen Kompositionen von Opern, Liedern u. s. w., so daß er sich dort 200 Dukaten ersparte, während die anderen Mitglieder seines Kreises „nie Geld hatten". Von 1704 datiert seine erste Passionsmusik, dann folgten Opern. 1707—9 besuchte er Italien. Hier lernte er Ebenmaß, Schönheit des Klangs, überhaupt die Formvollendung in seiner Kunst;
vor der italienischen Verflachung aber bewahrte ihn seine kernige urdeutsche Art. Hier schrieb er die Oper „Rodrigo" die ihm schweres Geld und reiche Ehre eintrug. 1710 finden wir ihn wieder in Deutschland als Kapellmeister des Kurfürsten von Hannover; bald aber zog es ihn nach England, wo er mit unerhörtem Enthusiasmus ausgenommen wurde. 1714 bestieg sein Kurfürst als Georg I. den englischen Thron; H. schrieb aus dieser Veranlassung seine berühmte „Wassermusik", 1716 seine zweite Passionsmusik. 1719 wurde ihm die Direktion der „König!. Akademie für Musik" in London übertragen. Für dieses Opern-Jnstitut, das vom Hof und dem hohen Adel unterhalten wurde, engagierte er auf besonderen Reisen Sänger und Sängerinnen, erntete aber fast nichts als Unlust und Widerwärtigkeiten. Er geriet unter den neidischen Jntriguen seiner Gegner in Streit mit den Sängern und dem Adel. 16 Jahre lang bemühte er sich seiner Kunst in verschiedenen Theatern zu leben, aber die übermenschlichen Anstrengungen, denen er sich unterzog (er schrieb 46 Opern) untergruben seine Kraft: er wurde vom Schlag getroffen. 1736 fand er im Bade zu Aachen neue Gesundheit. Zugleich drang er zu der Erkenntnis durch, daß er eigentlich zum Oratorium berufen sei und nicht zu der Oper. Sofort wandte er seine ganze geniale Kraft ausschließlich dem neuen Ziele zu und erfüllte seine Aufgabe in vollkommenster Weise. Von 22 Oratorien sind die bedeutendsten; 1738 Israel in Aegypten, 1739 Saul, 1741 Messias (in 24 Tagen), 1742 Samson, 1743 Josef, 1744 Belsazar, 1745 Gelcgenheitsorat., 1746 Judas Makkabäus, 1747 Josua, 1748 Salomo, 1751 Jephta, das er, schon erblindet seinem Schüler Smith diktierte. Den „Messias" hat er alljährlich zum Besten des Findlinghauses in London aufgeführt. Er hat damit „die Hungrigen gespeist, die Nackenden bekleidet, die Waisen verpflegt" und mit dem „Messias" ist der Meister aus seiner Arbeit geschieden — die Aufführung desselben, die er als blinder Mann 7 Tage vor seinem Tode leitete, war seine letzte That. Er starb wie er gewünscht, am Charfreitag 13. April 1759. —
Händel war eine imposante Erscheinung, von athletischem Körperbau und gewaltiger Kraft; erhalte etwas Granitenes in seinem Wesen. Vorsichtig und zurückhaltend, solang er sich über etwas nicht klar geworden, war er zähe bis zum Eigensinn das fest- zuhaltcn was er für recht erkannt. Im geselligen Verkehr war er voller Laune und Witz. Groß angelegt, verschMähte er die Gunst der Hohen zu suchen. Wie er mit größter Seelenruhe unterlassen hatte beim Minister zu antichambrieren, so gab er sich auch nicht dazu her den gehorsamen Diener der englischen Damen bei ihren Privatmusiken zu machen. „Der ihm vorgeworfene hochfahrende Sinn war am Ende nur das natürliche Betragen eines Mannes, der mit seinen eigenen Ideen vollauf zu thun hatte und daher keine Zeit fand, anderen Leuten zum Zeitvertreib zu dienen." In der Musik haßte er alles Niedrige und Gemeine; sein Styl hat etwas heroisches, was immer
die gläubige Gemeinde bewegt, das hat er in urkräftiger Frische zum Ausdruck gebracht. Seine Melodieen haben häufig eine überraschende Verwandschaft mit schwungvollen Volksmelodieen, darum zünden sie auch, ja reißen die Masse der Hörer mit sich fort. Der im Judas Makkabäus im Schluß eintretende Siegesgesang: „Seht er kommt mit Preis gekrönt" ist das> herzerhebenste gewaltigste Triumphlied, das ein Volk einem siegreich rettenden Helden anzustimmen vermag, zugleich so einfach und allgemein verständlich, daß es heute noch wie vor 150 Jahren die Massen elektrisiert.
