560
Göppingen, 14. Novbr. Hinsichtlich der Sonntagsruhe scheinen die hiesigen Ladeninhaber der großen Mehrheit nach anderer Ansicht zu sein, als die Inhaber der Fabrik-, Groß- und Bankgeschäfte. Der Umlauf der schriftlichen Aufforderung ist zwar noch nicht vollendet, woran der Umstand, daß in den letzten 10 Jahren viele kleine kaufmännische Geschäfte, bezw. Kramladen hier entstanden sind, mit Schuld sein dürfte, aber es ist so viel bekannt geworden, daß sehr viele Ladeninhaber dafür sind, daß die Läden von 11 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags an Sonntagen offen sein sollen. Von einer Einschränkung dieser Zeit oder gänzlichem Schließen an Sonntagen befürchten viele beträchtlichen Schaden, indem sie glauben, daß .die Landkundschaft zum Teil verloren gehen nnd die Hausierer den Gewinn davon haben würden.
Rottenburg, 16. Nov. Heute früh vor 3 Uhr wurde wieder ein Feuer gelegt und zwar in dem erst vor einigen Jahren erbauten Hause des Hrn. Ziaver Wiedmaier an der Niedernauer Straße; hiebei sollen ca. 60 Bund Stroh zerstört worden sein. Der Brand wurde noch rechtzeitig entdeckt und mit Hilfe der Nachbarn alsbald gelöscht.
— Lehrer Frick in Allmendingen wurde bei der kürzlich erfolgten Geburt seines 7. lebenden Knaben nach altem Brauch von dem König Wilhelm II. durch Annahme der Pathenstelle und Uebersendung eines königl. Geschenkes erfreut.
Mün singen, 14. Nov. Gestern abend um Uhr brach in Laich ingen in der Scheuer des Webers Heinrich Schwenk Feuer aus und wurde das Gebäude, eine Doppelscheuer, ein Raub der Flammen. Noch am gleichen Abend ist der Weber David Sautter von Laichingen als der Brandstiftung verdächtig in Haft genommen und heute bei dem hiesigen Amtsgericht eingeliefert worden, wo er ein Geständnis abgelegt haben soll. Der Beweggrund seiner That war Haß gegen den Abgebrannten.
Heidenheim, 13. Nov. Der hiesige Pflug- wirth schoß heute auf der Jagd 2 Rehe und 1 Hasen. Als er heimkam, hatte ihm 1 Kuh 3 Kälber zur Welt gebracht. Dieselben sind gesund. Das heißt Glück!
Vom Härdtsfeld, 15. Nov. Vorgestern wurde in den Gemeinden Großküchen, Kleinküchen, Stetten und Elchingen die Wasserleitung dem Betrieb übergeben. Gestern erfolgte die Eröffnung in Waldhausen und dessen Parzellen sowie in Hühlen- Kapfenburg. Die Freude über die Vollendung dieses Wasserwerks ist eine allgemeine. Ein Bürger von Stetten fühlte sogar ein dichterisches Rühren und versah den Brunnen mit folgender Inschrift:
O teures Element.
Deine Laufbahn heut beginnt,
Du willst jetzt uns erfrischen,
Ja selbst auf unfern Tischen.
Wir begrüßen das mit Freuden Und rufen zu allen Zeiten:
Ein Hoch dem edlen Wasserbaulenker,
Ein Wohlbekomms dem Wassertrinker! Allerdings sollen bei dem „Wasseressen" in Elchingen
die Verehrer eines „edleren Tropfens" die Oberhand erhalten haben. U. Ztg.
Ulm, 15. Novbr. Bei der bayer. Station Nersingen an der Bahnlinie Ulm-Augsburg, 12 Kilometer von hier entfernt, ereignete sich heute vormittag gegen 9 Uhr ein Eisenbahnunglück, indem der Dampfkessel in einer der beiden, vor einen Güterzug gespannten Lokomotiven platzte und der ausströmende Dampf den auf derselben befindlichen. Heizer derart verbrühte, daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird. Vier weitere Personen sollen verletzt sein. Der größere Teil des Zuges wurde aus dem Geleise geworfen, der Schaden an Material soll sehr beträchtlich sein. Das Geleise war längere Zeit gesperrt, der nächste Personenzug traf mit über
1 '/-stündiger Verspätung hier ein. Die Passagiere mußten an der Unsallstelle umsteigen.
Ulm, 16. Nov. Die beiden bei dem gestrigen Eisenbahnunglück bei Nersingen schwer verletzten Beamten, Lokomotivführer Ottmann und Heizer Heid er, wurden gestern mittag durch den Bahnarzt Dr. Beck nach Augsburg verbracht; ihre Rettung soll nicht ausgeschlossen sein.
Ulm, 17. Nov. Eine eigenartige Ueberras chung wurde gestern abend einer Familie in der Schwilmengasse zu Teil. Es öffnete sich nämlich plötzlich die Thüre und hereintrat ein der Familie gänzlich unbekanntes Dienstmädchen. Dasselbe nahm, ohne eine Einladung abzuwarten, auf dem Sopha Platz und genas daselbst alsbald eines Kindleins. Mutter und Kind wurden in das Spital verbracht.
