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das hartbedrohte Nachbargebäude des Daniel Dürr und die nebenanstehende Mühle ebenfalls vom Feuer ergriffen worden.
Aus dem Amtsblatt für Heidenheim: Heiden heim, 12. Nov. Heute wurde hier Kaufmann Christian Spellenberg zu Grabe getragen. Derselbe gehörte der hiesigen Sängereintracht als aktives Mitglied an, bis er 1886 nach Calw übersiedelte. Auch dort war er ein geschätztes Mitglied des Liederkranzes. Die Sängereintracht gab dem verstorbenen Sangesbruder das letzte Geleite, sang vor dem Haus: „Nach der Heimat süßen Stille", am Grab „Stumm schläft der Sänger" und „Da unten ist Friede im dunklen Haus". Nach der Rede legte ein Mitglied des Vereins im Namen desselben ein Kranz aufs Grab. Auch der Liederkranz Calw habe einen schönen Kranz gesandt, den ein Mitglied des hiesigen im Aufträge des Calwer Vereins niederlegte. Der Verstorbene ruhe sanft!
Ulm, 12. Nov. Auf dem hiesigen Bahnhof geriet heute früh ein Langholzwagen auf ein falsches Geleise, wurde auseinandergeriffen und zertrümmerte hiebei einen Mast der elektrischen Beleuchtung, sowie eine kleine Bretterhütte. Da durch diesen Unfall das Heidenheimer Geleise gesperrt war, mußten die Reisenden in der Richtung nach Heidenheim auf dem Ostbahnhof einsteigen.
Ulm, 14. Nov. Ein 15jähriger Gärtnerlehrling (aus Eßlingen stammend), welcher seinem Meister 100 «/A unterschlug, wurde verhaftet, ebenso ein Mann von Schnaitheim, der seinen Kindern 330 ^ entwendete.
Straßburg, 13. Nov. Von Interesse dürfte eine dieser Tage gegen einen elsässischen Geistlichen ergangene reichsgerichtliche Entscheidung sein. Der katholische Pfarrer von Thannweiler (Kreis Schlettstadt) hatte in einer Predigt eine in seiner Pfarrei zwischen einem Katholiken und einer Protestantin geschlossene Ehe, die nur von dem protestantischen Geistlichen eingesegnet war, in einer für das Ehepaar beleidigenden Weise behandelt. Es hieß u. A. in jener Predigt: „Wenn ein Katholik so schlecht ist, eine Protestantin zu heiraten, ohne die erforderlichen Bedingungen erfüllt zu haben, so kann und darf seine Ehe von einem katholischen Geistlichen nicht eingesegnet werden. Läßt er sich von einem protestantischen Pastor trauen oder begnügt er sich mit der Zivilehe, so begeht er eine furchtbar schwere Sünde, einen Seelenmord an seinen Kindern u. s. w. Seine Mischehe ist eine wilde Ehe, ein unrechtmäßiges, unerlaubtes und darum unsittliches Zusammenleben — ein Konkubinat." Das beleidigte Ehepaar verklagte den Pfarrer, das Gericht erster Instanz sprach ihn jedoch frei, da er nur die Lehre seines Bekenntnisses vorgetragen habe. Auf eingelegte Berufung seitens der Staatsanwaltschaft verurteilte das Landgericht Mül
hausen den Pfarrer zu 14 Tagen Gefängnis. Die gegen dieses Urteil seitens des Pfarrers eingelegte Revision hat nun dahin geführt, daß das Reichsgericht das Urteil des Landgerichts bestätigte. Wie die Metzer Presse mitteilt, wurde die Revision mit der Begründung verworfen, daß für einen katholischen Pfarrer nicht nur die Lehre der Kirche, sondern auch die Vorschriften des Strafgesetzbuches maßgebend seien und daß eine Rechtsverletzung des Z 166 d. St. G. B. ohne Rechtsirrtum vom Landgericht festgestellt sei.
Aus der Pfalz, 13. Nov. In der Pfalz sind in dieser Woche drei schwere Verbrechen verübt worden und zwar zwei Vatermorde und ein Raubmordversuch. In Dahn hatte ein Taglöhner ein Liebesverhältnis mit seiner verwitweten Schwägerin. Dieses Verhältnis gab öfters Anlaß zu heftigen Szenen zwischen demselben und seiner Frau, sowie den beiden Söhnen des Ehepaares, welche auf Seiten der Mutter standen. Als nun letzthin die Söhne erfuhren, daß ihr Vater wieder bei seiner Schwägerin sei, gingen dieselben an das Haus der Witwe und schossen durch das Fenster nach ihrem im Bett liegenden Vater, welcher von einer Kugel so schwer getroffen wurde, daß er hoffnungslos darniederliegt. Die Mörder sind verhaftet. In Mutterstadt wurde ein Bäckermeister in seiner Wohnung mit zerschmettertem Schädel aufgefunden. Als der That verdächtig wurde ein Sohn des Ermordeten verhaftet. Nachbarsleute hatten den Ermordeten schon seit Sonntag vermißt. Das Verbrechen wird auch an diesem Tage begangen worden sein. Die Angehörigen des Ermordeten hatten das Gerücht verbreitet, ihr Vater habe sich erschossen. Endlich wurde in Zweibrücken im Luitpoldparke das 30jährige Fräulein Anna Kallenbach am Hellen lichten Tage von einem bis jetzt noch unermittelten Strolch überfallen, zu Boden geworfen und durch zwei Messerstiche schwer verletzt. Als jder Mörder fand, daß sein Opfer kein Geld bei sich hatte, entfloh er.