II.
Das Oratorium „Judas Makkabäus" gehört: zu den populärsten Werken nicht nur Händels, sondern der gesamten musikalischen Litteratur. Entstanden 1746 wurde es zum erstenmal am 1. April 1747 in London aufgeführt als der Herzog von Cumberland, der preisgekrönte Sieger, aus Schottland heimkehrte. Händels Kraft zeigt sich am schönsten in denjenigen Oratorien, welche den Kampf eines unterdrückten Volkes gegen seine Widersacher schildert, wie sich das Volk aufrafft zur That und vertrauend auf Gott sich zur Freiheit emporringt. So im Judas Makkabäus. Die Ouvertüre beginnt mit einem düstern Cravs, dem ein fugiertes ^.IlsKro folgt, dessen Anfangsmotiv einem späteren Chor zu Grunde liegt. Der Chor setzt ein: „Klagt, Söhne Judas, klagt um Zions Leid." Der Klage gesellt sich eine stille, wohlthuende Ergebung bei, beweint wird ja ver hochbetagte Mattathias. Dem Duett: „Der stolzem Macht die uns bezwang" liegt ein heroisches Motiv zu Grunde, es zeichnet den Uebermut der scheinbar unwiderstehlichen Feinde. Simon tritt auf und spricht dem Volke Worte des Trostes und Mutes ein. In vollen Akkorden, Gott um Erbarmen anflehend setzt der Chor ein: „Du Gott dem Erd und Himmel schweigt", bis plötzlich der Baß in den kraftvollen energischen Ruf ausbricht: „Gieb einen Mann voll Mut und Geist", der vom den übrigen Stimmen aufgegriffen und in der kühnsten Weise durchgeführt wird. Nachdem Simon dem Volk Makkabäus als seinen neuen Fürsten bezeichnet, stimmt er die Arie an: „Auf Heer des Herrn" derem Begleitung mit Oboen an alte Feldmusik erinnert. Das Volk stimmt begeistert ein: „Wohlan wir folgen gern". Wie wilder Sturm ertönt der jauchzende Ruf: „Führ uns, o Held". Nun tritt Judas auf und spricht in der Arie: „Bewaffne dich mit Mut mein Arm" freudige Zuversicht des Sieges aus. Das Orchester ist stürmisch bewegt; wild auf und ab (außen die Geigen und Bässe, gleichsam das Schlachtgewühl malend. Weich hebt sich der Gesang zweier Frauenstimmen dagegen ab, die daran erinnern, den höchsten um seinen Schutz und Geschenk der Freiheit anzuflehen. Judas fordert die Tapferm zum Kampfe auf und das Volk jauchzt ihm zu: „Du Held, mach unsfrei". Nochmals erinnert Judas,, daß die Ehre Gottes zum Kampfe rufe, worauf der Chor anstimmt: „Hör uns, o Herr." Im ersten Teil ist es das fromme Heischen um Erhörung, im
Gemächlichen Schrittes schleuderte er nun durch die glänzend erhellten Zimmer, hier und da stehen bleibend, um mit einem der Gäste einige freundliche Worte zu wechseln; aber das verbindliche Lächeln verschwand von seinem Gesicht, als er die Thür des kleinen Gemaches öffnete, in welchem Sarnow voll verzehrender Ungeduld seines Kommens harrte.