Tuttlingen, 16. Nov. Gestern Sonntag morgens 3 Uhr wurden die Umwohner des Knabenschulhauses und der angrenzenden Stadtteile durch einen Akt der Rohheit in nicht geringen Schrecken versetzt. Im Knabenschulhause wurden 9 Scheiben zertrümmert, wobei pfundschwere Steine in die Wohn- gelasse geschleudert wurden. Auf der Straße wurden mehrere Laternen zerschlagen. Im Pfarrhaus wurden
2 Scheiben eingeworfen, die übrigen Fenster waren glücklicherweise durch Rollladen geschützt. Die Kirche wurde ebenfalls mit Steinen bombardiert, wobei 2 große Fenster vollständig zerstört wurden. In einem gegenüberliegenden Privathause wurden im untern Stock 2 Fenster eingeworfen. Verletzt wurde niemand, obwohl die schweren Steine teilweise in das Schlafzimmer geworfen wurden. Bei der Verfolgung der rohen Bande wurde einer der Bursche erwischt und dem Stationskommandanten übergeben. Es ist Aussicht vorhanden, daß auch die übrigen Schuldigen, weiche nicht von hier sind, zur empfindlichen Bestrafung gezogen werden können.
Wiesbaden, 15. Nov. Eine Blutthat, maßloser Eifersucht entsprungen, versetzte gestern abend einen Teil der Stadt in nicht geringe Aufregung: Ein von hier gebürtiger Füsilier war abends von seiner Garnison Mainz herübergekommen, um seine 23 Jahre alte Frau mit seinem Besuche zu über
hohen, unaushöilich qualmenden Schornsteinen waren überall aus der Erde gewachsen, und da, wo sonst nur friedliches Heerdengeläute die ländliche Stille durchtönt hatte, stampften und ächzten und dröhnten jetzt rastlose Maschinen. Bernhard Heldrungen hatte all' diesen Veränderungen schweigend zugeseken, nachdem seine ersten bescheidenen Vorstellungen mit ungeduldigem Achselzucken abgefertigt worden waren; aber je höher die Fabrikgebäude emporwuchsen, je breiter sich der Strom fremder, arbeitsfreudiger Menschen über das Gut ergoß, desto ernster und stiller war er geworden. Als endlich auch der größte Teil des zum Herrenhause gehörigen Parkes der großen industriellen Anlage zum Opfer fallen mußte, zog er sich ganz in das Haus zurück, scheu wie der Dachs, der mordgierige Hände an seinem Bau gewittert hat. Die Leute bekamen ihn nur noch selten zu Gesicht, und es fragte auch Niemand nach ihm, denn er war ja nicht mehr wie ehedem der Herr und Gebieter. Man durfte schon dreist wegen, ohne Gruß an ihm vorüber zu gehen, und es ging unter den Bauern das Gerede, daß ihn Röhrsdorf nur aus Gnade und Barmherzigkeit im Herrenhause wohnen lasse.
So wurde der ehedem so lebenslustige Heldrungen innerhalb einer sehr kurzen Zell zum verbitterten, weltschcuen Einsiedler, und man hatte ihn schon beinahe zu den Toten gerechnet, noch bevor er eines Tages vor seinem Lieblingsgemälde entseelt auf dem Fußboden gefunden worden war.
.Ein Schlagfluß!" erklärten damals übereinstimmend die beiden herzugerufenen Aerzte: und sie hatten unzweifelhaft Recht, denn von einem „gebrochenen Herzen" als Todesursache ist in den medizinischen Lehrbüchern überhaupt nicht die Rede.
An j nkm Tage legte Felicitas die Gewänder der Trauer an, und alle Spöttereien ihres Gatten hatten sie noch nicht bestimmen können, dieselben dauernd gegen lichtere Farben zu vertauschen. Und deutlicher noch als in ihrer Kleidung offenbarte sich die unvert'lgbare Trauer auf ihrem schönen Gesicht, besten Wangen ihre einstige Frische, besten Augen ihren allen Glanz verloren hatten, und um besten Mundwinkel vor der Zell so herbe Linien eingegraben waren. Keiner wäre br-
raschen. Die Ueberraschung war für ihn selbst allerdings recht unangenehm, er sah nämlich, wie sein Weibchen einen jungen Mann in intimer Weise zum Bahnhof geleitete und beim zärtlichen Abschiede von jenem ein Briefchen zugesteckt erhielt. Da die Ehegattin sich weigerte, ihrem Manne das Briefchen zu verabfolgen, erhielt sie zunächst auf der Straße von dem eifersüchtigen Eheherrn ein paar Ohrfeigen. Als sie aber kurz darauf auch in der Wohnung ihres Schwiegervaters dem wiederholten Verlangen nach Herausgabe des Briefes keine Folge leistete, ließ sich der Ehemann Hinreißen, 4 Schüsse aus unmittelbarster Nähe auf seine Frau abzufeuern; die Kugel des 1. Schusses drang der Frau von links in die Brust, nahe dem Herzen, ohne es zu verletzen; die 2. Kugel drang von vorn etwas unter der Armhöhle in die rechte Brust, die beiden andern Kugeln glitten an den Stahlbändern des Schnürleibs ab und verursachten ungefährliche Fleischwunden. Ohne einen Laut brach die Frau bewußtlos zusammen. Unmittelbar nach dieser schauderhaften That feuerte der wüthende Ehemann auf die eigene Brust eine Kngel ab, welche am Mittelknochen des Brustkorbes abprallte und nur eine kleine Fleischwunde erzeugte. Der Verbrecher wurde verhaftet und in das Militärlazaret gebracht. Seine Frau, welcher die beiden Kugeln glücklich aus der Brust herausgezogen wurden, war heute abend noch am Leben. Der verhängnisvolle, mit „Dein lieber Wilhelm" Unterzeichnete Brief rechtfertigt allerdings vollauf die Eifersucht des Ehemanns, nicht aber sein Verbrechen.