München, 12. Nov. Der hiesige preußische Gesandte, Graf Eulenburg, hat dem Prinzregenten jetzt in besonderer Audienz die Aeußerungen des Kaisers über die bayerische Armee anläßlich der Kaisermanöver überbracht. Dieselben lauten neben dem Ausdruck der Freude und Anerkennung über die Leistungen der Truppen: „Die hohe Stufe kriegerischer Ausbildung, auf welcher die Armee stehe, sei nicht nur in der Haltung und Leistung des einzelnen Mannes hervorgetreten, sondern habe sich auch in der Gefechtsthätigkeit der kleineren und größeren Verbände bemerkbar gemacht. Mit Ruhe und Sicherheit geführt, hätten sie sich den höchsten militärischen Anforderungen gewachsen gezeigt. Wie die Truppe, so habe auch die oberste Führung die an sie herantretenven Aufgaben in hervorragender Weise zu erfüllen gewußt. Seine Majestät der Kaiser könne Seine Königliche Hoheit den Prinz-Regenten zu dem hohen Grad der Kriegstüchtigkeit und Leistungsfähigkeit, welche die
bayerische Armee unzweifelhaft besitze, nur beglückwünschen."
— Die Aktiengesellschaft für elektrische Glühlampen (Patent Seel) in Berlin giebt bekannt: Am 10. November ist der gegen uns schwebende große Prozeß der Edisongesellschaft und Siemens L Halske von 300,000 ^ Schadenersatz für die Jahre 1887/88, ferner eine Mark Schadenersatz für jede weitere fabrizierte Lampe und Entsagung der Fabrikation nach dem Prinzip dieses Patentes — was gleichbedeutend damit ist, überhaupt keine Glühlampe anfertigen zu dürfen — von Seiten unserer Gegnerin, der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (Edison), ohne den Richterspruch abzuwarten, zurückgezogen worden. Auf unseren Antrag hin mußte sich diese verpflichten, das Edisonpatent Nr. 12,174 betreffend, keine weiteren Prozesse anzustrengen. Die Gesamtkosten dieses Verfahrens sind der Gegnerin auferlegt worden.
Aus Lyon, 12. Nov., wird dem „Jll. Wiener Extrabl." gemeldet: Während der gestrigen Vorstellung von Robert der Teufel im Grand Theatre ließ eine Tänzerin, die sich in der Garderobe frisierte, eine Kerze auf ihr Gazeröckchen fallen, welches Feuer sing. Eine Kollegin, die Hilfe bringen wollte, wurde ebenfalls von den Flammen erfaßt und sofort brannten beide Mädchen lichterloh. Beide leben noch, doch sind ihre Brandwunden sehr bedenklicher Natur.
Der russische Notstand und die Bauern. Es ist nunmehr amtlich bestätigt, daß die russische Regierung zur Linderung des Notstandes, der immer größere Proportionen annimmt, neuerdings den Betrag von 32 Millionen Rubel angewiesen hat, wodurch die Gesamtsumme der für diesen Zweck verwendeten Staatsunterstützung die Höhe von 64 Millionen Rubel erreicht hat. Diese ausgiebige Unterstützungsaktion hat jedoch zwei Seiten und wenn man auch das werkthätige Eingreifen der Regierung rühmend anerkennen muß, ist man doch in manchen Kreisen der Bevölkerung nicht ohne Sorge über die Konsequenzen, die aus dieser Hilfsaktion erwachsen könnten. Es ist wohl richtig, daß durch die Hilfe des Staates zahlreiche Notleidende vom Untergange gerettet werden, andererseits muß aber konstatiert werden, daß diese Hilfe einer ebenso rohen als unwissenden Bevölkerung, wie es der russische Bauernstand ist, zu Teil wird, in die dadurch falsche und verschrobene Ideen hinein- getragen werden. In der That beginnt in der bäuerlichen Bevölkerung bereits die Anschauung Wurzel zu fassen, daß sie nicht nötig hat, zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, da ihr ja die zu ihrer Existenz notwendigen Mittel von der Regierung beigestellt werden und anstatt sich an den öffentlichen Arbeiten zu beteiligen, deren Ausführung behufs Linderung des Notstandes angeordnet worden ist, ziehen es viele Bauern vor, dem Müssiggange zu fröhnen und sich dem Trünke zu ergeben, indem sie auf die Unterstützung warten, die ihnen seitens des
Noch immer war Sarnow an ihrer Seite gewesen. Jetzt gab er ihren Arm frei und trat mit einigen hastigen Schritten in das Vorzimmer zurück. Sein Gesicht war plötzlich sehr bleich geworden und verräterisch zuckte es um seine Lippen. Felicitas selbst aber war nicht weniger bestürzt, als es vorhin ihr Vater gewesen war.
