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der Kartoffelernte beschäftigt waren. Dieselben sind der 20 Jahre alte Bäcker Ernst Moll von Hattenhofen OA. Göppingen und die 20 Jahre alte Marie Schramm von Stuttgart. Sie sind geständig. Nach der That waren beide zunächst nach Tübingen zurückgekehrt, wo sie schon am Tag vor derselben sich aufgehalten hatten und von hier dann wieder nach Rottenburg gegangen! Gestern Abend wurden Beide nach dem Landgericht gebracht und um 8 Uhr zurück ins Amtsgerichtsgefängnis. Eine große Menschenmenge hatte sich in den Straßen angesammelt, welche insbesondere die Schramm mit Verwünschungen begleitete.
Cannstatt, 1. Okt. Die Bierzufuhr über das Volksfest 1891 hat nach der Cannst. Ztg. betragen per Bahn: bayr. 364 Hekt., Pilsener 59 Hekt., per Achse: inländisches 2088 Hekt., zus. 2512 Hekt. (1890 2820 Hekt.) Die Verbrauchssteuer hieraus beträgt 1646 (1890 1833 <^).
Eisenbahnunfall. Am 2. Okt. morgens 4.30 ist der von Stuttgart kommende Güterzug 687 beim Ausfahren aus der Station Süßen mit dem von Ulm kommenden Güterzug 700 zusammen - gestoßen. Beide Geleise werden voraussichtlich bis zum Abend unfahrbahr sein. An der Unfallstelle wird umgestiegen. Verletzt ist Niemand erheblich, ein Schaffner wird vermißt. (Die fälligen Posten von Wien, München, Ulm sind in Folge des Unfalls heute früh ausgeblieben; der Orientexpreßzug konnte noch nicht nach Stuttgart gebracht werden.) Nach anderer Meldung wurde der vermißte Hilfsbremser Brauchte noch lebend mit Verletzungen am Kopf und an beiden Füßen unter den Trümmern eines Wagens vorgefunden und nach Stuttgart überführt. Derselbe ist bereits in Stuttgart eingetroffen und wurde mittels Droschke nach dem Katharinenhospital verbracht.
Strafkammer Rottweil. Die Strafsache gegen den Reichstagsabgeordneten Freiherrn v. Münch auf Hohenmühringen wegen Beleidigung des Oberamtmanns Schwend in Oberndorf kam zum zweiten male zur Verhandlung, nachdem v. Münch gegen das. Urteil der hiesigen Strafkammer vom 21. Juli 1890, demzufolge er wegen verleumderischer Beleidigung zu der Geldstrafe von 1000 verurteilt worden war, Revision an das Reichsgericht eingelegt und dieses dieselbe als begründet erachtet und darum die Sache zur nochmaligen Verhandlung an die Strafkammer Rottweil zurückverwiesen hatte. Freiherr v. Münch wurde freigesprochen und sämtliche Kosten der Kgl. Staatskasse auferlegt. Die Gründe zu dem freisprechenden Urteil sind folgende: Dem Angeklagten war zur Last gelegt, er habe am Montag den 17. Februar 1890 zu Schramberg wider besseres Wissen in Beziehung auf den Oberamtmann Schwend in Oberndorf öffentlich eine unwahre Thatsache behauptet, welche denselben verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet war, indem er vor einer von ihm als Kandidat für die Reichstagswahl in der Turnhalle daselbst abgehaltenen öffentlichen Wählerversammlung, so daß es von einer unbestimmten Anzahl von Wählern gehört werden konnte und von einer zahlreichen Zuhörerschaft gehört wurde, in seiner Wahlrede äußerte: „Der Herr Oberamtmann Schwend in Oberndorf hat die infame Lüge verbreitet, ich hätte mich zuerst der Deutschen Partei
als Kandidat angeboten, und erst nachdem diese mich zurückgewiesen, mich an die Volkspartei gewendet; ich erkläre das, was der Herr Oberamtmann Schwend gesagt hat, für eine infame Lüge." Nach dem Ergebnisse der Hauptverhandlung ist erwiesen, daß der Angeklagte den Namen des Oberamtmanns Schwend mit der erfolgten Beschlagnahme und Verbrennung eines von ihm ausgegebenen Flugblattes in Verbindung gebracht, und daß er im unmittelbaren Anschluß hieran sich dahin geäußert hat, es sei die infame Lüge über ihn verbreitet worden, er habe sich zuerst der Deutschen Partei angeboten rc. Die angestellten Ermittlungen durch die geladenen Zeugen, ob der Angeklagte ausdrücklich gesagt habe, Oberamtmann Schwend in Oberndorf habe die infame Lüge verbreitet u. s. w. standen unter sich im Widerspruch, indem ein Teil dies bejaht, ein anderer es ausdrücklich verneint hat. Mit Rücksicht auf diesen Widerspruch und weil im Irrtum einzelner Zeugen darüber, ob die Nennung des Oberamtmanns Schwend sich nicht blos auf das von dem Angeklagten wegen seines Flugblatts Besprochene bezog, nicht als völlig ausgeschlossen anzusehen war, konnte nicht die völlige richterliche Ueber- zeugung gewonnen werden, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Aeußerung in Beziehung auf den Oberamtmann Schwend gethan hat und es mußte darum der Angeklagte von der gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen werden.