„Guten Abend!" sagte er kurz. „Es thut mir leid, daß Sie warten mußten. Aber man kann als Gastgeber an solchem Abend natürlich nicht in jedem beliebigen Augenblick abkommen. Ist denn wirklich etwas so Besonderes vorgegangen?"
Sarnow hatte ein Blatt Papier aus der Brusttasche seines Rockes genommen und reichte es dem General-Konsul mit bebender Hand.
„LesenSie sagteer tonlos. „Doch machenSiesich zuvoraufdaS Aeußerste gefaßt!"
„Ein Kabeltelegramm? Von unserm Agenten aus Sidney? Ist die „Felicitas" noch immer nicht angekommm?"
„Sie wird niemals ankommen! — doch ich bitte Sie, lesen Sie selbst!"
Röhrsdors trat unter die Hängelampe und las mit halblautem Murmeln:
„Soeben Nachricht, daß „Felicitas" bei schwerem Sturm in der Baßstraße, Region der Kents-Jnseln, gescheitert. Schiff und Ladung vollständig verloren. Zweite Offizier, ein Maschinist, fünf Paffagiere in einem Boote bei Alberton gelandet. Alle Anderen ertrunken.
Tullock."
Auch als er längst zu Ende gelesen hatte, behielt er das Papier noch immer in der Hand, es nach allen Testen wendend, wie wenn er ein Merkmal dafür zu finden hoffte, daß sich nur irgend Jemand einen grausamen Scherz mit chm gemacht. Dann knitterte er das unglückselige Schriftstück plötzlich in der geballten Faust zusammen und wandte sich mü fahlem, verzerrtem Gesicht nach Sarnow um.
„Da sehen Sie, wie Ihre frommen Wünsche in Ersüllung gegangen sind. Das also war der Segen des Himmels?! — O, verflucht — verflucht!"
Er erhob feine Arme und schüttelte sie wild gegen die Decke des Zimmers, wie wenn da droben etwas wäre, das er zu zermalmen wünsche. Sein ganzer Körper erzitterte und das Weiße in seinen Augen war plötzlich von feinen roten Adern durchzogen.
„Es ist ein furchtbares Unglück, wenn sich diese Mitteilung in ihrem ganzen Umfange bewahrheitet", sagte Sarnow, „ein Unglück, das ich noch kaum auszudenken vermag. Es befanden sich mehr als dreihundert Menschen an Bord."
Der General-Konsul begann mit langen Schritten in dem kleinen Gemache umhcrzustürmen. Abgerissen und unzusammenhängend kamen die Worte über feine Lippen. Es war, als habe er Minuten lang die Anwesenheit des Anderen völlig vergessen..
.Wenn es noch bei der vierten oder fünften Fahrt geschehen wäre — da hätte ich keine Aktie mehr im Tresor gehabt — und bei einem Kurssturz wäre vielleicht nur zu gewinnen gewesen. Aber jetzt — jetzt! — Das erste Schiff und auf der ersten Fahrt! Diese elenden Dummköpfe werden sich nicht klar machen lassen, daß das auf jeder Linie geschehen kann — sie werden Zeter und Mordio schreien — werden ihre Aktien kopflos auf den Markt werfen, aus Furcht, ihre armseligen Groschen zu verlieren — der Kurs wird fallen — um fünf, zehn, zwanzig Prozent — uift» ich bin ein geschlagener Mann."
Mit unwilligem Erstaunen hörte Sarnow diesen maßlosen Ausbrüchen einer Verzweiflung zu. die um so wiederwärtiger war, als unverkennbar nur die ohnmächtige Wut einer um die Früchte ihrer Berechnungen betrogenen Habsucht sich in ihr offenbarte. Er wartete umsonst auf eine Aeußerung der Teilnahme für die Unglücklichen, die durch das verhängnisvolle Ereignis viel mehr verloren hatten, alL nichtigen irdischen Besitz.
(Fortsetzung folgt.)