„Das ist ein Scherz, den ich nicht ganz verstehe, Herr Röhrsdorf!" sagte sie. ein wenig vor ihm zurückweichend. „Wir werden an die Heimfahrt denken müssen, Papa."
Es war eine Erwiderung, die sicherlich wenig Ermutigendes für den Freier hatte, aber der Bankier verlor seine selbstbewußte Gelassenheit nicht für einen)einzigen Moment.
„Sie hätten ein Recht, beleidigt zu sein, mein Fräulein, wenn ich mit so ernsthaften Dingen zu scherzen vermöchte. Aber Ihr Herr Vater wird Ihnen gern bestätigen, daß ich mich soeben in aller Form um Ihre Hand beworben und seine Einwilligung erhalten habe. Wenn ich mich im Uebrigen bei meiner Erklärung gegen die herkömmlichen Gebräuche vergangen haben sollte, so werden Sie dafür im Hinblick auf unser gestriges Gespräch gewiß eine Entschuldigung zu finden wissen. Ich bin eben nicht in den Lebensgewohnheiten vornehmer Leute erzogen worden."
Felicitas war auf ihren Vater zvgeeilt und hatte sich in seine Arme geworfen.
„Ist es dennWahrheit, Papa?" flüsterte sie. „Sage mir, bitte, ein einziges Wort!"
„Nun ist die Gelegenheit für Sie gekommen, meinen Fürsprecher zu machen, wie Sie es mir verheißen haben, Herr Heldrungen", kam Röhrsdorf der Antwort des Gutsbesitzers zuvor. „Sie können Ihrer Tochter getrost dafür Bürgschaft leisten, daß sie wohl aufgehoben sein wird unter meinem Schutz."
^ Heldrungen war in der rötlichsten Verlegenheit. Er fühlte seine Stirn feucht werden vor Auflegung und Angst.
„In der That, mein liebes Kind", stammelte er. .Es verhält sich so, wie Herr Röhrsdorf sagt. Es wäre mir erwünscht — ich würde mich freuen — das heißt, ich denke natürlich nicht daran, Dich zu beeinflussen oder zu zwingen — indessen — Du wirst ja am besten wissen —"
Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken unter dem eisigen Blick, welchen
der Bankier auf ihn richtete. Felicitas aber ließ ihre Arme langsam von seinem Nacken gleiten und nachdem sie ihm noch einmal fest und forschend in das verwirrte, den verzweifelten Zustand seines Innern nur zu deutlich wiederspiegelnde Antlitz geschaut hatte, wandte sie sich mit einer Entschlossenheit, in der nichts Freudiges war, gegen ihren Bewerber.
„Wenn es der Wunsch meines Vaters ist, daß ich Ihren Antrag annehme, Herr Röhrsdorf, so bin ich bereit, mich diesem Wunsche zu fügen."
Vom Vorzimmer her ertönte ein Geräusch, wie wenn eine Thüre heftig in's Schloß geworfen worden wäre, und Felicitas fuhr dabei sichtlich zusammen. Röhrsdorf aber bemächtigte sich mit einem kleinen, nicht sehr angenehmen Lächeln ihrer Hand, und zog dann die schlanke, nur schwach widerstrebende Gestalt vollends an sich.
„Sie machen mich sehr glücklich, Felicitas", sagte er. „Ich hoffe, daß Sie keinen Grund haben werden, Ihren Entschluß jemals zu bereuen."
Er küßte sie auf die Stirn, wobei Felicitas wieder die Empfindung hatte, als käme sie mit der kühlen Haut einer Schlange in Berührung, dann gab er sie wieder frei, und die seltsame Verlobungsförmlichkeit war zu Ende.
Der Diener des Bankiers reichte den Herrschaften in dem kleinen Gartenzimmer den Kaffee. Auf seinem Präsentierbrett waren nur drei Taffen.
„Ist Herr Sarnow bereits fortgegangen?" fragte der Gastgeber.
„Jawohl, Herr Röhrsdorf!" lautete die Antwort. „Ich erhielt von Herrn Sarnow den Auftrag, ihn bei den Herrschaften zu entschuldigen, da im Kontor dringende Arbeiten vorlägen, die er nicht gern aufschieben wolle."
„Sehr wohl! — Es freut mich, daß der junge Mensch seiner Stellung und seiner Pflichten auch hier eingedenk geblieben ist.'
Diese Bemerkung schien vornehmlich für Felicitas bestimmt zu sein; denn Röhrsdorf hatte sie, während er sprach, scharf angesehen; doch in ihrem blaffen Gesicht veränderte sich kein Zug, und sie schaute so traumhaft ernst in das grüne Blätter- gewoge des Gartens hinaus, als habe sie seine Worte garnicht gehört.
(Fortsetzung folgt.)