— In Leipzig fand am vor. Freitag die Schwurgerichtsverhandlung gegen den stuä. zur. Freih. v. Zedlitz wegen Tötung seiner Geliebten statt. Aus der Verhandlung, welcher nur Herren beiwohnten, geht hervor, daß der jetzt erst 21jährige junge Mann so vollständig in den Bann der Dirne geraten war, daß er darüber die Studien vollständig vernachlässigte, sich körperlich ruinierte und daß seine Geisteskräfte wahrnehmbar nachließen. Die Getötete, Meißner, war eine herzlose Person, welche nachgewiesenermaßen ihre Anbeter gegen einander ausspielte, sie eifersüchtig machte, sie beschimpfte, wenn sie sie los werden wollte, und sich damit brüstete, daß sie einen Belgier schon in Tod g:tri:L:n had:. Es wurde in der Verhandlung durch nichts der Nachweis geführt, daß Zedlitz die Absicht gehabt habe, die Meißner zu erschießen. Sein eigenes Geständnis geht dahin, daß er, da er ohne sie nicht leben könne, beabsichtigte, sich vor ihren Augen zu erschießen, und im Affekt auf sie losgedrückt habe, nachdem sie ihm ein häßliches Schimpfwort zugerufen. Gleich darauf jagte er sich eine Kugel in die Brust. Er ist nach mehrmonatlichem Krankenlager noch nicht ganz hergestellt. Der Präsident legt den Geschworenen folgende Fragen vor: „1) Ist der Angeklagte schuldig, die unverehelichte Meißner durch Erschießen vorsätzlich, jedoch ohne Ueberlegung getötet zu haben? 2a) Ist der Angeklagte ohne sein Verschulden durch eine schwere Beleidigung zum Zorne
rechtigt gewesen, zu sagen, daß die junge Frau des General-Konsuls in ihrer Ehe unglücklich sei. Es war ja noch nie eine Aeußerung über ihre Lippen gekommen, welche in diesem Sinne zu deuten gewesen wäre, und von den kleinen und großen Pflichten einer tugendhaften, gehorsamen Gattin ließ sie keine einzige unerfüllt. Wie die beiden Eheleute in ihrem Herzen zu einander standen, wußten nur sie allein; jedenfalls waren die Formen des zwischen ihnen stehenden Verkehrs durchaus höfliche, und die sonst so argwöhnische, lästersüchtige Welt fand nicht den kleinsten Anlaß zu boshaftem Gezische! und Gerede.
Mit r ihiger Freundlichkeit empfing Felicitas ihren Gatten auch heute, als er ziemlich ungestüm und mit allen Anzeichen hochgradiger Verdrießlichkeit zu einer ungewöhnlichen Stunde das Zimmer seiner Frau betrat.
„Ich habe da einen äußerst unangenehmen Absagebrief bekommen", sagte er. „Weiß der Himmel, welchem meiner Feinde ich diese hinterlistigen Zetteleien wieder zu verdanken habe."
Es war begreiflich, daß Felicitas mit einiger Ueberraschung zu ihm aufblickte, denn es zählte sonst nicht zu Röhrsdors's Gewohnheiten, über geschäftliche Dinge mit ihr zu sprechen.
„Einen Absagebrief?" fragte sie. „Hat er auf Dinge Bezug, von denen ich etwas weiß?"
„Nun, Du müßtest wenigstens vollständig taub und blind sein, wenn Du nichts davon wüßtest! In vier Tagen soll der Stapellauf des ersten großen Passagierdampfers stattfinden, den wir für unsere neue Aktiengesellschaft in Bremerhaven haben bauen lasten. ES ist gewissermaßen der Geburtstag und die öffentliche Weihe des Unternehmens."
„Ich habe in den Zeitungen davon gelesen. Die Prinzessin Henriette wird das Schiff auf ihren Namen tauten."
(Fortsetzung folgt.)