Künzelsau. Gestern verkaufte ein hiesiger Privatier den Ertrag seines Weinberges — 700 Stöcke — um 1 (Eine Mark). Mehrere andere
Weinbergbesitzer haben nichts Besseres zu hoffen. Daß unter solchen Umständen vom Aufmachen der Kelter abgesehen wird, ist erklärlich. — Zwei jugendliche Baümverderber, die vor ungefähr vier Wochen eine Anzahl junger Bäume in umzäunten Gärten in der Au geknickt oder abgeschnitten hatten, wurden heute vom Amtsgericht, der eine, erst kürzlich wegen Sachbeschädigung gestraft, zu 5 Monat, der andere zu 3 Monat Gefängnis verurteilt. .
Karlsruhe, 2. Okt. Die heute vorgenommenen Erneuerungswahlen zur Zweiten Kammer haben das Ergebnis der Wahlmännerwahlen lediglich bestätigt. Es gewannen das Zentrum 8, die Demokraten 4, die Sozialdemokraten 2, die Konservativen 1 Mandat. Das von den Demokraten verlorene Bruchsal ist die einzige Eroberung der Nationalliberalen, die von ihren 28 zur Erneuerung gestandenen Mandaten 13 behaupteten und in der neuen Kammer noch eine Majorität von einer Stimme haben werden.
Aus Baden, I.Okt. Mächtige Rauch- und Feuersäulen zeigten gestern Nachmittag nach 3 Uhr dem erschreckten Landmann auf dem Felde den Ausbruch eines Feuers in Liedolsheim an, das mit einer solchen Macht und rapiden Geschwindigkeit sich ausdehnte, daß innerhalb einer ganz kurzen Zeit über 20 gefüllte Scheuern, Ställe und verschiedene Hinterhäuser in Hellen Flammen standen. Obwohl rasch Hilfe zur Stelle war, war es doch ein Ding der Unmöglichkeit, des nun auf eine ganze Straße ausgedehnten Brandes Herr zu werden. Gegen 4
Uhr abends waren die ergriffenen Gebäude soweit heruntergebrannt, daß die größte Gefahr für die Vorderhäuser beseitigt erschien. Ueber die Entstehung des Brandes verlautet noch nichts Zuverlässiges- Menschenleben sind glücklicherweise nicht zu beklagen. Mehrere Tiere sind in den Flammen umgekommen.
Kassel, 30. Sept. Die Generalversammlung des Evangelischen Bundes beschloß an den Kaiser folgendes Huldigungstelegramm zu senden: „Ew. Kaiserlichen und Königlichen Majestät bringt die iw Kassel tagende 5. Generalversammlung ves Evangelischen Bundes ihre allerunterthänigste Huldigung dar- Bei den schweren Gefahren, welche unser Volk in seinen heiligsten Gütern bedrohen, weiß sich der Evangelische Bund mit Euer Kaiserlichen und Königlichen Majestät hochherzigem Bestreben freudig eins, durch mannhaftes Bekenntnis zu dem lebendigen Gott und seinem eingeborenen Sohn, dem alleinigen Gründer unseres Heils, der Verblendung zu wehren und durch festes Eingreifen in die so vielen Schäden der Zeit von der Macht der christlichen Liebe Zeugnis zu geben. Gott schütze, Gott stärke, Gott segne Eure Kaiserliche und Königliche Majestät zum Heile der Kirche und des deutschen Vaterlandes!" Auch an die Kaiserin, welche augenblicklich noch auf Wilhelmshöhe weilt, wurde auf Beschluß der Versammlung ein Huldigungstelegramm gerichtet. Die heutige Hauptversammlung eröffnete im Namen des Zentralvorstandes Graf Wintzinggerode mit einer längeren Ansprache. General- Superintendent Lohr begrüßte die Versammlung im Namen des Kirchenregiments, Bürgermeister Kloeffler im Namen der Stadt Kassel und Professor Achelis im Namen der theologischen Fakultät der Universität Marburg. Fernere Grüße gingen ein von dem Zentralausschuß der inneren Mission, dem evangelisch-sozialen Kongreß und dem evangelischen Arbeiterverein. Der Generalvikar der deutschen Altkatholiken Prof. Weber- Breslau hielt ebenfalls eine Begrüßungsrede.
— In Halle ist der Zirkus Herzog von den dortigen Sozialdemokraten boykottiert worden, weil er es abgelehnt hatte, im soz. „Volksblatt" zu inserieren. Dieses hat darauf in Fettdruck über die ganze Seite hin an der Spitze des Annoncenteils folgende Aufforderung gebracht: „Der Zirkus Herzog hat es abgelehnt, in unserem Blatte zu inserieren. Die Arbeiter, welche zu uns stehen, ersuchen wir deshalb, den Zirkus zu meiden."
— Mittwoch früh 7 Uhr ist das bei dem Schwurgerichte zu Chemnitz am 13. Juli d. I. gegen den Zigarrenmacher Gustav Adolf Ludwig aus Hainichen wegen Raubmordes ergangene Todesurteil mittels Fallschwertes voll st reckt worden.
Berlin, 1. Okt. Der „Post" wird aus Wilhelmshaven gemeldet, Korvettenkapitän Rüdiger sei zum Stellvertreter des Gouverneurs in Ostafrika ernannt worden.
Berlin, 3. Okt. Der Kaiser erfreut sich nach den hierher gelangten Nachrichten auf Schloß Rominten des besten Wohlbefindens. Die Kaiserin hat in den letzten Tagen während der Morgenstunden wiederholt Spazierritte in die nächste Umgebung des
schlafenden Mann und fragte dann mit gedämpfter, aber trotzdem rauh klingender, tiefer Stimme:
„Kommen Sie noch einmal zurück, Herr Doktor? Habe ich es nicht gleich gesagt, daß Sie bei dem Unwetter in der Finsternis nicht nach Hause kommen würden? — Drüben ist schon ein Lager für Sie zurecht gemacht, so gut ich's habe, und Sie wissen wohl, daß das nicht viel ist!"
Sie stand auf unv griff nach der Lampe. Doktor Fischer hielt sie zurück.
„Nicht mich hat das Wetter zu Euch hereingejagt," sagte er, „wohl aber zwei Damen, die in der Nähe mit ihrem Wagen Unglück gehabt haben und auf den grundlosen Wegen nicht bis ins Dorf können. Ich denke, Ihr nehmt sie freundlich auf, bis ich ein Fuhrwerk herdeigeschafft habe!'
Sie nickte statt aller Antwort mit dem Kopfe und folgte dem Doktor mit ihrem Lämpchen auf den Vorplatz hinaus, wo sich Tante Dorette bisher vergebens nach einer Gelegenheit niederzusetzen herumgetastet hatte.
„Gott zum Gruß, meine Damen," sagte sie einfach, „wär' besser gewesen, Sie hätten bei einem weniger armseligen Hause umgeworfen! Da es aber einmal nicht anders ist, werden Sie auch mit meiner Dürftigkeit vorlieb nehmen müssen! — Treten Sie nur hier ein! — S'ist zwar die Küche; aber drüben liegt mein kranker Mann und da werden Sie wohl nicht hinein wollen!"
Sie hatte eine auf der andern Seite angebrachte Decke aufgehoben und ihre unerwartete Gäste in den als Küche bezeichneten Raum voraufgehen lassen. Es war nicht zu leugnen, daß derselbe trotz seiner weniger als einfachen Ausstattung etwas Behagliches und Anheimelndes hatte. Dazu mochte freilich wohl vor Allem die angenehme Wärme beitragen, die ihn erfüllte, und die von einem eisernen Ofen ausging, der in der Ecke aufgestellt war. Außerdem brannte auf einem von Back
steinen rot aufgerichteten Herde ein knisterndes Holzfeuer unter einem dampfenden Kessel. Einiges Blechgerät, das im Wiederschein der roten, züngelnden Flammen wie Silber glänzte, hing neben mehreren irdenen Geschirren an der Wand oder stand auf einem Gesims über dem Herd. Ein Tisch und eine Bank von rohem Holz machten auch hier die ganze Mobiliareinrichtung aus, daneben aber lag auf dem Fußboden eine Matratze, und die bunte wollene Decke, welche darüber hingebreitet war, bildete in ihrer »»geflickten Neuheit jedenfalls das bedeutsamste und wertvollste Stück der ganzen Ausstattung.
Die Alte stellte ihre Lampe auf den Tisch nieder und trat an den Herd. Tante Dorette sank mit einem tiefen Klagelaut ohne Weiteres auf die Matratze, nur Nelly blieb zaudernd neben dem Eingang stehen. Als sie mit raschem Auge ihre Umgebung gemustert hatte, glitt ihr Blick zum ersten Mal seit der Katastrophe an ihrer eigenen Gestalt nieder, und sie machte da die Wahrnehmung, daß die Unordnung ihrer vor Kurzem noch so prächtigen Toilette eine mehr komische als gewinnende Erscheinung aus ihr gemacht habe. Ihre Wangen erglühten und sie sah sich scheu nach dem Doktor um, ob sich nicht vielleicht im Gesicht desselben etwas wie Spott oder Schadenfreude auspräge. Der aber hatte garnicht weiter Notiz von ihr genommen und war in das dunkle Krankenzimmer hinübergeschlüpft, aus dem er erst nach einigen Minuten zurückkehrte.
„Er schläft ziemlich ruhig, Mutter Conrad," wendete er sich an die Alte, „der Pulsschlag ist- gleichmäßiger geworden, das Fieber hat nachgelassen. Vielleicht bringen wir ihn doch noch einmal auf die Beine!"
„Das steht in Gottes Hand. Herr Doktor," anwortete sie mit ihrer rauhen„ tiefen Stimme, „aber was Menschenkrast dabei verrichten kann, das haben Sie gewiß gethan!" (Forts, folgt.)